Belletristik REZENSIONEN |
Alles nur geflunkert?
|
Wladimir Kaminer |
Russischer Jude, Russe mit
deutscher Staatsangehörigkeit |
Militärmusik |
Manhattan Verlag, München 2001, 192 S.
|
Militärmusik hört da auf, wo
"Russendisko" anfängt: bei der Übersiedlung von
Moskau nach Berlin - 1990, als in der Noch-DDR
Russische Juden problemlos aufgenommen wurden. Das Buch ist laut Verlag ein Roman. Laut Lexikon ist der Roman eine "epische Großform in Prosa,
gekennzeichnet durch Breite der Darstellung". Dadurch ist Militärmusik nun gerade nicht gekennzeichnet, sondern vielmehr durch acht
kleine biographische Geschichten in chronologischer Abfolge. Der Autor beginnt sein Buch mit dem Jahre 1967, dem Jahr seiner Geburt,
das gleichzeitig der 50. Jahrestag der
Großen Sozialistischen Oktoberrevolution ist.
Wladimir Kaminer lässt uns an seinem typisch-untypischen sowjetischen Heranwachsen teilnehmen - kaum ein Satz, über den man nicht
schmunzeln muss. Er gehört in der damaligen
Sowjetunion zur immer größer werdenden Gemeinde jugendlicher
Unangepasster - schon im
Kindergarten, in der Schule, im Pionierlager, als Praktikant beim Theater, als Parkwächter, als Soldat der
russischen Armee -, der
nie befördert wird... Aber Kaminer ist überall mittenmang, weil er so gut Geschichten erzählen kann. Seine Geschichten haben jedoch
einen Haken: Man weiß nie, ob sie stimmen oder nicht. Auf Seite 15 gesteht der Autor: "Ich war nämlich ein totaler Spinner." In der Schule wird
er wegen seiner (geheuchelten) guten politischen Aufsätze Politinformator. Es dauert nicht lange, bis er die vorgetragenen Nachrichten
selbst erfindet. Als er Lehrer und Mitschüler darüber informiert, dass Simbabwe
Russland den Krieg erklärt
habe, "flog die ganze Sache
auf". Und so ist Misstrauen angesagt bei seinen "Enthüllungen" über Gagarin, seinen Armee-Radarbeobachtungen von Rust, der mit seinem
Flugzeug auf dem Roten Platz landete... Kaminer gibt sich allem und jedem gegenüber respektlos. Auch die russische Armee, einst eine
Respekt einflößende Militärmacht, ist für ihn Tummelplatz von Ulkigkeiten. Man möchte Tränen lachen... Manchmal bleiben sie einem
allerdings im Halse stecken. Nicht, dass der Ich-Erzähler von Militärmusik die sowjetische Welt verändern wollte. Durchkommen war
angesagt und das möglichst bequem mit nicht zu viel Arbeit, denn damit könnte man sich ja den Tag verderben.
"Gorbatschows Perestroika
hatte dem Land zwei neue Spielzeuge beschert: `Business´ für die Väter und `Freiheit´ für die Söhne." Vater Kaminer und Sohn Wladimir
spielen ordentlich mit...
Kaminer erweist sich auch in seinem zweiten Buch als großes Erzähltalent, das sozusagen über Nacht auf den Bestsellerlisten landete.
Zu bestaunen ist auch, dass er inzwischen seine Bücher in deutscher Sprache schreibt, er, der 1967 mit einem von der Mutter geschenkten
Wörterbuch aus dem Jahre 1956 deutsch zu lernen begann.
|
Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de |
Weitere Rezensionen zu "Biographien und Autobiographien":
|
- Sabine Adler, Russenkind. Eine Tochter auf der Suche nach ihrer Mutter.
- Tschingis Aitmatow, Kindheit in Kirgisien.
- Ellen Alpsten, Die Zarin.
- Anton Bayr, Vergessene Schicksale. Überlebenskampf in sowjetischen
Lagern - ein Kriegsgefangener erinnert sich.
- Nina Berberova, Ich komme aus St. Petersburg.
- Ivan Bunin,
Čechov, Erinnerungen eines Zeitgenossen.
- Juliet Butler, Masha & Dasha. Autobiographie eines siamesischen Zwillingspaares.
- E. H. Carr, Romantiker der Revolution. Ein russischer
Familienroman aus dem 19. Jahrhundert.
- Alexandra Cavelius, Die Zeit der Wölfe.
- Marc Chagall, Mein Leben.
- Jerome Charyn, Die dunkle Schöne aus Weißrußland.
- Kurt Drawert / Blaise Cendrars, Reisen im Rückwärtsgang.
- Werner Eberlein, Geboren am 9. November.
- Irina Ehrenburg, So habe ich gelebt. Erinnerungen aus dem 20. Jahrhundert.
- Ota Filip, Das Russenhaus.
- Natalia Ginzburg, Anton Čechov, Ein Leben.
- Michail Gorbatschow, Über mein Land.
- Friedrich Gorenstein, Malen, wie die Vögel singen. Ein Chagall-Roman.
- Friedrich Gorenstein, SKRJABIN.
- Daniil Granin, Das Jahrhundert der Angst. Erinnerungen.
- Madeleine Grawitz, Bakunin. Ein Leben für die Freiheit.
- Viktor Jerofejew, Der gute Stalin.
- Jewgeni Jewtuschenko, Der Wolfspass. Abenteuer eines Dichterlebens.
- Kjell Johansson, Gogols Welt.
- Michail Kalaschnikow (Mit Elena Joly), Mein Leben.
- Wladimir Kaminer, Russendisko.
- Wladimir Kaminer, Die Reise nach Trulala.
- Jurgis Kunčinas, Mobile Röntgenstationen.
- Jelena Koschina, Durch die brennende Steppe.
- Leonhard Kossuth, Volk & Welt. Autobiographisches Zeugnis von einem legendären Verlag.
- Gidon Kremer, Zwischen Welten.
- Anna Larina Bucharina, Nun bin ich schon weit über zwanzig.
Erinnerungen.
- Richard Lourie, SACHAROW.
- Klaus-Rüdiger Mai, Michail Gorbatschow. Sein Leben und seine
Bedeutung für Russlands Zukunft.
- Medina Mamleew, Ich öffne meine ganze Seele.
- Andreas Meyer-Landrut, Mit Gott und langen Unterhosen. Erlebnisse
eines Diplomaten in der Zeit des Kalten Krieges.
- Fritz Mierau, Mein russisches Jahrhundert. Autobiographie.
- Simon Sebag Montefiore, Stalin. Am Hof des roten Zaren.
- Boris Nossik, Vladimir Nabokov. Eine Biographie.
- Ingeborg Ochsenknecht, "Als ob der Schnee alles zudeckte". Eine
Krankenschwester erinnert sich. Kriegseinsatz an der Ostfront.
- Bulat Okudshawa, Reise in die Erinnerung. Glanz und Elend eines Liedermachers.
- Irina Pantaeva, Mein Weg auf die Laufstege der Welt.
- Edward Radsinski, Die Geheimakte Rasputin. Neue Erkenntnisse über den
Dämon am Zarenhof.
- Alexander Rahr, Wladimir Putin. Der "Deutsche" im Kreml.
- Günter Rosenfeld (Hrsg.), Skoropadskyj, Pavlo. Erinnerungen 1917 bis 1918.
- Anatoli Rybakow, Die Kinder vom Arbat.
- Anatoli Rybakow, Roman der Erinnerung.
- Juri Rytchëu, Im Spiegel des Vergessens.
- Juri Rytchëu, Die Reise der Anna Odinzowa.
- Martha Schad, Stalins Tochter. Das Leben der Swetlana Allilujewa.
- Olga Sedakova, Reise nach Brjansk. Zwei Erzählungen.
- Wolfgang Seiffert, Wladimir W. Putin.
- Michael Senkewitsch, Elga. (Aus den belletristischen Memoiren).
- Helga Slowak-Ruske, Rote Fahnen und Davidstern.
- Gabriele Stammberger / Michael Peschke, Gut angekommen - Moskau. Das Exil der Gabriele Stammberger 1932-1954.
- Frank N. Stein, Rasputin. Teufel im Mönchsgewand.
- Carola Stern, Isadora Duncan und Sergej Jessenin. Der Dichter und
die Tänzerin.
- Stefan Sullivan, Sibirischer Schwindel. Zwei Abenteuerromane.
- Donald M. Thomas, Solschenizyn. Die Biographie.
- Nyota Thun, Ich - so groß und so überflüssig. Wladimir Majakowski, Leben und Werk.
- Leo Trotzki, Stalin.
- Henri Troyat, Rasputin.
- Semjon S. Umanskij, Jüdisches Glück. Bericht aus der Ukraine 1933-1944.
- Marina Vlady, Eine Liebe zwischen zwei Welten (mit dem Schauspieler
und Liedersänger Wladimir Wyssozki).
- Erika Voigt / Heinrich Heidebrecht, Carl Schmidt - ein Architekt in St. Petersburg
1866-1945.
- Julius Wolfenhaut, Nach Sibirien
verbannt. Als Jude von Czernowitz nach Stalinka 1941-1994.
- Solomon Wolkow (Hrsg.), Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch.
- Jewsej Zeitlin, Lange Gespräche in Erwartung eines glücklichen Todes.
|
Weitere Rezensionen zu "Erzählungen, Geschichten, Kurzprosa":
|
- Jeremej Aipin, Ich höre der Erde zu. Zwei Erzählungen.
- Pjotr Aleschkowski, Stargorod. Stimmen aus einem Chor. Erzählungen.
- Dmitri Bakin, Die Wurzeln des Seins. Erzählungen.
- Nina Berberova, Die Damen aus St. Petersburg. Zwei Erzählungen.
- Iwan Bunin, Liebe und andere Unglücksfälle.
- Anton Čechov, Freiheit von Gewalt und Lüge.
- Anton Čechov, Ein unnötiger Sieg.
- Irina Denežkina, Komm.
- Andrej Dmitriew, Die Flussbiegung.
- Fjodor Dostojewskij, Meistererzählungen.
- Asar Eppel, Die Straße aus Gras. Erzählungen.
- Anatoli Gawrilow, Zum Besuch von N. Geschichten aus der russischen Provinz.
- Friedrich Gorenstein, Champagner mit Galle. Erzählungen.
- Alexander Ikonnikow, Taiga Blues.
- Viktor Jerofejew, Männer. Ein Nachruf.
- Wladimir Kaminer, Russendisko.
- Wladimir Kaminer, Die Reise nach Trulala.
- Christoph Keller, Petersburg erzählt.
- Maria Marginter / Fyodor Gawrilow, St. Petersburg. Weiße Nächte, kalte Tage.
- Walter Neumann, Eine Handbreit über den Wogen. Baltische Geschichten.
- Jewgeni Popow, Wie es mit mir bergab ging. Erzählungen.
- Nina Sadur / Jekaterina Sadur, Die Wunde Ungeliebt. Zwei Erzählungen.
- Olga Sedakova, Reise nach Brjansk. Zwei Erzählungen.
- Stefan Sullivan, Sibirischer Schwindel. Zwei Abenteuerromane.
- Ljudmila Ulitzkaja, Sonetschka und andere Erzählungen.
|
Weitere Rezensionen zum Thema "Sowjetära":
|
- Pjotr Aleschkowski, Stargorod. Stimmen aus einem Chor.
- Anton Bayr, Vergessene Schicksale. Überlebenskampf in sowjetischen
Lagern - ein Kriegsgefangener erinnert sich.
- Michail Bulgakow, Der Meister und Margarita, Hörbuch.
- Teodoras Četrauskas, Als ob man lebte.
- Karl Drechsler, GegenSpieler: John F. Kennedy/Nikita Chruschtschow.
- Michail Gorbatschow, Über mein Land.
- Wladislaw Hedeler / Nadja Rosenblum, 1940 -
Stalins glückliches Jahr.
- Viktor Jerofejew, Der gute Stalin.
- Wenedikt Jerofejew, Die Reise nach Petuschki.
- Wenedikt Jerofejew, Die Reise nach Petuschki, Hörbuch.
- Michail Kalaschnikow (Mit Elena Joly), Mein Leben.
- Olga Kaminer, Alle meine Katzen, Hörbuch.
- Wladimir Kaminer, Die Reise nach Trulala.
- Wladimir und Olga Kaminer, Küche totalitär. Das Kochbuch des Sozialismus.
- Anatolij Kim, Das Zwiebelfeld.
- David King, Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulationen in der
Sowjetunion.
- Véronique Garros / Natalija Korenewskaja / Thomas Lahusen (Hrsg.), Das wahre Leben. Tagebücher aus der Stalinzeit.
- Gidon Kremer, Zwischen Welten.
- Ljalja Kuznetsova / Reimar Gilsenbach, Russlands Zigeuner.
- Richard Lourie, SACHAROW.
- Leonid Luks, Geschichte Rußlands und der Sowjetunion. Von Lenin bis Jelzin.
- Klaus-Rüdiger Mai, Michail Gorbatschow. Sein Leben und seine
Bedeutung für Russlands Zukunft.
- Medina Mamleew, Ich öffne meine ganze Seele.
- Simon Sebag Montefiore, Stalin. Am Hof des roten Zaren.
- Alexander Mostowschtschikow, Sender Jerewan antwortet. Witze in
der Sowjetunion 1960-1990.
- Uchqun Nazarov, Das Jahr des Skorpions.
- Irina Pantaeva, Mein Weg auf die Laufstege der Welt.
- Wassili Peskow, Die Vergessenen der Taiga.
- Alexander Pjatigorski, Erinnerung an einen fremden Mann.
- Protokoll einer Abrechnung. Der Fall Berija. Das Plenum des
ZK der KPdSU Juli 1953.
- Anatoli Rybakow, Die Kinder vom Arbat.
- Anatoli Rybakow, Roman der Erinnerung.
- Juri Rytchëu, Unna.
- Juri Rytchëu, Die Reise der Anna Odinzowa.
- Juri Rytchëu, Polarfeuer.
- Muchtar Schachanow, Irrweg der Zivilisation. Ein Gesang aus Kasachstan.
- Martha Schad, Stalins Tochter. Das Leben der Swetlana Allilujewa.
- Wladimir Schinkarjow, Maxim und Fjodor.
- Serge Schmemann, Ein Dorf in Rußland. Zwei Jahrhunderte russischer Geschichte.
- Olga Sedakova, Reise nach Brjansk. Zwei Erzählungen.
- Akte Solschenizyn 1965 - 1977. Geheime Dokumente des Politbüros
der KPdSU und des KGB.
- Alexander Solschenizyn, Zweihundert Jahre zusammen.
Band 1: Die russisch-jüdische Geschichte 1795-1916.
- Alexander Solschenizyn, Zweihundert Jahre zusammen.
Band 2: Die Juden in der Sowjetunion.
- Vladimir Sorokin, Die Schlange.
- Vladimir Sorokin, NORMA.
- Vladimir Sorokin, LJOD. DAS EIS.
- Vladimir Sorokin, BRO.
- Donald M. Thomas, Solschenizyn. Die Biographie.
- Leo Trotzki, Stalin.
- Ljudmila Ulitzkaja, Reise in den siebenten Himmel.
- Ljudmila Ulitzkaja, Ergebenst, euer Schurik.
- Solomon Wolkow (Hrsg.), Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch.
Am 18.01.2002 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am
22.11.2019.
Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |
Ein Leichentuch hat keine Taschen. |
Sprichwort der Russischen Juden |