Reiseliteratur-Bildbände REZENSIONEN

Reisen zu sich selbst

Über Russland/Sibirien
Reisen im Rückwärtsgang
Zwei Dichter unterwegs mit der Transsibirischen Eisenbahn
Mit einem Nachwort von Fritz J. Raddatz
Arche Verlag, Zürich-Hamburg 2001, 127 S.

1911 reiste der junge französische Schriftsteller Blaise Cendrars (eigentlich Frederic Louis Sauser, 1887-1961) mit der neu erbauten Transsibirischen Eisenbahn von St. Petersburg nach Wladiwostok - durch die Weite des Zarenreichs.

1999 begab sich der in Hennigsdorf / Brandenburg geborene, vielfach ausgezeichnete Lyriker und Essayist Kurt Drawert (geboren 1956) auf demselben, inzwischen in die Jahre gekommenen Schienenstrang von Moskau nach Peking - durch die Weite des untergegangenen Sowjetreichs.

Blaise Cendrars brachte von seiner Reise ein langes Prosagedicht mit, Kurt Drawert den Essay "Nach Osten ans Ende der Welt". "Vermutlich", schreibt Drawert, "gibt es keine Reise der Welt, die erklärungsbedürftiger ist als die, mit einer Eisenbahn fast 10 000 Kilometer bis ans Ende von Rußland zu fahren und mehr als sieben Tage in einer Kabine von zwei mal zwei Metern hauptsächlich im Bett zu verbringen. Vorausgesetzt freilich, es gibt keine praktischen Gründe, wie Säcke von Moskau nach Sibirien zu transportieren oder die Verwandten auf dem Land zu besuchen. Die Freiwilligkeit in der Verschwendung von Zeit, die reine touristische Lust, eine Strapaze als Urlaub zu buchen, das ist das wenige Fassbare und einem Einheimischen schier Unbegreifliche daran."

Drawerts Essay, in der "Neuen Zürcher Zeitung" erschienen, war dem Arche Verlag ein willkommener Anlass, diesen und den Text von Cendrars in einer Ausgabe zusammenzufassen. Beide Werke sind keine Reisebeschreibungen in üblichem Sinne, beide Autoren empfinden ihre Reise als eine Reise nach innen, zu sich selbst. Den gemeinsamen "Herz-Rhythmus auf Schienen" analysiert der Kritiker und Autor Fritz J. Raddatz in seinem Nachwort: "Die verlorene Erinnerung an die Kindheit steht bei dem Franzosen des Jahrgangs 1887 am Anfang, die Verschwendung von Zeit, die Zeit als Ungeheuer begriffen, bei dem Deutschen des Jahrgangs 1956."

Eine anspruchsvolle Lektüre für Reisende, egal in welche Länder sie fahren, um über sich und das eigene Reisen nachzudenken.

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

 

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Am 15.02.2003 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am  28.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Reibach und Reinfall fahren im selben Schlitten.
Sprichwort der Russen

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