Belletristik REZENSIONEN |
Wo die Vögel nicht aufhören zu singen...
|
Wenedikt Jerofejew |
Russe |
Die Reise nach Petuschki |
Aus dem Russischen von Natascha Spitz
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1998, 192 S.
|
Dieses Buch ist ein Roman über das Saufen, das damit verbundene Kotzen, das sich meist saumäßige Fühlen - ob
man nun zuwenig oder zuviel getrunken hat. So bezeichnet denn der Autor in seiner Widmung für seinen geliebten
Erstgeborenen das Geschriebene auch als tragisch - was aber wohl so ganz ernst nicht gemeint ist. Sein Held
Wenitschka reist von
Moskau nach Petuschki, ein Ort, wo die Vögel nicht aufhören zu singen, weder bei Tag noch
bei Nacht, wo sommers wie winters der Jasmin nicht verblüht. Wenitschka will dort seine rothaarige Verführerin
mit den unschuldigen Plüschaugen besuchen und den gemeinsamen Sohn, das molligste und sanftmütigste aller Babys,
das schon den Buchstaben Q kennt.
Noch bevor Wenitschka in
Moskau in den Zug nach Petuschki steigt, genehmigt er sich ein Gläschen Wodka und deckt
sich für die Bahnfahrt ein mit zwei Flaschen Kubanskaja, zwei Viertel Rossijskaja und einem Rosé - für neun Rubel
neunundachtzig Kopeken. Richtig, das Buch spielt noch in der alten
Sowjetunion, erschien in erster Auflage 1973
- allerdings in einer israelischen Zeitung.
Heute gilt Jerofejew in
Russland
wegen dieses Buches als Kultautor. Jeder der 36 Stationen von
Moskau nach Petuschki
ist ein Kapitel gewidmet. Von Station zu Station werden des Helden Monologe und die Gespräche mit seinen
Mitreisenden absonderlicher; denn Wenitschka leert während der Fahrt tapfer seine Flaschen. Der dreißigjährige
Held hat viel erlebt, viel gesoffen und viel nachgedacht - weshalb seine Mitreisenden auch so ganz nebenbei
einiges über die russische Landschaft und die sowjet-russische Gesellschaft erfahren. So gewährt Wenitschka
ihnen und uns einen tiefgründigen Einblick in die sowjetische Arbeitsmoral, plaudert aus dem Leben eines
untauglichen Brigadiers, weiht uns in die Tücken des sozialistischen Wettbewerbs ein. Wenitschka verrät
auch die Rezepturen ungewöhnlicher Cocktails mit extravaganten Namen, zum Beispiel die Zutaten für die
"Komsomolzenträne". Man nehme: 15 g Lavendel, 15 g Eisenkraut, 30 g Rasierwasser "Fichtennadel", 2 g
Nagellack, 150 g Mundwasser "Elixier", 150 g Limonade. Auch wer noch nicht zum Alkoholiker geworden ist,
leidet mit Wenitschka, wenn er stöhnt "O du traurigste und schmachvollste Zeit im Leben meines Volkes - o
Zeit zwischen Schließung der Geschäfte und Morgendämmerung!"
Mit den verruchten Folgen nach übermäßigem Wodkagenuss ist es übrigens in
Russland bald vorbei, denn russische
Wissenschaftler haben soeben katerfreien Wodka erfunden. Ob es dann aber noch so urkomische alkoholische Kultbücher
geben wird?
|
Gisela Reller
/ www.reller-rezensionen.de Das Hörbuch zum Buch!
|
Weitere Rezensionen zum Thema "Sowjetära":
|
- Pjotr Aleschkowski, Stargorod. Stimmen aus einem Chor.
- Anton Bayr, Vergessene Schicksale. Überlebenskampf in sowjetischen
Lagern - ein Kriegsgefangener erinnert sich.
- Michail Bulgakow, Der Meister und Margarita, Hörbuch.
- Teodoras Četrauskas, Als ob man lebte.
- Karl Drechsler, GegenSpieler: John F. Kennedy/Nikita Chruschtschow.
- Michail Gorbatschow, Über mein Land.
- Wladislaw Hedeler / Nadja Rosenblum, 1940 -
Stalins glückliches Jahr.
- Viktor Jerofejew, Der gute Stalin.
- Wenedikt Jerofejew, Die Reise nach Petuschki, Hörbuch.
- Michail Kalaschnikow (Mit Elena Joly), Mein Leben.
- Olga Kaminer, Alle meine Katzen, Hörbuch.
- Wladimir Kaminer, Militärmusik.
- Wladimir Kaminer, Die Reise nach Trulala.
- Wladimir und Olga Kaminer, Küche totalitär. Das Kochbuch des Sozialismus.
- Anatolij Kim, Das Zwiebelfeld.
- David King, Stalins Retuschen. Foto- und Kunstmanipulationen in der
Sowjetunion.
- Véronique Garros / Natalija Korenewskaja / Thomas Lahusen (Hrsg.), Das wahre Leben. Tagebücher aus der Stalinzeit.
- Gidon Kremer, Zwischen Welten.
- Jurgis Kunčinas, Mobile Röntgenstationen.
- Ljalja Kuznetsova / Reimar Gilsenbach, Russlands Zigeuner.
- Richard Lourie, SACHAROW.
- Leonid Luks, Geschichte Rußlands und der Sowjetunion. Von Lenin bis Jelzin.
- Klaus-Rüdiger Mai, Michail Gorbatschow. Sein Leben und seine
Bedeutung für Russlands Zukunft.
- Medina Mamleew, Ich öffne meine ganze Seele.
- Simon Sebag Montefiore, Stalin. Am Hof des roten Zaren.
- Alexander Mostowschtschikow, Sender Jerewan antwortet. Witze in
der Sowjetunion 1960-1990.
- Uchqun Nazarov, Das Jahr des Skorpions
- Irina Pantaeva, Mein Weg auf die Laufstege der Welt.
- Wassili Peskow, Die Vergessenen der Taiga.
- Alexander Pjatigorski, Erinnerung an einen fremden Mann.
- Protokoll einer Abrechnung. Der Fall Berija. Das Plenum des
ZK der KPdSU Juli 1953.
- Anatoli Rybakow, Die Kinder vom Arbat.
- Anatoli Rybakow, Roman der Erinnerung.
- Juri Rytchëu, Unna.
- Juri Rytchëu, Die Reise der Anna Odinzowa.
- Juri Rytchëu, Polarfeuer.
- Muchtar Schachanow, Irrweg der Zivilisation. Ein Gesang aus Kasachstan.
- Martha Schad, Stalins Tochter. Das Leben der Swetlana Allilujewa.
- Wladimir Schinkarjow, Maxim und Fjodor.
- Serge Schmemann, Ein Dorf in Rußland. Zwei Jahrhunderte russischer Geschichte.
- Olga Sedakova, Reise nach Brjansk. Zwei Erzählungen.
- Akte Solschenizyn 1965 - 1977. Geheime Dokumente des Politbüros
der KPdSU und des KGB.
- Alexander Solschenizyn, Zweihundert Jahre zusammen.
Band 1: Die russisch-jüdische Geschichte 1795-1916.
- Alexander Solschenizyn, Zweihundert Jahre zusammen.
Band 2: Die Juden in der Sowjetunion.
- Vladimir Sorokin, Die Schlange.
- Vladimir Sorokin, NORMA.
- Vladimir Sorokin, LJOD. DAS EIS.
- Vladimir Sorokin, BRO.
- Donald M. Thomas, Solschenizyn. Die Biographie.
- Leo Trotzki, Stalin.
- Ljudmila Ulitzkaja, Reise in den siebenten Himmel.
- Ljudmila Ulitzkaja, Ergebenst, euer Schurik.
- Solomon Wolkow (Hrsg.), Die Memoiren des Dmitri Schostakowitsch.
|
Weitere Rezensionen zum Thema: "Viel Alkohol":
|
Am 18.01.2002 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am
22.11.2019.
Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |
Faste mit dem Geist, nicht mit dem Wanst. |
Sprichwort der Russen |