Wer der heiseren leidenschaftlichen Stimme von Wladimir Wyssozki
(1938-1980) einmal gelauscht hat, bleibt ihr verfallen. Das erste Lied,
dass ich von ihm hörte, war "Die Wolfsjagd". Wyssozki schrieb
alle seine Texte selbst, "Die Wolfsjagd" 1967. Jewgeni Jewtuschenko
schickte ihm einst ein Telegramm von Bord eines Fischkutters: "Sie
zwangen mich, deine `Wolfsjagd´ zwanzigmal hintereinander anzuhören. Ich
liege dir zu Füßen." Und Wyssozki in seinem Nachtrag zur
"Wolfsjagd" (1972): Ich bin sehr oft zu Gast bei hohen Tieren, / Vor denen
ich die "Wolfsjagd" singen soll.(...) / Dann holt er eine Flasche, wird
spendabel, / Die Gläser klingen: "Prost! Mal ehrlich nun, / Du meinst doch
mich, meinst uns mit der Parabel, / Was haben Wölfe denn damit zu tun?"
Erster Liedermacher in Russland war Bulat Okudshawa, zugleich Textautor,
Komponist und Interpret. Okudshawa zählte zu den wenigen, die
Wyssozki immer unterstützt haben. Als sich der Liedermacher Wyssozki und
die französische Schauspielerin Marina Vlady beim Moskauer Filmfestival
kennen lernen, ist Wyssozki schon eine Legende, ein Mythos, vergöttert in
seinem Land, und sie prägte mit ihrem ersten großen Film "Die blonde
Hexe" ein Schönheitsideal und wurde zum Idol einer ganzen Mädchengeneration - auch in Moskau.
Beide waren da schon zweimal verheiratet, er hatte zwei, sie drei Söhne;
sie war geschieden, er lebte in Scheidung. Die Vlady beschreibt ihre
innige Liebe (seit 1967) und ihre dramatische Ehe (seit 1970)
zwischen beengten Moskauer Kommunalwohnungen und westlichen Luxushotels
und mit hunderten von Telefonstunden über den Eisernen Vorhang hinweg.
Bestaunenswert, wie die Französin in Moskau mit der russischen
Mangelwirtschaft zurechtkommt, wie sie die Läden abklappert und in der
Winterkälte Schlange steht... Kommt ihr zugute, dass sie die Tochter
einer russischen Emigrantenfamilie - der in französischen
Künstlerkreisen sehr bekannten Familie Poliahoff - ist? Ihre Ehe dauerte
zehn Jahre, Wyssozki starb am 25. Juli 1980. Aber was hat sie alles mit
diesem alkoholkranken, am Ende morphiumsüchtigen genialen Schauspieler
und Liedersänger durchgestanden - mit dem Schauspieler am Moskauer
Taganka-Theater (geleitet von dem berühmten Juri Ljubimow) und dem
Sänger, den die Sowjet-Mächtigen offiziell nur in der Provinz auftreten
ließen und dem sie lange ein Visum versagten.
Als Wyssozki dann das erste Mal im westlichen Berlin weilt, kann er
nicht fassen, dass die Besiegten alles haben und die Sieger nichts. Marina Vlady
schreibt: "Kaum aber sind wir bei dem Hotel, wo wir die
Nacht verbringen müssen, aus dem Auto gestiegen, willst du die Straßen
sehen, die Leute, die Geschäfte. Ich begleite dich, du tust mir leid. Du
gehst langsam, mit aufgerissenen Augen, läufst an diesen Auslagen voller
nie gesehener Reichtümer vorüber - Kleider, Schuhe, Autos, Schallplatten
-, und du murmelst: `Und man kann das alles kaufen, einfach wenn man in das Geschäft geht...?´
Die Vlady hat ein erschütternd schönes Buch geschrieben von einem
Leben zwischen zwei Welten: "Ich habe für drei Kinder und meine Mutter
zu sorgen, habe ein großes Haus mit fünfzehn Zimmern; da ich viel
arbeite, verdiene ich ordentlich für meinen Lebensunterhalt, ich liebe
meinen Beruf, den ich seit meinem zehnten Lebensjahr ausübe, mein Leben
ist, alles in allem, angenehm. Du hast zwei Kinder, eine geschiedene
Frau, die du unterstützt, ein Zimmer von neun Quadratmetern bei deiner
Mutter, du verdienst 150 Rubel im Monat, was allenfalls für den Kauf von
zwei Paar guten Schuhen reicht. Du arbeitest wie ein Besessener,
vergötterst deinen Beruf, kannst nicht aus deinem Land hinaus. Dein
Leben ist sehr schwierig. Unsere beiden Leben miteinander verschmolzen,
ergeben etwas Hybrides, etwas, das sich nicht leben läßt."
Aber sie leben es! Wie sie es leben, beschreibt die Vlady mit
rückhaltloser Offenheit, mir scheint, gänzlich ohne Tabus: "Nach zwei
Tagen Suff ist dein Körper nichts weiter als ein schlaffer Sack, deine
Stimme ein unförmiges Krächzen, deine Kleidung ein Häufchen Lumpen. Dein
fürchterliches `zweites Ich´ gewinnt die Oberhand."
Wyssozki hat über sechshundert Lieder geschrieben. Seine Lieder oder
Balladen sind höchst unterschiedlich: lyrisch, grotesk, immer engagiert.
Er reflektiert in seinen Texten "über das Leben, den Tod, das Schicksal,
den Haß, die Liebe, die Ungerechtigkeit, das Heldentum, das Leiden, die
Freiheit, die Freundschaft", schreibt die Vlady. Und Wyssozki sagte:
"Ich schreibe nicht für eine bestimmte Kategorie von Zuschauern, ich
versuche an die Seele der Menschen zu rühren, unabhängig von ihrem
Alter, ihrem Beruf, ihrer Nationalität. (...) Mein Lied ist beinahe ein Schrei."
Marina Vlady hat sich - wie die Knef, die Signoret, die Ullmann - als
eine schreibende Schauspielerin von Rang erwiesen - nicht nur mit ihrem
Buch über Wladimir Wyssozki, sondern auch mit ihrem Roman "Der Sammler
von Venedig" (1992). Sie hat ihr Buch Eine Liebe zwischen zwei
Welten unter anderem der französischen
Schauspielerin Simone (Signoret) gewidmet, die sie zum Schreiben sehr ermutigt hatte.
Ich werde mir jetzt (zum werweißwievielten Male) "Die
Wolfsjagd" anhören - 1989 zusammen mit dem Buch "Zerreißt mir nicht
meine silbernen Saiten" auf einer Schallplatte erschienen im Ostberliner
Aufbau-Verlag Berlin und Weimar. Und zum werweißwievielten Male werde ich
der Wildheit und Zartheit Wyssozkis verfallen, der als gefeierter
Schauspieler für mich auch ein
unvergessener "Hamlet" war.
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