Belletristik REZENSIONEN | |
Jeder Mann - eine Niete... | |
Viktor Jerofejew | Russe |
Männer | |
Ein Nachruf Aus dem Russischen von Beate Rausch Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000, 192 S. | |
In diesen 36 Geschichten kommt der Mann ganz schlecht weg. Er winke mit seinen langen Unterhosen, als
wolle er das 21. Jahrhundert mit der weißen Fahne der Kapitulation begrüßen, so
lautet einer der aufschlussreichen
Sätze, was die Männer, "die russischen Kerle", angeht. Man kann Jerofejew zustimmen oder nicht, wenn er
behauptet, der (russische) Mann sei als Mensch, Kerl und Ehemann eine Niete, ihn träfe der Vorwurf, er
sei aus der Vergangenheit in die Gegenwart galoppiert, habe dabei die Gegenwart übersprungen und träume
davon, dass es morgen bestimmt besser sein werde. Doch morgen - das sei der Tod. Man kann die Geschichten
dieser Art - tabulos, oft obszön, manchmal geschmacklos - schmunzelnd ad acta legen und sich als Freund(in)
der russischen Literatur mehr für seine Schriftstellerkollegen interessieren, die er
gern - berechtigt oder nicht - gekonnt der Lächerlichkeit preisgibt. Bei
Anton Tschechow amüsiert ihn, dass der sich
in seinen Briefen als Kenner des Sexuallebens ausgibt, weil er festgestellt habe, dass es im Bett bequemer
sei, Liebe zu machen als auf dem Sofa.
Jewgeni Jewtuschenko ist für ihn "Held und Liebhaber, Charmeur, galanter
Kavalier und erotischer Sieger... er liebt es klassisch zu lieben."
Viktor Jerofejew (geb. 1947) schont weder
den eitlen Brodsky noch den leutseligen Axjonow, weder den "alternden Homosexuellen" Jewgeni
Charitonow, noch den von vielen vergötterten Wenedikt Jerofejew, den Autor der
"Reise nach Petuschki".
Das Kapitel "Jerofejew gegen Jerofejew" erzählt von den komischen und tragischen Verwechslungen, denen die beiden
schriftstellernden Namensvettern ausgesetzt sind. Wie verletzlich erweist sich in diesem Kapitel der
große Provokateur Viktor Jerofejew, der ansonsten nach allen Seiten rücksichtslos und spottsüchtig austeilt...
Solschenizyn, so meint er zum Beispiel, hätte ein "Supermann" und wahrer "Volksheld" wie
James Bond werden können, wenn er das Lächeln, den Witz und die Ironie von 007 gehabt hätte... Jerofejew
liebt pauschale Urteile, sucht nach Belegen zu vorgefassten Meinungen. Er ist verliebt in seine provozierenden,
schön klingenden Formulierungen, die er auch dann nicht ändern würde - so scheint´s - wenn man ihn eines Besseren
belehren könnte.
In den fünfziger Jahren habe ich in der DDR Buchhändlerin gelernt. Ein Buch unserer Pflichtliteratur war "Der Ritter des goldenen Sterns" von Semjon Babajewski. Viktor Jerofejew über dieses Buch in Männer: "Die Literatur war die Zarin der stalinschen Ideologie und brauchte den idealen Schriftsteller. Semjon Babajewski wurde es." Die damalige Kritik schrieb, dass sich der schöpferische Erfolg Babajewskis vor allem daraus erkläre, "dass dem Schriftsteller bei seiner Arbeit die lenkende Hand der bolschewistischen Partei" geholfen habe. Da kriege ich Lust, dieses Buch, das von den Bauhelden eines Wasserkraftwerkes am Kuban erzählt, nach einem halben Jahrhundert noch einmal in die Hand zu nehmen. Bei einer Flasche Rotwein lache ich mich kaputt... Ich verstehe allerdings nicht, warum Babajewskis "Ritter des goldenen Sterns" aus den Berliner Bibliotheken - außer aus meiner eigenen "Spezialbibliothek der Völker der ehemaligen Sowjetunion", versteht sich - ausgesondert wurde. Wie sollen sich denn Russistik-Studenten ein Bild machen von der Literatur der Stalinzeit, wenn man deren Bücher in einer öffentlichen Bibliothek nicht mehr ausleihen kann? Übrigens: Seit der Wende komme ich über die Schreibweisen russischer Eigennamen im Deutschen aus dem Staunen nicht heraus. Wenn sich der Vorname Jerofejews im Russischen mit einem "W" schreibt, warum schreibt er sich dann in der deutschen Übersetzung mit einem "V"? Die Übersetzerin des Buches Männer müsste doch spätestens auf Seite 164 ins Grübeln gekommen sein, als Jerofejew im Zusammenhang mit seinem Namensvetter Wenedikt Jerofejew schreibt: "Wie zum Hohn sind uns als Draufgabe nicht nur der gemeinsame Familienname, sondern auch gemeinsame Initialen gegeben: W.W.!" | |
Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de | |
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Am 18.01.2002 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 22.11.2019. Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. | |
Das Kloster liebt Geschenke. | |
Sprichwort der Russen |
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