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Im Land der Zirbelkiefern

Über Burjatien, Gorno-Altaisk, Sacha (Jakutien), Tuwinien, Russland/Sibirien und den Fernen Osten
Sibirien entdecken
Städte und Landschaften zwischen Ural und Pazifik
Trescher-Reihe Reisen, herausgegeben von Sabine Fach und Bernd Schwenkros
Trescher Verlag, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage, Berlin 2001, 440 S.
 
Das hier ist das vierte Buch innerhalb der Trescher-Reihe Reisen, das ich gelesen habe: Außer von Bodo Thöns "Sibirien entdecken", sind dies von Andrea Hapke und Evelyn Scheer, Altrussische Städte, von Edeltraud Maier-Lutz, Flußkreuzfahrten in Rußland und von Judith Peltz Usebekistan entdecken. Ausdrücklich sei gesagt, dass der Trescher Verlag, der ausschließlich Reisebücher über Osteuropa herausbringt, seine Sache bestens macht. Die Reihe ist  gut konzipiert, wird von kompetenten Autoren geschrieben, die Schwarz-Weiß-Bildauswahl würde so manchem Reisereportagen-Buch Ehre machen - mit Ausnahme des Fotos auf S. 368, das laut Bildunterschrift einen Fahrplan am Bahnhof Irkutsk darstellt, aber mehr an das schwarze Viereck des russischen Malers Malewitsch erinnert. Und was die Bildunterschriften anbelangt, so gehört, wenn schon, denn schon, auch eine solche unter die beiden reizenden Vögelchen auf S. 284. In der Trescher-Reihe Reisen sind nur wenige Druckfehler auszumachen (wie zum Beispiel der unvollständige und dadurch unverständliche Satz auf S. 143, 4. Z). Aber was, bitte schön, sind Ziebelkiefern? Gemeint sind doch wohl die immergrünen Zirbelkiefernzapfen der Zirbelkiefer, deren Samen (Zirbelnüsse) essbar sind?

Sibirien entdecken von Bodo Thöns reiht sich - trotz der schon bekrittelten Kleinigkeiten, denen noch einige folgen werden - sehr würdig in meine den Verlag betreffende Positivbilanz ein. Thöns studierte nach dem Abitur Wirtschaftswissenschaften, schlug zunächst die akademische Laufbahn ein, erhielt zwei Doktorhüte und war von 1993 bis 1998 in Russland für die Commerzbank tätig. Das gab ihm die Möglichkeit, sowohl beruflich als auch privat viel im Lande herumzukommen. Vor allem, so lesen wir, reizte ihn die Gegend jenseits des Ural: Sibirien, das schlafende Land, so die wörtliche Übersetzung Sibiriens (SibIr) aus dem Tatarischen.

Im ersten Teil des Buches finden sich ausführliche allgemeine Informationen über die Geografie, die Geschichte und die Wirtschaft Sibiriens bis hin zur Kultur und der landestypischen Küche mit Pelmeni und Vodka (Ich richte mich bei meiner Rezension nach der Schreibweise des Buches, von der noch die Rede sein wird.); dem Vodka ist sogar ein selbständiger Zusatztext gewidmet. Die einspaltigen Zusatztexte in allen Büchern der Trescher-Reihe Reisen sind sowieso ein Markenzeichen des Verlages. In Thöns Buch geht es neben dem unvermeidlichen Vodka um die Eroberer Sibiriens, um deutsche Forscher in Sibirien, um die Russlanddeutschen die Legende vom Felsen Tok-Mak, die Altgläubigen, die Dekabristen, Kunst & Albers in Vladiwostok. Viele Details werden dem Leser hier mitgeteilt, zum Beispiel, dass die französischen Bistros in Paris auf die russischen Husaren zurückgehen, die in Paris nach dem Sieg über Napoleon ihr Essen schnell (russisch: bystro) serviert haben wollten.

Im zweiten Teil folgen detaillierte Informationen zu den einzelnen Regionen, im Mittelpunkt stehen die größten Metropolen Sibiriens: 19 Städte in Ost- und Westsibirien (Tjumen´, Tobol´sk, Surgut, Nižnewartovsk, Bijsk, Omsk, Novosibirsk, Tomsk, Kemerovo, Nowokuzneck, Barnaul, Gorno-Altajsk, Krasnojarsk, Abakan, Kyzyl, Irkutsk, Bratsk, Ulan-Ude und Čita) sowie fünf Städte im Fernen Osten (Jakutsk, Blagoveščensk, Chabarovsk, Vladivostok und Nachodka). Im Kapitel "Kyzyl" ist zu lesen, dass die Republik Tuva mit ihrer Hauptstadt Kyzyl einer der am wenigsten bekannten und exotischsten Landstriche Sibiriens ist. Wahr ist es. Nicht wahr ist, dass Tuva erst seit 1990 für Ausländer zugänglich ist. Der Bildreporter Detlev Steinberg und ich waren 1983 dort, als DDR-Journalisten der illustrierten Zeitschrift FREIE WELT. Unser 26 Zeitungsseiten langer Beitrag erschien in der Ausgabe 15/1984 und unser Buch "Von der Wolga bis zum Pazifik. Bei Tuwinern, Kalmyken, Niwchen und Oroken 1990 im Ostberliner Verlag der Nation.

Bei Thöns sind jeweils eigenständige Kapitel den Naturschönheiten des Altaj-Gebirges und des Baikalsees (warum nicht Bajkalsee?) gewidmet. Wahrlich, der Autor hat ein gigantisches Territorium zu beackern, denn Sibirien ist fast ein Kontinent für sich. Trotzdem beschreibt der Autor dieses Riesenterritorium anschaulich und so mitreißend, dass man Lust bekommt, (erneut) hinzureisen. Die Stadtporträts sind mit zahlreichen Tipps und Informationen über Verkehrsmittel, Pensionen, anderen Übernachtungsmöglichkeiten, Hotels, Restaurants, Cafés, Museen, Sehenswürdigkeiten und Einkaufsmöglichkeiten ergänzt. Über die Hotels schreibt Thöns so kenntnisreich, als habe er alle Betten persönlich ausprobiert und über die Restaurants so, als habe er sie alle selbst besucht und die jeweilige Speisekarte rauf und runter gegessen. Bodo Thöns ist nicht nur ein Feinschmecker, er ist auch ein belesener Mann. Und weil das so ist, führt er jede Menge weiterführende Literatur an - die er auch noch kurz auf ihre Güte abklopft. (Allerdings: Sein Andrej Makin, von dem in Deutschland soeben das sechste Buch erschienen ist, heißt Andrë Makine.) Gar nicht gefällt mir, dass Thöns das Genre der einspaltigen Zusatztexte missbraucht, indem er an deren Stellte sechsmal Leseproben bringt: "Die Lust zu leben" entpuppt sich als Leseprobe aus Wassili Schukschins "Gespräche bei hellem Mondschein", "Weiße Städte" ist nachgedruckt aus Alexander Wampilows "Sibirische Erzählungen der Gegenwart", "Abschied von Matjora" aus Valentin Rasputins gleichnamigem Roman, "Durch Sibirien" entstammt der "Insel Sachalin" von Anton Tschechow, "Ferne Jahre der Kindheit" ist aus der Feder Viktor Astafjews, "Der Archipel GULag" von Alexander Solschenizyn. Nichts gegen solche Leseproben, aber alles gegen diese Mischform innerhalb der von mir ansonsten so gepriesenen Zusatztexte.

Der dritte Teil von Sibirien entdecken ist vor allem der Transsibirischen Eisenbahn gewidmet. (im Trescher Verlag ist von Thöns/Engberding das Transsib-Handbuch" erschienen.), wobei das Hauptaugenmerk auf den durch Sibirien und den Fernen Osten verlaufenen Teil der Route Moskau-Vladivostok gerichtet ist. Das Buch schließt mit Reisetipps von A-Z (hierin auch alle offiziellen und beweglichen Feiertage) und nennt (erstmalig in der Trescher-Reihe Reisen?) interessante "sibirische" Internet-Seiten.

In seinem Werbeblatt schreibt der Verlag, dass es zu allen Stadtkapiteln kyrillisch und lateinisch beschriftete Pläne gibt. Das stimmt leider nicht. Habe ich bei Maier-Lutz kritisiert, dass die Karten nur kyrillisch beschriftet sind, so sind  Straßen und Plätze in Sibirien entdecken nur lateinisch ausgewiesen. Unbedingt angebracht aber wäre die Beschriftung der Stadtkarten kyrillisch   u n d   lateinisch.

Und nun die angekündigten Worte zu der meiner Meinung nach unseligen Schreibweise von Eigennamen und geografischen Begriffen - sie erfolgt in den Trescher-Büchern nach der wissenschaftlichen Transliteration, obwohl der Verlag zugibt, dass so manche Begriffe in dieser Umschrift nur schwer wieder zuerkennen sind. Die Begründung des Verlages für die wissenschaftliche Umschrift: Sie lasse keinen Zweifel über die Originalschreibweise des Kyrillischen aufkommen, und jeder Begriff könne problemlos kyrillisch "rekonstruiert" werden.

Denkste! Nicht einmal das ist der Fall. Nehmen wir als Beispiel das sibirische Dorf Vereščagino (S. 223). Hier gibt es durchaus einen Zweifel über die Originalschreibweise, denn kyrillisch kann das š sowohl das stimmlose russische ш oder das stimmhafte russische ж sein; denn die deutsche Transkription der Alt-BRD unterscheidet nicht zwischen dem stimmhaften ж, gesprochen  wie "j" in "Journal" und dem stimmlosen ш, gesprochen wie "sch" in "Schule". Zu DDR-Zeiten transkribierten wir das ж zum Unterschied vom ш stimmhaft sh, was auch heute noch richtig wäre. So würde man deutsch auch richtig schreiben: Adsharen statt Adscharen, Aserbaidshaner statt Aserbaidschaner, Ishoren statt Ischoren, Tadshiken statt Tadschiken! Weiter informiert der Verlag den Leser, der in diesem Falle ein Tourist und kein Wissenschaftler ist, dass Abgrenzungsprobleme und auch Inkonsequenzen hingenommen werden müssten, weil man sich nicht entschließen konnte, bekannte Namen russischer Schriftsteller und Politiker sowie auch bei uns gebräuchliche geografische Bezeichnungen in dieser für den Nichtwissenschaftler "komischen" Schreibweise zu schreiben. So steht im Buch von Thöns inkonsequenterweise Jelzin statt El´cin, Gorbatschow statt Gorbačëv. Puschkin wird als bekannter Dichter Puschkin geschrieben, dagegen kommt der unbekannte (?) Autor Tschechow  als Čechov daher. Und was sind Čukčen was Čukotka?

 Wie lacht mein (Schreibweisen-) Herz, als ich bei dem soeben erschienenen Buch von Leonhard Kossuth "Volk & Welt, Autobiographisches Zeugnis von einem legendären Verlag" unter der Kapitelüberschrift "Politikum Transkription" meine Gedankengänge bestätigt finde. Ich zitiere: "Daß die Esten, Letten, Litauer Latein schreiben, hatte der Verlag schon in seiner Frühzeit begriffen als erste Bücher aus dem Russischen übersetzt wurden (Wilis Lazis - Vilis Lacis). Die Eigennamen aus der russischen Literatur wurden in der nach dem Philologen Wolfgang Steinitz benannten Transkription wiedergegeben. (im heutigen gesamtdeutschen Duden vor allem durch die Verdrängung des stimmhaften "sh" durch "sch" verschlechtert - Beispiel: Solshenizyn). Da der Verlag für breite Leserschichten produzierte, war dies eine - auch politisch - richtige Entscheidung; wozu sollte der Zugang zu dieser Literatur durch die Verwendung der `wissenschaftlichen Transkription´ (Transliteration) erschwert werden, die in der Alt-BRD oft verwendet wurde und verwendet wird. Wir sind später nur übereingekommen, Vornamen, die aus dem Lateinischen kommen, so wie im Deutschen üblich, mit `V´ statt mit `W´ zu schreiben (Viktor, Valentina usw.)." Überhaupt keinen Grund gibt es, die russischen Autoren, die kyrillisch schreiben, in ihren Namen ihres "Ws" zu berauben, zum Beispiel Wiktor Jerofejew, nicht Viktor Jerofejew.

Kürzlich las ich in "An der Lena flußabwärts" von Dietmar Schumann Sheremetyevo (einer der Flughäfen bei Moskau). Wozu um alles in der Welt bedienen sich manche Autoren (Schumann ist keine Ausnahme) auch noch und überhaupt der englischen Transkription? Da wird das kyrillische stimmlose ш falsch zum stimmhaften ж. Und was soll das y, das in der englischen Transkription für das й steht. Ein й kommt aber in Шеpеметево überhaupt nicht vor. Übrigens ist auch die hergebrachte eingedeutschte Schreibweise von Scheremetjewo nicht korrekt, denn das j gibt dem Deutschen die weiche Aussprache des e an, aber laut der drei gängigen Transkriptionen wird das russische e wie je in "jeder" nur mit e transkribiert. Kurz: Ein Chaos der Schreibweisen, die einem  die Lektüre der ansonsten gut gelungenen Bücher der Trescher-Reihe Reisen vermiesen kann...


Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de
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Am 15.02.2003 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 28.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Mit einem einzigen Beilhieb fällt man keine Zirbelkiefer.
Sprichwort der Altaier

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