Belletristik REZENSIONEN | |
Judaistische Kosaken? | |
Tatjana Kuschtewskaja | Russin |
Mein geheimes Russland | |
Reportagen, Mit 70 Fotos Aus dem Russischen von Ganna-Maria Braungardt, Claudia Catz, Verena Flick und Alexander Nitzberg Grupello Verlag, Düsseldorf 2000, 173 S. | |
Tatjana Kuschtewskaja hat den Verlag gewechselt. Aber nicht, um im neuen Verlag ihre alten Reportagen aus
"Russische Szenen" noch
einmal zu veröffentlichen - es wiederholt sich in Mein geheimes Russland kein einziger Text.
Es gibt zweierlei Russland, schreibt die Kuschtewskaja. "Das eine sehen die Deutschen auf dem Bildschirm oder in Büchern deutscher Fernsehjournalisten. Das andere Russland erzählt selbst von sich. Es schreibt über sich und sieht sich von innen, und das ist sachkundiger und tiefer." Tatjana Kuschtewskaja hat dieses Buch als Montage von Fotodokumenten und dokumentarischen Erzählungen angelegt. Die siebzig Fotos - in oft winzigem Format - sind fast alle mehr als bescheiden, interessant nur dann, wenn auf ihnen die Menschen oder Ereignisse abgebildet sind, von denen die Texte handeln. Sowohl die Texte, bei denen es um namhafte Persönlichkeiten geht als auch die, die Ereignisse im Leben ganz normaler Menschen erzählen. Die berühmten Menschen in diesem Buch sind Wolf Messing, der Hypnotiseur: "In den dreißiger Jahren war ich bereits weltberühmt..., trat sogar in Brasilien, Argentinien und Australien auf." - Michail Kalaschnikow, der Erfinder des weltbekannten Maschinengewehrs: "Ich gehe sogar zur Jagd ohne Gewehr. Und ich mag das Schießen nicht. Und ich hasse den Krieg." - Lew Termen, der Erfinder des ersten sowjetischen Fernsehers und des "Thereminovox", in Europa als "Ätherophon" bekannt geworden, ab 1938 im sibirischen Straflager: "Man muss Vergebung lernen, sonst bleibt man einsam." - Sofia Naboko, die einzige Vulkanologin der Welt: "Wenn du nur ein einziges mal Angst verspürst, ist alles zu Ende..." - Sergej Eisenstein, der berühmte Filmregisseur. Tatjana Kuschtewskaja, die auf der Potylicha 54 b im selben Haus wie Eisenstein wohnte, erlebt die letzten Stunden vor seinem Tod. Gerade habe ich die Duographie "Majakowski / Eisenstein" von Elsbeth Wolffheim gelesen. Darin wird behauptet, dass Eisenstein Selbstmord beging, in dem er sich bewusst zu Tode arbeitete und nicht auf die Ärzte hörte. Das jedoch stellt sich bei der Kuschtewskaja völlig anders da. Hier ist Eisenstein ein Tag vor seinem Tod voller Ideen und Pläne und trinkt keinen einzigen Schluck, auch nicht, als ihm an eben jenem Tag die Medaille zum 800. Jahrestag Moskaus verliehen wurde. Aber auch die Texte - Reportagen, Skizzen, Essays, Berichte - die über nicht berühmte Personen erzählen, sind erstaunlich, vor allem deshalb, weil diese Personen meist Vertreter der kleinen Völkerschaften der ehemaligen Sowjetunion sind: Udmurten, Jakuten, asiatische Eskimos, Tschuktschen, Nenzen, Chanten, Nganassanen, Ewenken, Ewenen, Zigeuner... Obwohl ich als Journalistin viele Male in der Ex-UdSSR war, um über die mehr als hundert kleinen Völkerschaften zu berichten, hat auch mir die Kuschtewskaja immer wieder Verblüffendes mitzuteilen. Noch nie hatte ich zum Beispiel von Kuban- und Donkosaken gehört, dass sie vor zweihundert Jahren den jüdischen Glauben angenommen hatten und dafür als Verräter Christi an die Grenzen des russischen Staates verbannt worden waren; die Kuschtewskaja hat das Dorf Priwolnoje an der Grenze zwischen dem Iran und Aserbaidshan besucht. "Ohne meinen Mosaikstein", schreibt die Autorin, "bliebe die Epoche unvollständig..." | |
Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de
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Am 18.01.2002 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 22.11.2019. Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |
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Schnitzkunst in Elfenbein: Die Jakuten schnitzen vorrangig Alltagsszenen und Vertreter ihrer heimischen Tierwelt. |
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