Reiseliteratur-Bildbände REZENSIONEN | |
Auf Russlandreise im schwimmenden Hotel | |
Edeltraud Maier-Lutz |
Über die Republik Sacha (Jakutien), Kalmykien, Karelien, Russland/Sibirien, Tatarstan, Tschuwaschien |
Flußkreuzfahrten in Rußland | |
Unterwegs auf Wolga, Don, Jenissej und Lena Trescher-Reihe Reisen, herausgegeben von Sabine Fach und Bernd Schwenkros Mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Aufnahmen Trescher Verlag, 4. Auflage, Berlin 2002, 352 S. | |
Welche Fülle von Material, wie viele Fakten, was
für interessante Details, welch umfangreiches Wissen über den
Vielvölkerstaat Russland, entlang der bekannten russischen und
russisch-sibirischen Flüsse Wolga (mit W auf dem Schutzumschlag), Don, Jenissej und
Lena. Und trotz
der vielen Angaben ein sehr gefällig geschriebener Text, der bis Mitte
der neunziger Jahre auf dem neuesten Stand ist. Aber danach? Warum ist
die 4. Auflage keine überarbeitete und erweiterte? Zum Beispiele stimmt
nicht mehr, dass in allen Subjekten der Russischen Föderation Russisch
alleinige Amtssprache ist.
Die Autorin hat Volkswirtschaft und Soziologie studiert und einige Jahre später noch Journalistik und Kommunikationswissenschaften. Heute ist sie seit fast dreißig Jahren als Journalistin mit Schwerpunkt GUS tätig. Der Verlag schreibt, dass sie intensiv die Entwicklung der Sowjetunion bzw. der Russischen Föderation und der GUS-Staaten verfolge. Alles nur angelesen? War Edeltraud Maier-Lutz niemals "vor Ort"? Ihre vom Verlag genannten zahlreichen privaten und beruflichen Kontakte müssen auch nicht bei Aufenthalten dort zustande gekommen sein. Auch aufgezeichnet von... gibt da keinen Hinweis. Aufschluss könnte bei den "Reisetips von A-Z" vielleicht das Stichwort "Fön" geben. Woher sollte die Autorin wissen, dass sich in der Nähe der Steckdose für den Fön kein Spiegel befindet. Darüber redet man doch eigentlich mit den "Privaten und persönlichen Kontaktpersonen" nicht. Flusskreuzfahrten erfreuen sich wachsender Beliebtheit; denn keine andere Form des Reisens ist so bequem und gleichzeitig so abwechslungsreich. Das schwimmende Hotel bietet viele Annehmlichkeiten und täglich neue Ausflüge ohne lästiges Kofferpacken. Die Landschaft zieht nah und langsam vorüber und bietet für Natur- und Fotofreunde viele Motive. Maier-Lutz geht in ihrem Buch auch ausführlich auf die technischen Voraussetzungen des Fluss- und Kanalsystems ein und auch die Geschichte der Flussschifffahrt wird beschrieben, und gegenwärtige Entwicklungen und Probleme werden dargestellt. Zum Kapitel "Die obere Volga" ist ein zweispaltiger Zusatztext zu den Wolgatreidlern (mit W! im Buch) zu lesen. Wer es noch nicht weiß, erfährt daraus auch, dass Maxim Gorkis Großvater diesen außergewöhnlichen "Beruf" ausübte. Überhaupt - diese Zusatztexte; sie sind ein Markenzeichen des Verlages, ich habe sie schon bei Peltz, "Usbekistan entdecken" erfreut zur Kenntnis genommen. Im Band Flußfreuzfahrten in Rußland behandeln diese mit Legenden, Zitaten, Ungewöhnlichem gespickten Texte: Den Samowar, die Karelier, die "Banja", die berühmten Dosen aus Palech, die "Peredvižniki", Maksim Gor´kij, Lenins Wurzeln an der Volga, die Kosaken, die Taiga und Tundra, den Olondo, die Expedition Vega, Jerofej Parlovič Chabarow. Auch Verszeilen und Gedichte (von Achmatowa, Simonow, Jewtuschenko, Nekrassow) bereichern den abwechslungsreichen Text des Buches. Nur: ich hätte doch gern gewusst, aus welchen Büchern die Texte stammen, wenigstens hätte der jeweilige Übersetzer genannt werden müssen. Die Flussfahrt beginnt mit Russland; das Buch bringt Kapitel zu Klima, Bevölkerung und Sprache (auch einen kleinen Sprachführer), Geschichte im Überblick, Religion, Architektur, Malerei und Bildende Kunst, Musik, Literatur, die russische Küche - dies natürlich alles sehr komprimiert. Dennoch versteht es die Autorin immer, auch interessante, sicher vielen unbekannte Kleinigkeiten zu nennen. Eine der beschriebenen Schiffsrouten führt von St. Petersburg durch das waldreiche Karelien nach Moskau, von dort über die Oka und Volga nach Jaroslavl´und Nižnij Novgorod bis nach Astrachan am Kaspischen Meer und Rostov am Don. Weitere Routen führen weiter entlang des Jenissej und der Lena durch die fast menschenleeren Weiten Sibiriens bis zum Nordmeer. "Der Individualtourist", schreibt Maier-Lutz, "ist hier ein relativ unbekanntes Wesen." Dennoch gibt die Autorin auch diesem relativ unbekannten Wesen interessante Hinweise. Seien es Städte
(St. Petersburg,
Moskau,
Čeboksary, Kazan´, Saratov, Bratsk...)
oder kleine Orte (Ust´-Kut, Ust´-Port, Kiži)
- über alle Sehenswürdigkeiten ist nachzulesen. Auch was die Autorin
über die Völker, die diese Gegenden bewohnen - die Karelier Tataren, Kalmyken, Jakuten, Ewenen, Ewenken, Dolganen, Nganassanen - sagt,
stimmt, was man selten genug bei Reisebüchern über die GUS sagen kann.
Natürlich hätte sich derjenige, der sich mit Land und Leuten schon gut
auskennt, das eine oder andere ausführlicher gewünscht, vermisst
vielleicht auch dieses oder jenes Ereignis - was gar nicht anders sein kann. Aber einen Hinweis möchte
ich doch geben. Bei Karelien "Rußlands Norden" sollte unbedingt über den
deutschen Jugendstilmaler Heinrich Vogeler geschrieben werden. Heinrich
Vogeler (geboren 1872) bewohnte den Barkenhoff in Worpswede und
begründete mit vielen bekannten Künstlern (wie Modersohn-Becker) die
dortige berühmte Künstlerkolonie. 1933 ging er als Arbeitsemigrant in die
Sowjetunion und bereiste von 1933 bis 1941 als Maler kreuz und quer die
Sowjetunion. In Karelien war er im Auftrag des Ethnographischen Museums
von Petrosawodsk Er malte hier hauptsächlich im Winter zur Zeit
der Holzfällerarbeiten die Holzfäller und Flößer bei der Arbeit und
zeichnete auch bei 30 Grad im Freien, was ihm, wie er sagte, keiner
nachmachte, auch kein jüngerer. Seine Karelien-Bilder sind in Petrosawodsk zu besichtigen. Vogeler, als Deutscher 1941 nach Kasachstan
evakuiert, starb dort 1942 in äußerst ärmlichen Verhältnissen, er ist verhungert.
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Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de | |
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Am 15.02.2003 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 28.11.2019. Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. | |
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