BelletristikREZENSIONEN |
Damit die Welt nicht kentert wie ein Boot...
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Michail Schischkin |
Russe |
Venushaar |
Aus dem Russischen von Andreas Tretner
Deutsche Verlags-Anstalt, München 2011, 556 S.
Am Mittwoch, dem 29. Juni 2011, wurde der Internationale Literaturpreis*
zum dritten Mal** durch das Berliner Haus der Kulturen der Welt und die
Hamburger Stiftung Elementarteilchen verliehen. Diesmal erhielten den
Preis - dotiert mit 35 000 Euro Preisgeld - der russische Schriftsteller
Michail Schischkin (25 000 Euro) und sein Übersetzer Andreas Tretner (10
000 Euro) für die deutsche Erstübersetzung von Venushaar.
Während der feierlichen Veranstaltung zur Preisverleihung erzählte Schischkin, dass Venushaar in
Russland bereits in 100 000
Exemplaren erschienen sei und seit 2007 in
Moskau ununterbrochen als Theaterstück
gespielt wird. Fast fünf Jahre habe er versucht, sein 2005 russisch
erschienenes Buch an einen deutschen Verlag zu bringen. Es habe Absage
auf Absage gehagelt mit der Begründung, der Roman sei zu anspruchsvoll.
"Aber", fügt er hinzu, "ich mache keine Kompromisse. Schließlich habe eine
Literaturagentur den Titel in der Deutschen Verlags-Anstalt
"untergebracht", er dankte dem Verlag für seinen Mut und äußerte sein Unverständnis darüber, dass Verlage ihre
deutschen Leser für dümmer hielten, als die russischen Verlage ihre
russischen Leser. Die geladenen Gäste im voll besetzten
Auditorium des Hauses der Kulturen der Welt klatschten Zustimmung. Ich auch.
Da war ich auf Seite 97.
Nachdem ich Venushaar ausgelesen habe, weiß ich: Venushaar ist
für den Leser - egal, wo er auf der Welt lebt - zu anspruchsvoll,
der keine wie auch immer geartete Beziehung zu
Russland hat und sich überhaupt
nicht mit geschichtlichen Ereignissen in
Russland auskennt. Aber: Auch
ein solcher Leser kann, wenn er sich auf Schischkin einlässt,
durchaus Genuss und Gewinn aus dem Roman beziehen, auch wenn, er die ganze "stupende
[erstaunliche] Komplexität und
betörende Vielfalt"
[aus der Jurybegründung] des Buches nicht ganz erfassen
wird. Ihn könnten schon allein die vielen aphoristischen Wendungen
bereichern und zum Überdenken anregen:
"Liebe ist wie der Mond - wenn sie nicht zunimmt, nimmt sie ab -,
aber die neue ist wie die alte, immer derselbe Mond." / - "Freiheit
ist da, wo keine Angst ist. Freiheit ist nicht da, wo kein Stacheldraht
ist." / "Liebe zu
schenken ist leicht - sie wieder wegzunehmen schwer." / "Meine einzige
Befürchtung ist, ich könnte nicht alles, was in mir schlummert
verschenkt haben, bevor es zu spät ist. Der Körper verfällt so schnell."
/ "Die Angst hört im Leben nicht auf. Erst haben wir Angst,
schwanger zu werden, dann vorm Gebären, und hinterher ängstigen wir uns
um unser Kind bis ins Grab." /
"Ein Kriminalroman ist der gleiche Horror wie das, was in den Zeitungen
steht, nur mit dem Unterschied, dass er gut ausgeht." / " Liebe ist
das größte Glück, das es gibt. Selbst unglückliche Liebe." / "Wenn ein
Mann schöne Hände hat, so besonders schöne Hände (...), dann kann seine
Seele nicht hässlich sein. Hände lügen nicht." / "Wen man richtig liebt,
den liebt man auch später noch in den vielen anderen mit." / "Eine
Strecke zwischen den Punkten A und B lege man in Kilometern zurück ...,
das Leben hingegen in Menschen, man nehme sie unweigerlich in sich
auf." / "Das Leben lässt sich sowieso erst richtig genießen,
nachdem man Leid erfahren hat." / "Krankheiten entstehen aus Kränkung
und Verbitterung, (...) heilen kann man sie durch Liebe." ...
Venushaar erfordert absolute Konzentration; denn des
Autors Machart ist mehr als verwegen: Der Text des mehrfach
ausgezeichneten Romans besteht aus vielen
Geschichten, auch innerhalb von Geschichten, die von grausamer Folter
und großer Liebe, vom Russisch-Türkischen Krieg und von der Mafia, von Freundschaft
und von Gewalt, vom Afghanistankrieg und innigen Romanzen, vom
Tschetschenienkrieg und von
Juden-Pogromen, von Auftragsmorden, von Streik und
Revolution, vom ersten und
zweiten Weltkrieg, vom Mlywo der
Niwchen
und von der Beagle Charles Darwins... erzählen. Schischkins Text lässt sich mit
einigen großen Matrjoschka-Puppen vergleichen, in der viele, viele kleine Matrjoschka-Püppchen
stecken. Die großen Matrjoschkas des Romans sind:
- Die Geschichte vom "Dolmetsch" (der gleichzeitig
der Autor selber ist), der als Dolmetscher in einer schweizerischen
Einwanderungsbehörde arbeitet (Schischkin lebt seit 1995 in der Schweiz.). Diese Behörde ist für den Autor eine "Flüchtlingskanzlei des
Ministeriums für Paradiesverteidigung".
Und da der Dolmetsch nicht nur ein Dolmetscher ist, sondern auch ein
Mensch, braucht er zu Hause und in seinen Übersetzer-Pausen im
"Dolmetscheraufenthaltsraum" ab und an ein Tässchen Kaffee und ein gutes
Buch. Und so erfährt der Leser nicht nur von üblen Kriegsgeschichten der
Gegenwart, vorgetragen von den Gesuchstellern, sondern auch
üble Kriegsgeschichten der Vergangenheit aus einer Reportage um 370 v.
Chr. und davon, dass dem Dareios und
der Parysatis zwei Söhne geboren wurden, ein älterer, Artaxerxes, und
ein jüngerer Kyros. "Denn zu Hause gleich alles vergessen, was tagsüber
gewesen ist, das funktioniert nicht. Man trägt es bei sich." Zum
Beispiel wie der Bruder eines Gesuchstellers (GS) von
Tschetschenen umgebracht wird:
"Als ich an dem Tag nach Hause kam, hörte ich aus dem offenen Fenster
Schreie. Ich versteckte mich beim Schuppen im Gebüsch und sah, wie im Zimmer drinnen ein
Tschetschene mit dem Gewehrkolben auf meinen Bruder
einschlug. Es waren mehrere, alle mit
Kalaschnikows. Den Bruder konnte
ich nicht sehen, er lag schon am Boden. Und dann hat sich meine Mutter
mit dem Messer auf sie gestürzt. Dem kleinen Küchenmesser zum
Kartoffelschälen. Einer von denen hat sie gegen die Wand gestoßen, das
Gewehr gegen ihren Kopf gehalten und abgedrückt. Dann sind sie rausgekommen, haben das Haus mit Benzin aus einem Kanister begossen und
angezündet. Dann standen sie da und haben zugeguckt, wie es brannte.
Mein Bruder hat noch gelebt, ich habe ihn schreien hören. Ich hatte
Angst, dass sie mich sehen und auch umbringen." - Die Biographie des Autors
ist mal hier, mal da versteckt auf den
556 Roman-Seiten. Wir lesen von seiner ehemaligen Lehrerin
Galina Petrowna - die Galpetra -, die zum Beispiel mit ihrer Klasse -
wie üblich in Museumslatschen - ins Museum für die Kunst der
Leibeigenen*** geht und die er - natürlich in Museumslatschen - in Rom
wieder trifft; in Museumslatschen erscheint sie ihm auch im Traum. Und
wieder verspürt er seine alte Schulangst "als wären nicht Jahrzehnte
Leben dazwischen gewesen". Wir hören, dass er als Junglehrer gearbeitet
hat bei "kleinen Orotschen und Tungusen" und das für einen
Hungerlohn, weshalb er nach Schulschluss noch private Nachhilfe
erteilte. Damals hatte der Junglehrer gerade seine erste Erzählung in
einer Zeitschrift veröffentlicht und geglaubt, das die Welt davon aus
den Angeln gehoben würde, was aber, gegen alle Erwartungen, nicht
geschah. "So leicht lässt sich die Welt zum Glück nicht aus den Angeln
heben."
- Die schrecklichen Geschichten der
GS, der Gesuchsteller, die um Asyl im schweizerischen Paradies
nachsuchen. Die GS kommen aus allen Gegenden der ehemaligen
Sowjetunion,
sind ihrer Nationalität nach
Ukrainer,
Moldawier,
Tschetschenen,
Weißrussen
[Belarussen],
Russen, Orotschen,
Ewenken,
Kasachen,
Litauer, Mari,
Niwchen,
Letten,
Kalmücken,
Aserbaidshaner, Gagausen, Osseten... - Fischer,
Peter, der Vernehmer, vom Dolmetsch "Petrus" genannt,
ist stets darauf aus, das Himmelstor geschlossen zu halten. "Für einen
abschlägigen Bescheid genügt es, Unstimmigkeiten in den Aussagen
[...] zu finden." Da der Herr "Schicksalslenker" solche Befragungen schon eine
ganze Weile durchführt, kann er sich viele seiner Fragen bereits selbst
beantworten, ja, ganze hochinteressante Emigrationsgründe-Geschichten
selbst weiterspinnen. Und der Dolmetsch, der viele der Geschichten noch
aus seinem Russland-Leben kennt, weiß auch nachzuhelfen, wenn einer
stockt - weshalb statt Frage / Antwort im Roman besser
(wenn auch stilistisch schlechter) Fragender / Antwortender stünde...
Natürlich hat so manche Geschichte der Gesuchsteller nicht selbst erlebt,
sondern von einem anderen Unglücklichen aufgeschnappt. Aber, was macht´s,
alles sind Geschichten, die sich genau so abgespielt haben, nur
eben mit jemand anderem...
- Die Geschichte, in der
der Autor als Ich-Person mit dem "hochverehrten Nabuccosaurus" in Briefwechsel
steht hat mir Rätsel aufgegeben. Ich brauchte ein ganzes Lese-Weilchen, bis mir schwante, dass der hochverehrte Nabuccosaurus des Autors
(kleiner) Sohn sein könnte, denn
dessen Schreiben "wimmelt von grammatischen Fehlern". Diese Erkenntnis
setzt allerdings voraus, dass einem bekannt ist, dass Michail Schischkin
nicht in die Schweiz ausgereist ist, sondern dass ihn die Liebe zu einer
Schweizer Slawistin und deren andere Umstände ins eidgenössische Land verschlagen haben. - Als der Autor dann eines Tages
- nanu? - in einer Einzimmerwohnung gegenüber dem Friedhof aufwacht
(vorher hat er in einem Haus gewohnt, und das nicht allein, sondern mit
Frau und Sohn. Doch als sich ergab, "dass seine Frau jetzt die Frau eines
anderen ist", muss der Leser blitzgescheit schlussfolgern, dass die
Ehe ("Die Liebe ist wie der Mond...") zwischen der Schweizer Slawistin und
dem russischen Autor in die Brüche gegangen ist. Im Buch ist das die
Geschichte von ihm, Tristan und Isolde. "Erst nach einer Weile kam ihm
[dem Dolmetsch] zum Bewusstsein, dass es
im Haus ausschließlich Einzimmerwohnungen gibt, in denen alte Leute
wohnen. "Verwaschene Socken und Strümpfe in wandelnder Form sozusagen." -
eine Geschichte in der Geschichte über Alter und Einsamkeit und --- über Demenz; denn eine
Frau Eggli ("schätzungsweise achthundert Jahre alt"), schmeißt
alles, was nicht niet- und nagelfest ist aus dem Fenster.
- Da ein russischer Junglehrer -
wir wissen das schon - immer knapp bei Kasse ist, nahm er von einem
russischen Verlag den Auftrag an, eine Biographie über eine berühmte
russische Romanzensängerin zu schreiben, über Isabella (Bella)
Dmitrijewna, geboren 1899, gestorben 2000. Zu Beginn erzählt die
einhundert Jahre alt gewordene Frau ihr Leben als kleines Mädchen
("Ein Ferkel mit lustigem Schwänzchen rennt in der Küche umher. Ich
spiele mit ihm, wir sind Freunde geworden. Es grunzt so ansteckend! Bald
grunzen wir im Duett, quietschen vor ferkeliger Lust. Dann sehe ich es
auf dem großen Teller im Esszimmer wieder, mit immer noch lustig
geringeltem Schwanz. Ich heule und möchte am liebsten aus dem Zimmer
rennen. Am schrecklichsten war, das weiß ich noch, als man mir das
abgeschnittene Schwänzchen auf den Teller legen wollte - zur Beruhigung!
- Wie alt war ich da? Drei? Vier?") Die Geschichte ist in der Ich-Form
geschrieben, wie das Schreiben des "Dolmetschs" an den
"hochverehrten Nabuccosaurus"; einige Seiten lang dachte ich, es gehe
um den Autor, bis mir auffiel, das in diesem Text von einem Mädchen die
Rede ist. (...) "Das Leben geht weiter. Einmal
stelle ich die Frage, warum ich eigentlich Isabella heiße." Erst da
machte es bei mir Klick. Später führt Bella ein (fiktives) Tagebuch, am
29. September 1914
beginnend. Aus ihrer Feder und ihrem Mund erfahren wir ihr Leben und
gleichzeitig ein Jahrhundert russischer Geschichte.
Jeder Handlungsstrang, jede Geschichte
ist ein Sprachporträt für sich. Michail Schischkin gelingt es zum
Beispiel sowohl
den kindlichen Ton der Sängerin zu treffen, als auch ihr Älter- und
Altwerden glaubwürdig zu gestalten; die verschiedenen Typen der
Gesuchsteller sind als Wortporträts gestaltet: da ist der Gewiefte, der
Traumatisierte, der Raffinierte, der Bescheidene, der Obszöne... Wie
heißt es in der Jurybegründung?
Venushaar zeichnet sich durch "eine grosse Vielfalt von
Redeweisen, Sprachgesten und Stilvarianten aus". Fürwahr. Mir scheint,
mit Venushaar müsste das Genre des Romans neu definiert
werden.
Jetzt könnte der eine oder andere Leser
auf die Idee kommen, die eine oder andere Geschichte zu überschlagen.
Das sollte er aber tunlichst bleiben lassen, denn ganz bestimmt taucht
die behandelte Person irgendwann wieder auf und wehe, man weiß dann
nicht, wohin mit ihr. Der Galpetra ("Die Vorstellung, unsere alterslose
schnurrbärtige Klassenlehrerin könnte schwanger sein, erschien mir
damals vollkommen abwegig. Unvorstellbar. Denn dazu hätte, so viel
wusste man, passiert sein müssen, was zwischen Frau und Mann passiert.
Frau, wohlgemerkt - nicht unserer Galpetra!") begegnen wir Jahrzehnte später
als Touristin in Rom wieder. Oder nehmen wir die alte
Frau Eggli, diese ausgemergelte Frau "mit dem beißenden Geruch", die
alles aus dem Fenster schmeißt, denn 378 Seiten später ist von ihr
wiederum die Rede.
Die unterschiedlichen großartigen Geschichten sind
jeweils mit einem kleinen Absatz von der folgenden Geschichte abgegrenzt.
Besondern tückisch ist, wenn eine Geschichte mit einer vollen Seite
ausklingt und die neue mit einer neuen Seite beginnt. Dann nämlich liest
man mindestens einige Sätze (oder gar Seiten), ohne zu verstehen, was los ist. Und wenn
einem dann klar wird, das das schon eine neue Geschichte ist, muss man
wieder an den Anfang, um sich nichts entgehen zu lassen...
Um jeweils zu begreifen, wann welche
Geschichte spielt, darf man keinen Augenblick abgelenkt sein. Spielt
Seite 106 zum Beispiel in tiefsten Sowjetzeiten ("Das Codeschloss am
Eingang funktionierte nicht, der Fahrstuhl war außer Betrieb, er musste
die mit Bauschutt, Altpapier und Heringsköpfen vollgemüllten Treppen
hinauf. Der typische Moskauer Treppenhausgeruch aus Urin von Mensch und
Katze sowie feuchtem Putz. Auch die Wohnungsklingel ging nicht."), so
ist man auf Seite 107 unversehens in den neunziger Jahren (mit
blitzenden Limousinen und geschorenen Muskelmännern in teuren Anzügen).
Michail Schischkin wurde als bisher
einziger russischer Schriftsteller mit den drei wichtigsten
Literaturpreisen Russlands ausgezeichnet;
das "Times Literary Supplement" stellt Schischkin in eine Reihe mit
Puschkin,
Dostojewski,
Tolstoi; ich sehe ihn eher in einer Reihe mit
Michail Bulgakow und
Vladimir Nabokov. 2003 hatte ich von Schischkin
schon "Die russische Schweiz" gelesen, einen
literarisch-historischen Reiseführer. "Ein fremdes Land bleibt so lange fremd, bis du dir Verwandte und dir
nahe Menschen gefunden hast. Also machte ich mich im Alpenland auf die Suche nach
Gogol und
Bunin,
Rachmaninow und Strawinskij, Herzen und Nabokov." In dem Buch "Die
russische Schweiz" wird die Lebens- und Leidensgeschichte von
fünfhundert Russen vorgestellt, die sich in der Schweiz aufgehalten
haben: Sie kamen nach der unterdrückten Militärverschwörung der Dekabristen
(1825), während der letzten Jahrzehnte der Zarenzeit (im 19.
Jahrhundert), nach der Oktoberrevolution (1917) und während des
Sowjetregimes (bis 1991), es waren so prominente Männer und Frauen wie
Dostojewski,
Gogol,
Nabokov,
Solschenizyn,
Tolstoj...
Lenin,
Trotzki.
Mit der Distanz von zehn Jahren, sagt Schischkin, sei er heute der
Meinung, dass sein literarisch-historischer Reiseführer eigentlich eher ein Roman über
Russland ist, über die krankhafte russische Geschichte.
"Alle meine fünfhundert russischen Helden haben über die Schweiz
geschrieben, aber wie in einem Spiegel sahen sie in ihren Notizen,
Tagebüchern und Briefen nur eine Reflexion ihrer selbst und der
hassgeliebten Heimat."
Für eine Schlüsselsentenz in
Venushaar halte ich diese Aussage: "Ich meine, wenn irgendwo auf
dieser Welt Verwundete mit Gewehrkolben gemeuchelt werden, dann muss es
anderswo einen Ort geben, wo Menschen singen und sich des Lebens freuen!
Je mehr ringsum gestorben wird, desto wichtiger ist es, Leben, Liebe und
Schönheit entgegenzusetzen." Dieser Gedanke taucht immer wieder auf, zum
Beispiel so formuliert: "Wenn für Schönheit und Liebe nicht die rechte
Zeit ist, so muss man schön sein und lieben wider die Zeit." Oder so:
"Wenn irgendwo Krieg ist, dann sollte man umso mehr leben und sich
freuen, dass man selbst nicht dort ist. Und wenn jemand geliebt wird,
dann wird es auch immer einen anderen geben, den niemand liebt. Und wenn
die Welt ungerecht ist, so soll man trotzdem leben und sich freuen..."
Oder: "Je ärger das Unglück der einen, desto entschiedener müssen die
anderen auf ihrem Glück bestehen. Desto stärker müssen sie lieben. Damit
die Welt im Gleichgewicht bleibt, damit sie nicht kentert wie ein
Boot." ... - Und der Buchtitel Venushaar, im Russischen
Original Вeнeрин Вољос, ist in Russland "eine Zimmerpflanze, die ohne
menschliche Wärme nicht überlebt".
Ich freue mich sehr, dass das Haus der
Kulturen der Welt und die Stiftung Elementarteilchen auch stets des
Übersetzers gedenken. Der Übersetzer Andreas Tretner
hat Venushaar von Michail Schischkin als ein "komplexes,
monumental angelegtes, philosophisch wie ästhetisch nach den Sternen
greifendes Buch" charakterisiert. Gut nur, dass ein solches Buch in die
Hände eines erfahrenen Übersetzers gelangt ist, der aus dem "Meisterwerk eine meisterliche
Übersetzung" gemacht hat (aus der Jurybegründung). Wie frohlocke
ich über besonders gelungene Wort-Neuschöpfungen: So ist eine vom Blitz gefällte Espe "schiefrig" (S. 45).
Als unsere damals kleine Tochter
Katharina in der Schule gelernt hatte, dass viele Adjektive auf -lich
enden, sagte sie eines Tages: "Guck mal Mutti, das Bild hängt schieflich."
So sehr mir diese Wendung gefiel, musste ich ihr doch sagen, das sie
falsch ist. Wie gut, dass Literaten und deren Übersetzer mehr
sprachliche Narrenfreiheit haben. Und so darf ich mich erfreuen an "der
Wind verrümpelt (S.54) von Möwengeschrei". "Wir sind dann sehr schnell
aufgebrochen. Ein verbumfiedelter (S. 342) Abend." - "Ein feiner, grauer, lautloser,
huschiger (S.469) Regen fiel..."Der Tiber ist so trübe und tiberig
(S. 515) wie im wahren Leben", "Vor zwanzig Minuten waren ihre Brüste
unter der Dusche vom eiskalten Wasser ganz gänsehäutig (S. 516) und
straff."... Andreas Tretner sei es gelungen, für jeden russischen
Topf einen deutschen Deckel zu finden, sagte Lothar Müller in seiner
Laudatio. Tretner übersetzt seit 25 Jahren Literatur aus dem
Russischen, aber das erste Mal hatte er es bei Venushaar mit
einem Autor zu tun, der außer seiner Heimatsprache Russisch auch das
Deutsche beherrscht. "War das hilfreich", wurde er gefragt?" Seine
Antwort: Zum Teil, zum anderen Teil gestaltete sich die Arbeit natürlich
komplizierter; denn Michail las jedes ins Deutsche übersetzte Wort." Und
Schischkin ergänzt: "Manche Stelle, die besonders schwierig zu
übersetzen war, schlug ich vor zu streichen. Aber Andreas sagte immer:
`Nein, wir versuchen´s.´ Ich habe nicht bereut, ihm mein Baby anvertraut
zu haben."
Genau so beeindruckt von dem
Anmerkungsapparat Tretners wie ich, fragte Luzia Braun, die Moderatorin
der Preisverleihungsveranstaltung, den Übersetzer, woher er denn all sein Wissen habe. Seine
Antwort: "Vor zwanzig / dreißig Jahren hätte ich einen solchen
Anmerkungsapparat noch nicht anbieten können... Da gab es das Internet
noch nicht." Womit er die Frage "Gewusst wo?" beantwortet hatte, aber
nicht "Gewusst was?" Nämlich was im Text einer Anmerkung bedarf. Für den von
Russland unbedarften
Leser wären hier und da in der Anmerkung auch
noch weitere Jahreszahlen hilfreich gewesen. So wird z. B. im Text gesagt: "Ich bin
öfters nach Sergijew Possad gefahren, das jetzt aus irgendeinem Grund
Sagorsk heißt." Wenn man weiß, das Sagorsk seit 1991 Sergijew Possasd heißt, kann man
sogleich schalten, dass die folgende Geschichte nach dem Zerfall der
Sowjetunion spielt. Oder: Einige Male ist im Text von den
Altgläubigen die Rede. Da hätte ich mir in den Anmerkungen eine
Jahreszahl und eine kurze Erklärung gewünscht, wie: "Im 17.
Jahrhundert kam es zur Abspaltung der später sogenannten
altgläubigen Gemeinschaften von der Moskauer Patriarchatskirche. Heute
gibt es weitweit noch 2 bis 3 Millionen russische Altgläubige, deren
Großteil in Russland, auf dem Balkan und in Rumänien lebt. Trotz
ständiger Verfolgung und Bedrängnis blieben sie in ihrem Lebensstil und
ihrer Traditionsverbundenheit von vielen Entwicklungen im Staat und
seiner Großkirche unberührt."
Im Tagebuch-Text von Bella Dmitrijewna steht: "Mama hatte neuerdings
immer den alten Awwakum auf dem Nachttisch liegen." Und in der
dazugehörigen Anmerkung: "Der altgläubige Protopope Awwakum
(1620/21-1682) schrieb die erste Autobiografie (1672/73). Aber schon auf
Seite 71 erzählt ein GS, dass seine russische Freundin, die er in
Afghanistan kennen lernte, "von ihren altgläubigen Eltern
abgehauen" ist. Im 17. Jahrhundert?
Unter den 272 Anmerkungen (19 Seiten)
des Übersetzers gibt es Anmerkungen, die lediglich Quellenangaben sind,
Anmerkungen, die zusätzliches Wissen vermitteln, Anmerkungen, die
beispielsweise eine im Text nur angedeutete Gedichtzeile ausführen und
Anmerkungen, ohne die man den entsprechenden Text des Romans nur
unzureichend versteht. Da jedoch alle diese Textstellen im Roman nicht
gekennzeichnet sind, ist man unentwegt versucht, nach hinten zu
blättern. Ein unaufdringliches kleines Sternchen an der
entsprechenden Textstelle wäre für den interessierten Leser sehr
hilfreich gewesen - auch wenn das für ein belletristisches Buch
ungewöhnlich ist. Aber eine ungewöhnliche Romanmachart heiligt auch eine
für ein belletristisches Buch ungewöhnliche Anmerkungsart!
Wahrlich, es hat sich gelohnt, dass die
Arbeit des Übersetzers vom deutschen Übersetzerfonds e. V. mit Mitteln
der Kulturstiftungen des Bundes und der Länder sowie des Auswärtigen
Amtes gefördert wurde. "Dadurch", so Andreas Tretner, "konnte ich drei
Monate länger an der Übersetzung arbeiten."
*
Irgendwo las ich, dass der Autor diesmal
in einem größeren deutschsprachigen Verlag erscheinen wollte, der sich bei
Bedarf eine Nachauflage leisten könne. Nicht so wie bei Schischkins ins
Deutsche übersetztem Sachbuch "Die russische Schweiz", das
2003 im Zürcher Limmat-Verlag erschienen ist, davor 2000 in
Russisch, ausgezeichnet mit dem russischen Booker-Preis. In Russland sind bis jetzt drei weitere Bücher
von Schischkin erschienen: "Die Eroberung von Ismail" erinnert an den
Sturm der gleichnamigen türkischen Festung bei Odessa in der heutigen
Ukraine im Jahre 1790 durch
General Suworow. - 2001 wanderte Michail
Schischkin auf den Spuren von
Lew Tolstoi und Lord Byron vom Genfersee
ins Berner Oberland. Er liest dabei ihre Tagebücher und schreibt selbst
ein Tagebuch - woraus das eigene Buch "Montreux-Missolunghi-Astapowo"
entsteht. Dieses Buch wurde 2002 von der Stadt Zürich mit einem Werkjahr
ausgezeichnet und erhielt 2005 in Frankreich den Preis für das beste
ausländische Buch des Jahres. Schischkins Roman Venushaar
wurde 2005 mit dem russischen Preis "Nationaler Bestseller"
ausgezeichnet und 2006 mit dem wichtigsten Literaturpreis Russlands "Das grosse Buch".
Schischkins Bücher wurden inzwischen in 14 Sprachen
übersetzt u. a. ins Bulgarische, Chinesische, Englische, Finnische,
Französische, Italienische, Norwegische, Polnische, Schwedische,
Serbische... Im nächsten Jahr, so ist zu hören, soll ein weiterer Roman
Schischkins auf Deutsch erscheinen.
*
Sollte es eine zweite Auflage von
Venushaar geben, wovon ich überzeugt bin, dann sei auf diese Fehler
bzw. Ungenauigkeiten hingewiesen: "Zwar wimmelt es in Eurem Schreiben
von grammatischen Fehlern"... (S.14). Sind da nicht eher orthographische
Fehler gemeint? / Biologen und Naturkenner sind der Meinung, dass Zecken
nicht in Eichenkronen (S. 45) hausen, sondern in Gräsern, Farnen,
Sträuchern... / "auf Arbeit" [на работe] ( ) ist "russistisch",
im Deutschen geht man zur Arbeit. / Der Wal ist kein Fisch, sondern ein
Säugetier, deshalb (S.299) Wal (nicht Walfisch) und Walbauch (nicht
Walfischbauch). / Die Stadt in Abchasien
heißt Suchumi, nicht Sochumi (S.542) --- obwohl ich
im Internet auch die Schreibweise Sochumi finde. Ich allerdings bin in
Suchumi gewesen. / Als der
"Dolmetsch" Junglehrer war hießen die Tungusen bereits Ewenken. Ich verstehe nicht (Anmerkung 129) inwiefern Tungusen
und Orotschen - kleine indigene Nomadenvölker in Ostsibirien - "in einem
übertragenen poetischen Sinn gebraucht werden". |
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Gisela Reller /
www.reller-rezensionen.de
* Mit dem Internationalen
Literaturpreis wird seit 2009 das beste internationale Erzählwerk in
deutscher Erstübersetzung prämiert. Man wolle mehr "Welthaltigkeit in
die deutsche Diskussion bringen", so Bernd Scherer, Intendant des
Hauses der Kulturen der Welt. Damit verbunden sei die Hoffnung, neue
Stimmen hierzulande bekannt zu machen, ergänzte Susanne Stemmler, verantwortlich für Literatur in der
Berliner Kulturinstitution. Konzipiert ist die Auszeichnung nach dem
Vorbild des Deutschen Buchpreises.
** Die ersten Preisträger 2009 waren
der peruanische Schriftsteller Daniel Alarcón und Friederike Meltendorf.
Alarcón, der in den USA lebt, gewann den Preis für seinen Roman "Lost
City Radio" (Wagenbach Verlag, Berlin 2008), Friederike Meltendorf für
ihre Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch. - Aus der Jurybegründung
für die Preisträgerschaft des Autors: "Der Debütroman des 1977 in Peru
geborenen und in den USA aufgewachsenen Daniel Alarcón konfrontiert uns
auf eindringliche und einfühlsame Weise mit einer Welt, in der das
Zusammenleben immer wieder von Bürgerkrieg und Gewalt bedroht wird. Ein
Roman, der sich wie eine Parabel liest - ein präziser literarischer
Entwurf, der eine nicht näher verortete Gewaltsituation sowohl auf Süd-
und Mittelamerika wie auch auf koloniale Regime
andernorts übertragbar erscheinen lässt:
Die Verschwundenen und der Kampf gegen das Vergessen sind zentrales
Thema dieses geschickt komponierten Romans. Alarcón
schreibt in der Sprache seiner neuen Heimat USA und erlebt mit kühlem
und präzisem Blick Geschichten seines Herkunftslandes nach. Die
raffinierte Verknüpfung verschiedener, fein ausgearbeiteter, nicht
chronologisch angeordneter Erzählstränge zeigt - jenseits eines
vordergründig lateinamerikanischen Szenarios - die weltweitern Webmuster
von Macht und Gewalt auf." - Aus der Jurybegründung für die
Preisträgerschaft der Übersetzerin: "Friederike Meltendorfs Übersetzung
von Daniel Alacóns Roman "Lost City Radio" aus dem amerikanischen
Englisch kann als kongenial bezeichnet werden. Mit großem
Einfühlungsvermögen und mit großer Stilsicherheit im Deutschen ist sie
in der Lage, die klare, zuweilen karge, präzise und lakonische Sprache
des Originals wiederzugeben, ohne dabei den wunderbaren Rhythmus, die
zarte situative Poesie zu verlieren." --- Die Preisträger 2010
waren die französische Schriftstellerin Marie NDiaye für ihren Roman
"Drei starke Frauen" ("Trois femmes puissantes",
Suhrkamp Verlag 2009) und die Übersetzerin
Claudia Kalscheuer. - Aus der Jurybegründung für die Preisträgerschaft
der Autorin: "Marie NDiayes `Drei starke Frauen´ ist ein subtiles, dicht
geschriebenes, in seiner sprachlichen Ausgestaltung einen starken Sog
entfaltendes Buch über gestörte Beziehungen, emotionale Abhängigkeiten
und unerhörte Abgründe innerhalb der Familie: eine fein austarierte
Choreographie von verstörenden Annäherungs- und Abstoßungsprozessen,
deren Motiv nicht umsonst die Hitchcockschen Vögel sind. Und damit führt
der Roman vor, was Schreiben jenseits der althergebrachten Kategorien
von Heimat und Herkunft sein kann: `Weltkulturliteratur´ jenseits von
Migration und Exil, die eine neue grenzüberschreitende Formensprache
vorantreibt." - Aus der Jurybegründung für die Preisträgerschaft der
Übersetzerin: "Claudia Kalscheuer ist es gelungen, den fein
austarierten, halb alptraumhaften, halb surrealen Rhythmus des Textes im
Deutschen abzubilden. Sie folgt sehr genau den Satzbewegungen des
französischen Originals, wählt aber an den entscheidenden Stellen
Möbiusschleifen, setzt Inversion, reduziert die Zahl der Alliterationen,
ohne ihr poetisches Moment auch nur im Entferntesten aufzugeben, und
schreibt auf diese Weise ihrer Übertragung die deutsche Sprachmelodie
ein, lädt sie mit exakt dem gleichen dichten, verstörenden Rhythmus auf,
den das Original der `Drei starken Frauen´ auszeichnet. Und dies ist
eine Meisterleistung." --- Die Preisträger 2011
sind der russische Schriftsteller Michail Schischkin und der
Übersetzer Andreas Tretner. - Die Jurybegründung für
den Preisträger / Autor: "Mit Venushaar
ist Michail Schischkin ein Roman von stupender Komplexität und
betörender Vielfalt gelungen. Als Lotse und zentrale Gestalt figuriert
der `Dolmetsch´, ein Alter ego des Autors, der für die schweizerische
Einwanderungsbehörde arbeitet. Die Geschichten von Gewalt und
Vertreibung, die er aus dem Mund tschetschenischer und anderer
Gesuchsteller zu hören bekommt, vermischen sich mit eigenen Erinnerungen
an die Moskauer Kindheit und mit der Lektüre von Xenophons Kriegsbericht
`Anabasis´ . In kühner Schnitttechnik werden diesem Erzählstrang zwei
weitere hinzugefügt: die autobiographische Reminiszenz des `Dolmetsch´ an
seine Liebe zu `Isolde´ und die schmerzliche Trennung von ihr sowie das
fiktive Tagebuch der russischen Sängerin Isabella Jurjewa, das aus persönlicher Sicht ein Jahrhundert russischer Historie
mit Revolution, Bürgerkrieg, Stalinzeit wiedergibt. Die Aufzeichnungen -
sie hätten dem `Dolmetsch´ als Material für eine Biographie dienen
sollen - zeichnen sich durch Spontaneität und den Gebrauch der Ich-Form
aus, was den Stimmenchor des Romans erweitert und auffrischt. Zu dieser
Vielstimmigkeit gehören auch zahlreiche Anspielungen und (verdeckte)
Zitate, was sich in verschiedenen Redeweisen, Sprachgesten und Stilvarianten niederschlägt. -
Venushaar ist ein Roman über private,
gesellschaftliche und politische Verwerfungen, er thematisiert Krieg,
Flucht, Exil, er feiert aber auch den Zauber der Liebe und der
Erinnerung und steht für die Kraft des Wortes, wie schon das Motto
suggeriert: "Denn durch das Wort ward die Welt erschaffen, und durch das
Wort werden wir einst auferstehen." Schischkin zeigt sich als
Sprachkünstler ersten Ranges: nicht nur hat er eine einzigartige
Romanform entwickelt, er spielt mit wechselnden Perspektiven und
Einstellungen, mit unterschiedlichsten verbalen Registern und Stillagen,
er beherrscht poetische, satirische, elegische und sarkastische Tonarten
und brilliert mit überraschenden Details. Man liest eine Chronik der
Gewalt und eine Liebesgeschichte, ein Künstlertagebuch und ein
Verhörprotokoll und beweg sich zugleich in einem intertextuellen Gewebe,
das diesen Roman - über seine herausragende Qualität - hinaus
weltliterarisch verortet." - Die Jurybegründung für den
Preisträger / Übersetzer: "Michail Schischkins Roman Venushaar zeichnet
sich durch thematische Komplexität und eine grosse Vielfalt von
Redeweisen, Sprachgesten und Stilvarianten aus. Zur Sprache kommen
tschetschenische Flüchtlinge (als Gesuchsteller bei der schweizerischen
Einwanderungsbehörde) und deren `Vernehmer´, der in assoziativen
Erinnerungen sich ergehende `Dolmetsch´ und die 1899 geborene russische
Sängerin Isabella Jurjewa, in deren (fiktiven) Tagebuchaufzeichnungen
sich Epochenschilderungen kontrastreich mit palindromischen
Wortspielereien abwechseln. [Palindrom: Wort oder Wortreihe, die vor-
und rückwärts gelesen, einen Sinn ergibt. Ein solches Wort oder eine
solche Wortreihe habe ich im Text nicht bemerkt!] Zu diesem Stimmenchor
gesellen sich zahlreiche Anspielungen und (verdeckte) Zitate, die ein
komplexes intertextuelles Gewebe bilden. Andreas Tretner ist es auf
virtuose Weise gelungen, die Bezüglichkeiten aufzudecken und die
unterschiedlichen Sprachregister und -masken abzubilden. Bibel und
Verhörton, elegische Liebesreminiszenz und Jargon der Gewalt, poetische
Introspektion [Selbstbeobachtung] und Xenophonsche Archaik finden eine
plastische Wiedergabe. Als besonders anspruchsvoll erwiesen sich die
brüsken Stil- und Rhythmuswechsel, die oft einen einzigen Satz polyphon
erklingen lassen. Mit wachem Ohr hat Andreas Tretner jede Sprachbewegung
subtil nachvollzogen und damit die enorme Detailarbeit, die in diesem
allseits überraschenden Roman steckt, optimal zur Geltung gebracht. Eine
meisterliche Übersetzung eines Meisterwerks." - Der Jury (Ramón
Garcia-Ziemsen - Leiter der Kulturredaktion, Deutsche Welle -, Marie
Luise Knott - Kritikerin / Übersetzerin -, Claudia Kramatschek
-Literaturkritikerin / Kulturjournalistin -, Lothar Müller - Redakteur,
Feuilleton Süddeutsche Zeitung -,
Ilma Rakusa - Schriftstellerin /
Übersetzerin / Publizistin -, Susanne Stemmler - Leiterin Bereich
Literatur, Haus der Kulturen der Welt) -, Stefan Weidner - Autor /
Übersetzer / Literaturkritiker) lagen 111 Titel vor, eingereicht von
deutschsprachigen Verlagen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz,
übersetzt aus 24 Sprachen, deren Originalausgaben aus über 50 Ländern
stammen. Daraus wurden sechs Titel für die Shortlist nominiert,
darunter Michail Schischkins Venushaar.
***
Das Museum für die Kunst der Leibeigenen
ist ein Landgut und Herrenhaus mit der Kunstsammlung des Grafen
Scheremetjew aus dem 18. Jahrhundert in Ostankino bei Moskau. Als
ideologischen Vorwand, um den Erhalt zu sichern und die Restaurierung zu
ermöglichen, entwarf ein findiger Museumsdirektor nach der Revolution
1917 die zugespitzte Legende, Leibeigene hätten das Palais und seine
Einrichtung geschaffen. Die Bezeichnung des Museums blieb bis in die
neunziger Jahre erhalten, schreibt Andreas Tretner in seiner Anmerkung.
Und so erfahre ich 2011, dass auch ich 1983 "angeschmiert"
worden bin, als
ich die Kunst der Leibeigenen gebührend bestaunte...
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- Claudia Erdheim, Eindrücke.
- Andrea Hapke / Evelyn Scheer, Altrussische Städte. Moskau und der Goldene Ring.
- Natalia Liublina / Christian Skreiner, Russland A-Z /
Россия A-Я. EUROPA ERLESEN.
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- Edeltraud Maier-Lutz, Flußkreuzfahrten in Rußland.
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- Thomas Roth, Russisches Tagebuch.
- Gregor M. Schmidt / Christa Damkowski, Moskau und der Goldene Ring.
- Dietmar Schumann, An der Lena flußabwärts.
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Am ins Netz gestellt.
Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |
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