Hörbuch REZENSIONEN | |
Verneigung vor der Luft, die der Sohn geatmet hat... | |
Tschingis Aitmatow | Kyrgyse |
Das Wiedersehen mit dem Sohn | |
Lesung Sprecher: Hans-Peter Hallwachs, Produktion: Mitteldeutscher Rundfunk AUDIOBUCH, Freiburg (Keine Angabe des Erscheinungsjahres), 1 Kassette, Laufzeit: etwa 36 Minuten | |
(Rezensiert, entsprechend dem Gästebuch-Eintrag von Franz Schön) | |
Erfreulich, dass AUDIOBUCH neben Friedrich Schiller, Honoré de Balzac,
Ernest Hemingway, James Baldwin... die Courage hatte, den Kyrgysen
Aitmatow 1964, da war er
sechsunddreißig Jahre alt und hatte, nachdem er erst Zootechnik studiert und als
Viehzuchtexperte gearbeitet hatte, sein Studium am Literaturinstitut in
Moskau (1956-1958) bereits abgeschlossen. Seine
Diplomarbeit, die Novelle
"Dshamila" wurde 1958 gleich ein Welterfolg.
Louis Aragon nannte sie "Die schönste Liebesgeschichte der Welt". Es folgten die stimmungsvollen Novellen
"Du meine Pappel im roten
Kopftuch", "Das Kamelauge" (beide 1961), "Der erste Lehrer" (1962),
"Goldspur der Garben" (1963) und: 1974 brachte der Ostberliner Verlag Volk und
Welt sieben seiner frühen Erzählungen (1953-1965) erstmals in
deutscher Sprache heraus, darunter Das Wiedersehen mit dem Sohn.
In dieser anrührenden Geschichte will der alte Tschordon unbedingt die
Gegend wiedersehen, in der sein Sohn vor zwanzig Jahren als Lehrer gelebt hat..
Im Oktober 1941 sah er ihn - "der etwas Besonderes war und den er nicht nur geliebt hatte, sondern von Kind an als vernünftigen, gleichberechtigten Menschen geachtet hatte" - das letzte Mal, da er als Freiwilliger an die Front fuhr. "Er war blutjung, hatte noch keinen Bart, nur in der Größe glich er den anderen, sonst aber, den Schultern und seinem ganzen Äußeren nach, war er der reinste Junge (...). Noch zwei Jährchen, und er würde ein stattlicher Bursche sein." Doch der Sohn Sultan fällt im Krieg, die Mutter steht nach dieser Nachricht von ihrem Krankenlager nicht mehr auf. Tschordon genießt seinen Aufenthalt in der Gegend als ein Wiedersehen mit dem Sohn, als er sich verneigt "vor dieser Erde, vor diesen Bergen, vor der Luft, die du geatmet, vor dem Wasser, das du getrunken hast". Diese Erzählung Aitmatows wird einfühlsam von Hans-Peter Hallwachs gelesen, der am Thalia-Theater in Hamburg, dann an den Münchner Kammerspielen und am Berliner Schillertheater spielte; mir ist er noch in Erinnerung als Fabian in der Kästnerverfilmung von 1997. Als sehr störend empfand ich allerdings, dass Hallwachs die oft vorkommende Bezeichnung Ail, so nennt man ein kyrgysisches Dorf, falsch ausspricht: als Ail statt A-il. Da hätte eine Nachfrage beim Übersetzer schnell Abhilfe schaffen können. Aber, das fällt mir immer wieder auf: Bei den östlichen Sprachen leistet man sich sehr sorglos solche Schnitzer. Und überhaupt: Der Übersetzer spielt im Cover des Audiobuches nicht die geringste Rolle, was ich als Nichtachtung demjenigen gegenüber empfinde, ohne den das Buch für die meisten von uns gar nicht existieren würde. Es sei hier nachgeholt: Die Übersetzerin ist Charlotte Kossuth, die als ausgewiesene Aitmatow-Übersetzerin gilt. Ein Absatz der Erzählung wurde in die Lesung nicht übernommen: "Die beiden waren bloß flüchtig miteinander bekannt, begegneten sich nur hin und wieder bei Totenfeiern oder Toi-Festen und begrüßten einander. Damit erschöpften sich eigentlich ihre Beziehungen. Sararaly ritt offensichtlich zu Besuch, er trug einen neuen Velvetonrock, nagelneue Itschigen und neue spitze Gummiüberschuhe, auf dem Kopf hatte er einen prächtigen Fuchpelz-Tebetej..." Ich vermute, dass diese Zeilen dem Rotstift zum Opfer fielen, weil sich hier kyrgysische Begriffe häufen, die dem Hörer unverständlich sind. Doch dem hätte man mit einem Glossar abhelfen können: Toi-Fest: Ein Fest der Lieder und des Tanzes. / Itschig: Am bloßen Fuß getragener absatzloser Halbstiefel aus Saffianleder. / Tebetej: Mit Fuchpelz oder Lammfell besetzte Mütze. Weitere kyrgysische Begriffe in der Erzählung - Kurdshun: Umhängetasche. / Naspai: Kleine Tabakröllchen, die man für kurze Zeit im Mund behält. Laut einer Umfrage zum Thema Hörbuch sind Autor, Story und Sprecher beim Kauf entscheidend. Aber wichtig ist auch - das weiß ich aus vielen Gesprächen auf der Leipziger Buchmesse, wo es 2003 das vierte Mal einen großen Gemeinschaftsstand der Hörbuch-Verlage gab - ein liebevoll gestaltetes Cover. Und da fragt man sich bei diesem hier, was stellt die Zeichnung auf der Titelseite zu Wiedersehen mit dem Sohn dar, von wem ist sie? Und nach dem Öffnen des eingeschweißten Hörbuchs entscheidet sich etwas ebenso Wichtiges: Wie informativ und korrekt ist das beigegebene Booklet? Dieses Hörbuch hat leider nicht mal eins. | |
Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de
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Am 30.06.2003 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 27.11.2019. Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. | |
Ein dummer Kopf, schätzt keinen klugen. | |
Sprichwort der Kyrgysen |
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