Belletristik REZENSIONEN |
Ein schwergewichtiger Krimi - für zu leicht befunden
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Boris Akunin |
Russe |
Der Favorit der Zarin
Ein
Nicholas-Fandorin-Roman
Aus dem
Russischen von Birgit Veit
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Wilhelm Goldmann Verlag, München 2006, 575 S.
Boris Akunin (eigentlich Grigori Tschtschartischwili
[Tschchartischwili])
schreibt an drei Kriminalroman-Serien gleichzeitig: Den Auftakt bildet
die historische Krimi-Serie um den smarten Ermittler
Erast Fandorin,
inzwischen auf elf Bände angewachsen. Es folgt eine zweite Serie von Romanen um die
Nonne Pelagia, die in der
russischen
Provinz des 19. Jahrhunderts mit unkonventionellen Methoden Verbrechen
aufklärt; mit drei Bänden ist diese Reihe inzwischen abgeschlossen. In der dritten
Serie ist der Enkel von Erast Petrowitsch, Nicholas Fandorin, der
Held, der im gegenwärtigen Russland agiert. Der Favorit der Zarin ist nach
"Die Bibliothek des Zaren"
der zweite Band dieser Nicholas-Fandorin-Serie. Im ersten
Band ist der Historiker Nicholas Fandorin - in achter
Generation der Nachfahre des deutschen Hauptmanns Cornelius von Dorn,
der im 17. Jahrhundert auf der Suche nach Reichtum als Söldner nach
Russland
gegangen war - der meistens fade Held.
Der 1,99 Meter große Magister Nicholas Fandorin erbt von seinem Vater
einen Adelstitel und eine
Menge Geld. Nachdem er als Baronet in England ein unaufgeregtes Leben
geführt hat, begibt er sich auf der Suche nach einer geheimnisvollen Handschrift nach
Moskau. Dabei
gerät er auf die Spur eines unermesslichen Schatzes, siedelt nach
Moskau um, heiratet die 1,51 Meter kleine
Tatarin
Altyn, inzwischen ist er Vater von zwei
Kindern und Chef einer einzigartigen wie einzigartig erfolglosen "Firma
der Räte". Da seinen Rat niemand will, erfindet er vor lauter Langeweile Computer-Spiele, in denen
seine Urahnen die Hauptrollen spielen. Seine Frau, Chefin einer
erotischen Wochenzeitung, verdient das Geld für die Familie. Als sie eine Anzeige für das Rat gebende Unternehmen ihres
Mannes geschaltet hat, taucht der erste Kunde auf... Danach erhält Nicholas Fandorin einen Drohbrief, der ihm seinen Tod ankündigt. Mit diesem
einen Tod ist es natürlich nicht getan...
Akunins Krimis - das hier ist der
sechzehnte - werden immer dicker, immer unhandlicher, sind immer
komplizierter konzipiert. In Der Favorit der Zarin ist noch ein
Fandorin mit von der Partie: der sechsjährige Mithridates Fandorin. Er
kämpft einige Jahrhunderte vor Nicholas am Hofe der Zarin Katharina der Großen ums Überleben, weil
machthungrige Zeitgenossen dem (neunmalklugen) Kind die Gunst der
Herrscherin neiden. Auch im heutigen
Moskau entgeht der britische
Baronet ohne Erasmus-Fandorin-Carisma seinem gewaltsamen Tod immer nur um
eine halbe Haaresbreite. Ebenso wie der erste Nicholas-Fandorin-Roman hat also
auch der zweite zwei Handlungsstränge, die allerdings eher lose
miteinander verknüpft, als miteinander verbunden sind. Es dauert ein
langatmiges Weilchen, ehe man die Verbindung der vergangenen und
gegenwärtigen Handlung einigermaßen durchschaut - was nicht am
Leser, sondern am Autor liegt.
Wollte der Autor uns zwei Machtsysteme verschiedener Jahrhunderte vorführen, die zwar
verschieden, aber letztlich ähnlich brutal funktionieren? "Die
Alleinherrschaft von Zarin Katharina II. reicht nur so weit", schreibt
Irmtraud Gutschke in ihrer Rezension, "wie andere ihre geheimen Fäden
spinnen. Und die heutige Staatsgewalt scheint gänzlich machtlos
gegenüber wirtschaftlich-kriminellen Strukturen." Und so will der
Favorit der Zarin - Platon Surow, eine historisch verbürgte Gestalt -
anno dunnemals eine junge Gräfin erobern. Und ein Schönheitschirurg
will heutigentags - die Anzahl der Leichen spielt dabei keine Rolle
- eine staatliche Pharmafabrik für sich privatisieren.
Manchmal spannend, manchmal langatmig, wird es von Krimi zu Krimi einfach nur noch peinlich, wie der Autor mit
seiner Belesenheit brilliert. (Wann liest er eigentlich? Er schreibt
doch immer!) Die Krönung seiner Superschlauheit ist diesmal, dass alle
dreiundzwanzig Kapitel literarische Überschriften haben, die
Buchtiteln entlehnt sind, zeitlich beginnend mit dem Jahr 170 nach
Christi Geburt (Apuleius) und endend mit dem Jahr 1961 (Remarque).
Verhilft der Verbrecherjäger Erast Fandorin der Gerechtigkeit mit
Charme und Intelligenz zum Sieg, so ist sein britischer Enkel Nicholas Fandorin
ein Russland-naiver Gejagter, der einem ziemlich schnuppe bleibt. Fazit: Eine
Erzählweise voller Längen; als Einstieg in die Fandorin-Serie
ungeeignet.
Übrigens: Auf Seite 305 erwischt die Übersetzerin den allwissenden Akunin bei einem Fehler: Ein Li so meint dieser, sei eine chinesische
Längeneinheit, die vier Kilometern entspricht. Sie jedoch weist ihm nach, dass
ein Li nicht 4 Kilometer, sondern 0,4 Kilometer misst. Ihr
schadenfroher Kommentar: Nobody is perfect. Wie wahr! Denn auf Seite 88
schreibt die Übersetzerin das Volk der Tschuktschen
zweimal falsch ohne "t". |
Gisela Reller /
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Am 27.07.2007 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am
19.11.2019.
Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |
Wer auf sich selbst aufpasst, den behütet Gott. |
Sprichwort der Russen |
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