Belletristik REZENSIONEN

Der russische Ermittler Fandorin bald auf Hollywoods Leinwand
 
Russe
Der Tod des Achilles
Fandorin ermittelt
Aus dem Russischen von Andreas Tretner
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2002, 409 S.

Akunin,  da kann man sicher sein, schreibt nur über Zeiten, Gegenden und Ereignisse, die er gründlich recherchiert hat. In seinem historischen Kriminalroman Der Tod des Achilles kehrt sein Ermittler Erast Petrowitsch Fandorin 1882 aus Japan zurück, wo er sechs Jahre lang ein Amt beim russischen Botschafter innehatte. Als er in seiner russischen Heimat eintrifft, hat er den ihm völlig ergebenen japanischen Diener Mashiro Sibata bei sich und beherrscht viele japanische Kampfsportarten und Überlebenskünste. Und die braucht der sechsundzwanzig Jahre alte Kollegienassessor für die Aufklärung von Achilles Tod, sonst wäre er selbst bald mausetot. Wie nur, fragt sich der Leser, hat er seine drei anderen Fälle gelöst, da er ja vor seinem Japan-Aufenthalt die japanische Ninja-Kunst noch nicht beherrschte...

Wer nun ist Achilles? Das ist General Sabolew, der Held von Plewna, ein alter Freund Fandorins und ein Ritter ohne Fehl und Tadel. Dieser schöne, kerngesunde General, der die Türken besiegte und für die Russen ein Nationalheld ist, stirbt auf dem Liebeslager der Sängerin Wanda an Herzversagen. Was für eine Schande für die russische Armee. Doch Fandorin glaubt nicht an einen natürlichen Tod des viel gerühmten Heerführers und Lieblings der Nation, sondern tippt auf Mord. Wollten die Deutschen den General ausschalten, um so Russland zu schwächen? Oder wurde eine Intrige am Hofe des Zaren gesponnen?

Im ersten Teil dieses Krimis geht es akuninüblich zu. Fandorin ermittelt gewieft und unkonventionell, kommt auf die verwegensten Zusammenhänge, irrt, wird massakriert, tötet selbst in Notwehr; man kommt mit dem Zählen der Leichen gar nicht richtig nach. Besonders apart, als Fandorin,  eingesperrt in einem dunklen Verlies, einen schlaffen, mürben Bastsack, von dem ein unerträglicher Schimmelgeruch ausgeht, als Kopfkissen benutzt. Als seine Peiniger mit Kerzen erscheinen, muss unser Schönling, "zu gewöhnlichen Zeiten durchaus ein Ästhet", entsetzt erkennen, dass der vermeintliche Sack ein fast verwester Toter ist, der ihn aus leeren Augenhöhlen anstarrt. Empfindsam darf weder Fandorin, Beamter und im Adelsstand, noch der Leser sein...

Aber richtig spannend wird es erst im zweiten Teil mit dem Auftauchen von Ahimaaz ("Bruder des Zorns"). Ahimaaz Welde ist der Sohn eines deutschen Vaters und einer tschetschenischen Mutter. Mutter, Vater und alle Dorfbewohner werden eines Tages von rebellischen Tschetschenen grausam umgebracht. Nur der zehnjährige Ahimaaz überlebt das Gemetzel, weil er wegen eines Vergehens von seinem Vater in einem Schuppen eingeschlossen worden war. Ausgebildet von seinem Onkel, nimmt er Jahre später für den Tod an Vater und Mutter fürchterliche Rache an den Mördern. So weit, so gut (oder nicht gut). Aber nun wird Mord zu Ahimaaz´ einträglichem Beruf. Jahrzehntelang führt er in aller Welt für viel Geld die gefährlichsten Aufträge aus, zum Beispiel diesen: Da entführt in Brüssel ein Triebtäter vierzehn sechs bis dreizehn Jahre alte Mädchen und ermordet sie bestialisch. In mehreren Eichenbottichen findet die Polizei eingelegte Körperteile und eine noch ganz frische Kinderleiche, die Spuren unbeschreiblicher Folterungen aufweist. Nach einem Hinweis des Gärtners wird Pierre Fechtel als mutmaßlicher Täter verhaftet, der einzige Sohn von Leon Fechtel, Inhaber des europaweit bekannten belgischen Bankhauses Fechtel und Fechtel. Der Vater will seinen einzigen Sohn vor dem Schafott retten und engagiert den in Insiderkreisen bekannten Ahimaaz Welde. Psychologisch feinfühlig, aber all und jedem gegenüber absolut rücksichtslos, gelingt es ihm, für den abartigen Mörder einen Freispruch zu erwirken... Natürlich hat dieser durch und durch verderbte Tschetschene Ahimaaz Wedel auch beim Tod des Generals Sobolew, genannt Achilles, seine den Tod gewohnten Hände im Spiel.

Warum, frage ich mich, ist der skrupellose Widersache Fandorins ausgerechnet ein Tschetschene? Bedient Akunin damit die weit verbreiteten russischen Gefühle gegenüber den "Schwarzen", den Kaukasiern?* Das will mir nicht gefallen... Gefallen will mir auch nicht, dass Akunins Historienkrimis von Mal zu Mal grausamer werden. In Russland jedenfalls genießt Akunin geradezu legendäre Popularität. Und nicht nur dort. Seine Bücher wurden bereits in siebzehn Sprachen übersetzt, und weltweit wurden etwa sechs Millionen Exemplare verkauft, hunderttausend davon allein in Deutschland. Nachdem die Fandorin-Serie (dieses hier ist das vierte Buch) in Moskau gerade verfilmt wird, ist Erast Fandorin seit Doktor Shiwago der zweite russische Romanheld, den nun auch Hollywood haben will. Der Filmproduzent Paul Verhoeven ("Basic Instinct"), gebürtiger Niederländer, hat die Rechte bereits gekauft. Da kann ja dann bald die ganze Welt sehen, wozu die bitterbösen Tschetschenen so fähig sind...

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

  * Im November lief im russischen Fernsehen ein Dreißig-Sekunden-Wahlwerbespot der Nationalistischen Partei "Rodina" ("Heimat"): Drei dunkelhäutige Männer lümmeln sich auf einer Moskauer Parkbank. Sie essen Melonen, spucken die Kerne aus und schmeißen die abgenagten Spalten auf den Gehweg. Eine blonde Russin mit einem Kinderwagen kommt des Wegs, schiebt ihren Nachwuchs durch den Abfall. "Da geht die Nachbarschaft", spottet einer der dunkelhäutigen Männer. Dann stoppt die Musik. Zwei weitere Männer erscheinen, Russen. "Haut ab und schafft euren Müll weg", sagt der eine von ihnen. Der andere beugt sich zu einem der drei auf der Bank und fragt langsam und betont: "Verstehst du überhaupt russisch?" Der Spot endet mit dem Slogan: "Säubern wir Moskau vom Abfall!" Klar, dass nicht die Melonenkerne, sondern die Kaukasier gemeint sind. Übrigens: Die beiden "Saubermänner", die hier für Ordnung sorgen, sind Dmitri Rogosin, der Vorsitzende der Nationalistischen Partei, und deren Moskauer Stadtabgeordneter Juri Popow.

 

Weitere Rezensionen zu"Kriminalliteratur":

  • Boris Akunin, Fandorin.
  • Boris Akunin, Türkisches Gambit.
  • Boris Akunin, Mord auf der Leviathan.
  • Boris Akunin, Russisches Poker.
  • Boris Akunin, Der Magier von Moskau.
  • Boris Akunin, Die Schönheit der toten Mädchen.
  • Boris Akunin, Die Entführung des Großfürsten.
  • Boris Akunin, Der Tote im Salonwagen.
  • Boris Akunin, Die Diamantene Kutsche.
  • Boris Akunin, Die Liebhaber des Todes.
  • Boris Akunin, Pelagia und die weißen Hunde.
  • Boris Akunin, Pelagia und der schwarze Mönch.
  • Boris Akunin, Pelagia und der rote Hahn.
  • Boris Akunin, Die Bibliothek des Zaren.
  • Boris Akunin, Der Favorit der Zarin.
  • Boris Akunin, Die Diamantene Kutsche.
  • Boris Akunin, Die Liebhaber des Todes.
  • Kristina Carlson, Das Land am Ende der Welt.
  • Sophia Creswell, Der Bauch von Petersburg.
  • Anna Dankowtsewa, So helle Augen.
  • Anna Dankowtsewa, Ein Haus am Meer.
  • Polina Daschkowa, Die leichten Schritte des Wahnsinns.
  • Polina Daschkowa, Club Kalaschnikow.
  • Polina Daschkowa, Russische Orchidee.
  • Polina Daschkowa, Für Nikita.
  • Polina Daschkowa, Nummer 5 hat keine Chance.
  • Polina Daschkowa, Keiner wird weinen.
  • Polina Daschkowa, Lenas Flucht.
  • Polina Daschkowa, Der falsche Engel.
  • Darja Donzowa, Ein Hauch von Winter.
  • Darja Donzowa, Spiele niemals mit dem Tod.
  • Darja Donzowa, Bis dass dein Tod uns scheidet.
  • Darja Donzowa, Nichts wäscht weißer als der Tod.
  • Darja Donzowa, Perfekt bis in den Tod.
  • Marek Halter, Die Geheimnisse von Jerusalem.
  • Elfi Hartenstein, Moldawisches Roulette.
  • Leonid Jusefowitsch, Im Namen des Zaren.
  • Andrej Kurkow, Picknick auf dem Eis.
  • Andrej Kurkow, Petrowitsch.
  • Andrej Kurkow, Ein Freund des Verblichenen.
  • Andrej Kurkow, Pinguine frieren nicht.
  • Anna Malyschewa, Tod in der Datscha.
  • Alexandra Marinina, Mit verdeckten Karten.
  • Alexandra Marinina, Tod und ein bisschen Liebe.
  • Alexandra Marinina, Auf fremdem Terrain.
  • Alexandra Marinina, Der Rest war Schweigen.
  • Alexandra Marinina, Die Stunde des Henkers.
  • Alexandra Marinina, Der gestohlene Traum.
  • Alexandra Marinina, Widrige Umstände.
  • Alexandra Marinina, Im Antlitz des Todes.
  • Alexandra Marinina, Mit tödlichen Folgen.
  • Viktoria Platowa, Die Frau mit dem Engelsgesicht.
  • Viktoria Platowa, Ein Püppchen für das Ungeheuer.
  • Tatjana Stepanowa, Der dunkle Hauch der Angst.
  • Tatjana Stepanowa, Der süße Duft des Blutes.
  • Bernhard Thieme, Russisch Roulette.
  • Sergej Ustinow, 12 Uhr Majakowski Platz, Hörbuch.
  • Tatjana Ustinowa, Blind ist die Nacht.
  • Robin White, Sibirische Tiger.
Weitere Rezensionen zum Thema "Tschetschenien":

  • Alexandra Cavelius, Die Zeit der Wölfe.
  • Natalija Geworkjan / Andrei Kolesnikow / Natalja Rimkowa, Aus erster Hand. Gespräche mit Wladimir Putin.
  • Elfie Siegl, Russischer Bilderbogen. Reportagen aus einem unbegreiflichen Land.
  • Lew N. Tolstoi, Hadschi Murat. Eine Erzählung aus dem Land der Tschetschenen.

Am 30.04.2003 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 19.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Der von einem Dummkopf gezogene Dolch ist gefährlicher als der Dolch eines Tapferen.
Sprichwort der Tschetschenen

 [  zurück  |  drucken  |  nach oben  ]