Belletristik REZENSIONEN | |||||
Dr. Lind - Poet des Bösen | |||||
Boris Akunin | Russe | ||||
Die Entführung des Großfürsten | |||||
Aus dem Russischen von Renate und Thomas Reschke
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2004, 428 S. | |||||
Der sehr spannende Krimi Die Entführung des Großfürsten
beginnt mit dem Tod des Stammlesern so ans Herz gewachsenen Erast
Petrowitsch Fandorin. "Sein Handwerk war das Risiko", sagt ein
Ermittler, "er hatte stets mit
der Gefahr gespielt, aber sonderbarerweise hätte ich nie gedacht, daß er
umkommen könnte. Ich hielt ihn für unsterblich." Ich auch!
Erast Fandorin, vierzig Jahre alt, rechtgläubig, Inhaber vieler Orden, Staatsrat im Ruhestand, war fast zehn Jahre lang Beamter für Sonderaufträge beim Moskauer Generalgouvernement; er klärte die unglaublichsten Kriminalfälle auf. "Ich hatte diesen Mann nicht gemocht. (...) Doch den Tod hatte ich ihm nicht gewünscht." Der das sagt, ist der Haushofmeister und treue Diener der Krone Arthanas Sjukin. Er ist nicht unmaßgeblich an der Aufklärung dieses Kriminalfalles beteiligt und erzählt die ganze spannende Geschichte in der Ich-Form als Rückblende, die mit dem 6. Mai 1894 beginnt. Als die Krönung des letzten russischen Zaren Nikolaus II. (im engsten Verwandtenkreis Nicky genannt) unmittelbar bevorsteht, werden bei einem Spaziergang durch den Park die Zarenfamilie und ihre Gäste - die hochherrschaftliche Verwandtschaft der Romanows - überfallen. Die französische Gouvernante Mademoiselle Déclic kann die Großfürstin Xenia Georgijewna retten, aber der vierjährige Mika, Großfürst Michail Georgijewitsch, wird entführt. Fandorin, der sich mit seinem japanischen Diener in der Nähe befindet, tötet einige der gemeinen Kidnapper. So wird er im Auftrage des Herrscherhauses gebeten, den Fall zu übernehmen und den kleinen Mika zu befreien. Als Anführer der Entführerbande gibt sich bald schon schriftlich ein Dr. Lind zu erkennen, den Fandorin bereits seit eineinhalb Jahren überall in der Welt verfolgt, ohne seiner habhaft zu werden. Fandorin erklärt dem Herrscherhaus, dass Dr. Lind der gefährlichste Verbrecher auf der Welt sei, auf allen möglichen Gebieten beschlagen, beherrsche er zahlreiche Sprachen. "Offensichtlich ist er verhältnismäßig jung, denn vor zehn Jahren wußte noch niemand von ihm. Wo er geboren wurde, ist unbekannt. (...) Er begann mit Überfällen auf Banken und Postwagen, später spezialisierte er sich auf Erpressung und Menschenraub. (...) Er ist ein eingefleischter Frauenhasser. In seiner Nähe gibt es keine Frauen, weder Geliebte noch Freundinnen. Seine Bande besteht ausschließlich aus Männern. Sie ist ( ...) eine Bruderschaft." Lind fordert in seinem Erpresserbrief zum Austausch des Großfürsten den Diamanten "Orlow", der das kaiserliche Zepter schmückt. "Ich biete Ihnen ein vorteilhaftes Tauschgeschäft an: den kleinen Prinzen mit einem Gewicht vom 10 Kilo gegen den kleinen Grafen "Orlow" mit einem Gewicht von 190 Karat. Bei Nichteinverständnis, "wird Ihnen der Prinz unverzüglich zugestellt. In Einzelteilen." Den Diamanten hatte Graf Orlow 1773 im Auftrag Katharinas der Großen in Amsterdam erworben. Er ist unermesslich kostbar, für die Romanows gilt er als Reliquie. Eine Krönung ohne den "Orlow" ist undenkbar. Fandorin, der wie alle weiß, dass der "Orlow" in der ganzen Welt bekannt ist und sich nicht verkaufen lässt, vermutet: "Wie ich ihn [Lind] kenne, ist das eine Erpressung, und zwar in größerem Maßstab, als es auf den ersten Blick scheint. Lind hat es auf die Krönung abgesehen, denn er weiß sehr genau, daß die Zeremonie ohne den `Orlow´ unmöglich ist. Und das Leben des Knaben ist ein Druckmittel. Lind will die Krönung vereiteln und Rußland und die Romanow-Dynastie vor aller Welt bloßstellen." Der Krimi schildert eine spannungsgeladene Verbrecherjagd, immer bangt man als Leser auch um den kleinen Mika von dem erst eine Locke, dann ein kleiner Finger im Herrscherhaus eintrifft. Ich möchte den sehen, der nicht erschauert, als der Großfürst Georgi Alexandrowitsch, der Vater von Mika - sich den engen Kragen lockernd - sagt: "Das Leben eines Großfürsten, auch das meines Sohnes, kann nicht über den Interessen der Monarchie und des Staates stehen." Dem "analytischen Gehirn" Fandorins (Ist er wirklich tot?) gelingt es nicht, Mika zu retten, "dafür ist die Ehre und die Reputation der Romanows gerettet". Und wer hinter Dr. Lind steckt - das ist eine echte Überraschung, obwohl alles ganz logisch ist... Wie immer übrigens entdeckte ich bei den Reschke-Übersetzern eine neue Wortschöpfung, die mir gefällt, diesmal: "pfiffelt" ein verdächtiges Subjekt ein unbekanntes Liedchen. | |||||
Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de
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Es gibt alles, sogar Henker mit einem Gewissen und Richter ohne. | |||||
Sprichwort der Russen |
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