Belletristik REZENSIONEN

Nonne mit göttlichen Ahnungen...

Russe
Pelagia und die weißen Hunde
Aus dem Russischen von Renate und Thomas Reschke
Wilhelm Goldmann Verlag, 2. Auflage, München 2003, 320 S.
 
Ist Akunin mit der ungewöhnlichen Ordensschwester Pelagia ein gleich guter Wurf gelungen wie mit seinem Ermittler Fandorin? Zugegeben, Pelagia ist mutig (Obwohl sie manchmal auch ganz schön ängstlich sein kann...), intelligent, schlagfertig (manchmal nahezu naseweis, was einer Ordensschwester nicht gerade geziemt...), tatkräftig, nicht leicht unterzukriegen; wenn es sein muss, ist sie unauffällig, wenn es angebracht ist, sieht sie, wegen der Ermittlungen verkleidet als Polina Lissizyna schmuck und verführerisch aus. Und das wichtigste: Sie ist kriminalistisch außerordentlich begabt, da kann sie mit dem charmanten Fandorin durchaus mithalten. Und dennoch: als Braut Christi und geistliche Tochter des Bischofs Mitrofani bleibt sie einem in ihrem Denken und Handeln oft fremd, wird man nicht richtig warm mit ihr.

Pelagia und die weißen Hunde spielt im Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Sawolshsk, einem russischen Provinzstädtchen. Auf Wunsch des Bischofs Mitrofani, dem eigentlichen Beherrscher des Gouvernements, reist die rotschopfige Nonne Pelagia - "keine Nonne, sondern ein sommersprossiges Missverständnis" - zur Generalswitwe Marja Afanassjewna Tatistschewa, um herauszufinden, welcher Schuft eine ihrer weißen Bulldoggen vergiftet hat; die Witwe ist des Bischofs Tante. Pelagias Ankunft am Ort des Verbrechens fällt mit der Anreise des Synodalinspektors Wladimir Bubenzows zusammen, der als Gesandter der Petersburger Kirchenbehörde nach Sawolshsk kommt. In seinem Gefolge befindet sich sein würdiger Sekretär (der nicht ganz so würdig bleibt...) Tichon Jeremejewitsch Selig. Sie haben einen anderen Fall aufzuklären - den grausamen Mord an zwei unbekannten Personen, einem Erwachsenen und einem Knaben, deren Leichen ohne Kopf aufgefunden wurden.

Pelagia ahnt, dass es zwischen den nunmehr drei vergifteten Hunden - "eine besondere nie da gewesene Rasse, der `weißen russischen Bulldogge´: ein Fell, weiß wie Milch, ein besonders platt gedrücktes Profil (...) und lange Haare um die Hängelefzen. Die hauptsächliche Besonderheit aber, die den ganzen Reiz ausmacht, ist das braune rechte Ohr bei durchweg weißem Fell. (...) Die Hunde sollen reichlich Speichelfluss haben. (...) Sie müssen krummbeinig sein und schwarz gesprenkelte rosa Nasen haben." - und den bisherigen und den folgenden Leichen eine geheime Verbindung gibt. Dieses Ahnen gehört für uns Weltliche zu Pelagias undurchschaubaren Gaben; denn darauf deutet zu jenem Zeitpunkt überhaupt nichts hin.

Boris Akunin (eigentlich: Grigori Tschchartischwili) versteht es durchaus, dichte Spannung zu erzeugen, seine Fandorin-Serie zeugt davon. Bei der Pelagia-Serie ("Pelagia und der schwarze Mönch" und "Pelagia und der rote Hahn") allerdings schweift er unentwegt und lange ab, zu unentwegt und zu lange: zu den Syten (ein in meinen Nachschlagewerken nicht auffindbares Volk, das "friedlich und folgsam und ugrischer Abstammung" sein soll), zu den Altgläubigen und zu den Tscherkessen  (als Wilde dargestellt, denen es auf einen Christenmenschen mehr oder weniger nicht ankommt...).

Bei dem Übersetzerpaar Reschke suche ich immer nach Wortneuschöpfungen. Diesmal entdeckte ich: Übelwoller, gähnenslangweilig und sichtbarlich...- "Natschalnik" ist sicher den meisten auch unübersetzt als "Vorgesetzter" bekannt. Aber womit fährt der "Anhänger des Fortschritts über die Wiese und erschreckt die Kühe"? Mit einem Veloziped (S.90). Wer weiß, dass dieses Schrecknis der Kühe ein Fahrrad ist? Wollen die Reschkes "Veloziped" wie z. B. Datscha "eindeutschen"?

B. Akunin (Bakunin!), 1956 im georgischen Tbilissi geboren, absolvierte die Moskauer Hochschule für Asien- und Afrikakunde. Er arbeitete fünfzehn Jahre lang als Redakteur bei der Moskauer Fachzeitschrift "Ausländische Literatur", die ausländische Romane, Geschichten, Essays rezensiert. Akunin verfasste wissenschaftliche Artikel und übersetzte japanische Romane ins Russische. 1998 veröffentlichte er mit "Fandorin" seinen ersten Kriminalroman. Angeblich fand er zur Kriminalliteratur, weil seine Frau und seine Mutter gerne "Groschenromane" lasen. Es sei ihnen jedoch peinlich gewesen, damit in der Metro gesehen zu werden. Akunin habe deshalb beschlossen, selber welche zu schreiben, allerdings unter einem Pseudonym, weil es (einst) unter russischen Intellektuellen als anrüchig galt, Kriminalromane zu schreiben.

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

 

Weitere Rezensionen zu "Kriminalliteratur":

  • Boris Akunin, Fandorin.
  • Boris Akunin, Türkisches Gambit.
  • Boris Akunin, Mord auf der Leviathan.
  • Boris Akunin, Der Tod des Achilles.
  • Boris Akunin, Russisches Poker.
  • Boris Akunin, Die Schönheit der toten Mädchen.
  • Boris Akunin, Der Magier von Moskau.
  • Boris Akunin, Die Entführung des Großfürsten.
  • Boris Akunin, Der Tote im Salonwagen.
  • Boris Akunin, Die Diamantene Kutsche.
  • Boris Akunin, Die Liebhaber des Todes.
  • Boris Akunin, Pelagia und der schwarze Mönch.
  • Boris Akunin, Pelagia und der rote Hahn.
  • Boris Akunin, Die Bibliothek des Zaren.
  • Boris Akunin, Der Favorit der Zarin.
  • Kristina Carlson, Das Land am Ende der Welt.
  • Sophia Creswell, Der Bauch von Petersburg.
  • Anna Dankowtsewa, So helle Augen.
  • Anna Dankowtsewa, Ein Haus am Meer.
  • Polina Daschkowa, Die leichten Schritte des Wahnsinns.
  • Polina Daschkowa, Club Kalaschnikow.
  • Polina Daschkowa, Russische Orchidee.
  • Polina Daschkowa, Für Nikita.
  • Polina Daschkowa, Nummer 5 hat keine Chance.
  • Polina Daschkowa, Keiner wird weinen.
  • Polina Daschkowa, Lenas Flucht.
  • Polina Daschkowa, Der falsche Engel.
  • Darja Donzowa, Ein Hauch von Winter.
  • Darja Donzowa, Spiele niemals mit dem Tod.
  • Darja Donzowa, Bis dass dein Tod uns scheidet.
  • Darja Donzowa, Nichts wäscht weißer als der Tod.
  • Darja Donzowa, Perfekt bis in den Tod.
  • Marek Halter, Die Geheimnisse von Jerusalem.
  • Elfi Hartenstein, Moldawisches Roulette.
  • Leonid Jusefowitsch, Im Namen des Zaren.
  • Andrej Kurkow, Picknick auf dem Eis.
  • Andrej Kurkow, Petrowitsch.
  • Andrej Kurkow, Ein Freund des Verblichenen.
  • Andrej Kurkow, Pinguine frieren nicht.
  • Anna Malyschewa, Tod in der Datscha.
  • Alexandra Marinina, Mit verdeckten Karten.
  • Alexandra Marinina, Tod und ein bisschen Liebe.
  • Alexandra Marinina, Auf fremdem Terrain.
  • Alexandra Marinina, Der Rest war Schweigen.
  • Alexandra Marinina, Die Stunde des Henkers.
  • Alexandra Marinina, Der gestohlene Traum.
  • Alexandra Marinina, Widrige Umstände.
  • Alexandra Marinina, Im Antlitz des Todes.
  • Alexandra Marinina, Mit tödlichen Folgen.
  • Viktoria Platowa, Die Frau mit dem Engelsgesicht.
  • Viktoria Platowa, Ein Püppchen für das Ungeheuer.
  • Viktoria Platowa, Die Diva vom Gorki-Park.
  • Tatjana Stepanowa, Der dunkle Hauch der Angst.
  • Tatjana Stepanowa, Der süße Duft des Blutes.
  • Bernhard Thieme, Russisch Roulette.
  • Sergej Ustinow, 12 Uhr Majakowski Platz, Hörbuch.
  • Tatjana Ustinowa, Blind ist die Nacht.
  • Robin White, Sibirische Tiger.

Am 13.09.2005 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 19.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Mit dem Fuß gestolpert, kommst du wieder zum Stehen,
mit der Zunge gefehlt, kann sein, du kommst nicht mehr auf die Beine.
Sprichwort der Tscherkessen

 [  zurück  |  drucken  |  nach oben  ]