Hörspiel
Aus dem Russischen von Rudolf Noelte
Sprecher: Julia Costa, Erwin Faber, Heini Göbel, Ernst Jacobi, Gertrud Kückelmann, Hans Mahnke, Evelyn Matzura, Cordula Trantow
Hörspielbearbeitung und Regie: Rudolf Noelte, Musik: Helmuth Löffler
Technik: Hans Greb und Michaela Sack, Produktion: Bayerischer Rundfunk 1971
Der Hörverlag, München 2003, 2 CDs, Laufzeit: etwa 130 Minuten. Mit Booklet.
(Rezensiert entsprechend dem Gästebuch-Eintrag von Franz Schön.)
Drei Schwestern, ein Drama in vier Akten, schrieb
Anton Tschechow im
Jahre 1900. Die Uraufführung fand am 31. Januar 1901 im
Moskauer
Künstlertheater statt (im Booklet steht falsch:1902). Gedruckt wurde das Werk zum
ersten Mal im Februarheft 1901 der Zeitschrift "Russkaja Mysl"
("Russischer Gedanke").
Bereits Anfang 1899 plante Tschechow für das
Moskauer Künstlertheater
ein neues Drama. Interessant sind dazu die sechsundvierzig Notizen Anton
Tschechows: Neben allerlei Details hat Tschechow einige für die Anlage
des Werkes grundlegende Gedanken aufgezeichnet, z. B. "Um zu leben, muß
man etwas haben, woran man sich hängt. In der Provinz arbeitet nur der
Körper, aber nicht der Geist." In einem Brief Tschechows an die
Schriftstellerin
Lydia Awilowa
heißt es: "In Jalta ist zauberhaftes Wetter, aber es ist langweilig wie
in der tiefsten Provinz (...) schreiben möchte ich überhaupt nicht, und
ich schreibe auch nichts." Dabei hat Tschechow doch die eigentliche
Arbeit an den Drei Schwestern in seinem Landhaus bei Jalta
vollbracht. Aus den Briefen an die
Schauspielerin
Olga Knipper, die er 1901 heiratete, lässt sich über den Inhalt der Arbeit wenig entnehmen.
Aber der Regisseur des
Moskauer Künstlertheaters Wladimir
Nemirowitsch-Dantschenko fasste zusammen: "Erster Akt: Namenstag, Frühling, Heiterkeit,
Vogelsingen, heller Sonnenschein. Zweiter Akt: Die Banalität gewinnt
nach und nach die Oberhand über die edel empfindenden Menschen. Dritter
Akt: ein Brand in der Nachbarschaft, die ganze Straße in Feuer; die
Macht der Banalität dringt tiefer ein, die Menschen taumeln in ihrem
Erleben hin und her. Vierter Akt: Herbst, Zusammenbruch aller
Hoffnungen, Triumph der Banalität."
Maxim Gorki äußerte sich 1915, dass Tschechow es in hohem Maße
verstand, das Triviale im Leben zu erkennen und zu schildern. Das
Triviale? Das Banale? Einsamkeit, Desillusionierung und die Suche nach
dem Sinn des Lebens stehen bei Tschechow meist im Mittelpunkt, auch in
den Drei Schwestern. Die Drei Schwestern sind
Mascha, Olga und Irina. Die komplizierte Mascha, die als einzige der
Schwestern verheiratet ist, spricht Gertrud Kückelmann, Olga, die
Älteste der Schwestern, Evelyn Matzura, Irina, die Jüngste, arbeitend in
einem Telegraphenamt, Cordula Trantow; seit Bernhard Wickis Film "Die
Brücke" spielte sie in über einhundertfünfzig Rollen bei Film, Fernsehen und Theater.
Cordula Trantow war jahrzehntelang mit dem Regisseur dieses Hörspiels,
mit Rudolf Noelte, verheiratet. (Noelte führte auch Regie bei dem
Hörspiel "Der Kirschgarten" von Anton Tschechow.)
Alle drei Schwestern wünschen sich nichts sehnlicher, als nach
Moskau
umzuziehen, nur dort meinen sie, lasse sich ihr Leben verwirklichen.
Also: Nach Moskau, nach Moskau...
Das Hörspiel Drei Schwestern kommt mit wenig Zutaten aus: ein
bisschen Klavierspiel, Türenklappern, Schritte, Gesumm, das scheppernde Zerschellen einer Uhr, eine singende Kinderfrau, eine
Harmonika, Weinen... Stanislavskij, Direktor des Moskauer
Künstlertheaters, pflegte Uhrenschlagen, Klingeln, Schellengeläut, ja
sogar Grillenzirpen einzusetzen. Er wollte, dass man echte Hunde bellen
höre, um so einen Eindruck von Wirklichkeit zu erwecken. Čechov fand
diese Geräusche alle absurd. Besonders absurd fand er das echte
Hundegebell. Er meinte: "Das ist, als würdet ihr auf einem gemalten
Porträt eine echte Nase anbringen."
Es macht sich gut, das Hörspiel mitzulesen; denn
die drei Schwestern klingen stimmlich so ähnlich, dass sie schwer zu
unterscheiden sind. Ernst Jacobi spricht Andrej Prosorow, den Bruder der
Drei Schwestern; wir kennen ihn schon aus dem "Kirschgarten". Natascha,
seine Frau, die bald schon den Schwestern das häusliche Zepter aus der
Hand nehmen wird, spricht Julia Costa. Sprachlich am meisten beeindrucken
Ferapont, der Amtsdiener (gesprochen von Erwin Faber) und
Iwan Romanowitsch Tschebutykin, der Militärarzt (gesprochen von Hans Mahnke).
Vergleicht man die Übersetzung der Drei Schwestern von Peter
Urban (Gesammelte Stücke, Diogenes Verlag, Zürich 2003) mit der
von Rudolf Noelte (Hörspiel), so fällt auf, dass sie sich sehr
voneinander unterscheiden. Sicherlich hat Noelte bei seiner Übersetzung
stets daran gedacht, dass Tschechows Worte gesprochen werden. Aber wie
kommt es zu solchen Unterschieden: Im Buch bittet Natascha Olga nach
unten zu ziehen, im Hörspiel soll sie nach oben ziehen; nennt Maschas Mann Kulygin
Irina Schwester, so nennt er sie im Hörspiel Schwägerin; fährt Natascha
im Buch eine halbe Stunde spazieren, so ist sie im Hörspiel nach
einer Stunde wieder da...
Am 23. August 1900 schreibt Tschechow an Olga Knipper: "Ich schreibe
das Stück (gemeint ist Drei Schwestern), fürchte jedoch, daß es
langweilig wird." Und Lydia Awilowa erzählt, wie sie, von einem
Krankenbesuch bei Tschechow kommend, Lew Tolstoi trifft. Der
wusste schon, dass Tschechow krank ist und versprach, "gleich morgen
gehe ich ihn besuchen". Die Awilowa, erfreut darüber, dass ihn
Tolstoi
besuchen wird, versichert ihm, dass ihn Tschechow sehr mag. Darauf
Tolstoi: "Ich mag ihn auch sehr, aber ich verstehe nicht, wozu er Stücke
schreibt." Tolstoi liebte Tschechows Erzählungen, aber seine Stücke
fand er entsetzlich. Einmal sagte er zu Tschechow: "Wissen Sie,
Shakespeare hat schon abscheulich geschrieben, und Sie noch viel
schlimmer."
Tschechows Stücke hatten nicht immer gleich großen Erfolg. Viel hing
vom Theater und von den Schauspielern ab. Drei Schwestern hat Tschechow speziell für das
Moskauer Künstlertheater geschrieben. Er
berücksichtigte die künstlerischen Begabungen jedes einzelnen
Schauspielers. Maria Tschechowa schreibt in ihren
"Erinnerungen": "Die Sawizkaja spielte die Olga, die Knipper die Mascha,
die Andrejewna die Irina und die Lilina die Natascha.(...) Sehr, sehr
interessant. Das Stück ist wundervoll. Gut inszeniert (...). Für die
nächsten sechs Vorstellungen gibt es keine Karten mehr." Und Tschechow
selbst sagte, als er nach
Moskau kam: "Die Drei Schwestern sind
großartig, glanzvoll, weitaus besser als die geschriebene Vorlage. Ich
habe ein bisschen als Regisseur eingegriffen und dem einen oder anderen
meinen Autorenstandpunkt eingeflößt..."
Es hat Spaß gemacht, die Drei Schwestern wieder einmal zu
lesen. Aber: Im "Kirschgarten" und der "Möwe" geht´s flotter voran...
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- Anthologie, Märchen-Samowar, (Darin: Nikolaj
Gogol, Der Jahrmarkt von Sorotschinzy; Anton Tschechow, Kaschtanka;
Nikolaj Gogol, Die Nase; Alexander Puschkin, Das Märchen vom Zaren Saltan.),
Kinderbuch.
- Lydia Awilowa, Tschechow, meine Liebe. Erinnerungen.
- Jean Benedetti (Hrsg.), Mein ferner lieber Mensch. (Liebesbriefe von Anton Tschechow und Olga Knipper)
- Iwan
Bunin, Liebe und andere Unglücksfälle.
- Iwan
Bunin, Mitjas Liebe.
- Ivan
Bunin,
Čechov
(Tschechow). Erinnerungen eines Zeitgenossen.
- Anton Čechov (Tschechow), Ein unnötiger Sieg.
- Anton Čechov (Tschechow), Freiheit von Gewalt und Lüge.
- Anton Čechov (Tschechow), Zwei Erzählungen. (Die Dame mit dem Hündchen/Rothschilds Geige), Hörbuch.
- Anton Čechov (Tschechow), Kaschtanka und andere Kindergeschichten. (Ein Hund, ein Ganter, ein Schwein, ein paar Katzen,
ein Pferd, eine
Wölfin, ein Welpe...)
- Fjodor Dostojewskij (Dostojewski), Meistererzählungen.
- Fjodor Dostojewski (Dostojewskij), Der Spieler, Hörbuch.
- F. M. Dostojewski
(Dostojewskij), Meistererzählungen, Hörbuch. (Polsunkow/Der kleine Knabe "mit dem Händchen"/Der kleine
Knabe am Weihnachtsabend beim Herrn Jesus). - Nikolaj Gogol, Die Nase,
Kinderbuch.
- Nikolaj Gogol, Petersburger Geschichten.
- Gogols Petersburger Jahre, Gogols Briefwechsel mit Aleksandr Puškin
(Alexander Puschkin).
- Nikolaj Gogol, Meistererzählungen.
- Ivan Gončarov (Iwan Gontscharow), Die Schwere Not.
- Iwan Gontscharow
(Ivan Gončarov), Oblomow.
- Iwan Gontscharow (Ivan Gončarow),
Für den Zaren um die halbe Welt.
- Kjell Johansson, Gogols Welt.
- Wolfgang Kasack, Dostojewski. Leben und Werk.
- Alexander Kuprin, Die schöne Olessja. Eine Liebesgeschichte aus dem alten Rußland.
- Nikolai Leskow, Der Gaukler Pamphalon.
- Vladimir Odoevskij, Prinzessin Mimi / Prinzessin Zizi.
- Aleksandr Puškin (Alexander Puschkin), Das einsame Häuschen auf der Basilius-Insel.
- Alexander Puschkin (Aleksandr Puškin),
Pique Dame, Hörbuch.
- Lew N. Tolstoj, Hadschi Murat. Eine Erzählung aus dem Land der Tschetschenen.
- Leo Tolstoj, Anna Karenina, Hörbuch.
- Anton Tschechow
(Čechov), Kaschtanka.
- Anton Tschechow
(Čechov), Der Kirschgarten, Hörbuch.
- Anton Tschechow (Čechov), Drei Schwestern, Hörbuch.
- Anton Tschechow
(Čechov), Von der Liebe, Hörbuch.
- Maria Tschechowa, Mein Bruder Anton Tschechow
- Gustave Flaubert / Ivan Turgenjev, Eine Freundschaft in Briefen, Hörbuch.
- Ivan Turgenev, Aufzeichnungen eines Jägers.
- Ivan
Turgenev, Rätsel-Spiele.
- Ivan
Turgenev, Klara Milič.
Am 16.12.2004 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am
26.11.2019.
Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |