Kaschtanka war während meiner Schulzeit Pflichtlektüre.
Seitdem habe ich der rotbraunen Kreuzung aus Dackel und Hofhund, deren
Schnauze stark an einen Fuchs erinnert, meine Liebe bewahrt. Als ich nun
diese anrührende Geschichte von Anton Tschechow (1860-1904) wieder las,
war ich doch überrascht, wie viele Einzelheiten ich vollkommen
vergessen oder als Kind nicht richtig zur Kenntnis genommen hatte...
Die kleine Hündin Kaschtanka verliert in der großen Stadt an einem sehr
kalten, verschneiten russischen Wintertag ihren Herrn, den Tischler Luka Aleksandritsch. Vor Kälte und Angst zitternd, findet ein Zirkusclown den
kleinen Hund und nimmt ihn mit nach Hause. Dort leben schon ein Ganter,
ein weißer Kater und ein schwarzes Schwein. Ihnen allen bringt der
kleine dicke Clown Zauberkunststücke bei. Zu Kaschtanka ist er
freundlich, gibt ihr ordentlich zu fressen und schnauzt sie kein
einziges Mal an. Als der Ganter stirbt, soll auch sie als Artistin
auftreten. Statt des Ganters muss nun Kaschtanka, die jetzt Tjotka (Tante/Tantchen) heißt, bei der ägyptischen Pyramide
mitarbeiten. Kaschtanka ist glücklich, es macht ihr alles großen Spass -
sie sei ein Talent, sagt ihr neuer Herr. Dann ist es soweit: Tantchens
erster Auftritt. Doch kaum ist sie auf der Bühne, da ruft ein Kind aus
dem Publikum: "Vater, das ist doch Kaschtanka!" Kaschtanka erkennt die
Stimme von Fedjuschka, dem kleinen Sohn des Tischlers Aleksandritsch. Ohne sich lange
zu besinnen, stürzt sie dahin, woher die Stimme kam und: kehrt zu ihrem
ersten Herrn und dessen Sohn zurück - obwohl Fedjuschka sie sehr oft
geärgert hat, und Luka, der Tischler, ihr wenig zu fressen gab und sie
oft anschnauzte, vor allem wenn er betrunken war. Kaschtanka hatte
sich bei ihrem neuen Herrn wohl gefühlt, aber ein bisschen hat sie sich
doch immer nach dem Geruch von Leim, Lack und Spänen gesehnt...
Kaschtanka schrieb Tschechow 1887, sieben Jahre später
"Weißstirnchen", eine kleine Geschichte von einem Hundewelpen und einer
alt gewordenen Wolfsmutter. In "Kaschtanka" und in "Weißstirnchen" wird
"die Welt mit den Augen einer Hündin oder mit den Augen eines Wolfes
betrachtet: es sind junge, unvorbereitete, neugierige, tief erstaunte
Augen", schreibt Natalia Ginzburg, "ganz selbstvergessen damit
beschäftigt, die tausend seltsamen Seiten der Welt zu entdecken und zu
belauern, ihre tausend Ungereimtheiten und Verstiegenheiten, die tausend
unvorhersehbaren und bunten Formen, die der Zufall annehmen kann, und
die Gewohnheiten der anderen Tiere und die der Menschen. Das ist die
Größe Čechovs: sich in die verschiedensten Wesen hineinversetzen zu
können, seien es Hunde oder Wölfe oder Männer oder Frauen: und die Welt
kann sich ihren Augen freundlich oder feindlich, liebevoll oder
schrecklich zeigen, stets ist sie so seltsam, daß der suchende Blick vor
allem verwundert ist."
"Kaschtanka" und "Weistirnchen" sind Tschechows
einzige Geschichten für Kinder. Als der Dichter die beiden Werke an eine pädagogische Musterbibliothek schickte, bemerkte er in dem
Begleitbrief (vom 21. Januar 1900): "(...) die sogenannte
Kinderliteratur liebe ich nicht, und ich erkenne sie nicht an. Kindern
muß man das geben, was sich auch für Erwachsene eignet... Man muß nicht
für Kinder schreiben, sondern es verstehen, aus dem, was bereits für die
Erwachsenen geschrieben ist, das Richtige, das heißt echte Kunstwerke,
auszuwählen."
Von dem bewährten Team Gennadij Spirin und Sybil Gräfin
Schönfeldt gibt es bereits das rundum schöne
Kinderbuch "Die kleine schwarze Henne".
Auch Kaschtanka ist geschickt nacherzählt.
Obwohl sehr stark gekürzt - schließlich ist Kaschtanka ein
Bilderbuch -, hat man nicht den Eindruck, dass Wesentliches fehlt, was
zeigt, dass sich die Nacherzählerin mit dem Text
Tschechows sehr
intensiv beschäftigt hat; an einigen Stellen lässt sie
Tschechow auch
selbst zu Worte kommen. Die Illustrationen von Gennadij Spirin - 1948 bei
Moskau geboren, heute in den USA lebend - sind für Kinder wie für
Erwachsene gleichermaßen ein Genuss. Sind die ersten Bilder in ziemlich
dunklen Tönen gehalten, werden sie im Verlaufe der Geschichte immer
heller und dann ganz bunt-farbig, wenn der in malerische Farben
gewandete Clown seinen Auftritt hat. Ich wüsste keinen Illustrator, der die Welt im
Russland der Zarenzeit besser darstellen könnte... Und Kaschtanka ist Härchen um Härchen so liebevoll gezeichnet, dass man
versucht ist, ihr im Buch das rotbraune Fell zu streicheln...
Übrigens: Tschechow, zeitlebens ein Liebhaber des Zirkus, setzte mit der
Erzählung Kaschtanka dem Artisten, Clown und Begründer der
Tierdressur A. L. Durov ein Denkmal. Allerdings ist Durov ein kleiner,
dicker Mann nur in Tschechows Erzählung, in Wahrheit war er ein
außerordentlich gut aussehender Herr, den man in dem wunderschönen Band
"Anton Čechov - Sein Leben in Bildern", Diogenes Verlag Zürich,
begucken kann.
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- Tschingis Aitmatow, Akbara und andere Märchen. (Eine Meerkatze.)
- Wolfdietrich Schnurre / Aljoscha Blau, Die Maus im Pozellanladen. (Ein
Elefant und eine Maus.)
- Sonja Bougaeva, Meine kleine Kitzelkatze. (Eine Katze und ein Vogel.)
- Anton Čechov (Tschechow), Kaschtanka und andere Kindergeschichten. (Ein Hund, ein Ganter, ein Schwein, ein paar Katzen,
ein Pferd, eine
Wölfin, ein Welpe...)
- Antony Pogorelskij, Die kleine schwarze Henne. (Ein Huhn.)
- Wladimir Sutejew, Lustige Geschichten.
(Ein Küken, ein Entlein, Kätzchen, eine Ameise, ein
Schmetterling, eine Maus, ein Spatzenjunges u. v. a. Tiere)
- Wladimir Sutejew, Fröschlein, Bär und Ziegenbock. (Und viele, viele Tiere mehr.)
- Ukrainisches Volksmärchen "Der Handschuh". (Eine Maus, ein Frosch,
ein Hase, ein Fuchs, ein Wolf, ein Eber und ein Bär.)
- Eduard Uspenski, Väterchen Fjodor, der Kater & der Hund. (Ein Kater, ein Hund, eine Kuh,
ein Kälbchen und eine Dohle.)
- Eduard Uspenski, Krokodil Gena und seine Freunde. (Ein Krokodil, ein
Hund, eine Ratte, ein Löwe, eine Giraffe, ein Affe, ein Nashorn.)
- Alexander Wolkow, Die Reise nach Smaragdenstadt. (Ein Hund und ein
Löwe.)
- Alexander Wolkow, Goodwin, der große und schreckliche Zauberer. (Ein Hund, ein Löwe, Wölfe, Krähen, Affen.)
- Alexander Wolkow, Das Geheimnis des goldenen Hutes. (Ein Hund, ein
Löwe, Affen, Feldmäuse.)
- Alexander Wolkow, König Urfin und seine Holzsoldaten. (Eine Eule, ein Bär und Krähen.)
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- Anthologie, Märchen-Samowar,
(darin: Nikolaj Gogol, Der Jahrmarkt von Sorotschinzy;
Anton Tschechow, Kaschtanka;
Nikolaj Gogol, Die Nase;
Alexander Puschkin, Das Märchen vom Zaren Saltan). - Anton Čechov (Tschechow), Kaschtanka
und andere Kindergeschichten.
- Nikolaj Gogol, Die Nase, Kinderbuch.
- Antony Pogorelskij,
Die kleine schwarze Henne.
- Sergej Puschkin, Das Märchen vom Zaren Saltan.
- Leo Tolstoj, Philipok.
- Anton Tschechow, Die Jungen.
- Anton Čechov (Tschechow), Kaschtanka und andere Kindergeschichten.
Weitere Rezensionen zur Person des russischen Zeichners "Gennadij Spirin":
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- Anthologie, Märchen-Samowar, (Darin: Nikolaj Gogol, Der Jahrmarkt von
Sorotschinzy; Anton Tschechow, Kaschtanka;
Nikolaj Gogol, Die Nase;
Alexander Puschkin, Das Märchen vom Zaren Saltan.).
- Anton Čechov (Tschechow), Kaschtanka und andere Kindergeschichten.
- Julie Andrews Edwards / Emma Walton Hamilton, Simeons Geschenk.
- Antony Pogorelskij, Die kleine schwarze Henne.
- Leo Tolstoj, Philipok.
- Sergej Puschkin, Das Märchen vom Zaren Saltan.
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Am 30.04.2003 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am
27.11.2019.
Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |