Belletristik REZENSIONEN

Ein sinnlos reiches Leben für sinnlos reiche Russen

Russin
Babuschkas Töchter
Aus dem Russischen von Margret Fieseler
Diana Verlag, München 2006, 4. Auflage, 320 S.
 
Welche Stadt ist die zweitteuerste Stadt  Europas? Welche europäische Metropole beherbergt dreiunddreißig Dollar-Milliardäre* und etwa dreißigtausend Millionäre**? Moskau***! Eine Antwort, die ich mir - als ich einst als FREIE WELT-Journalistin kreuz und quer durch die Sowjetunion reiste - nicht im Traum hätte vorstellen können.

Mit Oksana Robski haben die (reichen) Neuen Russen eine Chronistin gefunden. In ihrem Roman Babuschkas Töchter ("Wir werden die erste Generation von glücklichen alten Frauen in Moskau. So wie wir die erste Generation von reichen, jungen Frauen sind.") schreibt sie über die russische Geldelite, über viel Luxus, "über Mord. Blondinen und Liebeskummer." Die Robski ist Mitte dreißig und "zu scheu, um wahr zu sein" ("Spiegel" 17/06). Bisher hatte sie drei Ehemänner: Den ersten hat sie selbst verlassen: "Eine Jugendsünde." Der zweite wurde unter mysteriösen Umständen erschossen. Den dritten - einen Deutschen - musste sie - die Brünette - an eine Blondine abtreten. Um trotzdem weiter im Luxus leben zu können, halfen ihr diese Geschäftsideen - Motto: Ein sinnlos reiches Leben für sinnlos reiche Russen: Sie importierte trendige Ethnomöbel, gründete die Agentur "Nikita" für weibliche Bodyguards und eine Firma, die Hausmädchenuniformen herstellte. Inzwischen hat sie auch eine eigene Krokodilleder-Handtaschenkollektion entworfen und heute besitzt sie einen Verlag, in dem sie auch ihre eigenen Bücher herausbringt. Ihr Ruhm als Autorin brachte ihr eine TV-Show ein. "Wenn ich ganz ehrlich bin", so Oksana Robski in einem Interview, "wäre ich lieber von einem Mann abhängig, als das ganze Geld selbst zu verdienen."

Inzwischen kann sie es sich leisten (nur vom selbstverdienten Geld?) in der "Rubljowka" zu wohnen: eine dreißig Kilometer lange Chaussee voller slawischem Luxus. Früher war die "goldene Meile" Moskaus mit den Datschen der sowjetischen Nomenklatura gesäumt und noch früher von den Landhäusern der Aristokraten. Zu den mit hohen Mauern umgebenen Häusern, die hier zum Verkauf angeboten werden, gibt es (tatsächlich) einen Hubschrauber gratis dazu! "An der Rubljowka", schreibt der "Spiegel", "wohnen Raubtier-Kapitalisten, die gern Politik machen, und Politiker, die die Oligarchen gern zähmen würden, direkt nebeneinander." Zweimal am Tag ist die Chaussee blockiert, dann nämlich fährt Präsident Putin - den Elena Tregubova in ihrem Buch "Die Mutanten des Kreml" sehr schlecht aussehen  lässt -  von seinem  Haus an  der "Rubelstraße" zum Regieren in den Kreml. In der "Rubljowka" sitzt das richtig große Geld. Gas-Geld. Öl-Geld. (Die 250 000 Euro, die der deutsche Ex-Kanzler kassiert, hier wäre das ein Trinkgeld.)

Die Villa des einst reichsten Mannes Russlands, des Ölmilliardärs Chodorkowskij, zur Zeit in einem sibirischen Straflager, ist das größte und schönste Haus am Ort, gestaltet im englischen Tudorstil.  Ein paar Häuser weiter wohnt Oksana Robski in ihrer 850-Quadratmeter-Villa, verbarrikadiert wie alle, nicht nur weil sie Angst davor hat, dass ihre neunjährige Tochter entführt werden könnte. Im Buch schreibt sie: "Ich spüre, wie mich alle Verkehrspolizisten hassen. (...) In unserem Dorf [Schukowka] ist jede Frau irgendwessen Enkelin oder Ehefrau."

Wenn Oksana Robski - jung, schön, reich --- Witwe - in ihrem Buch das Luxusleben der Neuen Russen beschreibt, so  weiß sie, wovon sie schreibt; denn sie gehört dazu. Mit wenigen Abweichungen ist Babuschkas Töchter ein autobiographischer Roman mit viel Komik und einigem Sprachwitz, sozusagen ein Blick durchs Schlüsselloch auf die russische Oligarchie. Das Buch ist die erste Selbstdarstellung der Tussowka, der Szene, deren Alltag bisher ähnlich geheim war wie einst das Privatleben der sowjetischen Nomenklatura. Dumm nur, dass die Ich-Erzählerin im Buch - und im wirklichen Leben? - für fünfzigtausend Dollar auf die verhängnisvolle Idee kommt, den Mörder ihres Mannes ausfindig zu machen. Statt weiter mit ihren Freundinnen Champagner - die Flasche zu 560 Dollar - zu schlürfen, Pasta mit weißen Trüffeln das Gramm zu dreißig Dollar zu spachteln, über die neuesten Lover der Freundinnen und deren Schönheitsoperationen zu diskutieren ("Unter uns gab es vier operierte Nasen, sechs Fettabsaugungen, zwei Lidstraffungen und fünf Korrekturen der Lippenform. Insgesamt waren wir zu zwölft.") und auf der teuersten Einkaufsstraße von Moskau zu flanieren, ist sie jetzt auf der Flucht vor Verbrechern...

Babuschkas Töchter provozierte in Russland (verständlicherweise) Sozialneid. Die Zeitung "Nowye Iswestija" (Neue Nachrichten) befragte ihre Leser, welche Bücher für Russland am gefährlichsten seien. Auf Platz eins kam "Mein Kampf", dicht gefolgt von "Das Kapital" und sehr bald darauf nannten die befragten Russen Babuschkas Töchter, weil Robski "Unterschlagung und eine unordentliche Lebensweise" propagiere. Von mir sei hinzugefügt, dass es neben dem russischen Wildwestkapitalismus mit seinen reichen Gewinnern bitterarme Verlierer gibt. Gegenwärtig lebt jeder fünfte Russe unter dem Existenzminimum. Und das in einem Land, in dem der Unterhalt einer Barbiepuppe teurer ist als der eines Kindes. Robski: "Das Porzellanservice für Barbie kostet nur unwesentlich weniger als mein echtes Meißner."

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

     * Insgesamt leben in Russland 61 Milliardäre (2007), damit nimmt Russland den 3. Platz in der Nationenwertung ein. -  Der Multimilliardär Roman Abramowitsch (40) ließ sich im März 2007 von seiner Frau (39) scheiden - für 1,5 Milliarden Trennungsgeld plus Unterhalt für sechs gemeinsame Kinder. Abramowitsch (Sein Vermögen wird auf 21 Milliarden Dollar geschätzt) ist Gouverneur von Tschukotka, er kaufte sich 2003 den englischen Fußballclub Chelsea. - Am 02.04.07 berichtet die "Berliner Zeitung", dass "der Hai" Oleg Deripaska (39 - mit geschätzten 21,2 Milliarden Dollar) der reichste Mann Russlands sei; er - der Jüngste in der Riege der Milliardäre - ist zum größten Aluminium-Produzenten der Welt aufgestiegen.

    ** Sergej Eisenstein (1898-1948) schreibt in seinen Memoiren "YO. Ich selbst" 1939 über Millionäre: "Ein Millionär... Einen richtigen, lebendigen Millionär zu begegnen ist für uns [Russen] fast genauso spannend wie einer lebendigen Rothaut aus einem Roman von Fenimore Cooper, ein wandelnder Anachronismus - ein lebendiger König, eine verirrte Najade, ein vor eine Droschke gespannter Zentaur. - So sehr ist der Begriff Millionär für uns ein Bücherbegriff , etwas in seinem physischen Dasein Abstraktes."

  *** In Oksana Robskis zweitem Roman über die moskowitische Society (bisher nur Russisch erschienen) geht es um eine Ehekrise in der "Rubljowka": Ein junger Geschäftsmann verlässt seine Gattin, weil sie zu viel Kokain konsumiert. Sie kokst weiter, zieht durch die Clubs, hat Lover, macht eine Agentur für weibliche Bodyguards auf, kokst weniger, befreit mit ihren Leibwächterinnen den Liebhaber ihres schwulen Schwiegervaters aus der Hand tadshikischer 2 Kidnapper, hört mit dem Kokain auf. Nach einer Kerzenwallfahrt durch die Kirchen im Umland kehrt ihr Mann - Happy End - zu ihr zurück.

 

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  • Alexander Ikonnikow, Taiga Blues.
  • Grigori Pasko, Die rote Zone. Ein Gefängnistagebuch.
  • Grigori Pasko, Honigkuchen. Anleitung zum Überleben hinter Gittern.
  • Anatoli Pristawkin, Ich flehe um Hinrichtung.
  • Elena Tregubova, Die Mutanten des Kreml. Mein Leben in Putins Reich.
  • Wladimir Tutschkow, Der Retter der Taiga.

Ins Netz gestellt am 06.03.2007. Letzte Bearbeitung am 24.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Wer zahlt, darf auch die Musik bestellen.
Sprichwort der "Neuen" Russen
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