Sachbuch REZENSIONEN

Wechselfälle der Zeit im Spiegel zweier Persönlichkeiten

Über die Russen Majakowski und Eisenstein
Wladimir Majakowskij und Sergej Eisenstein
EVA Duographien, Herausgegeben von  Klaus Schröter, Band 11
Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2000, 171 S.

Die Biographie beschreibt das Leben eines Menschen so vollkommen wie möglich, die Monographie stellt eine Persönlichkeit mit dem Ziel einer möglichst allseitigen Beurteilung dar. Und die Duographie? Da findet sich eine Erklärung im vorliegenden Buch. Danach strebt eine Duographie an, die unendlichen Möglichkeiten und Wechselfälle der Zeit im Spiegel zweier Persönlichkeiten festzuhalten.

Die Duographie - eine wiederholte Spiegelung? Interessant! Ein wenig erinnert mich dieses Genre an die im Fischer Taschenbuch Verlag erscheinende Buchfolge "GegenSpieler", in der zwei Persönlichkeiten gegenübergestellt werden.

Bei vorliegender Duographie handelt es sich um zwei Persönlichkeiten, die im selben Land gelebt haben: um den Dichter Wladimir Majakowski (1893-1930) und den Filmregisseur Sergej Eisenstein (1898-1948) - zwei Künstler, die die russischen avantgardistischen Künste in den frühen zwanziger Jahren revolutionierten. Es gibt weitere Gemeinsamkeiten: Beide waren nie Mitglied der kommunistischen Partei, beide bekannten sich bis an ihr Lebensende zur Oktoberrevolution, obwohl beide durch die bornierte Kulturpolitik außerordentlich eingeengt, später kaltgestellt wurden, beide waren außerordentlich egozentrisch - und verletzlich, beide galten als wahre Arbeitstiere, beide begingen Selbstmord, der eine siebenunddreißig Jahre alt, mit einem Schuss ins Herz, der andere - er hatte einen angeborenen Herzfehler - arbeitete sich seit seinem achtundvierzigsten Lebensjahr gewollt zu Tode. (Eisenstein schrieb seine unvollendet gebliebenen Memoiren "YO" wie in einem "Bewusstseinsstrom"); er starb mit fünfzig. (In Tatjana Kuschtewskajas "Mein geheimes Russland" stellt sich dieser Abschnitt von Sergej Eisensteins Leben ganz anders dar...) Damit hören die Gemeinsamkeiten zwischen Majakowski und Eisenstein aber auch schon auf.

Majakowski, der um fünf Jahre Ältere, hat (trotz seiner von ihm verschwiegenen adeligen Herkunft) nach dem plötzlichen Tod des Vaters bittere Armut kennen gelernt, Eisenstein wuchs in großbürgerlichem Ambiente auf. Der eine gab sich mit Zylinder und grellgelber Jacke gern als Haudegen, der andere, stets tadellos gekleidet, war von gebildetem und untadeligem Auftreten. Majakowski liebte die Frauen, besonders eine, von der er sich innerlich nie trennte, Eisenstein war homosexuell, außerdem werden ihm sadistische und masochistische Züge nachgesagt. Seine Freude an Brutalitäten spiegeln auch seine Filme*, auch sein "Panzerkreuzer Potjomkin" - einer der berühmtesten Filme aller Zeiten. Der Russe Wladimir Majakowski und Sergej Eisenstein, deutsch-jüdischer Abstammung, kannten und schätzten sich, Freunde wurden sie nicht.

Schon Plutarch schrieb eine "Parallelbiographie", in der er die Helden Roms und Griechenlands miteinander verglich. Doch warum spannte Elsbeth Wolffheim - sie studierte Germanistik und Slawistik - den Versemacher und den Filmemacher in einer Duographie zusammen? Hatte Majakowski aus letztlich unerfüllter Liebe und aus kulturpolitischer Verzweiflung bereits 1930 den Freitod gewählt, so starb Eisenstein durch seinen "Suizid auf Raten" erst achtzehn Jahre später. In diesen fast zwei Jahrzehnten ging es, schon nicht mehr unter Lenin, aber noch immer unter Stalin erst richtig zur Sache. Da wird 1934 die Homosexualität kriminalisiert: sie bringt dem "Schuldigen" acht Jahre Lagerhaft. (Im selben Jahr heiratete Eisenstein - wohl als Schutzmaßname - seine Haushälterin und "Bürodame".) Da erfolgen die fürchterlichen Schauprozesse, auch Freunde und Bekannte Eisensteins verschwinden, werden erschossen. Da wird 1939 der Hitler-Stalin-Pakt geschlossen, in dessen Zusammenhang Eisenstein von Stalin beauftragt wird, die "Walküre" zu inszenieren - von Hitlers Leib- und Magen-Komponisten Richard Wagner. (In deutschen Presseveröffentlichungen jener Zeit wird der weltberühmte Name Eisenstein einfach verschwiegen.) Gerade erst war Eisensteins Film "Alexander Newski" aus dem Verkehr gezogen worden, weil das Thema - der Kampf eines russischen Fürsten gegen Deutsche - nun tabu ist, auch wenn´s aus dem 13. Jahrhundert stammt. Da findet der blutige zweite Weltkrieg statt, in dem die Deutschen nun doch wieder die Feinde sind. Mitten im Krieg bekommt Eisenstein von Stalin den Auftrag, einen Film über Iwan Grosny zu drehen. Dieser Zar hatte im 16. Jahrhundert das russische Land geeint und eine absolutistische Monarchie installiert. Obwohl Eisenstein versteht, dass der Diktator in der Figur des Zaren sein eigenes Spiegelbild verewigt sehen möchte, nimmt er diese Arbeit an. Da ist seit 1930 nichts mehr mit Parallelität zwischen Majakowski und Eisenstein, da gibt es keine Wechselfälle derselben Zeit im Spiegel zweier Persönlichkeiten mehr. Da kann die Autorin nur immer mal wieder die rhetorische Frage stellen, ob Majakowski auch um die Macht herumgetänzelt wäre, ob er genau so opportunistisch gekatzbuckelt hätte, ob er die Auftragsarbeiten Stalins ebenso widerspruchslos ausgeführt hätte. (Widerspruchslos? Jüngst las ich von Simon Sebag Montefiore "Stalin. Am Hof des roten Zaren". Da entdeckte ich, dass Berija an Stalin Abhörprotokolle und Spitzelberichte aus den befreiten Gebieten lieferte, die Stalin aufmerksam studierte. Unter anderem erfuhr er so, dass Eisenstein seinen neuen Film "Iwan der Schreckliche. Zweiter Teil" aufwändig geschnitten hat, da ihn die Morde "des grausamen Zaren" an Jeschows Terror erinnerten, "an den er nicht ohne ein Schaudern zurückdenken könne". Und an anderer Stelle schreibt Simon Sebag Montefiore, dass Stalin den Film verachtete wegen des Mangels an russischem Stolz und wegen der Darstellung Iwans - mit Kussszenen und Bart. Was Iwan selbst betreffe, so "ist Ihr Zar unentschlossen wie Hamlet", sagte Stalin. Eisenstein starb 1948, bevor er den kritisierten Bart Iwans kürzen, den Kuss herausschneiden und darstellen konnte, warum Iwan der Schreckliche "grausam sein musste".)

Elsbeth Wolffheim, das aber sei deutlich gesagt, verurteilt Eisenstein an keiner Stelle ihres Buches. "Wer es nicht selber durchgemacht hat, sollte sich hüten vor pharisäischer Verurteilung, er hat kein Recht dazu! Und auch nicht das Recht, sich über verbogene Rücken zu erheben." Nur, Elsbeth Wolffheim kann die Antworten auf ihre Fragen nur vermuten, sie kann nur spekulieren, wie sich Majakowski unter den Schrecken des Stalinschen Terrors verhalten hätte.

Eine Duographie hat durchaus ihre Reize. Es ist überaus spannend zu sehen, wie zwei namhafte Menschen sich bei ähnlichen Gelegenheiten gleich oder verschieden verhalten. Aber Majakowski ist tot. Eisenstein überlebt ihn um achtzehn Jahre. Deshalb sei die Überlegung gestattet, ob es wirklich so "passend" war, die beiden Unikate in einer Duographie zusammenzuspannen.

Geradezu unbegreiflich ist mir, wie man - um Platz zu sparen, wie die Autorin im Anhang vermerkt - bei den Gedicht-Zitaten von Majakowski auf die von ihm kreierte Form der Treppenzeilen verzichtet und bei Eisenstein auf den Druck einzelner Sätze oder Wörter als separate Absätze. Geradezu fremd erscheinen einem die beiden in ihrem schriftlichen Erscheinungsbild. Gerade so, als wäre beim Druck eines Bildes eine Farbe abhanden gekommen.

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

 * Sergej Eisenstein (1898-1948) schreibt in seinen Memoiren "YO. Ich selbst": "Es ist tatsächlich so: in meinen Filmen wird eine Unmenge von Leuten erschossen, splittern die Schädel von Landarbeitern, die man bis zum Hals in die Erde eingegraben hat, nachdem man sie mit Lassos eingefangen hatte, unter den Hufen von Pferden ("Mexiko"), werden Kinder auf der Treppe von Odessa zu Tode getreten, vom Dach geworfen ("Streik"), läßt man die eigenen Eltern sie umbringen ("Beshin-Wiese"), wirft sie in loderne Feuer ("Alexander Newski"); Stiere verbluten auf der Leinwand- und es ist ihr wirkliches Blut, das fließt ("Streik"), oder Schauspieler verbluten - da nur zum Schein (Potjomkin"); in einem Film werden Stiere vergiftet ("Das Alte und das Neue"), in einem anderen Zarinnen ("Iwan Grosny"); ein erschossenes Pferd hängt an einer geöffneten Zugbrücke ("Oktober"), und Pfeile bohren sich in Menschen, die vor dem belagerten Kasan längs der Befestigungsanlagen stehen. Und es scheint mir keineswegs zufällig, daß es gerade Zar Iwan Wassiljewitsch Grosny [der Grausame] ist, der über eine ganze Reihe von Jahren mein Denken beherrscht und mein Lieblingsheld ist."

 

Weitere Rezensionen zur Person "Majakowski":

  • David Burliuk / Wladimir Majakowski, Cityfrau. Futuristische Gedichte.
  • Nyota Thun, Ich - so groß und so überflüssig, Wladimir Majakowski, Leben und Werk.
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Am 15.02.2003 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 12.01.2017.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Große Ordnung bringt große Unordnung.
Sprichwort der Russen

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