Belletristik REZENSIONEN | |
Ist Solomon tatsächlich Stalins Liebling? | |
Alexander Askoldow | Russe |
Heimkehr nach Jerusalem | |
Aus dem Russischen von Antje Leetz Verlag Volk & Welt, Berlin 1998, 231 S. | |
Alexander Askoldow schreibt als Vorbemerkung, dass sein Buch keine reale Biographie
wiedergeben und auch kein Geschichtsbuch sein will. Und deshalb wohl wird der berühmte
Schauspieler am Jüdischen Theater in
Moskau,
Solomon Michoëls, ausschließlich bei seinem Vornamen
genannt. Wem die wahren Fakten nicht bekannt sind, erkennt nicht, dass es sich um eine reale Person
handelt und um die grausamen Ereignisse der dreißiger und vierziger Jahre, im Zusammenhang mit dem
Jüdischen Antifaschistischen Komitee (JAFK).
Einiges ist wirklich so geschehen, wie dargestellt (z. B. der Selbstmord von Stalins Frau), anderes entstammt "meinen Gefühlen, meinem Wissen und meiner Phantasie", schreibt der Autor. Wem die wahren Fakten bekannt sind - nach Perestroika und Glasnost erschienen mehrere Bücher zu dieser Thematik, seit 1991 auch in Deutsch -, wird sich mit den phantastisch-literarischen Darstellungen des Autors kaum anfreunden können. Oft ist auch ganz unverständlich, warum die inzwischen verbürgten Tatsachen über Michoëls´ Reise nach Amerika, seine Reisebegleiter, seine Ermordung in Minsk durch einen vom NKWD inszenierten Auto-Unfall... nicht den wahrhaftigen Tatsachen entsprechen. Die Antwort des Autors auf meine diesbezügliche Frage als ich ihn in Berlin kennenlernte: "Weil mir der Geist der Zeit wichtiger war als eine zwanghafte Detailtreue." Dass sich Askoldow in russischen und amerikanischen Archiven intensiv mit allen Details beschäftigte, auch mit Augenzeugen der Ereignisse sprach, beweist nicht zuletzt sein kürzlich gehaltener stundenlanger Vortrag um die Geschehnisse des JAFK im Russischen Haus der Wissenschaft und Kultur in Berlin. Warum also diese Verfremdung? Alexander Askoldow, 1937 in Moskau geboren, studierte Literatur und Filmkunst, er ist der Schöpfer des weltberühmten Films "Die Kommissarin". Die Heimkehr nach Jerusalem - die nur in Solomons Traum erfolgt - ist Askoldows erster Roman. Erstmalig werden in einer Buchveröffentlichung die handelnden jüdischen Personen nicht mehr nur als Opfer dargestellt, sondern auch als Täter: als Verräter, NKWD-Bestien, Intriganten, Machthungrige, Erfüllungsgehilfen der Staatsmacht... Solomon (Michoëls), der jüdische Starschauspieler der dreißiger Jahre, ist hässlich, karrieresüchtig, ein Saufbold, ein Weiberheld und: ein Erz-Komödiant, der in "König Lear" sogar Stalin begeisterte. Um sein über alles geliebtes Jüdisches Theater vor dem Zugriff des NKWD zu retten, ist Michoëls zu allem bereit. Als man zum Beispiel von ihm verlangt, sich öffentlich von der Intendantin des Theaters zu distanzieren, deren Mann als Volksfeind "entlarvt" wurde, tut er es sofort und unbedenklich. Naiv, von kindlichem Gemüt, wiegt sich Solomon in Sicherheit und vertraut seinen Gönnern. Ist er wirklich Stalins Liebling, wie man in Amerika glaubt? Nein, er ist lediglich Stalins Vorzeigejude, solange Stalin ihn braucht. Und 1948 braucht ihn Stalin nicht mehr. Mit seiner Ermordung am 13. Januar 1948 beginnt die Ausrottungswelle gegen das 1942 gegründete JAFK. Aber das ist schon nicht mehr Gegenstand des Buches. Bis heute gelten die verhängnisvollen Verstrickungen Russischer Juden in der Stalin-Zeit als ein Tabu. Alexander Askoldow, der in Berlin und Moskau lebt, hat sich diesem Tabu, Anliegen seines Romans, mit Sensibilität, Offenheit und Überzeugungskraft gestellt. | |
Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de | |
Weitere Titel zur Person "Michoëls" und zum Thema "Jüdisches Antifaschistisches Komitee (JAFK)": | |
| |
Weitere Titel zum Thema "Repressalien": | |
| |
Weitere Titel zum Thema "Antisemitismus": | |
| |
Weitere Titel zur Person "Stalin": | |
Am 18.01.2002 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 19.11.2019. Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |
Zum Vergrößern klicken. |
Eine Haggada (hebr.: Erzählung): Diese talmudische Schrift wurde 1526 in Prag gedruckt. |
[ | zurück | | | | | nach oben | ] |