sachbuch REZENSIONEN

Geschichte eines liquidierten Verlages

Über den Verlag Volk und Welt und u.a. über Literaturen der Sowjetunion
Fenster zur Welt
Eine Geschichte des DDR-Verlages Volk & Welt
Ch. Links Verlag, Berlin 2005, 2. Auflage, 440 S.

Weltoffenheit war auch in bewegten Zeiten die programmatische Idee des Verlages Volk und Welt*. Für die hermetisch eingeschlossene DDR-Bevölkerung war dieser Verlag ein Fenster zur Welt, weil er - als einer der größten Belletristik-Verlage  gegen so manche Widerstände Bücher aus aller Herren Länder herausbrachte, auch aus dem "nichtsozialistischen Wirtschaftsgebiet" - Europa und die Welt in die DDR hereinholte. 1947 von Michael Tschesno-Hell gegründet und anfangs nur der Pflege deutscher antifaschistischer Literatur und sowjetischer Belletristik verpflichtet, entwickelte sich das Unternehmen bald zu einem Verlag für internationale Literatur. Die Idee zu dieser Verlagsgründung wurde nicht etwa in der Sowjetunion, sondern in einem Schweizer Internierungslager geboren. 1964 erfolgte wegen einer Profilierung des DDR-Verlagswesens eine Fusion mit dem ebenfalls 1947 gegründeten Verlag Kultur und Fortschritt, dem Verlag für sowjetische Literatur. In diesem Verlag habe ich von 1953 bis 1956 Verlagsbuchhändlerin gelernt. Seitdem bewahre ich der Literatur der Völker der ehemaligen Sowjetunion meine Liebe.

Nach dieser Fusion - da arbeitete ich schon vier Jahre bei der bis 1964 vom Verlag Kultur und Fortschritt herausgegebenen Illustrierten FREIE WELT, die vorrangig über die sozialistischen Länder berichtete und die meisten Beiträge über die Sowjetunion brachte - wurde der Verlag Volk und Welt mit sechs Lektoraten neu gegliedert: Das (größte) Lektorat I für sowjetische Literatur (geleitet von Leonhard Kossuth), das Lektorat II für die Volksdemokratien, das Lektorat III für deutschsprachige und skandinavische Literatur, das Lektorat IV für romanische Literaturen, das Lektorat V für anglo-amerikanische Literatur, das Lektorat VI für Buchreihen, "um die Literaturproduktion des Verlages in seiner ganzen inhaltlichen Breite systematisch vorstellen zu können". (Siegfried Lokatis)

Der Sammelband Fenster zur Welt, Eine Geschichte des DDR-Verlages Volk & Welt setzt sich aus unterschiedlichen Texten zusammen: Einige ehemalige Verlagsmitarbeiter und externe Verlagspartner verfassten eigene Texte, mit anderen führte der aus Westdeutschland kommende Siegfried Lokatis - geboren 1956, Studium der Geschichte, Archäologie und Philosophie in Bochum, seit 1993 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam - Interviews, die dann überarbeitet, gekürzt und in eine flüssige Form ohne Zwischenfragen gebracht wurden. Neben diesen Erinnerungstexten stehen in dem facettenreichen Buch Fenster zur Welt auch mehrere Aufsätze, die auf wissenschaftliche Studien zurückgehen oder sich auf die Gutachten aus den Druckgenehmigungsakten der Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel im Ministerium für Kultur der DDR stützen. Siegfried Lokatis schreibt in seinem Beitrag "Konturen einer Verlagsgeschichte", dass die Darstellung der Bereiche Herstellung, Buchhaltung, Lizenzwesen usw. noch einer weitergehenden Untersuchung bedürfe. Auch diese Aspekte könnten ein interessantes Buch ergeben...

Entsprechend der Thematik meiner Homepage gehe ich in dieser Buchbesprechung ausschließlich auf Belange ein, die sich mit sowjetischer Literatur und mit der Literaturgeschichte der ehemaligen Sowjetunion befassen. Fenster zur Welt beginnt mit "Konturen einer Verlagsgeschichte" von Siegfried Lokatis: "Volk und Welt war (...) kein Monopolunternehmen, sondern ein so genannter Leitverlag, der in den Literaturarbeitsgemeinschaften für internationale Gegenwartsliteratur aus der Sowjetunion wie aus dem kapitalistischen Ausland den Ton angab und immer wieder neue Wege wies, der im Unterschied zu allen anderen DDR-Verlagen für die gesamte Weltliteratur zuständig war, der mit seinen über zwanzig Lektoren  auch allein über genügend kompetente Scouts und institutionelle Ressourcen verfügte, um diese systematisch erschließen zu können." Ganz richtig ist das nicht, denn Lokatis spart einige Verlage aus, die durchaus Weltliteratur herausgebracht haben, z. B. den Aufbau-Verlag, der für das Erbe der Weltliteratur verantwortlich zeichnete, dafür der so genannte Leitverlag war. Dem Lokatis-Beitrag folgt die Geschichte des Verlages Kultur und Fortschritt, genannt Kufo, (in der Zeit von 1947 bis 1964 erschienen 45 Millionen Bücher!) von Simone Barck - geboren 1944, Studium der Germanistik und Slawistik, von 1970 bis 1991 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR, seit 1992 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschung Potsdam. Beide Herausgeber von Fenster zur Welt kannten den Verlag Volk und Welt also nicht "von innen", was manchmal sogar von Vorteil sein kann. Simone Barck schreibt kenntnisreich z. B darüber, dass die beiden zusammengelegten Verlage zu einem Verlag für internationale Literatur unter besonderer Berücksichtigung der Sowjetliteratur der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) - sehr nobel - eine jährliche Ablösesumme von einer Million Mark zahlten; denn mit dieser Fusionierung hatte die DSF ihren organisationseigenen Verlag Kufo verloren. Mit der Zusammenlegung ging die FREIE WELT (Auflage: über 400 000 Exemplare) an den Berliner Verlag. Ich staune im Nachhinein, was alles während der Zeit meiner Lehre und Arbeit beim Verlag Kultur und Fortschritt passierte. Kann ich mich noch wehmütig-genau an die schnöde Absetzung meines Lieblings-Verlagsleiters Heinz Mißlitz 1959 erinnern, weil er den Titel "Ohne Erbarmen" von Pawel Nilin** herausgebracht hatte, so ist mir überhaupt nicht erinnerlich, dass ich 1955 einen personellen Abbau von 136 auf 88 Mitarbeiter miterlebt haben muss. Einen Namen vermisse ich bei Simone Barck*** schmerzlich: den Namen des 1963 verstorbenen Heinz Lachenwitz, Werbeleiter des Verlages Kultur und Fortschritt von 1954 bis 1962. Er sprudelte nur so vor Ideen und initiierte - zu damaliger Zeit für die DDR ungewöhnlich - eine Leuchtreklame für die FREIE WELT in der Friedrichstraße, ein kleines Kochbüchlein als Werbegeschenk von Kufo, das die "Soljanka" in der DDR bekannt machte, eine Formatumstellung des Verlags-Mitteilungsblattes "Die Ernte"**** von A-4 auf A-5 und machte mit der Zeit eine Verlagszeitschrift aus dem ehemaligen Mitteilungsblatt... 1961, ich hatte, am 3. Januar, gerade bei der FREIEN WELT als Redaktionsassistentin angefangen, erhielt ich den Auftrag, die berühmte Anna Seghers für "Die Ernte" zu interviewen...

Neben vielen interessanten Angaben zu Verlagsmitarbeitern stehen in allen Beiträgen hochinteressante Fakten zu den Autoren und ihren Büchern. So hatte es z. B. um Daniil Granins Roman "Nach der Hochzeit" einen großen Disput zwischen Verlag und DSF-Vorstand gegeben. Das darauf folgende Ansinnen an den russischen Autor, sein düsteres Bild von der sowjetischen Gegenwart durch Erfolgsmeldungen in einer zusätzlichen Zeittafel aufzuhellen, "stieß auf Granins höfliches Erstaunen": im März 1959 erklärte er sich dazu außerstande; das Buch erschien nicht. Darauf erfolgt im Text von Simone Barck ein Seitenhieb auf den damaligen Cheflektor Leonhard Kossuth, weil er "in seiner `Leistungsgeschichte´ des Verlags" diese Tatsache "zu erwähnen versäumte". Ein unredlicher Seitenhieb, wie ich finde, auf sein ein Jahr zuvor erschienenes Buch "Volk & Welt. Autobiographisches Zeugnis von einem legendären Verlag", das Kossuth sehr faktenreich und emotional als Alleinautor verfasst und auf eigene Kosten herausgebracht hat. (Ein Fenster zur Welt hat, was die Sowjetliteratur anbelangt, an die dreißig Autoren und niemand musste in sein privates Portemonnaie greifen). Und was heißt eigentlich abfällig in Gänsebeinchen gesetzt "Leistungsgeschichte"? Was ist denn in dieser Hinsicht an dem Gemeinschaftswerk Fenster zur Welt anders? Leonhard Kossuth nennt als grundsätzlichen Unterschied zwischen seinem Buch und dem in "Korrespondenz zur (...)  Ausstellung in Eisenhüttenstadt" geschaffenen Werk von Lokatis und Barck: "Das eine [Buch] (`Autobiographisches Zeugnis..´) wolle zeigen wieso dieser Verlag eben in der DDR zu einem international beachteten Kulturzentrum wurde, während das Buch `Fenster zur Welt´ hervorhebt, wie die Leistungen des Verlags (und seiner Lektoren) im Kampf mit der DDR-Diktatur und oft nur durch deren Überlistung erbracht worden sind!" ("Ossietzy" 13/2005) Siegfried Lokatis schreibt in diesem Zusammenhang: "Ihren Aussagewert gewinnen sie [die Bücher] erst, wenn man sie in Beziehung zu den Tabus setzt, die sie seinerzeit verletzten, zu den Maßstäben der Zensur, der sie unterworfen waren und deren Kriterien sie mitunter auch verändern halfen." Beide Bücher ergänzen sich also hervorragend. Übrigens: Entsprechend dem "Strickmuster" (keinesfalls abfällig gemeint) des 2003 in erster Auflage erschienenen Buches Fenster zur Welt wurde auch ein Kapitel von Leonhard Kossuth aufgenommen, es beinhaltet die "Sowjetliteratur in ihrer Multinationalität" und ist seinem hervorragenden Buch  entnommen. Kossuth schreibt, dass "die Entdeckung der sowjetischen Literatur in ihrer Multinationalität" zu den wesentlichsten Leistungen des Verlags Volk und Welt gehöre.

Da wir gerade bei Ausgelassenem sind: Ich vermisse z. B. die Kultur-und-Fortschritt-Folge "Die kleine Jugendreihe", betreut von Lothar Grünewald. Bei beiden Volk-und-Welt-Büchern fehlen also Namen und Ereignisse. Mir scheint, es wäre angebracht gewesen, auch ehemaligen Mitarbeitern des kleinen Bruders "Kultur und Fortschritt" ein wenig Platz einzuräumen... KuFo - ein kleiner Bruder? 1963   - ein Jahr vor der Zusammenlegung - verzeichnete KuFo einen (abzuführenden) Gewinn von zweieinhalb Millionen Mark und Volk und Welt von nur  knapp eineinhalb Millionen!

In dem Beitrag von Fritz Mierau "Angewandte Literaturgeschichtsschreibung" schreibt er über sich selbst  ("Nur gut ein Zehntel der 100 Bücher, die ich als Übersetzer, Herausgeber und Autor verantwortete, erschien im Verlag Volk und Welt bzw. Kultur und Fortschritt".); über Dr. Ralf Schröder, 1957 verhaftet und im Dezember 1958 als Rädelsführer einer "partei- und staatsfeindlichen Gruppe" zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, der  noch vor Ablauf seiner Bewährungsfrist von Leonhard Kossuth als Lektor in den Verlag berufen wurde; ferner ist die Rede von den Russen Ilja Ehrenburg, Michail Bulgakow,   Juri Trifonow,  Wladimir Tendrjakow, Bulat Okudshawa und dem Kyrgysen Tschingis Aitmatow, ... Hatte man diese Bücher [alle Bückware] erworben, las man - auch ich - zuerst (gierig) die profunden Vor- oder Nachworte von Schröder! Viel von dem, was in Mieraus Beitrag steht und noch viel mehr ist nachzulesen in seinem autobiographischen Buch "Mein russisches Jahrhundert". - Es folgen zwei Briefe von Ralf Schröder aus seinem Nachlass (gestorben 2001) an Fritz Mierau . - In dem Artikel von der Lektorin Christina Links, die zuständig war für die Literaturen des Kaukasus und Mittelasiens, ("Die Bedingungen für so viel Spezialisierung, für einen Verlag, der teilweise wie ein Literaturinstitut gearbeitet und geforscht hat, waren mit der Wende von 1989 schlagartig vorbei."), ein Beitrag der Lektorin Antje Leets über Ljudmila Petruschewskaja, die sie als ihre "wichtigste literarische Entdeckung" betrachtet, ein Beitrag von dem Redakteur und vielmals ausgezeichneten Übersetzer (von 130 Büchern) Thomas Reschke, der behauptet, "Bücher haben die Wende von 1989  mit vorbereitet".

Einen großen Raum nehmen die Buchreihen des Verlages ein, die gemeinsame Projekte der sechs Lektorate waren. Da gab es z. B. die Anthologie-Reihe "ad libitum", vom leitenden Lektor und Programmdirektor Reinhard Lehmann - Studium der Philosophie -  "Potpourri-Reihe" genannt, die viel brachte, um manchem etwas zu bringen, z. B. erstmals in der DDR Vladimir Nabokov und Alexander Solschenizyn; es erschienen (bis 1992) 24 Bände mit etwa fünfhundert Autoren. -  Da gab es  z. B. "Erlesenes", beginnend mit "Armenische Novellen" und "Erkundungen", die Reihe internationaler Erzähleranthologien; es erschienen seit 1964 fünfzig Bände mit Texten von 1 182 Autoren aus 74 Ländern. Was gab es da für interessante Titel und Außenseiter-Autoren, auch aus der Sowjetunion; um nur einen zu nennen: den russischen Koreaner Anatolij Kim mit seiner Erzählung "Käfig mit Fernseher". -  Da gab es z. B. die "Roman-Zeitung" mit 500 Ausgaben, 333 davon verantwortete Heinz-Dieter Tschörtner, der auch die Verlagszeitschrift "Der Bücherkarren" (31 Jahre lang) herausgab; in den 500 Heften der "Roman-Zeitung" erschienen 157 Titel von DDR-Autoren und 31 von deutschsprachigen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts, 78 aus westlichen Ländern, 80 von sowjetischen Schriftstellern, 50 aus anderen Ostblockländern und 65 aus dem internationalen Erbe. "Ziel der Edition war es, das legitime Bedürfnis breiter Kreise nach preiswerter Unterhaltungsliteratur -  [80 Pfennig pro Heft] zu befriedigen und die Leser an gehaltvolle Romane heranzuführen." - Da gab es z. B. die elitäre "Weiße [Lyrik-]Reihe" ("Weiße Lady" genannt). Viele - auch ich - hielten diese Reihe mit internationaler Lyrik für die schönste Lyrik-Reihe der DDR. Die russische Lyrik war mit 32 Titeln am stärksten vertreten. Zum Auftakt erschien Anna Achmatowa (1967) und alle, alle folgten: Jessenin, Blok, Pasternak, Bagrizki, Chlebnikow, Brjussow, Mandelstam (1985)...  Adolf Endler - 1955 aus Düsseldorf in die DDR übergesiedelt, Autor und Nachdichter - äußert sich in seinem Beitrag zur undogmatischen Haltung und Seriosität der Reihe und beklagt, dass die Bücher so leicht verletzbar seien. "Ihre jetzige Form erlaubt es nur, die Bändchen auf einem Silbertablett im Raum hin - und herzutragen." Auf einem Silbertablett lag die "Weiße Reihe" dann auch tatsächlich auf der Ausstellung zum Verlag Volk & Welt, für die Fenster zur Welt ursprünglich als Begleitbuch gedacht war.  Da gab es die "Spektrum-Reihe", die aus der "Bunten Reihe" des Verlages Kultur und Fortschritt hervorgegangen ist, von der der Rezensent Horst Buder (der im Anhang "Zu den Autoren und Gesprächsthemen" vergessen wurde) in seinem Beitrag sagt: " (...)jedes Buch ein Beispiel für moderne Literatur von weltliterarischem Rang. (...) Die Vielfalt der Themen erfreut stets aufs neue, auch die Vielfalt der Genres. (...) Selbst ein Poem wie Jewtuschenkos "Fuku!" (...) haben Eingang in die schwarz-weiße Reihe mit dem farbigen Programm gefunden." Bis 1989 erschienen Autoren aus 36 Ländern in einer Gesamtauflage von 4 901 900 Exemplaren; 69 Bände kamen aus der Sowjetunion.

An dieser Stelle sei der meisterhafte Künstlerische Leiter (und Autodidakt) Lothar Reher für seine vielen wunderbaren Buchumschläge u. a. zur Spektrum-Reihe erwähnt. Horst Buder schreibt in seinem Beitrag über die "Spektrum"-Bände:  (...) Unterstützt wird die Wirkung durch Lothar Rehers Einbände. Sie provozieren Neugier, sind außergewöhnlich gestaltet und stellen stets den Bezug zum Inhalt dar."

Außerordentlich vielseitig und leserwirksam auch das Kapitel "Das Volk-und-Welt-Alphabet: Autoren, Mitarbeiter, Projekte".  Da lesen wir, was die Sowjetunion anbelangt,  über die ersten Reisebücher, in denen Deutsche die Sowjetunion sehen; von der komplizierten Herausgabe der Ehrenburg-Memoiren; über die wunderbaren Märchen-Prachtbände für die einzelnen Sowjetrepubliken; über die Entdeckung des heutigen Weltautors Andrej Platonow; über Solschenizyn und die DDR; über Elke Erbs Übertragungen Marina Zwetajewas...; Lektoren, Gutachter, Übersetzer, Hersteller und Werbemitarbeiter kommen zu Wort und auch die eine oder andere "Geschichte aus dem Nähkästchen" wird ausgeplaudert.


Fenster zur Welt ist sehr reichhaltig illustriert mit Buchumschlägen, Buchillustrationen, Autorenporträts, Plakaten, Mitarbeiterfotos, Privatfotos... Ein sorgfältig erarbeiteter Anhang - Stichworte zum Verlagsalltag ("Mitarbeiter: In den siebziger und achtziger Jahren pendelte die Zahl der Mitarbeiter zwischen 150 und 160, von denen etwa ein Drittel zum Lektorat und zur Redaktion gehörten. 25 Lektoren produzierten jährlich etwa 100 neue Titel. Das war schon vor dem Computerzeitalter nicht viel, aber mehr erlaubten die beschränkten Ressourcen an Papier und Devisen nicht. Während in einem modernen Verlag der Bundesrepublik der Schwerpunkt im Marketing-Bereich liegt, war die Werbeabteilung von Volk und Welt mit etwa vier Mitarbeiterinnen auffällig klein. Dafür waren die Herstellung - zwölf Mitarbeiter, die künstlerische Abteilung - sechs - und die Buchhaltung - acht - stark besetzt. Es gab eine große Küche  - fünf Mitarbeiter -  und vier Chauffeure.), eine Bibliographie des Verlages Volk und Welt von 1990-2001, "Zu den Autoren und Gesprächspartnern" und ein Personenregister -   schließt Fenster zur Welt ab. Das Buch erzählt nicht nur  die Verlagsgeschichte von Volk und Welt, sondern gibt auch "einen Einblick in den widersprüchlichen Alltag des DDR-Literaturbetriebes, jenseits des Klischees vom fest gefügten, zentral gesteuerten Zensurstaat". (Ch. Links Verlag) Leider hat sich  im fast Druckfehler freien Buch ein ärgerlicher Fehler eingeschlichen: Der weltbekannte tschuktschische Autor Juri Rytchëu heißt in Fenster zur Welt Rychteu.

Im April 2001 wurde der 1990 privatisierte Verlag (Luchterhand war der letzte Eigentümer) erbarmungslos liquidiert. Nach mehr als einem halben Jahrhundert, in dem etwa 3 334 Erstauflagen von etwa 1 800 Autoren  aus 80 Ländern erschienen waren. "(...) mit Hilfe des Potsdamer Zentrums für Zeithistorische Forschung [gelang es] unter abenteuerlichen Umständen", schreibt Siegfried Lokatis, "überraschend große Teile des verloren geglaubten Verlagsarchivs vor dem Container zu retten. Trotz der für die Wendezeit typischen Aktenvernichtungsaktionen und des zerstörerischen Auszugs aus dem angestammten Verlagsgebäude blieben auch beträchtliche Teilbestände an Lektoratsgutachten und Autorenkorrespondenz erhalten." Leonhard Kossuth beklagt in seinem Buch, dass das Verlagsarchiv verloren gegangen sei - so "geheim" hielten die verbliebenen Kollegen des Verlages die Rettungsaktion... Schmerzlich jedoch bleibe der Verlust der Germanistik- und Anglistik-Gutachten, schreibt Lokatis, sowie der Protokolle der Lektoratssitzungen und des Titelannahme-Verfahrens.

Verlag Volk und Welt hat es wie kein anderer Verlag verdient, dass ihm ein Denkmal - aus Erinnerung, Analyse und Dokumentation - gesetzt wurde. Auch zwei Denkmale sind nicht zuviel! Denn: Wer wissen will, welche russischen und sowjetischen Schriftsteller in der DDR gelesen werden konnten, und wie groß die Verbreitung dieser Literatur zwischen 1945 und 1990 war, kommt an diesen Kompendien nicht vorbei! 


Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

       * Zu DDR-Zeiten hieß der Verlag Volk und Welt, das modische & erschien erst nach der Wende.

    ** In "Ohne Erbarmen" hausen Räuber, Brandstifter, Mörder in den undurchdringlichen sibirischen Wäldern, und der "Beherrscher der Taiga" terrorisiert im Auftrag dunkler Kräfte die Bevölkerung. Die "dunklen Kräfte" sind erbitterte Feinde der neuen Ordnung - und da lag der Hase im Pfeffer!

  *** Dr. sc. Simone Barck starb am 17.07.20007.

**** "Die Ernte" wurde ab 1956 von Helmut Reller redigiert, ab 1957 von Gisela Laue und von 1959-1961 von Gisela Reller. Die aufmerksamen Kufo-Leser überschütteten uns dazumal mit Glückwünschen.

 

Weitere Rezensionen zum Thema "Verlagsgeschichte, Literaturen / Literaturgeschichte Russlands und der Sowjetunion":

  • Ralph Dutli, Erzählte russische Literaturgeschichte, Hörbuch.
  • Leonhard Kossuth, Volk & Welt. Autobiographisches Zeugnis von einem legendären Verlag.
  •  Pëtr Kropotkin, Ideale und Wirklichkeit in der russischen Literatur.
  • Tatjana Kuschtewskaja, Die Poesie der russischen Küche. Kulinarische Streifzüge durch die russische Literatur.
  • Reinhard Lauer, Kleine Geschichte der russischen Literatur.
  • Fritz Mierau, Mein russisches Jahrhundert. Autobiographie.
  • Valeria M. Netchaeva, Lernen Sie Rußland kennen! Ein Lehrbuch der literarischen Landeskunde.
  • Sergio Pitol, Die Reise. Ein Besuch Rußlands und seiner Literatur.
  • Ilma Rakusa, Von Ketzern und Klassikern. Streifzüge durch die russische Literatur.
  • Klaus Städtke (Hrsg.), Russische Literaturgeschichte.
Am 06.12.2005 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 12.01.2017.
 

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

  
"Die Ernte" -
(1953-1964), die  Verlagszeitschrift des
Verlages Kultur und Fortschritt,
wurde bei der Fusionierung zugunsten
des "Bücherkarrens" eingestellt.

 [  zurück  |  drucken  |  nach oben  ]