Sachbuch REZENSIONEN

Den einen das Ritterkreuz, den anderen das Birkenkreuz

Deutscher; über Russland im Krieg
Ich habe keine Hoffnung mehr
Soldatenbriefe aus Russland 1942-1943
Mit einem Vorwort von Prof. Dr. Rupert Scholz
Mit zahlreichen Abbildungen
edition q, Berlin 2004, 144 S.

Heinrich Hoffmeier hat zwei Söhne: Gerhard und Günter, beide heute über fünfzig Jahre alt. Gerhard war ein kleiner Junge, als er den Vater das letzte Mal sah, Günter kam zur Welt, als sein Vater an der Front war, sie haben sich nicht kennen gelernt; der Vater fiel (laut Rotem Kreuz) am 16. Dezember 1943 bei den Kämpfen an der Ostfront im Raum Newel-Witebsk.

Die Mutter sprach nahezu nie über den Vater, obwohl sie an seinen Tod nie glauben wollte. Die Feldpostbriefe, die erhalten geblieben sind - und die die Grundlage dieses Buches bilden - hat er an seine Halbschwester Henriette geschrieben, die meisten mit der Bitte, seiner Frau Sophie nichts von seinen Berichten über Kampfgeschehen und Hunger zu erzählen. Seiner Frau schrieb er Unverbindliches von der Front, wollte ihr (bei ihrem Gesundheitszustand und bald schon allein mit zwei kleinen Kindern) keine zusätzlichen Sorgen bereiten. In kaum einem seiner Briefe fehlt der Hinweis, dass es ihm gut gehe (was natürlich selten stimmte), und kaum ein Brief schließt nicht mit der Bitte "Bleibt recht gesund und munter."

Nach dem Tod der Mutter - sie starb im Jahre 2000 mit achtundachtzig Jahren - erhalten Gerhard und Günter fünfundfünzig Jahre nach Kriegsende  die Briefe von Tante Henriette. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten die Söhne von den Briefen nichts. Als sie sie entziffert hatten, sind sie erschüttert; denn ihr Vater, der einfache Soldat Heinrich Hoffmeier reflektiert in seinen Briefen erstaunlich offen und ungeschminkt seine Situation, die schließlich in der Erkenntnis gipfelt: "Ich habe bald keine gute Hoffnung mehr."

Die Briefe sind nicht nur für die Söhne emotional bewegend, sondern auch für den Leser. Ein Soldat, der dies nie hatte werden wollen, der in die schlimmsten Schlachten der Ostfront gerät, entsetzliche Angst leidet und in einem seiner Briefe schreibt: "Die Herren von der Division haben das Ritterkreuz bekommen. Die breite Masse das Birkenkreuz. Bei der ganzen Lage habe ich ja Glück gehabt." Seiner Soldatenpflicht kommt er unter zunehmenden moralischen Skrupeln nach. Mutig ("Ich darf Euch das alles gar nicht schreiben.") berichtet er vom Frontgeschehen: "(...) Ich will Euch mitteilen, dass auch ich in die schweren Schlachten verwickelt bin, und es will und will nicht nachlassen. Es geht hier fürchterlich zu. Dass man noch lebt, kann man nicht fassen. Das Getöse geht nun schon seit über 14 Tagen, von früh bis spät nachts. Das viele, viele Menschenblut, das hier fließt." Seine Nichte Irmgard erhält ihren Brief als Erste mit dem Vermerk zurück: "Empfänger vermißt."

Trotzdem sind die Briefe doch nicht so sensationell, dass sie allein ein Buch hergegeben hätten. Das hat wohl auch der Herausgeber Volker Koop so gesehen. Deshalb hat er die Briefe (kursiv) mit Meldungen des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), die im Führerhauptquartier in Berlin verfasst wurden,  in den jeweiligen zeitlichen Zusammenhang gestellt. Die persönlichen Briefe und die offiziellen Meldungen ergeben - nebeneinander gestellt - ein nachzuvollziehendes Bild von dem jeweiligen Kriegsgeschehen. Gewissermaßen als "dritte Dimension" werden ergänzend die wichtigsten welt- und militärpolitischen Ereignisse und Entscheidungen (im Normalsatz) aufgezeigt. So ergibt sich aus den subjektiven Briefen Hoffmeiers, den geschönten Meldungen aus dem Führerhauptquartier und den historisch feststehenden nackten Tatsachen ein beeindruckendes Gesamtbild des Kampfgeschehens an der russischen Ostfront von 1942 bis 1943.


Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

 

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Am 10.06.2004 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 12.01.2017.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

  
Ruhe und Frieden -
wünschte sich
Heinrich Hoffmeier.
Von ihm mit Bleistift gezeichnet
am 28.7.1943
für seine Nichte Irmgard.
 

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