Heinrich Hoffmeier hat zwei Söhne: Gerhard und Günter, beide heute
über fünfzig Jahre alt. Gerhard war ein kleiner Junge, als er den Vater
das letzte Mal sah, Günter kam zur Welt, als sein Vater an der Front
war, sie haben sich nicht kennen gelernt; der Vater fiel (laut Rotem
Kreuz) am 16. Dezember 1943 bei den Kämpfen an der Ostfront im Raum Newel-Witebsk. Die Mutter sprach nahezu nie über den Vater, obwohl sie
an seinen Tod nie glauben wollte. Die Feldpostbriefe, die erhalten
geblieben sind - und die die Grundlage dieses Buches bilden - hat er an
seine Halbschwester Henriette geschrieben, die meisten mit der Bitte,
seiner Frau Sophie nichts von seinen Berichten über Kampfgeschehen und Hunger
zu erzählen. Seiner Frau schrieb er Unverbindliches von der Front,
wollte ihr (bei ihrem Gesundheitszustand und bald schon allein mit zwei kleinen
Kindern) keine zusätzlichen Sorgen bereiten. In kaum einem seiner Briefe
fehlt der Hinweis, dass es ihm gut gehe (was natürlich selten
stimmte), und kaum ein Brief schließt nicht mit der Bitte "Bleibt recht
gesund und munter."
Nach dem Tod der Mutter - sie starb im Jahre 2000
mit achtundachtzig Jahren - erhalten Gerhard und Günter fünfundfünzig Jahre nach Kriegsende
die Briefe von Tante Henriette. Bis zu diesem Zeitpunkt wussten die
Söhne von den Briefen nichts. Als sie sie entziffert hatten, sind sie
erschüttert; denn ihr Vater, der einfache Soldat Heinrich Hoffmeier
reflektiert in seinen Briefen erstaunlich offen und ungeschminkt seine
Situation, die schließlich in der Erkenntnis gipfelt: "Ich habe bald
keine gute Hoffnung mehr."
Die Briefe sind nicht nur für die Söhne
emotional bewegend, sondern auch für den Leser. Ein Soldat, der dies nie
hatte werden wollen, der in die schlimmsten Schlachten der Ostfront
gerät, entsetzliche Angst leidet und in einem seiner Briefe schreibt:
"Die Herren von der Division haben das Ritterkreuz bekommen. Die breite
Masse das Birkenkreuz. Bei der ganzen Lage habe ich ja Glück gehabt."
Seiner Soldatenpflicht kommt er unter zunehmenden moralischen Skrupeln
nach. Mutig ("Ich darf Euch das alles gar nicht schreiben.") berichtet
er vom Frontgeschehen: "(...) Ich will Euch mitteilen, dass auch ich in
die schweren Schlachten verwickelt bin, und es will und will nicht
nachlassen. Es geht hier fürchterlich zu. Dass man noch lebt, kann man
nicht fassen. Das Getöse geht nun schon seit über 14 Tagen, von früh bis
spät nachts. Das viele, viele Menschenblut, das hier fließt." Seine Nichte Irmgard erhält ihren Brief
als Erste mit dem Vermerk zurück: "Empfänger vermißt."
Trotzdem sind die Briefe doch nicht so sensationell, dass sie allein ein
Buch hergegeben hätten. Das hat wohl auch der Herausgeber Volker Koop so
gesehen. Deshalb hat er die Briefe (kursiv) mit Meldungen des
Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), die im
Führerhauptquartier in Berlin verfasst wurden, in den jeweiligen
zeitlichen Zusammenhang gestellt. Die persönlichen Briefe und die
offiziellen Meldungen ergeben - nebeneinander gestellt - ein
nachzuvollziehendes Bild von dem jeweiligen Kriegsgeschehen.
Gewissermaßen als "dritte Dimension" werden ergänzend die wichtigsten
welt- und militärpolitischen Ereignisse und Entscheidungen (im
Normalsatz) aufgezeigt. So ergibt sich aus den subjektiven Briefen
Hoffmeiers, den geschönten Meldungen aus dem Führerhauptquartier und den
historisch feststehenden nackten Tatsachen ein beeindruckendes
Gesamtbild des Kampfgeschehens an der russischen Ostfront von 1942 bis 1943.
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- Tschingis Aitmatow, Das Wiedersehen mit dem Sohn, Hörbuch.
- Antony Beevor, Stalingrad.
- Irina Ehrenburg, So habe ich gelebt. Erinnerungen aus dem 20. Jahrhundert.
- Wladimir Gelfand, Deutschland-Tagebuch 1945-1946.
- Peter Jahn (Hrsg.), Stalingrad erinnern.
- Paul Kohl, Schöne Grüße aus Minsk.
- Jelena Koschina, Durch die brennende Steppe.
- Ljalja Kuznetsova / Reimar Gilsenbach, Russlands Zigeuner.
- Catherine Merridale, Iwans Kreig.
- Uchqun Nazarov, Das Jahr des Skorpions.
- Viktor Nekrassow, Stalingrad.
- Ingeborg Ochsenknecht, "Als ob der Schnee alles zudeckte". Eine
Krankenschwester erinnert sich. Kriegseinsatz an der Ostfront.
- Theodor Plievier, Stalingrad.
- Theodor Plievier, Stalingrad, Hörbuch.
- Willy Peter Reese, Mir selber seltsam fremd. Russland 1941-44.
- Carl Schüddekopf, Im Kessel, Erzählen von
Stalingrad.
- Alexander Solschenizyn, Heldenleben. Zwei Erzählungen.
Am 10.06.2004 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am
12.01.2017.
Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |