Verdammt in sich haben es die Sexszenen in diesem Buch von drei
Frauen, die heilige Männer lieben.
In Jurga Ivanauskaitės Roman sind drei Frauen aus verschiedenen
Jahrhunderten die Buchheldinnen. Da ist zum einen Viktorija, genannt Vika,
die im postsowjetischen
Litauen lebt und Paulius, einen Priester liebt.
Als der ihrer beider Verhältnis urplötzlich beendet, weil er, wie er ihr sagt, das
Mönchsgelübde ablegen wird, ist Vika todtraurig, bitter enttäuscht,
voller Hass. Um den frommen Geliebten zu vergessen, stürzt sie sich in
geschmacklose Liebesabenteuer und sucht die
Psychoanalytikerin Norma auf. So nach und nach - ein Drittel von Vikas
Gehalt geht Monat für Monat für die psychologischen Sprechstunden drauf
- dringt Norma in Vikas Liebesseele ein, und erfährt der Leser alle,
auch die delikatesten Einzelheiten aus ihrem Liebes- und Sexualleben mit dem Priester Paulius.
Die zweite Romanheldin ist Marija Viktorija, die der Leser in einem
mittelalterlichen Kerker antrifft. Sie wird von der Inquisition der
Hexerei beschuldigt, nachdem ihre verbotene Beziehung zu dem als
Heiligen verehrten Einsiedler Povilas bekannt geworden war,
und sie außerdem des Studiums des apokrypten - nicht im Alten Testament
enthaltenen - Tagebuchs der Maria Magdalena überführt ist.
Das dritte Liebesschicksal erleidet Maria aus Magdala, die nach ihrer Errettung vor
der Steinigung eine der eifrigsten Jüngerinnen Jesu wird. Auch sie
breitet in Die Regenhexe Liebe und Leid vor dem Leser aus,
denn sie liebt Jesus, Gottes Sohn. Der Apostel Petrus vertreibt Maria
Magdalena von Jesus mit den Worten: "Du bist eine Frau, und Frauen sind
nicht wert zu leben." Nach dem Alten Testament sind Frauen, die
sündigen - Maria Magdalena tat es vor ihrer Liebe zu Jesus für Geld - zu steinigen.
Jesus jedoch wäscht Maria Magdalena die Füße und sagt: "Nur die Liebe
macht euch frei." Jurga Ivanauskaitė
will gewiss auch sagen, dass das Recht der Frau um Gottes Gnade um
nichts geringer als das des Priesters oder Mönchs ist, die ebenfalls
nicht frei von Sünde sind.Ist die Befreiung der Frau durch die Liebe - in einem
vom Ideal der Männlichkeit geprägten Litauen - Ivanauskaitės Botschaft?
Die Suche nach der wahren Liebe zwischen Mann und Frau ist für die Autorin
jedenfalls ein wichtiges Thema. Doch den drei Protagonistinnen
des Romans, die Männern zuliebe sogar ihre Identität verleugnen, ist sie
nicht vergönnt, die selbstlose Liebe - die wahrlich christliche, wie die
Autorin meint. Und von den drei Männern im Roman hat
allein Jesus Verständnis für die Bedürfnisse der Frau, der gleichzeitig
der Beweis ist, dass Liebe auch ohne Sex ihren Ausdruck finden kann.
Gibt es vielleicht gar keine wahre Liebe zwischen Mann und Frau? Was ist
Liebe? Was ist wahre Liebe?
Die staatliche litauische Ethikkommission stufte Die Regenhexe
als pornographisch und antichristlich ein (was nicht verwundert in einem
Land, in dem 90 Prozent der Bevölkerung katholisch ist. Einst waren die
Litauer die letzten Nichtchristen im Nordosten Europas.). Immerhin
erlaubte die Kommission trotz bescheinigter Gotteslästerung den Verkauf
des Buches in Läden mit Erotikartikeln. Innerhalb von zwei Wochen wurden
auf diese sinnige Weise 20 000 Exemplare verkauft und Jurga Ivanaukaitė
war - nach einer Novellensammlung und zwei Romanen - zur meistgelesenen Schriftstellerin
Litauens aufgestiegen.
Die Regenhexe (Was für eine Regenhexe?) ist eine leidenschaftliche Suche nach Gott und
geistiger Vollkommenheit, finde ich. Außerdem ist der Roman ein gekonnt
komponiertes Buch vom zeitunabhängigen Geschlechterkampf auf drei Zeitebenen. Alle drei Frauen
stürzen sich kopfüber in ihre Liebe - im Gegensatz zu den Männern, die
alle drei durchaus nicht bedingungslos lieben. Jede der Frauen scheitert, jede
auf eine andere, auf ihre Weise. Aber auch die Männer enden tragisch...
Beeindruckend, wie die Autorin die zeitlich weit voneinander getrennten
Frauenfiguren durch Analogien und raffinierte Satz- und
Motivwiederholungen zu einem einzigen Prototyp werden lässt.
Mich stören in diesem Buch nicht die sexuellen Szenen zwischen den
Liebenden. Mensch macht´s, Ivanauskaitė schreibt´s! Aber wozu die sonstigen
Ausschweifungen? Geradezu abstoßend treiben es die Frauen untereinander
(ohne sich zu lieben) und, vor allem Vika mit geradezu abstoßend
beschriebenen Typen. Aus Rache allen Männern gegenüber? Ich weiß nicht,
ob mir die drei Frauen - trotz der zwar unzweifelhaft drastischen, aber auch poetischen Sprache der
Autorin - sehr lange in Erinnerung
bleiben werden. Aber Vikas Ehemann Go, ein begnadeter Maler, der dem
Irrsinn verfällt, der ist von der Autorin so beeindruckend dargestellt,
dass er für immer ins Gedächtniskästchen meiner Buchhelden wandern wird.
Wozu eigentlich ganz zum Schluss auch noch ein
politischer Schlenker? Wozu wird, beziehungslos, wie ich finde, mit
einem Mal über "jene furchtbare Nacht des dreizehnten Januar"
gesprochen? Gemeint ist das brutale Vorgehen der sowjetischen OMON-Truppen am 13. Januar 1991, das zahlreiche Opfer unter der
litauischen Zivilbevölkerung forderte. Vielleicht, weil die Autorin
selbst zu den Zeiten des politischen Umbruchs gesellschaftlich und
publizistisch äußerst engagiert war? Allerdings zog sie sich, wie viele
andere Litauer auch, später aus der Politik zurück.
Jurga Ivanauskatė - 1961 in Vilnius
geboren - gilt als die provokanteste litauische Schriftstellerin. Sie ist in
Litauen aber sowohl als Schriftstellerin als auch als Malerin bekannt
- die 1980 ihr Studium an der M. K. Čiurlionis-Kunstschule und 1985 ein
Grafikstudium an der Kunstakademie Vilnius abgeschlossen hat. Im
gleichen Jahr debütierte sie mit der Novellensammlung
"Maiglöckchenjahr", das zum Kultbuch unter Jugendlichen wurde. Über sich sagt sie:
"Ich war schon immer eine Außenseiterin. Ich weiß, dass ich auch jetzt
in den Gefilden der litauischen Literatur eine Fremde bin." Eine Fremde?
"Die Inspiration für ihre zwei Bände mit Erzählungen und für ihre fünf Romane",
meint die litauische Literaturwissenschaftlerin Loreta Mačanskaitė,
"schöpfte die Autorin aus der Subkultur der Beatniks und
der Hippies, dem Feminismus, einem neuinterpretierten Christentum
sowie aus fernöstlicher Magie und Philosophie."
Jurga Ivanauskaitė verbrachte zwischen 1993 (nach Erscheinen
der "Regenhexe" in Litauen) und 1998 lange Zeit in Indien und Tibet, sie
trat zum Buddhismus über. Ihre Asienreise hat ihr Schreiben und auch ihr
photographisches und malerisches Werk entscheidend verändert.
Schriftlich hat sie ihre Eindrücke in drei Reisebüchern verarbeitet und
in dem 1995 erschienenen Roman "Agnijos magija" (Agnijas Magie), der die Liebe zwischen einer
Litauerin und einem Inder erzählt. (Ein Auszug aus "Eine Reise nach Shambala" findet sich
in der Anthologie zeitgenössischer litauischer Schriftsteller "Von diesen Träumen ganz verschiedene", herausgegeben von
Jūratė
Sprindytė und Klaus
Berthel im ATHENA- Verlag.)
In der litauischen Zeitschrift "Literatur
und Kunst" wird Jurga Ivanauskaitė von Rita
Kubilenė nach ihrem
Verhältnis zum Feminismus befragt. Ihre Antwort: "Vor einigen Jahren
interessierte ich mich sehr für Fragen des Feminismus, doch später
begriff ich, daß es Sphären gibt, die mich mehr anziehen. Zum Beispiel
die Geschichte verschiedener Religionen und die des Mystizismus. In
allen religiösen Quellen, geheimen Doktrinen usw. interessieren mich
besonders Texte über die Frauen, denn da wird mehr über die Natur und
die Bestimmung der Frau gesagt als es die patriarchale Zensur zuläßt..."
Schreiben ist für Jurga Ivanauskaitė wie
Liebe oder Glaube, eines der, wie sie sagt, intimsten Themen. Diese
Dreiheit war ihr als innerer, vom Willen oder vom gesunden
Menschenverstand nahezu losgelöster Prozess immer ein Geheimnis gewesen
und würde es immer sein. Alle drei hätten keine definierten Regeln,
deren Erlernung vor Irrtümern bewahren könne. Deshalb bleibe der Mensch
im Schreiben und in der Liebe und im Glauben immer auf besondere Weise
neu. "Das jedenfalls zeigt meine eigene Erfahrung. Damit ist
das grundlegende Sujet meiner Arbeit schon benannt: Glaube, Liebe und
Schreiben. Paulus spricht von einer anderen Dreiheit - Glaube, Liebe und
Hoffnung. Manchmal denke ich, dass nicht zufällig das Schreiben bei mir
an die Stelle der Hoffnung tritt. Wie die Hoffnung ist das Schreiben der
wichtigste Motor in meinem Leben. Und ohne Liebe kommt ein Text in der
westlichen Literatur sowieso nur selten aus, was, nebenbei gesagt, meine
tibetischen Freunde sehr erstaunt hat." Mit der Zeit habe sie versucht,
verschiedene Stufen der Liebe auszumachen, zu erkennen und zu
beobachten, wie sie ausströme, wie sie in die Sphäre des Glaubens und
der Religion übergehe. Eine weitere wichtige Sache sei für sie die
Freiheit, sowohl die äußere, politische und soziale, wie auch die
innere, im Bewusstsein und im Herzen des Individuums. "Die innere
Freiheit verstehe ich auch im Sinne einer mutigen Entschlossenheit, die
Grenzen des Realitätsbegriffs einzureißen und sich nicht durch eine
einzige schmale und stickige Ebene der Alltagswirklichkeit zu begrenzen.
Alles, was ich jetzt so ernst, fast barsch dargelegt habe, versuche ich,
ohne ein Gefühl für Humor und Selbstironie zu verlieren, umzusetzen.
Mitunter wird gesagt, dass man einem guten Ballett-Tänzer seinen Schweiß
nicht anmerke. Wenn man so mein Schreiben einschätzen würde, wäre es für
mich ein Kompliment. Ich mag es nicht, wenn in jedem Satz die auf Leben
und Tod polternde und schwitzende Seele des Autors zu spüren ist. Mir
gefallen Wörter und das, was man mit ihnen machen kann. Aber ich weiß
auch, dass es die Erfahrung gibt, dass jeder Begriff kraft- und sinnlos
und leer wird. Deshalb stimme ich jenen Metaphysikern und Astrophysikern
zu, die behaupten, dass man nicht alles beschreiben kann. Vielleicht
wäre ich sogar erfreut, wenn ich eines schönen Tages gänzlich verstummen
würde." Ich denke, dass Ivanauskaitės Leser darüber nicht erfreut wären...
Auf der Frankfurter Buchmesse 2003 begegnete ich Jurga Ivanauskaitė
oft. Stark geschminkt und
mit kohlrabenschwarzem wallendem Kraushaar und der lässig-eleganten
Garderobe zog sie jedermanns (und jederfraus) Blicke auf sich. In ihr Buch
schrieb sie die freundlichen Worte für mich: von Jurga. Danke!* |