Belletristik  REZENSIONEN

Ehemals verpönte Rhythmen...

Russe
Wohin schreitet die Pappel im Mai?
Anthologie moderner russischer Lyrik
Russisch-Deutsch
ALKYON VERLAG, Weissach i. T. 1999, 119 S.

Dieser Band enthält Gedichte von acht Lyrikern: von Wladimir Buritsch (1932-1994), Gennadij Alexejew (1932-1987), Arwo Mets (1937-1997), Wjatscheslaw Kuprijanow (geb. 1939), Iwan Schapko (geb. 1940), Valerij Lipnewitsch (geb. 1947), Jewgenij Kollessow (geb. 1951) und Karen Dschangirow (geb. 1956). Bis auf Wjatscheslaw Kuprijanow sind alle hier veröffentlichten Dichter in Deutschland nahezu oder gänzlich unbekannt. Und: Es handelt sich ausschließlich um Gedichte mit freien Rhythmen, während der Stalinzeit und noch lange Zeit danach verpönt in der russischen Dichtung, die unter dem Diktat konservativer Formen lebte - "der Reim und die klassische Metrik waren Gesetz" (Kuprijanow).

Wladimir Buritsch war einer der ersten, die schon Anfang der fünfziger Jahre dennoch versuchten, in Russland freie Rhythmen zu kultivieren, doch ein Gedichtband von ihm erschien erst 1989 in Moskau.

Die von Kuprijanow ausgewählten Gedichte sind leider keinen Entstehungsjahren zugeordnet und sagen inhaltlich auch nicht das aus, was in den biografischen Notizen über die Themenkreise der Autoren ausgesagt wird. Bei Arwo Mets beispielsweise wird gesagt, er sei vermutlich von der japanischen Haiku-Dichtung beeinflusst, sowie von der Gedankenwelt seiner estnischen Heimat. In den hier abgedruckten Gedichten findet sich davon nichts, dafür dies: Perestroikawunder/und nichts sonst.../Unterwürfige Sklaven/sind im Handumdrehen/zu krakeelenden Schurken geworden.

Der Untertitel des Büchleins weist aus, dass es sich um eine Anthologie moderner russischer Lyrik handelt. Russischer? Das wird dem Esten Arwo Mets nicht gerecht. Und Valerij Lipnewitsch - ist er nicht Belarusse? Und Karen Dschangirow nicht ein Armenier? Man sieht: So einfach ist der ehemals völkerumspannende Begriff "sowjetisch" mit der Vokabel "russisch" nicht auszuwechseln, gemeint ist wohl eher eine "Anthologie moderner russischsprachiger Lyrik."

Die Gedichte des in Moskau lebenden Wjatscheslaw Kuprijanow - schon früh ein Vertreter der freirhythmischen Lyrik - wurden erst seit 1981 veröffentlicht. Im ALKYON VERLAG ist er seit 1991 mit drei Romanen vertreten und mit dem Gedichtband "Wie man eine Giraffe wird". Er war dreimal Stipendiat in Deutschland und ist seit 1992 Mitglied der Europäischen Akademie für Wissenschaft und Kunst in Salzburg. Für alle teils dem ganz Alltäglichen gewidmeten, teils tiefgründigen Gedichte dieses Bandes fertigte er selbst die Rohübersetzungen an.

Anziehend die schönen Grafiken von Jurij Seliwerstow, der eigentlich Architekt ist, aber auch anerkannte grafische Porträts schuf von Dostojewski, Berdajew, Prischwin...

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

 

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Am 18.01.2002 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 04.01.2017.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Die Arznei des Bauern ist die Sauna.
Sprichwort der Esten

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