Laurynas Katkus, geboren 1972, gehört einer neuen litauischen
Dichtergeneration an. In kraftvollen Bildern beschreibt er sowjetische
Kindheit und Jugend zwischen Indianergeheul und Panzerparade,
Punkkonzert und Neubaugebiet. "Das eigene Leben, vor und nach der Wende,
verwebt sich mit historischem Geschehen zu einer privaten
Weltgeschichte, die intime Einblicke in das Heute eines jungen Europäers
gewährt", schreibt "Die virtuelle Literaturzeitschrift". Von seinem
Gedicht "Хлеб [Brot] 1972" hier zwei
Übersetzungen zum Vergleich. Stammt die erste Fassung von der Litauerin
Akvilė Galvosaitė (Sie wurde mir zur Frankfurter Buchmesse 2003
zugänglich.), so stammt die zweite von Mala Vikaite und Viktor Kalinke,
veröffentlicht in Tauchstunden:
Хлеб 1972
Duftet Gas und Sauertag. Schräggestellt auf dem Gehweg
die Laster: schräge Buchstaben,
rote Zitzen unterm Bauch.
Glimmende Menschen
entladen
noch einen Neugeborenenjahrgang,
fluchen, ritualhaft.
Schwarze, blinddichte Ziegel
verraten nicht,
wann ist die Blockade zu End:
wie Geruch, unerwartet.
Halb sechs. In Gärten des Umlandes
stiebt der Regen,
und durch den Boulevard kullert
ein Kümmelkörnchen.
Halb sechs. Halbgötter,
wir sind tief in dem Weichen,
nicht hochgegangen, noch unberührt
von Sonne und von der Stahlhand.
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Хлеб 1972
Es riecht nach Gas und
Sauerteig.
Schräg auf dem Fußweg
die Autos: schräg die Buchstaben,
rote Unterleibszitzen.
Rauchende Männer
entladen
Generation Neugebackener,
fluchend nach alter Gewohnheit.
Schwarze Backsteine, fest,
geben nicht preis
wann die Blockade endet:
unverhofft, der Duft.
Halb sechs. In den Vorstadtgärten
feiner Regen,
auf die Straße kullert
sämiger Kümmel.
Halb sechs. Halbgötter,
tief stecken wir im Teig,
noch nicht aufgegangen, noch unberührt
von Stahl - und Sonnenhand.
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Auch wenn man des Litauischen nicht mächtig ist, scheint Fassung zwei
die gelungenere. Oder?
Zur Frankfurter Buchmesse 2003 hörte ich Laurynas
Katkus sagen, dass er nach der Befreiung aus der "Einzelzelle des
individualistischen Gefängnisses" der Lyrik suche. Ist ihm das mit
seinen Gedichten in Tauschstunden gelungen? Wie sehr besonders
bei einem Lyriker, wenn er im Ausland verlegt wird, der Übersetzer die
Qualität seiner Gedichte mitbestimmt, zeigt sich deutlich
an den beiden Fassungen des Gedichts
"Brot 1972". In der Berliner
literaturWERKstatt wurde Laurynas Katkus (2002) von seinem Landsmann,
dem Lyriker Herkus Kuncius (rhetorisch) gefragt, ob es nicht besser wäre,
in einer anderen Sprache zu schreiben, auf Deutsch vielleicht oder
gleich auf Englisch? Laurynas Katkus aber bevorzugt es weiterhin, in seiner so wenig verbreiteten Sprache zu dichten wie es das
Litauische ist...
Viktor Kalinke, einer der beiden Übersetzer
von Fassung zwei gründete vor sieben Jahren zusammen mit der Graphikerin
und Buchgestalterin Marion Quitz die Edition Erata; der Schriftsteller,
Übersetzer und Psychologe wurde Verleger. Die Übersetzung von
Tauchstunden wurde durch "Bücher aus Litauen" mit Mitteln des
Kulturministeriums der Republik Litauen finanziert. "Bücher aus Litauen"
ist eine nichtkommerzielle Organisation, die 1998 zur Förderung der
litauischen Literatur im Ausland gegründet wurde. Bisher hat der
ATHENA-Verlag
in Oberhausen die meisten deutschen Übersetzungen aus dem Litauischen
herausgegeben (siehe das jeweilige Verlagsverzeichnis in den Kategorien
Belletristik und Sachbuch dieser Homepage.)
Leider ist bei Tauchstunden nach
Seite 71 durch eine Blindseite die Abfolge litauisch/deutsch
unterbrochen, und es steht nun jeweils auf der linken Seite das Gedicht
in litauisch und auf der Seite danach stehen (statt daneben) die ins
Deutsche übertragenen Verse - so dass ein Vergleich der beiden
Übertragungen wesentlich erschwert wird.
Laurynas Katkus ist Lyriker
und Übersetzer. Er studierte Lituanistik und Komparistik in Vilnius,
sowie vergleichende Literatur in Vilnius und Leipzig. Er arbeitete
in der Landwirtschaft, beim Radio, im Verlagswesen, sowie als
Dolmetscher. 1998 debütierte er mit dem Gedichtband "Balsai, rašteliai"
("Stimmen und kleine Briefe"). Seine Gedichte wurden ins Englische, Slowenische, Polnische, Lettische und Deutsche übersetzt. Katkus
übertrug u. a. Hölderlin, Benn, Rilke, Hoffmannsthal; William ButlerYeats und
Susan Sontag. Zur Zeit arbeitet Katkus
als freischaffender Schriftsteller. Er wohnt in Vilnius.
Ich hoffte, in der website
www.litauen-info.de mehr über Laurynas Katkus zu erfahren, aber
leider fand sich in der Kategorie Literatur rein gar nichts über den so
gar nicht unbekannten Lyriker.
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- Abai, Zwanzig Gedichte.
- Marina Zwetajewa / Anna Achmatowa, mit dem strohhalm trinkst du meine seele, Hörbuch.
- Valentina Babak, Häuser überall verstreut.
- Kay Borowski (Hrsg.), Petersburg - Die Trennung währt nicht ewig. Eine Stadt im Spiegel ihrer Gedichte.
- Kay Borowski (Hrsg.), Bei mir in Moskau leuchten die Kuppeln. Eine Stadt im Spiegel ihrer Gedichte.
- Joseph Brodsky, Haltestelle in der Wüste. Gedichte.
- David Burliuk / Wladimir Majakowski, Cityfrau. Futuristische Gedichte.
- Elena Guro, Lieder der Stadt.
- Wjatscheslaw Kuprijanow, Wie man eine Giraffe wird. Gedichte.
- Wjatscheslaw Kuprijanow, Wohin schreitet die Pappel im Mai? Gedichte.
- David Burliuk / Wladimir Majakowski, Cityfrau. Futuristische Gedichte.
- Oskar Pastior, Mein Chlebnikov.
- Muchtar Schachanow, Irrweg der Zivilisation. Ein Gesang aus Kasachstan.
- Jelena Schwarz, Das Blumentier. Gedichte.
- Hans Thill (Hrsg.), Vorwärts, ihr Kampfschildkröten. Gedichte aus
der Ukraine.
- Marina Zwetajewa / Anna Achmatowa, mit dem strohhalm trinkst du meine
seele, Hörbuch.
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