Belletristik REZENSIONEN | |
"Wir töteten und fühlten nichts." | |
Ljubko Deresch | Ukrainer |
Die Anbetung der Eidechse oder Wie man Engel vernichtet | |
Aus dem Ukrainischen von Maria Weissenböck
Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, 2006, 201 S.
(Rezensiert, entsprechend dem
Gästebuch-Eintrag von Hans und Beate Schirmer.) | |
Dieser bei Suhrkamp als zweites Buch erschienene Roman von Ljubko Deresch Die Anbetung der Eidechse oder Wie man Engel
vernichtet ist sein Erstlingswerk. Der Damals Sechzehnjährige schrieb es von Juni bis Juli 2000, sein zweites Buch
"Kult" entstand von
August 2000 bis Januar 2001. Beide Bücher kommen orangenfarbig daher, in
der Farbe der ukrainischen Orangenen Revolution... "Die Anbetung der
Eidechse..." ist eine Anspielung auf Morris Lizard King in dem Gedicht "The
Doors".
Die Anbetung der Eidechse oder Wie man Engel vernichtet spielt wie "Kult" in der fiktiven Provinzstadt Midni Buky ("Die Stadt lebt dreimal im Jahr auf - beim Abiturientenfest, am Unabhängigkeitstag und zu Ostern.") am Ende der Karpaten. Hier, in diesem Kaff gehört 1993 jeder Jugendliche einer Gruppe an. Die zwei wichtigsten Gruppierungen - sie spielen auch in Dereschs "Kult" eine zentrale Rolle - sind die "Pazany" (auch "Formale" oder "Hopniks" genannt) und die "Freaks" (auch "Hippies" genannt). Die "Pazany" tragen in der Regel einen kurzen Bürstenschnitt, Jeans, einen Gürtel mit Dornen, Turnschuhe, in die Hosen gesteckte Hemden, alles vorwiegend schwarz. Sie haben ihren eigenen Moralkodex und neigen zu kriminellen Taten. Die "Freaks" hingegen, mehrheitlich langhaarige, sind liberale Pazifisten, wofür sie von den "Pazany" zutiefst verachtet werden. Der langhaarige Hauptheld und Ich-Erzähler ist Misko (Michajlo, Mychasko, Mischka, Mychas) Krwawitsch. Zu seiner "Freaks"-Gruppe gehören das Mädchen Dswinka und der Glatte Hippie, beide sind Miskos "einzigen wahren Freunde". Mir scheint, sie wären zwar "abgefahrene", aber friedliche Bürger, ließe man sie zufrieden. Aber die "Pazany" - der schiefe Sery, die Missgeburt Wassja, Sancho Pansa Ihorytsch und der Große Hippie-Vernichter Fedja Kruhowyj mit seinem fiesen Hund Djuk - sind auf Prügeleien gestimmt; die Feindseligkeiten arten in regelrechten Terror aus. Es gibt im Buch zwei Handlungsstränge: der eine ist die zarte Liebe zwischen Misko und Dswinka, beide fünfzehn Jahre alt, schon seit drei Jahren befreundet. "Diese Dswinka war ein cooles Mädel, liebenswürdig und ohne Macken. Sie verstand meine saublöden Scherze und liebte den Schwachsinn, den ich manchmal (d. h. sehr oft) von mir gab. Ich konnte mit ihr über vieles reden, ohne mich vor Aufregung zu verhaspeln oder rot zu werden." Der andere Handlungsstrang ist die brutale Auseinandersetzung der beiden Gruppen. Im letzten Drittel des Romans planen die eigentlich friedlichen "Freaks" in allen Einzelheiten einen Mord an dem grausamen Fedja, der ihnen das Leben vermiest. Sie wollen ihn um die Ecke bringen und selbst eine weiße Weste behalten. Zwar geht der Plan nicht so auf, wie vorgesehen, aber Fedja wird von den "Freaks" tatsächlich zum Tode befördert. Die Geschichte von Liebe, Gewalttätigkeit und Mord wird nicht einfach so dahererzählt, sondern oft unterbrochen: durch Seitenhiebe auf die ehemalige U-de-eS-eS-eR, durch des Autors Verarschung der russischen Aussprache, durch (erfundene?) Zitate, durch zeilenweises oder ganzseitiges Englisch, durch den Jugendjargon in der Art wie "Die Schwester von Dswinka war eine dumme Fotze." Oder: "Sie sind dein Flittchen ficken gegangen! Fedja poppt sie schon in der zehnten Stellung". Oder: Um Dswinka zu Hilfe zu eilen "trat ich Sery mit voller Kraft in die Genitalien - genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte: mit der Stahlkappe meines Stiefels. Sery heulte mädchenhaft auf und glitt an der Wand zu Boden wie Spucke." Oder: "Die Schaufel in meinen Händen beschrieb einen genialen Bogen und schnitt sich in Fedjas linke Schläfe, zerschmetterte den Knochen und teilte das weiche Gewebe seines Gesichts, als wäre es Speiseeis." Wer so etwas und "verkackte Scheiße", "Arschficker", "Arschloch" ... zum Kotzen findet, der lege Die Anbetung der Eidechse oder Wie man Engel vernichtet ganz schnell aus der Hand. Dereschs erster Roman schließt mit den Sätzen: "Dostojewskij schrieb ein ganzes Buch über die Leiden eines Tschuwak [Jugendslang für "junger Mann, Bursche"], der eine Alte kaltgemacht hat. Wir töteten und fühlten nichts. - Die Generation der Gleichgültigen. Die Generation der Alles-scheiß-egal-Typen. (...) Ob ich das Geschehene bereue? Nein. Ob es mich irgendwie berührt? Nein. Es juckt mich absolut nicht." | |
Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de | |
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Am 06.03.2007 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 20.11.2019. Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. | |
Ohne Wodka ist der Tee ohne Kraft. | |
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