Belletristik REZENSIONEN | |
Protokolle menschlichen Scheiterns | |
Nina Berberova | Russin |
Der Lakai und die Hure | |
Deutsch von Anna Kamp Wagenbachs Taschenbuch 469 Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2003, 88 S. | |
Nina Berberova | Russin |
Das schwarze Übel | |
Deutsch von Anna Kamp Wagenbachs Taschenbuch 486 Verlag Klaus Wagenbuch, Berlin 2003, 87 S. | |
Der "Lakai" ist eigentlich ein Oberkellner, die "Hure" Tania, eine in
die Jahre gekommene, einsame Frau, die sich den Kellner (der sich auf S.
85 selbst als Lakai bezeichnet), angelt, um mehr schlecht als
recht versorgt zu sein.
Tania, aufgewaschen als Tochter eines hohen russischen Beamten in Petersburg, hatte einst von ihrem Leben etwas ganz Besonderes erwartet. Nach der Revolution von 1917 folgt sie ihrem Vater nach Japan - eine Flucht vor der ihn begehrenden Frau des Vizegouverneurs, "aber hauptsächlich vor den Bolschewiken". Keiner der Männer, die Tania den Hof machen, gefällt ihr; sie setzt sich ausgerechnet den Verlobten ihrer Schwester in den Kopf. Nachdem sie und Alexej geheiratet haben, versuchen die beiden Immigranten ihr Glück in Paris. Ihre Ehe dauert nicht lange, Alexej stirbt. Rastlos irrt Tania Arkadijewna durch die Stadt der Verlockungen, mollig und faltig geworden, "eine wasserstoffblonde, verbittere Frau". Mit Sticken - wie ihre Freundin Gulja - will sie sich ihr Geld nicht verdienen; für sie unentbehrlich sind Müßiggang und leibliche Genüsse. Sie ist wieder einmal auf der Suche nach einem Mann und gelangt in die Arme des ebenfalls in die Jahre gekommenen russischen Oberkellners Bologowskij, ehemals Leutnant in der Garde des Zaren. Sie, zu Hause mit nichts Ernsthaftem beschäftigt, wird durch ihre Zeitungslektüre auf eine teuflische Idee gebracht. Doch es kommt alles ganz anders... "(...) schon Mitte der dreißiger Jahre wurde mir klar", schreibt Nina Berberova (sprich: Berbérova) in ihrer Autobiographie, "dass die mir adäquate Form die lange Erzählung ist. (...) Bunin sagte mir, er habe viele Anmerkungen zu (...) `Der Lakai und die Hure´ am Rande seines Exemplars der `Sovremennye Sapiski´ gemacht, und versprach, sie mir einmal zu zeigen. Wo ist wohl dieses Exemplar gelandet? In welchem Archiv?" Zu schade, dass wir es nicht wissen... Nina Berberova 1902 (oder 1901, die Angaben sind unterschiedlich) in St. Petersburg geboren, war 1922 über den klassischen Emigrantenweg Berlin, Prag, Venedig, Rom 1925 nach Paris emigriert, wo sie bis 1950 lebte, um dann (mit fünfundsiebzig Dollar im Portemonnaie und ohne Kenntnis des Englischen) in die USA zu gehen; sie starb 1993 in Philadelphia. Wie ihre "Hure" Tania lebte sie - die Tochter aus wohlhabendem russisch-armenischem Hause (fünfundzwanzig Jahre lang) in Paris in Armut. Sie erhielt von verschiedenen russischen Exilzeitungen, für die sie u. a. "lange Erzählungen" schrieb (die der heutige Verlag verkaufsträchtig Romane nennt) ein wenig Honorar. Als ihr bedeutendstes Werk gilt "Das Buch vom dreifachen Glück", als das meistgelesene Das schwarze Übel. Die "lange Erzählung" Das schwarze Übel spielt ebenfalls in Paris, beginnt im Pariser Pfandhaus, "einer der gräßlichsten Orte der Welt". Der russische Exilant Jewgenij Petrowitsch, angestellt in einem Architekturbüro, löst nach neun Jahren die versetzten Diamantohrringe aus, weil er Geld braucht für die Reise nach Chicago, wo er sich ein neues Glück erträumt. Doch im Laufe der Jahre war ein Diamant schwarz und wertlos geworden - er hatte "das schwarze Übel". Das Geld reicht nun nicht für die Fahrkarte. Auf welch kuriose Weise Jewgenij Petrowitsch doch noch zu dem nötigen Geld kommt, und wie es ihm in Chicago als Sekretär eines Memoirenschreibers ergeht, erzählt die Berberova als große russische Realistin des 19. Jahrhunderts. Beide Erzählungen sind Protokolle menschlichen Scheiterns. Die Werke der Berberova wurden in den achtziger Jahren in Frankreich wiederentdeckt und sind inzwischen in zwanzig Sprachen übersetzt. Erfreulich, dass auch der Verleger Wagenbach die Berberova in sein Taschenbuch-Programm aufgenommen hat. | |
Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de
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Am 16.12.2004 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 20.11.2019. Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. | |
Sei Diener deines Gewissens, Herr deines Willens. | |
Sprichwort der Russen |
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