Kinderbuch-JugendbuchREZENSIONEN

Paraska heiratet den Burschen im weißen Kittel

Russen
Märchen-Samowar
Erzählungen aus dem alten Rußland
Mit ganzseitigen farbigen Illustrationen von Gennadij Spirin
Nacherzählt von Sybil Gräfin Schönfeldt
Esslinger Verlag, Esslingen/Wien 1996, 4. Auflage 2003.

Mit vier der schönsten Werke klassischer russischer Autoren präsentiert diese Anthologie ein stimmungsvolles Bild der Zarenzeit. Die Geschichten laden ein zu einem ereignisreichen Tag mit dem bunten Jahrmarktstreiben von Sorotschinzy, folgen der liebenswerten Hündin Kaschtanka durch winterlich verschneite Straßen, suchen die abhanden gekommene Nase des Majors Kowaljow und freuen sich mit dem Zaren Saltan über die märchenhafte Wiederkehr seines verlorenen Sohnes.

Als Einzelbände sind beim Esslinger Verlag für Kinder schon von Nikolaj Gogol "Die Nase" erschienen, von Anton Tschechow "Kaschtanka" und von Alexander Puschkin "Das Märchen vom Zaren Saltan" - alle drei Bücher, wie der Märchen-Samowar auch, einfühlsam nacherzählt von Sybil Gräfin Schönfeldt und meisterlich illustriert von dem Bilderbuchkünstler Gennadij Spririn. Aber: Märchen-Samowar mit Erzählungen aus dem alten Rußland?

Hat Tschechow Kaschtanka extra für Kinder geschrieben, und ist Puschkins Das Märchen vom Zaren Saltan vorrangig für Kinder gedacht, so ist Gogols Die Nase und sein Jahrmarkt von Sorotschinzy ganz sicher für Erwachsene geschaffen. Da die drei anderen Geschichten in dieser Web-Seite schon rezensiert sind, bleiben wir diesmal ausschließlich bei Gogols Der Jahrmarkt von Sorotschinzy. Der Schauplatz dieser Erzählung, der ukrainische Marktflecken von Sorotschinzy, ist der Geburtsort Nikolai Wassiljewitsch Gogols, der hier am 19. März 1809 das Licht der Welt erblickte. Zu Beginn seiner Erzählung "Der Jahrmarkt von Sorotschinzy"schwärmt Gogol "voller Wollust und Wonne" von dem berauschenden und üppigen Sommer in der Ukraine. In der Nacherzählung ist es lediglich "ein heißer Sommertag" als ein schönes Mädchen namens Paraska mit seinem Vater, einem weißrussischen (belorussischen) Bauern, und seiner bösen, putzsüchtigen und habgierigen Stiefmutter zum Jahrmarkt von Sorotschinzy fährt. Paraska, die - achtzehn Jahre alt -  das erste Mal zum Jahrmarkt mitfahren darf, entdeckt in der Menge einen jungen Burschen in weißem Kittel, der sie mit seinen schönen dunklen Augen anblitzt.

Wie es dazu kommt, dass dieser verwegene Bursche und die schöne Paraska heiraten, wird nicht verraten.

Dass diese Geschichte eigentlich nicht für Kinder gedacht ist, beweist schon, dass in der Nacherzählung - die sich trotz der Kürze gekonnt bemüht, das bunte Jahrmarktskolorit und die Erscheinung des Teufels in Schweinegestalt wiederzugeben - kein Wörtchen davon steht, dass die böse Stiefmutter Chawronja ihren dem Trunk nicht abgeneigten Mann mit dem Popensohn Anthanasius Iwanowitsch betrügt, obwohl diese Tatsache in der Erzählung großen Raum einnimmt. Dennoch, es bleibt dabei: Es ist ein großes Verdienst des Esslinger Verlages,  klassische russische Schriftsteller Kindern nahe zu bringen.

Russische Schriftsteller? Obwohl Nikolaj Gogol in allen Literaturgeschichten als einer der größten russischen Erzähler gilt, ist er dem Blute nach überhaupt kein Russe, sondern Ukrainer3. Wenn er sich selbst auch als Russe fühlte und in russischer Sprache schrieb und dichtete, so stammte er nichtsdestoweniger aus einem rein ukrainischen Geschlecht von Geistlichen und Gutsbesitzern.

Gennadij Spirin, ein in den USA lebender russischer Künstler hat das Ukrainische in seinen Bildern detailgetreu wieder gegeben. Man achte besonders auf die Saporoger (Saporosher) Kosaken mit ihren herabhängenden Schnauzbärten, den farbenfrohen Pluderhosen und den Pelzmützen mit den Stoffzipfeln. Ganz ukrainisch auch die Hochzeitsgeschenke des "jungen Burschen im weißen Kittel", der wohl eher einen hochgeschlossenen weißen Mantel trägt.

Übrigens: Auf der Hochzeit von Paraska und ihrem Auserwählten wurde so ausgelassen getanzt, dass den Gästen ein Jahr lang die Beine wehtaten...


Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de
Weitere Rezensionen zur Person "Puschkin":

  • Alexander Puschkin, Das einsame Häuschen auf der Basilius-Insel.
  • Alexander Puschkin, Das Märchen vom Zaren Saltan, Kinderbuch.
  • Alexander Puschkin (Aleksandr Puškin), Pique Dame, Hörbuch.
Weitere Rezensionen zu "Titel der klassischen russischen Kinderliteratur":

  • Anton Čechov (Tschechow), Kaschtanka und andere Kindergeschichten.
  • Nikolaj Gogol, Die Nase, Kinderbuch.
  • Antony Pogorelskij, Die kleine schwarze Henne.
  • Anton Tschechow (Čechov), Kaschtanka.
  • Sergej Puschkin, Das Märchen vom Zaren Saltan.
Weitere Rezensionen zur Person "Gogol":

  • Nikolaj Gogol, Die Nase, Kinderbuch.
  • Nikolaj Gogol, Meistererzählungen.
  • Nikolaj Gogol, Petersburger Geschichten.
  • Gogols Petersburger Jahre, Gogols Briefwechsel mit Aleksandr Puškin (Alexander Puschkin).
  • Kjell Johansson, Gogols Welt, Biographie.

Am 24.05.2007 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 27.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Lieber mit einer zänkischen Frau leben, als mit einer klugen.
Sprichwort der Russen

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