SACHBUCH REZENSIONEN

Einblick auch in Landeskunde und Kultur

Über Georgier in Berlin
Georgier in Berlin
Herausgegeben von der Ausländerbeauftragten des Senats von Berlin, Berlin 1999, 80 S.

Schon unter zaristischer Herrschaft zog es ab 1915 junge Georgier zum Studium der georgischen Sprache und Kultur an die Spree; Georgien verfügte bis 1918 über keine Hochschule.

Dr. Steffi Chotiwari-Jünger - Wissenschaftliche Oberassistentin für Georgisch an der Humboldt-Universität zu Berlin, gleichzeitig mit Lehrauftrag an der Freien Universität Berlin - hat jahrelang recherchiert, um den vorliegenden Band über Georgisches in Berlin in Geschichte und Gegenwart zu erarbeiten. Ganz erstaunlich die vielfältigen georgischen Akzente in Literatur, Kunst und Musik, Film und Wissenschaft. Ihre Arbeit gibt darüber hinaus auch Einblick in georgische Landeskunde und Kultur und stellt georgische Persönlichkeiten in Berlin vor. Besonders aufschlussreich das ausführliche Kapitel über das tragische Schicksal des Iakob Dshughaschwili-Swanidse, Stalins ältestem Sohn aus seiner ersten Ehe. Als Iakob im Juli 1941 in deutsche Gefangenschaft geraten war, wollten ihn die Faschisten für sich gewinnen, möglichst als Führer einer Armee von Gegnern des sowjetischen Regimes, die später unter der Führung des Überläufers General Wlassow auch tatsächlich zustande kam. Stalins Sohn ließ sich nicht ködern. Da er sich also als "nicht nützlich" erwies, wurde er ins Konzentrationslager Sachsenhausen überführt, wo er im April 1944 starb. Den Freitod?

(Jüngst las ich in "Stalin. Am Hof des roten Zaren" von dem Engländer Simon Sebag Montefiore Einzelheiten über die Gefangennahme und den Tod von Stalins Sohn Jakow (Iakob). Graf Bernadotte vom Roten Kreuz hatte Molotow ein Angebot der Reichsregierung überbracht, den Offizier Jakow gegen den Marschall Paulus auszutauschen. Stalin lehnte mit den Worten ab: "Sie sind doch alle meine Söhne." Und zu seiner Tochter Swetlana sagte er: "Nein - Krieg ist Krieg." Die Weigerung Stalins, Jakow freizukaufen, sah ich bisher als Hartherzigkeit an, zumal ich schon oft gelesen hatte, dass Stalin gegenüber seinem erstgeborenen Sohn  eher gleichgültig war. Doch, so meint Montefiore, man müsse fair bleiben. "Auch ein Churchill oder Roosevelt (...) hätten im analogen Fall ihre Söhne kaum austauschen können, während Tausende namenloser Soldaten umkamen oder in Kriegsgefangenenlagern dahinsiechten."  Am 14. April  beging Jakow nach standhafter Weigerung, mit der Wehrmacht zu kooperieren, im Gefangenenlager Sachsenhausen Selbstmord, indem er sich gegen den gesicherten Stacheldrahtzaun warf.  Als Stalin von dem Freitod seines Sohnes erfuhr, blickte er voller Stolz auf dessen Foto. Und zu einem Bekannten soll er gesagt haben: "Das ist ein echter Kerl, nicht wahr! Ein Edelmann bis zum bitteren Ende! Das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm." Ähnlich wie seiner [zweiten] Frau Nadja soll er  Jakow - laut Montefiore - bis zu seinem Tod nachgetrauert haben.)

Innerhalb des Kapitels "Die Georgier im II. Weltkrieg" findet sich bei Steffi Chotiwari-Jünger ein interessantes Detail: Wie oft hatte ich schon das weltberühmte Foto des Kriegsberichterstatters Jewgenij Chaldej in Händen, auf dem am 30. April 1945 die sowjetische Fahne auf dem Reichstag gehisst wird - Symbol für das Ende der Naziherrschaft. Aus Steffi Chotiwari-Jüngers intensiv recherchierter Broschüre erfahre ich nun, dass auf dem Bild neben dem Russen Jegorow aus dem 756. Regiment der 150. Schützendivision der Georgier Sergeant Meliton Kantaria abgebildet ist... Und es gibt mehr Neuigkeiten in Steffi Chotiwari-Jüngers in Text und Bild prall gefülltem Kompendium.

Die Autorin stellt ihrem Büchlein eine Erklärung zur Schreibweise von georgischen Namen und Bezeichnungen voran. Ihre Schreibweise, z. B. von Iakob Dshughaschwili-Swanidse (den man üblicherweise als Jakob Dschugaschwili-Swanidse [Stalin] geschrieben findet), ist strikt aus dem Georgischen hergeleitet, wie man der fundierten Kennerin des Georgischen glauben darf.


Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

 

Weitere Rezensionen zum Thema "Georgien":

  • Steffi Chotiwari-Jünger, Die Literaturen der Völker Kaukasiens.
  • Clemens Eich, Aufzeichnungen aus Georgien.
  • Iosseb Grischaschwili, Niemals hat der Dichter eine Schönere erblickt...
  • Wladimir und Olga Kaminer, Küche totalitär. Das Kochbuch des Sozialismus. Darin: Georgien.
  • Fried Nielsen (Hrsg.), Georgien. EUROPA ERLESEN.
  • Rainer Petto, Dr. Reineggs und Graf Kohary in Georgien.
  • Sergio Pitol, Die Reise. Ein Besuch Rußlands und seiner Literatur.

Am 18.01.2002 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am 12.01.2017.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Mit einer Hand kann man nicht in die Hände klatschen.
Sprichwort der Georgier

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