Belletristik REZENSIONEN |
Wo die Weinrebe kultiviert wurde...
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Fried Nielsen (Hrsg.) |
Deutscher; über Georgien |
Georgien
EUROPA ERLESEN, Hrsg. von Lojze Wieser
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Wieser Verlag, Klagenfurt 2006, 210 S.
In der Reihe EUROPA ERLESEN sind inzwischen (seit 1997) einhundert Bände erschienen. "Europa birgt in sich über zweihundert
Kulturen und Sprachen", schreibt der Herausgeber Lojze Wieser, "sie
werden in 48 Ländern - 25 EU-Mitglieds- und 23 (Noch-)Nicht-EU-Mitgliedsstaaten gelebt." In
meiner Web-Seite sind die
"literarischen Flachmänner" (L. Wieser) "Tallinn" (Estland),
"St. Petersburg"
(Russland),
"Moskau" und "Russland" vorgestellt
Georgien beginnt mit einem Text aus
der Antike (um 458). "Schließlich", schreibt der Herausgeber Fried
Nielsen, "war Georgien nie terra incognita. Seitdem Menschen
die Erde erkunden, erkunden sie auch den Kaukasus." Die 52 Texte
dieses handlichen Büchleins, gebunden in pinkfarbenem Leder mit
Goldschrift, sind landeskundlich untergliedert in Tiflis
[Tbilissi], Georgische Heerstraße,
Kachetien, Swanetien, Chewsuretien und West-Georgien. Die Texte
umfassen - von der Antike bis zur Neuzeit - zumeist Ausschnitte aus
Chroniken, Reise-Aufzeichnungen, Sagen, Legenden. Reportagen,
Gedichten, Poemen, Romanen, Briefen, Erzählungen, Tagebüchern,
Erinnerungen.... Die Autoren sind Schriftsteller verschiedener
Nationalitäten (Puschkin, Lermontow, Pasternak, Bitow, Dumas, Hamsun,
Kisch, Tabidse...), Journalisten, Bergsteiger, Unternehmer (Werner von
Siemens), Wissenschaftler (Gustav Radde), Politiker (Eduard
Schewardnadse)... Alle Texte, die für Georgien (meist sehr
stark gekürzt) ausgewählt wurden, sind zu den verschiedensten Zeiten
in deutscher Sprache erschienen.
Sehr schade, dass
"Niemals hat der Dichter eine Schönere erblickt..."
von Iosseb Grischwaschwili über das
alte Tbilissi erst 2007 (bei NORA, Berlin) erschien, sonst hätte es in
Georgien nicht fehlen dürfen! Jedenfalls sei auf dieses
vielseitig-interessante Buch aufmerksam gemacht, falls beim Wieser
Verlag eine zweite Auflage von Georgien erscheinen sollte.
Wie schon bei "Tallinn" bedaure ich,
dass der Leser über die Autoren nur die Lebensdaten erfährt. Was zum
Beispiel trieb die österreichische Schriftstellerin Bertha von Suttner
(1843-1914) für "einige schöne Jahre" nach Georgien, genauer nach
Zugdidi, der Hauptstadt Mingreliens? "Als Möbel enthielt unser roter
Salon einen sehr großen Tisch, der uns beiden als Schreibtisch diente,
einige Sessel, noch ein Tisch und eine `Tachta´. Dies ist ein Möbel,
das in keinem kaukasischen Zimmer fehlt: ein langer, breiter Diwan,
unüberzogen und ohne Lehne. Ein Teppich fällt darüber und bildet den
Überzug; vier lange, mit Teppichstoff überzogene Rollen bilden die
Rücken- und Armlehnen. Dazu kann man noch einige Phantasiekissen tun,
und das gibt die bequemste Gelegenheit zum Sitzen, Liegen,
Lungern...." - Warum reiste Werner von Siemens (1816-1892) nach
Kachetien, wo er u. a. ein landesübliches Zechgelage erlebte: "Als wir
am folgenden Morgen unser Räuschchen in der erquickenden frischen Luft
des Hochgebirges zwischen den rauschenden Bächen ohne irgendwelchen
unangenehmen Nachklang glücklich verschlafen hatten, besichtigten wir
den Erzgang, der zwar reich, aber noch nicht aufgeschlossen war..."
Und was trieb den Norweger Knut Hamsun (1859-1952) nach Tbilissi? Über
das asiatische Viertel der Stadt schreibt er: "Und da saßen nun alle
möglichen Volkstypen, die in ihren Buden und Hallen wunderliche Dinge
zu verkaufen suchten. In Teheran und Konstantinopel sind die
Handeltreibenden Perser und Türken, hier waren es alle Völkerschaften
Kaukasiens (...). Und alles ging hier friedlich zu, keiner hatte Eile,
die Ruhe des Morgenlandes lag über den Menschen."
Ich bin gespannt, wann ich nicht mehr
monieren muss, dass die heute "im Westen" erscheinenden Bücher
westorientiert sind (bei
Latchinian,
Petz,
Nurpeissow...). Wie
ist es sonst zu verstehen, wenn der Herausgeber in seinem "Post
scriptum" schreibt, "Was wusste selbst ein gebildeter Westeuropäer vor fünfzehn Jahren von
Georgien? Wohl kaum etwas. Ihm war das Land nicht
bekannt, in dem die Weinrebe kultiviert wurde, das Land, das tief in
der europäischen Geschichte wurzelt." Gut möglich, dass
Georgien für
viele Westeuropäer eine Entdeckung ist, aber für die ehemaligen
Ostdeutschen, die doch auch Westeuropäer sind, ist
Georgien höchstens
eine Wiederentdeckung, denn für sie war
Georgien durchaus keine
Fremdwort! Wir kannten Georgien aus der Presse, aus der ins Deutsche
übersetzten Literatur und von unseren Urlaubsreisen! Schade, dass DDR-Deutsche in diesem Buch als
Autoren nicht vertreten sind, nicht einmal Adolf Endler,
der den deutschen Lesern schon in den siebziger Jahren einen Eindruck
von der kulturellen Vielfalt Georgiens vermittelte ("Zwei Versuche,
über Georgien zu erzählen", Mitteldeutscher Verlag, Halle 1971);
Endler taucht in Georgien lediglich als Übersetzer von Akaki
Zereteli (1840-1915) auf. Dass es auch anders geht, beweist Sabine
Schmidt (Hrsg.) mit ihrem EUROPA ERLESEN-Band "Tallinn", in dem sie
auch einige DDR-Autoren zu Worte kommen lässt.
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Gisela Reller /
www.reller-rezensionen.de
| Weitere Rezensionen zum Thema "Georgien":
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- Steffi Chotiwari-Jünger, Georgier in Berlin.
- Steffi Chotiwari-Jünger, Die Literaturen der Völker Kaukasiens.
- Clemens Eich, Aufzeichnungen aus Georgien.
- Iosseb Grischaschwili, Niemals hat der Dichter eine Schönere erblickt...
- Wladimir und Olga Kaminer, Küche totalitär. Das Kochbuch des
Sozialismus. Darin: Georgien.
- Rainer Petto, Dr. Reineggs und Graf Kohary in Georgien.
- Sergio Pitol, Die Reise. Ein Besuch Rußlands und seiner Literatur.
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Am 29.08.2007 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am
26.11.2019.
Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet. |
Jedes Wort hat seinen Platz und jede Sache ihre Zeit. |
Sprichwort der Georgier |
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