Reiseliteratur-Bildbände REZENSIONEN

Einfach nur Schwachsinn?

Über Kasachstan
Baikanur
Tropen Verlag, Köln 2000, 277 S.

Was zieht sich als roter Faden durch dieses Buch? Ein bisschen Baikonur*, mal mehr, mal weniger Weltraumbesessenheit und eine (nicht nur) menschliche Notdurft - das Pinkeln: So strullt eine Geisel auf den Rücksitz des gerade eben gekauften Gebrauchtwagens und, nun schon keine Geisel mehr, sondern eher eine bei einem Einbruch Ertappte, soll sie zu Erpresserzwecken vor laufender Kamera pullern; überall und immerzu ergießt sich der gelbe bis braune Strahl. Höhepunkt: Als die von dem fiktiven deutschen Provinznest Seydelheim nach Kasachstan Holpernden - das sind der nicht immer rund laufende Tornadopilot Beck, der Gebrauchtwagenhändler von Hullsen, die Raumfahrtexpertin Tuschka und die schöne Tschechin Jana -  von einer kasachischen Zivilstreife gestoppt werden, wedelt Jana, sechzehnjährig, mit ihrem Slip und uriniert neben der verdutzten Streife in den Schnee. Die lässt verdattert die Kalaschnikows sinken, und der schrottreife Volvo kann bei über 30 Grad minus ohne Wegezoll davon knattern.

Die Fahrt führt die erst Drei, dann Vier vom Westen Deutschlands in den Osten Deutschlands, weiter durch Tschechien, von wo man die Halbwaise Jana mitgehen lässt, über Ungarn, wo Beck in einem Dorf, in dem sich jeder fünfte selbst mordet, zufällig unter dem richtigen Baum sein Erbe ausbuddelt, über die Ukraine und Russland "mit den gesichtslosen Menschen vor dem Hintergrund des zerfallenden Sowjetreichs" nach Kasachstan. Kurz vor dem Weltraumbahnhof Baikonur haben die völlig bekloppt handelnden Buchhelden die Schnauze voll und wollen mit einem Mal gar nicht mehr mit einer Sojus fliegen... Macht nichts. Wenn sie bis dahin nicht gestorben sind, können sie noch lange überlegen, denn Russland hat den Pachtvertrag für den Weltraumbahnhof Baikonur bis zum Jahre 2050 verlängert...**

Sollte der Autor - 1962 im thüringischen Saalfeld geboren, heute in Köln lebend - sein Buch grotesk-humoristisch meinen, so kann ich trotz gutem Willen keinen Zugang zu diesem sinnleeren Klamauk finden. Immerhin: Für den Mitteldeutschen Rundfunk ist das Buch "brüllend komisch". Und außerdem: US-Forscher haben gerade festgestellt, dass Nervenzellen über enorme Selbstheilungskräfte verfügen, sie müssen nur angeregt werden: durch Beschäftigungen wie Fremdsprachen lernen und --- lesen (egal was).

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de

     * Baikonur ist Russlands größtes Kosmodrom, das einzige für bemannte Flüge und mit Startrampen für die großen Energija- und Proton-Raketen. Sein Aufbau begann 1955 in der Nähe der Bahnstation Tyuratam. Das Baikonur-Gelände erstreckt sich über 85 Kilometer in Nord-Süd-Richtung und 125 Kilometer in Ost-West-Richtung. Neben Dutzenden von Startrampen befinden sich hier fünf Kontrollzentren. Leninsk am Fluss Syr-Darja und an der Bahnlinie ist Hauptort des Weltraumzentrums.

 ** Am 6. November 2007 unterzeichnete Wladimir Putin ein Dekret zum Bau eines neuen Startkomplexes auf russischem Hoheitsgebiet. Vorläufige Schätzungen veranschlagen 180 Milliarden Rubel (5,7 Milliarden US-Dollar) für den Bau eines voll entwickelten Raumfahrtbahnhofes. Das neue Kosmodrom wurde "Wostotschny" (Das Östliche) getauft.  "Wostotschny" wird ab 2015 (wenn der erste unbemannte Start vom neuen Kosmodrom geplant ist) zum neuen Baikonur. Bis 2020 sollen die Bauarbeiten vollkommen abgeschlossen sein.

 

Weitere Rezensionen zum Thema "Kasachstan":

  • Abai, Zwanzig Gedichte.
  • Laurence Deonna, Kasachstan.
  • Jurij Dombrowskij, Der Hüter der Eigentümer.
  • Abisch Kekilbajew, Das Minarett. Oder das Ende einer Legende.
  • Andrej Kurkow, Petrowitsch.
  • Ella Maillart, Turkestan solo.
  • Abdishamil Nurpeissow, Der sterbende See.
  • Muchtar Schachanow, Irrweg der Zivilisation. Ein Gesang aus Kasachstan.
  • Rollan Seysenbajew, Der Tag, als die Welt zusammenbrach.
  • Igor Trutanow, Die Hölle von Semipalatinsk.

Am 15.02.2003 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am  28.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

Wer auf einem Kamel sitzt, dem ist der Himmel nahe.
Sprichwort der Kasachen

 [  zurück  |  drucken  |  nach oben  ]