Belletristik REZENSIONEN

Eine unbekannte Welt
Über die Uiguren
Ich wurde vor fünftausend Jahren geboren...
innaron verlag, Zürich 1996, 67 S.

Die Hochkulturen - von der christlichen Antike bis in die ersten Jahrhunderte unserer Zeitrechnung - sind uns nach dem Untergang ihrer Imperien zumeist durch Denkmäler der Kultur in Erinnerung geblieben. Im Unterschied etwa zum alten Ägypten und China, zum Reich der Maya und Inka sind die untergegangenen Reiche der Uiguren jedoch nach wie vor eine unbekannte Welt. Die etwa zehn Millionen Uiguren leben heute verstreut im autonomen Gebiet Sinkiangs (Xinjiangs) in der Volksrepublik China und in den unabhängigen Republiken des sowjetischen Mittelasiens: in Kasachstan, Kyrgysstan, Tadshikistan, Turkmenistan und Usbekistan. Die meisten Uiguren sprechen neben der Sprache des Landes, in dem sie leben, auch russisch und uigurisch. Mit der Zeit, schreibt Hitzer, verloren die Uiguren aber ihre überlieferte Kultur und ihre nationale Identität. Was ich nur bestätigen kann. Ich hatte mich bei meinem vierwöchigen Aufenthalt in Kasachstan mit einer Uiguren-Familie angefreundet, die mir ihr Leid über ihre Heimatlosigkeit klagte. Im Verlaufe der Perestroika ist sie mit vielen anderen Uiguren-Familien aus dem kasachischen Almaty ausgewandert, ins Stammland der Uiguren, nach China, wo sie alle unter noch bedrückenderen Verhältnissen leben als in der ehemaligen Sowjetunion.

Friedrich Hitzer* machte die Bekanntschaft des Uiguren Lekim Ibragim ("Der Schmerz meines Volkes sitzt tief in mir."), er ist Maler im usbekischen Taschkent. Hitzer hat ihn bewogen, extra für diesen Band Tuschezeichnungen anzufertigen und Verse zu schreiben. Was dabei herauskam, ist ein wunderschöner Band (Gestaltung von Silvelie Hitzer) "hingehauchter" Miniaturen in Wort und Bild.

Alle Turkvölker berufen sich auf die Hochkultur der Uiguren, ihr klassisches Erbe. Zwar hat sich Lekim Ibragim inzwischen über Mittelasien hinaus einen Namen gemacht und bei Ausstellungen in Polen, Indien, Luxemburg, Marokko, den USA, Japan und Deutschland viel Beachtung gefunden, doch mit diesem geradezu bibliophilen Bändchen könnte sich die Welt der Uiguren erstmals einem breiten Publikum erschließen.

Sicherlich hat es Friedrich Hitzer, der auch Tschingis Aitmatow übersetzt,  viel Mühe gekostet, dieses sehr ansehens- und lesenswerte Büchlein zustande zu bringen. Dennoch finde ich, dass der Autor, Herausgeber und Übersetzer trotz seiner vermittelnden eigenen Texte in diesem Buch bei der Angabe der Autorenschaft ins zweite Glied hätte treten müssen.

Gisela Reller / www.reller-rezensionen.de 

    * Der Übersetzer Friedrich Hitzer starb am 15. März 2007. 

  

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Am 18.01.2002 ins Netz gestellt. Letzte Bearbeitung am Letzte Bearbeitung am 22.11.2019.

Das unterschiedliche Schreiben von Eigennamen ist den unterschiedlichen Schreibweisen der Verlage geschuldet.

  
Silberschmuck:
Kette der

turksprachigen
Uigurin.

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