Die "Helden" dieses Buches sind Willi, Elmar, John, Rita und Manasse -
was für "urrussische" Namen... Will die Autorin damit vielleicht sagen,
dass die Welt im 23. Jahrhundert überall gleich lebensunwürdig sein
wird? Doch jetzt haben wir im Buch gerade noch das 20. Jahrhundert, anno 1999: Eine Ärztin in einer Nervenheilanstalt führt mit dem Patienten Willi
"heilende" Gespräche, denen der Leser entnimmt, dass alles - oder fast
alles -, was in diesem Buch geschieht, sich in Willis krankem Kopf
abspielt. Willi lebt mit seinen Gedanken im 23. Jahrhundert, da
gibt es nicht einmal auf Marken noch genug zu essen und nur noch einen
halben Liter Trinkwasser pro Person und Tag. Alles ist verdorrt und
vertrocknet, die Benzinvorräte sind schon lange erschöpft, die
Elektrizität ist längst ausgefallen; die Leichen liegen auf den Straßen
nur so herum. Wer noch lebt und noch Geld hat, bezahlt in Schekel (Warum
ausgerechnet in israelischen Schekels?).
Willi ist Musiker, er spielt Klarinette. In seinen Ohren dröhnen Bach
und Mozart. In einem der Patientengespräche erkennt die Ärztin, wodurch
Willi die Umweltkatastrophe so hellsichtig sieht: Willi war mit seinem
Orchester auf Tournee in verschiedenen Seebädern und hatte dort gesehen,
in welchem Zustand die Strände sind, und wie scheußlich das
Meerwasser aussah - vom Wasser hatte er eitrigen Ausschlag an den Beinen
bekommen.
Willis Freunde Rita und John sind Maler. John will für
die Nachwelt ("Doch es gibt keine Nachwelt mehr, es gibt nur ein
Danach.") ein "Superbild" schaffen, genial, als sei es von Michelangelo.
Doch nicht genug damit, dass die Menschen des 23. Jahrhunderts ihre
Lebenswelt in einen einzigen Friedhof verwandelt haben, geistert ein
bisschen Jüdisches und viel Indisches durchs Buch; Ritas Sohn Pawel wird
Mitglied der Krischan-Sekte. In den Anmerkungen am Schluss des Buches -
leider sind diese zu Beginn nicht angekündigt - werden die vielen
entsprechenden Ausdrücke erklärt - wie Aschram, Awatara, Bhagawadgita, Harinam, Mantra...
Die zweckoptimistische Ärztin verspricht Willi, ihn bald als geheilt
entlassen zu können. Um Gottes Willen, denkt Willi, denn wie sich
herausstellt, hatte er "eines nebligen Morgens" eine Vorladung erhalten,
weil er - angeblich natürlich - ein Betrüger sei und von unehrlichem
Geld lebe. Flugs hatte Willi sich vollaufen lassen, ein betrunkenes
Spektakel inszeniert, Säuferwahnsinn simuliert und sich in die
Klapsmühle einweisen lassen, um sich vor dem Gericht zu drücken.
Der Verlag philosophiert: "Die Menschen sind degeneriert und warten auf
das Ende der Welt. Doch ihre Protagonisten, Musiker und Maler, zeichnen
sich durch klaren Verstand aus und halten an ihrer Hoffnung auf Zukunft
fest. Sie sind geprägt von humanistischem Gedankengut und von einer
alten Weltzivilisation und erscheinen damit als Hoffnungsträger für das
Überleben der Heimat." Die Autorin, das ist klar, will ihre Leser
für die Umwelt sensibilisieren. Das macht sie spannend und
beeindruckend. Aber inwiefern die Künstler im Buch sich durch klaren
Verstand auszeichnen und Hoffnungsträger sind, beim besten Willen, d a s kann ich aus Der
kalte Quell Vergessen nicht herauslesen. "Zuviel Lesen ist ebenso
schädlich, wie zuwenig Lesen", schreibt Martin Andersen Nexö in seinen
Erinnerungen, "man versumpft geistig." Ist es bei mir etwa schon
soweit?
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