Vorab!

Leider kommt im Internet bei meinem (inzwischen veralteten) FrontPage-Programm  längst nicht alles so, wie von mir in html angegeben. Farben kommen anders, als von mir geplant, Satzbreiten wollen nicht so wie von mir markiert, Bilder kommen manchmal an der falschen  Stelle, und - wenn  ich  Pech  habe  -  erscheint  statt  des  Bildes  gar  eine  Leerstelle.

Was tun? Wer kann helfen?

 

*

Wird laufend bearbeitet!

 

 

Ich bin ein RUSSE: Sascha in Uglitsch an der Wolga.

 

 

 

 

Foto: Gisela Reller

 

                    

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

 

"Die Seele, denke ich, hat keine Nationalität."

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) in: Im Spiegel des Vergessens, 2007

 

Wenn wir für das eine Volk eine Zuneigung oder gegen das andere eine Abneigung hegen, so beruht das, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, auf dem, was wir von dem jeweiligen Volk wissen oder zu wissen glauben. Das ist – seien wir ehrlich – oft sehr wenig, und manchmal ist dieses Wenige auch noch falsch.

Ich habe für die Berliner Illustrierte FREIE WELT als Reporterin wissenschaftlicher Themen jahrelang die Sowjetunion bereist, um – am liebsten über abwegige Themen - zu berichten: über Hypnopädie und Suggestopädie, über Geschlechtsumwandlung und Seelenspionage, über Akzeleration und… Ein sehr interessantes Arbeitsgebiet! Doch 1970, am letzten Abend meiner Reise nach Nowosibirsk – ich hatte viele Termine in Akademgorodok, der russischen Stadt der Wissenschaften – machte ich einen Abendspaziergang entlang des Ob. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich zwar wieder viele Kapazitäten kennengelernt hatte, aber mit der einheimischen Bevölkerung kaum in Kontakt gekommen war.

Da war in einem magischen Moment an einem sibirischen Fluss Angesicht in Angesicht mit einem kleinen (grauen!) Eichhörnchen die große FREIE WELT-Völkerschafts-Serie* geboren!

Und nun bereiste ich jahrzehntelang zahlreiche Völker des Kaukasus, war bei vielen Völkern Sibiriens, war in Mittelasien, im hohen Norden, im Fernen Osten und immer wieder bei den Russen.

Nach dem Zerfall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zog es mich – nach der wendegeschuldeten Einstellung der FREIEN WELT, nun als Freie Reisejournalistin – weiterhin in die mir vertrauten Gefilde, bis ich eines Tages mehr über die westlichen Länder und Völker wissen wollte, die man mir als DDR-Bürgerin vorenthalten hatte.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ist nun mein Nachholebedarf erst einmal gedeckt, und ich habe das Bedürfnis, mich wieder meinen heißgeliebten Tschuktschen, Adygen, Niwchen, Kalmyken und Kumyken, Ewenen und Ewenken, Enzen und Nenzen... zuzuwenden.

Deshalb werde ich meiner Webseite www.reller-rezensionen.de, die seit 2002, mit nunmehr weit über fünfhundert Rezensionen im Netz ist, ab 2013 meinen journalistischen Völkerschafts-Fundus von fast einhundert Völkern an die Seite stellen – mit ausführlichen geographischen und ethnographischen Texten, mit Reportagen, Interviews, Sprichwörtern, Märchen, Gedichten, Literaturhinweisen, Zitaten aus längst gelesenen und neue erschienenen Büchern; ethnographischen Zeichnungen, Ornamenten, Fotos… - so manches davon, teils erstmals ins Deutsche übersetzt, war bis jetzt – ebenfalls wendegeschuldet – unveröffentlicht geblieben.

Sollten sich in meinem Material Fehler oder Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, teilen Sie mir diese bitte am liebsten in meinem Gästebuch oder per E-Mail gisela@reller-rezensionen.de mit. Überhaupt würde ich mich über eine Resonanz meiner Nutzer freuen!

Gisela Reller

 

 

    * Lernen Sie Rationelles Lesen" / "Lernen Sie lernen" / "Lernen Sie reden" / "Lernen Sie essen" / "Lernen Sie, nicht zu rauchen" / "Lernen Sie schlafen" / "Lernen Sie logisches Denken"...

 

  ** Im 1999 erschienenen Buch „Zwischen `Mosaik´ und `Einheit´. Zeitschriften in der DDR“ von Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hrsg.), erschienen im Berliner Ch. Links Verlag, ist eine Tabelle veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Völkerschaftsserie der FREIEN WELT von neun vorgegebenen Themenkreisen an zweiter Stelle in der Gunst der Leser stand – nach „Gespräche mit Experten zu aktuellen Themen“.

(Quelle: ZA Universität Köln, Studie 6318)

 

*** Christa Wolf zur Einstellung der Illustrierten FREIE WELT in ihrem Buch "Auf dem Weg nach Tabou, Texte 1990-1994", Seite 53/54: „Aber auf keinen Fall möchte ich den Eindruck erwecken, in dieser Halbstadt werde nicht mehr gelacht. Im Gegenteil! Erzählt mir doch neulich ein Kollege aus meinem Verlag (Helmut Reller) – der natürlich wie zwei Drittel der Belegschaft längst entlassen ist –, daß nun auch seine Frau (Gisela Reller), langjährige Redakteurin einer Illustrierten (FREIE WELT) mitsamt der ganzen Redaktion gerade gekündigt sei: Die Zeitschrift werde eingestellt. Warum wir da so lachen mußten? Als im Jahr vor der `Wende´ die zuständige ZK-Abteilung sich dieser Zeitschrift entledigen wollte, weil sie, auf Berichterstattung aus der Sowjetunion spezialisiert, sich als zu anfällig erwiesen hatte, gegenüber Gorbatschows Perestroika, da hatten der Widerstand der Redaktion und die Solidarität vieler anderer Journalisten das Blatt retten können. Nun aber, da die `Presselandschaft´ der ehemaligen DDR, der `fünf neuen Bundesländer´, oder, wie der Bundesfinanzminister realitätsgerecht sagt: `des Beitrittsgebiets´, unter die vier großen westdeutschen Zeitungskonzerne aufgeteilt ist, weht ein schärferer Wind. Da wird kalkuliert und, wenn nötig, emotionslos amputiert. Wie auch die Lyrik meines Verlages (Aufbau-Verlag), auf die er sich bisher viel zugute hielt: Sie rechnet sich nicht und mußte aus dem Verlagsprogramm gestrichen werden. Mann, sage ich. Das hätte sich aber die Zensur früher nicht erlauben dürfen! – "Das hätten wir uns von der auch nicht gefallen lassen", sagt eine Verlagsmitarbeiterin.

Wo sie recht hat, hat sie recht.“

 

 

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

Wenn Sie sich die folgenden Texte zu Gemüte geführt und Lust bekommen haben, Russland zu bereisen und die Russen kennenzulernen, sei Ihnen das Reisebüro ? empfohlen; denn – so lautet ein russisches Sprichwort -

 

Reisen verfeinert den Geschmack.

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Zahlen:"Die Drogensucht ist ein gravierendes Problem in Russland. Nach Angaben des Chefs der Anti-Drogenbehörte Viktor Iwanow konsumieren 8,5 Millionen Russen regelmäßig oder zumindest von Zeit zu Zeit Drogen."

Russland-Aktuell, Internetzeitung seit 1998 vom 26.06.2012

*

Nach Angaben der russischen Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadsor hat sich die Zahl der HIV-Infizierten in Russland in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Zum 1. November 2015 waren 986 657 Menschen als HIV-positiv gemeldet.

 

 

 

 

 

 

 

Die RUSSEN… (Eigenbezeichnung: )

 

 

 

 

 

 

 

 

Der in Deutschland lebende russische Schriftsteller Michail Schischkin („Venushaar“, „Briefsteller“…) verweigert die Teilnahme an der offiziellen Schriftstellerdelegation für die New Yorker Buchmesse BookExpo America vom 30.05. bis 01.06.2013 mit der Begründung: „Wir haben in Russland eine Diktatur des 21. Jahrhunderts.“

 

 

 

"Die meisten Russen (60 Prozent) glauben an die Liebe auf den ersten Blick. Die Hälfte der Befragten (51 Prozent) ist der Meinung, dass wahre Gefühle gegenseitig sein müssen. Ein Drittel (35 Prozent) der Forschungsteilnehmer schließt nicht aus, dass auch eine unerwiderte Liebe „wahr“ sein kann. 81 Prozent der Befragten gaben an, echte Liebe erlebt zu haben. Für 60 Prozent war das ein einmaliges Erlebnis, weitere 20 Prozent haben nach eigenen Worten zwei bis drei „große Lieben“ empfunden. Dabei sind 61 Prozent der Russen überzeugt, dass immer nur ein Mensch Objekt echter Liebe sein kann. An der Umfrage haben 1 500 Menschen ab 18 Jahren aus hundert Städten und Ortschaften der Russischen Föderation teilgenommen."

RIA Novosti, Moskau, vom 14. Februar 2013

 

 

"Man sagt, Russland sei ein zurückgebliebenes Land. Aber das ist es nicht. Es ist ein vorzeitiges Land. Ein Land, das den Rohzustand der globalisierten Welt zeigt. (...) Nur Russland konnte den Sozialismus besiegen. Russland ist wild und unzivilisiert. Es konnte nicht in diesem Korsett stecken bleiben. Einer auf der Welt musste die Erfahrung des Sozialismus machen. Wir haben das übernommen."

Andrej Bitow (geboren 1937, russischer Schriftsteller) in: Iris Radisch, Die letzten Dinge, 2015

 

 

 

 

Bevölkerung:

(Übrigens: 1939 standen die Juden zahlenmäßig an siebter Stelle unter den Völkern der UdSSR; mit der Besetzung des Baltikums, eines Teils von Polen und dem Anschluss aller westlichen Gebiete wurden sie das viertgrößte Volk der UdSSR nach den drei slawischen Völkern (den Russen, Ukrainern und den Belorussen).

 

 

Bojaren: ursprünglich höchster Adelsstand in Altrussland; in Russland nahmen die Bojaren

vom 10. bis 17. Jahrhundert neben den Großfürsten und Teilfürsten als Berater bei der Leitung von Staatsangelegenheiten eine führende Stellung ein.

Zeichnung (aus einer alten Chronik von 1656) aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

 

 

 

 

 

 

 

"Heute leben wir [ehemaligen Sowjetbürger] in verschiedenen Staaten, sprechen verschiedene Sprachen, aber wir sind unverwechselbar. Man erkennt uns auf Anhieb! Wir alle, die Menschen aus dem Sozialismus, ähneln einander und sind anders als andere Menschen - wir haben unsere eigenen Begriffe, unsere eigenen Vorstellungen von Gut und Böse, von Helden und Märtyrern"

Swetlana Alexijewitsch, Secondhand-Zeit, 2015

 

 

 

"Unser Volk  (die Russen) ist ein Lakai, es hat Angst, zeigt sich sebslt an, und wenn man es den Leuten befiehlt - legen sie sich freiwillig die Schlinge um den Hals."

Daniil Granin in: Mein Leutnant, 2015

 

 

 

 

 

"In Russland scheint es sich so so zu verhalten, dass im Laufe des Lebens bei der weiblichen Bevölkerung die Röcke immer kürzer, die Fingernägel immer länger und die Lippen sowie andere Körperteile immer größer werden."

 

                       Harald Martenstein in: Zeit Magazin Nr. 33/2015

              

 

 

 

 

 

 

 

 

Fläche:

 

Geschichtliches:

 

 

Seit Sowjetzeiten ist das Alawitenregime (in Syrien) ein enger Verbündeter Moskaus, die sichere Bank im Nahen Osten. Seit den siebziger Jahren haben sich Zehntausende Russen in der Region Latakia angesiedelt, es sind viele syrisch-russische Ehen geschlossen worden, und in Tartus lagert die russische Marine.

 

 

 

 

"Fünf der Dekabristen wurden hingerichtet, viele andere zur Zwangsarbeit nach Sibirien verbannt. Berühmt wurden die elf Dekabristenfrauen, jene belesenen jungen Damen mit traurig-nachdenklichem Blick, die ihren Männern in die Verbannung folgten und sich in der sibirischen Ödnis mit Gründungen von Krankenhäusern, Schulen und Bibliotheken verdient machten."

Ursula Keller/Natalja Sharandak in: Abende nicht von dieser Welt, St. Petersburger Salondamen und Künstlerinnen des Silbernen Zeitalters, 2003

 

 

 

„Unter Rasseln, Knarren und Kreischen senkt sich ein eiserner Vorhang auf die russische Geschichte (…) herab. Die Vorstellung geht zu Ende.“

Wassilij Rosanow (russischer Religionsphilosoph und Publizist, 1856 bis 1919) in: „Die Apokalypse unserer Zeit“, 1918

 

 

"Meine erste Antwort auf die Oktoberrevolution war, dass ich auf die Flagge, die mein Gesicht streifte, spuckte."

Marina Zwetajewa, ( russische Dichterin und Schriftstellerin - 1892 bis 1941)

 

 

Wladimir Iljitsch Lenin - gütig und freundlich...

Zeichnung von Nikolai Shukow aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

 

"Kerenski [1881 bis 1970), der Ministerpräsident [einer Übergangs-regierung in Russland], wird sich mit Lenin arrangieren, war Lwow überzeugt, immerhin war sein Vater nach dem frühen Tod Uljanows nicht nur der Vormund des 16jährigen Wladimir Iljitsch gewesen, sondern auch dessen väterlicher Berater und Freund."

Bärbel Reetz, in: Lenins Schwestern, 2008

1920 fand der Russisch-Polnische Krieg statt. In seinem "Tagebuch 1920" schreibt Isaak Babel: "Wir kommen in den Stab. Leszniów. Ein halbzerstörtes Städtchen. Die Russen haben hier ziemlich übel gehaust."

"Die Revolution des Jahres 1917 war eine Revolution verbitterter und vom Krieg verrohter Menschen, die mit der alten Ordnung auch den Geist der europäischen Zivilisation buchstäblich aus dem Land trieb. (...) Niemand verstand die Ausweglosigkeit der Lage besser als Wladimir Nabokov, der vor der Revolution dem Zentralkomitee der liberalen Partei der Konstitutionellen Demokraten angehört hatte und dessen Welt in jenem Frühjahr 1917 zusammenbrach. Er sah jetzt keine Bauern mehr, die befreit und emanzipiert werden mußten, sondern empörte sich über die `stumpfsinnigen und tierischen Gesichter´ der Bauernsoldaten, die auf den Straßen Petrograds die Grenzenlosigkeit ihrer Macht demonstrierten. (...) Die Revolution gab den Unterschichten die Gelegenheit, Herrenhäuser zu plündern und Gutsherren zu vertreiben , sie ermöglichte es Arbeitern, aus den Ghettos in die Stadtzentren vorzudringen, den öffentlichen Raum zu erobern und der `Gesellchaft´ ihre Regeln aufzuzwingen."

Jörg Baberowski in: Verbrannte Erde, Stalins Herrschaft der Gewalt, 2012

*

"Krieg und Terror hinterließen Spuren der Verwüstung. Im Winter 1921/22 kam der Hunger in die russischen Dörfer, in den Gouvernements an der Mittleren Wolga starben die Bauern zu Hunderttausenden. Mitglieder amerikanische Hilfsorganisationen, die sich zu dieser Zeit in der Region aufhielten, sahen Bauern, die apathisch in ihren Hütten lagen und den Tod erwarteten, die Ratten, Mäuse und Hunde schlachteten und aus Verzweiflung ihre eigenen Kinder töteten und verzehrten. Was der Hunger nicht vollbrachte, erledigten Typhus und Cholera, 1920 litten mehr als zwei Millionen Menschen in Zentralrussland an Typhus, in den Städten breiteten sich Cholera und Syphilis aus."

Jörg Baberowski in: Verbrannte Erde, Stalins Herrschaft der Gewalt, 2012

*

"Der Bürgerkrieg hinterließ mehr als sieben Millionen Waisen, die weder versorgt noch medizinisch behandelt werden konnten. Im Wolga-Gouvernement Simbirsk vegetierten Kindergruppen in Wäldern und ernährten sich von Gras. Eine amerikanische Beobachterin, die an einer Bahnstation mit ihnen in Kontakt kam, erlitt einen Schock, als die aufgedunsenen Bäuche der kleinen Bettler sah. (...) Mehr als siebzig Prozent aller Straßenkinder, die 1923 in die Stadt Moskau kamen, waren einst in den Dörfern an der Mittleren Wolga geboren worden."

Jörg Baberowski in: Verbrannte Erde, Stalins Herrschaft der Gewalt, 2012

 

 

 

Russische Kinder im Hungerjahr 1922.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Am 26.August 1941 erfolgte eine Anordnung des Militärrats der Leningrader Front.

Es handelt sich um die Anordnung „Über die obligatorische Evakuierung der deutschen und finnischen Bevölkerung aus den Vorort-Bezirken der Stadt Leningrad.

Diese streng geheime Verordnung lautete:

„Auf Grundlage des Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 22.06.1941 `Über die Kriegslage´, Unterpunkt 3 – ordnet der Militärrat der Nordfront an:

Die bedingungslose Evakuierung der finnischen und deutschen

Bevölkerung aus den Oranienbaumer, Krasnoselsker, Sluzker, Krasnogwardeisker, Tosnensker,

Mginsker, Wsewolschsker und Pargolowsker Bezirken

durchzuführen. Als Bestimmungsorte für die zu evakuierende Bevölkerung sind festzusetzen –

ASSR Komi und Kotlas im Gebiet Archangelsk. Die Evakuierung hat im Zeitraum zwischen dem

27. August und dem 7. September 1941 zu erfolgen.“

MEMORIAL

 

"Man darf nicht aus dem Blick verlieren, was dieser Krieg für die Russen bedeutete. Sie haben nicht nur ihr Land, nicht nur das sowjetische Judentum vor Hitler gerettet, sondern auch das gesellschaftliche System der ganzen westlichen Welt, aber dieser Krieg verlangte vom russischen Volk einen derartigen Opfergang, dass seine Kräfte und seine Gesundheit danach nie wieder voll hergestellt wurden, es hat sich übernommen. Durch diese erneute Welle des Leidens - zusätzlich zum Bürgerkrieg und der Kollektivierung - ist es fast ausgebrannt."

Alexander Solschenizyn (1918 bis 2008) in: Zweihundert Jahre zusammen. Die Juden in der Sowjetunion, 2002/2004

*

*"Welches unbekannte Gesetz hatte dafür gesorgt, dass im letzten Krieg zwei von drei russischen Soldaten von Kugeln getötet wurden, dann ein Teil der Übriggebliebenen im Lager umkam, ein Teil  sich dem Alkohol ergab und nur jeder zehnte am Leben blieb?"

Ljudmila Ulitzkaja (geboren 1943) in: Reise in den siebenten Himmel, 2007

 

"Bei der Führung waren diejenigen beliebt, die angriffen, ohne Menschenleben zu schonen, alles in den Kampf warfen, die immer mehr forderten, die nur durch Masse etwas erreichten, durch den Einsatz von Fleisch. Wie viele von diesen Fleischern gab es unter unseren ruhmreichen Generälen! Irgendwann wird sich ein Historiker finden, der die Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges umschreibt, jene rühmt, die Soldantenleben bewahrt und die Operationen durchdacht haben, um die Soldaten nicht ohne Deckung zu lassen, die findig waren, abwarteten und überlegten, wie man den Gegner geschickter umstellen und umgehen konnte."

Daniil Granin(geboren 1919) in: Mein Leutnant, 2015

 

 

"Stalin-Statue hat ihre eigene Geschichte und ihre eigene historische Würde. Der Diktator mag einer der schrecklichsten Tyrannen der Menschheit gewesen sein- das Monument selbst ist doch nur ein Artefakt  oder besser: Petrefakt der Geschichte, wie hunderttausend andere auch, Muscheln am langen Strand der Zeit."

Benedikt Erenz in: Die Zeit vom 17.09.2015

 

 

 

"Chruschtschow selbst hatte zu den Vollstreckern Stalins gehört, auch er hatte Todeslisten unterschrieben und Terrorbefehle erteilt. Niemals hatte er Stalin widersprochen, jeden seiner Befehle befolgt. Aber er hatte es aus Angst getan, aus Angst um sich und seine Familie. Nun befreite er sich von der moralischen Last, die wie Blei auf seinen Schultern lag. Chruschtschows Entstalinisierung war eine Kulturrevolution, eine zivilisatorische Leistung, die das Leben von Millionen veränderte. Unmittelbar nach dem Tod des Despoten [am 5. März 1953] wurden die Tore der Lager geöffnet, obgleich es keinen Plan gab, was  mit Hunderttausenden Kriminellen, Traumatisierten und Entwurzelten geschehen sollte."

Jörg Baberowski in: Stalins Herrschaft der Gewalt, 2012

 

Verbannung:

 

"Der als erster Dissident in die Geschichte eingegangene Alexander Radischtschew*, von Katharina II. als `Aufständler,

der schlimmer ist als Pugatschow´** gebrandmarkt, wurde zum Tode verurteilt, von ihr jedoch zur Verbannung nach Sibirien begnadigt."

 Ursula Keller/Natalja Sharandak in: Abende nicht von dieser Welt, St. Petersburger Salondamen und Künstlerinnen des Silbernen Zeitalters, 2003

 

 * Russischer Philosoph und Schriftsteller, 1749 bis 1802, zog sich als Anhänger der Aufklärung und Gegner der Leibeigenschaft Veröffentlichungsverbot seines Buches

 "Reise von Petersburg nach Moskau" und Verbannung zu; im Alter von 53 Jahren beging er wegen der Aussichtslosigkeit der Reformbestrebungen und aus Angst vor erneuter Verbannung Selbstmord. -

** Don-Kosake (1742 bis 1775) und Anführer des nach ihm benannten Bauernaufstandes von 1773-1775.

 

 

"Bei der Liquidierung des Kulakentums, als Hunderttausende der fleißigsten, gewissenhaftesten Bauern und Bauernfamilien verbannt wurden, hatte die Obrigkeit jede Hilfe für die Betroffenen verboten. Man verbannte diese Menschen, selektierte sie, sonderte sie aus den Dörfern und häufig aus dem Leben aus. Kinder sagten sich von den Eltern los, was gefördert und belobigt wurde. Jede Nachricht oder Milde gegenüber den Verdammten und Verbannten war untersagt, ja man wurde, ließ sich einer dazu hinreißen, dafür bestraft, aus der Partei und dem Komsomol ausgeschlossen, das heißt, man machte aus ihnen Menschen zweiter Klasse. Solche Menschen hatten keine Chance, in Institute einzutreten oder verantwortliche Ämter zu übernehmen."

Daniil Granin in: Die verlorene Barmherzigkeit, 1993

 

 

Staatsgefüge:

 

"Gorbatschow hat es geschafft, den Westen davon zu überzeugen, dass er ein redlicher Mann ist, der für eine bessere Zukunft kämpft. Das ist eine Lüge. Er ist der letzte Führer eines kommunistischen Staates und versucht, so viel wie möglich davon zu retten."

Garri Kasparow in: Warum wir Putin stoppen müssen, 2015

 

 

 

Hauptstadt: Moskau.

Moskau ist mit 12 Millionen Einwohnern dreimal so groß wie Berlin, es ist die größte Stadt Europas.

 

„Moskau! Das Leben, scheint mir, ist hier lebendiger, unmittelbarer als bei uns. Ich könnte hier einige Zeit leben und würde mich nach und nach heimisch fühlen.“ 

Christa Wolf, deutsche Schriftstellerin, 1929 bis 2011, 1957

 

 

 

 

 

Moskauer Bebauung im 17. Jahrhundert, in: "Vermehrte Moscowitische und

Persianische Reisebeschreibung", 1656.

Aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Moskau, Russlands geliebte Tochter, / wo wäre eine zu finden, die dir gleicht? //

Iwan Dmitrijew (1760 bis 1837), russischer Dichter und Staatsmann

*

Moskau! Moskau! Diese Silben - / Wie rühren sie das Herz uns an, / vertrauter Klang nicht nur dem Dichter, / vertraut dem schlichten Bauersmann. // Wie kommt´s, dass wir das ganze Russland in Moskau liebend vor uns sehn? / Wie kommt´s, dass, wenn ich Moskau sehe, / die Augen gleich mir übergehn? //

Karolina Pawlowa (1803-1893), russische Dichterin

*

Moskau schmähen! Das kommt davon, / wenn man die Welt sieht! / Wo ist es denn besser? / Wo wir nicht sind! // Alexander Gribojedow (1795 bis 1829, russischer Dramatiker und Diplomat)

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In Paris würd ich gern leben und sterben, / wäre da nicht jener Ort, Moskau genannt. // Wladimir Majakowski (1893 bis 1930, russischer Dichter)

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In Moskau gibt es Maulbeerbäume, Telefone, / und immer wieder richtet man wen hin.// 1936, Ossip Mandelstam (1891 bis 1938, russischer Dichter)

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Dem, der es liebt, nachts aufzubleiben, / ist Moskau jetzt das höchste Gut: / Hier wird es sich fortan entscheiden, / was sich in unsrer Zukunft tut. // Boris Pasternak (1890 bis 1960, russischer Dichter und Romancier)

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Das Moskauer Gedränge, / das ist was eignes schon: / das Gegenteil von Enge, / und niemands Eigentum. // Warlam Schalamow (1907 bis 1982, russischer Schriftsteller, Oppositioneller und Dissident)

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Ihr Höfe, ob jung oder alt / Mein Leben wird noch währen. / Im Moskauer Glockengeläut / Ist auch meine Seele zu hören. //

Bella Achmadulina, geboren 1937, russische Dichterin, Übersetzerin und Essayistin (erste Frau von Jewgenij Jewtuschenko)

 

Wirtschaft:

 

 

Seit dem Ende der Sowjetunion wurde in Russland nicht mehr so viel Rohöl aus dem Boden gepumpt wie 2015. Trotz gefallener Weltmarktpreise stieg die Produktion im Vergleich zum Vorjahr um 1,4 Prozent. Sie machen rund 40 Prozent des Staatsbudgets aus.

 

 

Das Zitat: "Eine wichtige Ursache der weit verbreiteten Unzufriedenheit war der niedrige Lebensstandard in der Sowjetunion. Die Produktivität der Landwirtschaft war durch die Kollektivierung schwer beeinträchtigt und schwankte zwischen Krise und Stagnation. Fast jedes Jahr räumte das Stalinregime ein, dass Hunger oder `Lebensmittelschwierigkeiten herrschten, entweder in einem Großteil der Sowjetunion - wie von 1931 bis 1933 und 1946/1947 - oder in bestimmten Regionen. Selbst in den besten Jahren war die Ernährung des durchschnittlichen Sowjetbürgers karg. Die meisten Menschen lebten hauptsächlich von Getreide und Kartoffeln."

Oleg Chlewnjuk (Moskauer Historiker) in: Stalin, Eine Biographie, 2015

 

 

 

 

Verkehr:  

 

 

2014 starben auf Moskaus Straßen 8000 Menschen, 15 000 wurden verletzt.

 

 

"In kaum einem Land gibt es so viele Fluggesellschaften wie in Russland, und es soll hier gar nicht versucht werden, annähernd alle abzuhandeln."

Roland Bathon/Sandra Ravioli in: Russland auf eigene Faust, 2007

 

Sprache/Schrift:

 

Zitate: "Es tat wohl, russische Bücher zu lesen, ich fühlte immer etwas Vertrautes und Schwermütiges in ihnen, als sei zwischen den Seiten verborgen, fastenzeitlicher Glockenklang erstarrt - kaum öffnete man das Buch, schwang er leise mit."

Maxim Gorki* (1868 bis 1936, russischer Schriftsteller) in:Unter fremden Menschen, 1915/16

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* Über Maxim Gorki schreibt Daniil Granin in "Die verlorene Barmherzigkeit": "In den Jahren 1919 und 1920 rettete Maxim Gorki in Petrograd die bedeutendsten Gelehrten und Künstler des Landes vor schlimmsten Entbehrungen, vor dem Hungertod und vor der Inhaftierung. Er fütterte sie durch, verschaffte ihnen Lebensmittelrationen, sorgte für medizinische Betreuung und bemühte sich, dass sie zur Heilung ins Ausland reisen konnten. Viele Gelehrte, die später zum Ruhm der heimischen Wissenschaft beitrugen, bedeutende Dichter, Historiker und Philosophen verdanken Maxim Gorki ihr Leben. Über viele von ihnen wissen wir noch nichts, da es bedauerlicherweise bis heute keine einzige Untersuchung gibt, die dieser Tätigkeit Gorkis, die Menschen rettete, gewidmet wäre. Es wurden Hunderte von Dissertationen und Untersuchungen über Gorlis Werke verfasst, man machte aus ihm den Begründer des sozialistischen Realimus, goss ihn ihn Bronze, nahm ihm alle menschlichen Schwächen und natürlich auch seine Bereitschaft zum Mitleiden weg. Es gibt keine einzige Monographie über diese Seite im Leben Gorkis, wie er sich um die menschlichen Talente, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit, kümmerte. Maxim Gorki könnte vor uns als ein genuiner großer Humanist erstehen, dessen Worte und Tagen damals nicht auseinanderklafften. Gorki war nicht nur ein großer Schriftsteller, sondern auch ein bedeutender Retter und Tröster in der Not, der viele Menschen unterstützte und ermutigte."

*

"Russische Sprache // Du Sprache meiner Heimat. Sprache voller Pracht. / Du kennst wie Steppen und wie Ströme keine Enge. / Der Schrei der Adler und das Wolfgeheul zur Nacht / erfüllen dich. und Pilgerlieder, Glockenklänge. //  Du schließt das erste Taubengurren in dir ein. / Die Lerche fliegt in dir dem Sonnenkreis entgegen. / In dir glänzt klarstes Licht. Und rauscht der Birkenhain. Und trommelt auf die alten Dächer frischer Regen. //"

Konstantin Balmont (1867 bis 1942, russischer Schriftsteller), 1924

*

"Die beiden Pole - Grobheit und Zärtlichkeit - liegen im Russischen dicht beieinander. Der Matrose empfand das Fluchen keinesfalls als Fluchen, sondern als gewohnte Begleiterscheinung des Redens. Selbstverständlich hatte er das Fluchen nicht gerade erst gelernt, es hatte schon immer zu seinem sprachlichen Milieu gehört. Das Neue dabei, das Ergebnis der Revolution war das Überschreiten der Grenze, die Entdeckung der Sprache als Angriffswaffe. Früher schimpfte dieser Matrose ebenso unflätig im Kreis seiner Kameraden oder jedenfalls unter seinesgleichen. Jetzt aber, am Tag der Revolution, fluchte er lauthals, ohne sich um das adelige Fräulein - Marina Zwetajewa war damals unverkennbar eines - im geringsten zu kümmern. (...) Und das ist die Sprache des zu seinen bürgerlichen Rechten gekommenen Volkes. In erster Linie besteht sie aus Unflätigkeiten und Flüchen. Damit beginnt die Vergröberung der Umgangssprache in der Sowjetgesellschaft, die sich bis zum heutigen Tag fortsetzt."

Andrej Sinjawskij (1925 bis 1997, russischer Schriftsteller) in:  Der Traum vom neuen Menschen oder Die Sowjetzivilisation, 1989

*

"Russisches Schimpfen, bekannt als `Mat´, ist nicht nur schmutziger als in anderen Sprachen. Es ist eine Sprache für sich. Jahrhunderte lange Armut, Kriege, ein Leben in Arbeitslagern und Gefängnissen haben haben der russischen Sprache eine Facette verliehen, die in vielen anderen schlicht nicht zu finden ist. Man kann absolut jedes Gefühl, jeden Wunsch, jede Tatsache durch die gekonnte Verwendung des Begriffs für das männliche Genital ausdrücken. Jedes Verb, jedes Adjektiv und Adverb lässt sich durch dreckigste Beleidigungen perfekt ersetzten, sodass die Aussage nichts an Verständlichkeit zu wünschen übrig lässt. - Sogar unter russischen Intellektuellen ist es üblich, den Mat zu beherrschen, auch wenn man ihn kaum verwendet. Ein stilvoll eingefügtes Schimpfwort ist in Russland ein Zeichen von Bildung und Scharfsinn, während die Benutzung von Kraftausdrücken als Füllwörter verpönt ist."

Filipp Piatov in: Russland meschugge, Putin, meine Familie und andere Außenseiter, 2015

*

"Englisch ist das Verb, Deutsch ist das  Subjekt, und Russisch ist das Adjektiv."

Andrej Bitow (geboren 1937, russischer Schriftsteller) in: Iris Radisch, Die letzten Dinge, 2015

 

 

 

 

 

Literatursprache/Literatur:

 

" (...) es war die Zeit einer noch nie erlebten Produktion angebrochen, eine Zeit der Zensurlosigkeit und des schnellen großen Geldes, das die Verleger mit der Herausgabe von Pornographie verdienten, mit erotischer Literatur, früher verbotenen antisowjetischen Büchern, mit den Werken von Emigrantenschriftstellern. Auf der gesamten Länge des Newski-Prospektes, vor den Bahnhöfen, von Metrostationen, auf den belegten Plätzen standen jetzt Dutzende von Buchkiosken, Verkaufstischen mit Büchern in Umschlägen aus ungewohntem Glanzpapier, auf denen Mädchen mit üppigen entblößten Brüsten strahlten, Maschinengewehrmündungen starrten, Messer und Dolche blitzten."

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) in: Im Spiegel des Vergessens, 2007

 

 

 

 

Bildung:

"In unserer Brigade waren viele Russen. [...] Ich habe bemerkt: In schwierigen, um nicht zu sagen verzweifelten Augenblicken sah ich in ihren Händen ein Buch."

Sawwa Dangulow in: Sowjetliteratur 1/1972

 

Kultur/Kunst:

 

"Er (David Bowies*) schickte mir gerne mal Lieder, die ihm gerade gefielen. Zuletzt waren das russische Klagelieder."

Die Fotografin Esther Friedman in der "Zeit" vom 14.01.2016

* bürgerlich David Robert Jones, war ein britischer Musiker, Sänger, Produzent, Schauspieler und Maler. Bowie (1947 bis 2016), der mehr als 140 Millionen Tonträger verkauft hat, gilt als einer der einflussreichsten Musiker der jüngeren Musikgeschichte.

 

 

 

 

"Nur wenige Künstler wagten es, in Russland gegen den Wind zu pinkeln.

Wladimir Kaminer in: Das Leben ist (k)eine Kunst, 2015

 

 

 

 

Gesundheitswesen:

 

Klima:

 

Natur/Umwelt:

 

Biosphärenreservat Tsentralno-Chernozemny- Russland.

 

Naturschutzgebiet Kostomuksha - Russland (seit 1998)

 

 

 

 

 

Pflanzen- und Tierwelt:

 

"Einer der größten, fettesten und begehrtesten Fische Russlands ist der Wels. Die Welse werden auch Katzenfische genannt, weil sie einen Schnurrbart tragen und katzenähnliche Geräusche machen. Wenn sie unter der Wasseroberfläche schwimmen, miauen und schnurren sie. In Wirklichkeit sind Welse, an ihrer Anspruchslosigkeit gemessen, keine Katzenfische, sondern Wasserschweine. Sie essen alles, was andere Fische auch essen, aber was andere Fische nicht essen, essen sie auch."

Wladimir Kaminer in: Das Leben ist (k)eine Kunst, 2015

 

Behausungen:

 

 

 

 

 

Das Zitat: "Unter Stalin war das Wohnen ein chronisch unterernährtes Stiefkind, das nur die Mittel bekam, die übrig blieben, wenn alle wichtigen Dinge bezahlt waren. Jahrelang wurde der Wohnungsmangel kontinuierlich schlimmer, und dann kamen die Verheerungen des Krieges. Anfang 1953 standen für einen gemeldeten Stadtbewohner durchschnittlich 4,5 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung. Wurden Besucher und nicht gemeldete Einwohner mit berücksichtigt, war das Verhältnis sogar noch schlechter.  Die Qualität des Wohnraums war ebenfalls bedenklich. Nur 46 Prozent der staatlichen Wohnungen waren mit fließendem Wasser ausgerüstet, nur 41 Prozent waren an die Abwasserversorgung angeschlossen, nur 26 Prozent verfügten über eine Zentralheizung, nur 3 Prozent hatten heißes Wasser und nur 13 Prozent eine Badewanne. Selbst diese Zahlen geben die besseren Verhältnisse in den Großstädten wieder, insbesondere in Moskau und Leningrad. Ein schockierender Indikator der Wohnungsnot  war die Häufigkeit von `Baracken´ - dünnwandigen provisorischen Behausungen ohne Sanitärinstallationen - und die wachsende Zahl von Personen, die in solchen Baracken gemeldet waren.  Im Jahr 1945 lebten etwa 2,8 Millionen Menschen in städtischen Baracken, bis 1952 war ihre Zahl auf 3,8 Millionen gestiegen. Allein in Moskau wohnten mehr als 337 000 Menschen in solchen Unterkünften."

Oleg Chlewnjuk (Moskauer Historiker) in: Stalin, Eine Biographie, 2015

 

 

 

Ernährung:

 

ZitatE: "Vor der einheimischen Küche braucht kein Russlandreisender irgendwelche Scheu zu haben. Die Zutaten sind konventionell und die Essgewohnheiten bei weitem nicht so fremdartig wie etwa bei original fernöstlichem oder arabischem Essen. Einige der Gerichte sind Varianten kaukasischer Rezepte. Für drei Arten von Spezialitäten ist die Küche Russlands vor allem bekannt, zum einen für zahlreiche Teigtaschengerichte, zum zweiten für vielfältige Salate und zum dritten für zahlreiche Suppen. Unabhängig von diesen drei Richtungen gibt es weitere Speisen, die man sich nicht entgehen lassen sollte. (...) Niemand wird schief angeschaut, wenn er zum Essen zum Bier oder alkoholfreiem Getränk greift."

Roland Bathon/Sandra Ravioli in: Russland auf eigene Faust, 2007

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"Studien, die unmittelbar vor Stalins Tod, während des relativ guten Jahres 1952, in den sowjetischen Haushalten vorgenommen wurden, ergaben für Arbeiter- und Bauernfamilien folgenden täglichen Nahrungsmittelkonsum: Der durchschnittliche Sowjetbürger verbrauchte etwa 500 g Mehlprodukte (vorwiegend Brot); eine kleine Menge Körner; 400 bis 600 Gramm Kartoffeln  und etwa 200 bis 400 Gramm Milch oder Milchprodukte. Dies war der Großteil eines typischen  Speiseplans.  Alles andere, insbesondere Fleisch,  gab es nur bei besonderen Gelegenheiten. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch und Fleischprodukten lag bei 40 bis 70 Gramm pro Tag und bei 15 bis 20 Gramm Fett (tierische oder pflanzliche öle, Margarine oder Rückenspeck. ) Ein paar Teelöffel Zucker und ein wenig Fisch vervollständigten das Bild. Ein Durchschnittsbürger genehmigte sich alle sechs Tage ein Ei. Diese Rationen entsprechen ungefähr den Ernährungsvorschriften für Gefangenenlager."

Oleg Chlewnjuk (Moskauer Historiker) in: Stalin, Eine Biographie, 2015

 

 

 

 

 

 

 

Kleidung:

 

 

 

Zitat: "Zum Beispiel konnte sich 1952 nur einer von vier Bauern Lederschuhe anschaffen. Manchen fehlte es sogar an einfachstem Schuhwerk und Kleidung. So schrieb der Bewohner eines Dorfes in der Oblast Tambow im Dezember 1952 an Stalin: `In unserer Kolchose haben die Kolchosniki ein Stück Winterkleidung für drei bis vier Familienmitglieder, und die Kinder von 60 Prozent der Bevölkerung können nicht in die Schule gehen, weil sie dafür nicht die Kleidung haben.´"

Oleg Chlewnjuk (Moskauer Historiker) in: Stalin, Eine Biographie, 2015

 

Folklore:

"In der sowjetischen Folklore gibt es drei wichtige Grundformen: den Gassenhauer, das Lied, die Milieu-Lyrik oder das Lagerlied, und schließlich - den Witz." Andrej Sinjawskij (1925 bis 1997) in "Der Traum vom neuen Menschen oder Die Sowjetzivilisation"

 

Feste/Bräuche: Butterwoche - maslenzia siehe wikipedia und Russland heute

 

"Die Masleniza  [ist] ein fettiges, gemeines Butterfest, [weil] die `russischen Blini´ von Butter durchtränkt sind!"

Alexander Puschkin (russischer Dichter) in: Eugen Onegin, 1823-1830

 

Die Nacht zum Ostersonntag läutete das Ende der Fastenzeit ein. Aber bereits am "sauberen Donnerstag" (Gründonnerstag) wurden die eire gefärbt. Früher in Rot. Heutzutage werden Eier an Ostern mit allen möglichen Farben und Verzierungen

Die schönsten und teuersten Ostereier fertigte der Juwelier Peter Karl Fabergé, der ein leidenschaftlicher Koch war, für die Zarenfamilie. Das erste Porzellanei verließ seine kunstfertigen Hände 1885

 

Ostern: Ich denke mit Schrecken daran, dass der Gottesdienst drei Stunden dauert.

Es gehört zur Tradition, an Ostern die Gräber der Verwandten zu besuchen. Die Menschen fahren zum Friedhof und nehmen Essen und Trinken mit. Schnell entwickelte sich daraus eine Art Volksfest,  so dass bis heute viele Menschen, ob gläubig oder nicht, zum Friedhof spazieren und dort ein Picknick mit Kulitsch (süßes Hefegebäck), Pascha (schwer und süß wie Käsekuchen), Ostereinern, Wodka oder mit Kutja veranstalten. Kutja ist eine leckere Mischung aus ganzen Weizenkörnern, gemahlenem Mohn, Mandeln und Honig. Die Reste streut man aufs Grab, um auch den Vögeln etwas davon abzugeben. Auch nach einem Begräbnis ist es üblich, dass sich die Angehörigen an den Verstorbenen mit Wodka erinnern: heute ist "Pominki" ("Erinnern an...). Diese Gepflogenheit kann man weder mit Traditionen in New Orleans noch mit denen Westeuropas vergleichen. Zur Zarenzeit bestellt man sich sogar Frauen zum Weinen. heute treffen sich Familie und Freunde am Grab, man bringt Essen und Trinken mit, um auch beim gemeinsamen mahl dem Verstorbenen ganz nahe zu sein. Je nach den finanziellen Möglichkeiten können verschiedene Leckereien auf dem tisch stehen, im Grunde alles, was auch bei einem westlichen Leichenschmaus gut und teuer ist: fisch, Roastbeef, Kaviar, Ananas... Es soll ein Symbol nach außen sein, sie wie wertvoll einem der Verstorbene war. Eines darf niemals fehlen, egal ob arm oder reich: Auf dem Tisch muss ein halbes Glas Wodka stehen mit einem Stück Brot darüber.

 

 

 

Religion:

"In den Jahren 1922 und 1923 wurden mehr als 8 000 orthodoxe Geistliche getötet, niemand weiß, wie viele von ihnen in Lagern und Gefängnissen verschwanden. Dieser Terror richtete sich gegen jüdische ebenso wie gegen christliche Geistliche. (...) Während de kulturrevolutionären Exzesse verloren Zehntausende von Pristern, Mullahs, Mönchen und Schamanen Freiheit und Leben. Niemand hat di ermordeten und deportierten Geistlichen gezählt, wahrscheinlich kamen in den späten zwanziger und dreißiger Jahren 80 000 Geistliche aller Konfessionen ums Leben. "

Jörg Baberowski in: Stalins Herrschaft der  Gewalt, 2012

 

Ereignisse nach dem Zerfall der Sowjetunion, sofern sie nicht bereits oben aufgeführt sind:

 

Seit 1994 ist der 12. Juni offizieller Feiertag in Russland, es ist der "Tag Russlands", einer der jüngsten Nationalfeiertag;  2001 erhielt er durch Präsident Wladimir Putin seine heutige Bezeichnung.

 

 

 

Seit 2010 gehört das einst verfemte Buch "Der Archipel GULag" von Alexander Solschenizyn zur Pflichtlektüre an allen russischen Schulen.

 

2011 ist in der Russischen Föderation die Winterzeit abgeschafft worden. Damit erhöht sich der Zeitunterschied zwischen Deutschland und der Russischen Förderation im Winter um eine Stunde.

 

Seit etwa 2012 gibt es eine neue Droge in Russland. Sie heißt "Krokodil" und ist die Droge der Armen und Verwahrlosten. Der Stoff wird aus Hustentabletten gewonnen und sorgt für kurze Euphorieschübe, doch die Schäden sind enorm. Die Junkies verwesen regelrecht, ihre Lebenserwartung sinkt drastisch - doch die Pharmalobby wehrt sich gegen Verbote.

 

 

 

Am 30. Juni 2013 unterzeichnete Präsident Wladimir Putin ein Gesetz auf föderaler Ebene, das jegliche positiven Äußerungen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen oder über Medien wie das Internet unter Strafe stellt. Der Staat erkennt keine gleichgeschlechtlichen Partnerschaften an und verbietet seit dem 3. Januar 2013 auch die Adoption durch gleichgeschlechtliche Ehepaare im Ausland.

 

Homosexualität in Russland bis 2013: Während der Stalinzeit wurde Homosexualität zu einem Übel erklärt, das es als Relikt des kapitalistischen Systems auszurotten galt. Zeitgleich mit der Verfolgung homosexueller Männer in Nazideutschland begann auch in der Sowjetunion die Hetzjagd. 1934 wurde das Strafgesetzbuch um den entsprechenden Paragraphen ergänzt. Auf lesbische Frauen wurde der Paragraph nicht angewendet, sie wurden in psychiatrische Anstalten eingewiesen. Am 27. Mai 1993 wurden homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen in Russland legalisiert, und ab 1999 stand Homosexualität auch in Russland nicht mehr auf der Liste der Geisteskrankheiten. Doch bereits 2007 bezeichnete der russische Präsident Putin die Homosexuellen als Teil eines„demografischen Problems“ Russlands. Seit 2013 erkennt der russische Staat keine gleichgeschlechtlichen Partnerschaften mehr an.

 

 

 

 

 

Der russische Premier Dmitri Medwedjew hat eine Verordnung unterzeichnet, wonach die „Vereinbarung zwischen Russland und den USA

über eine Kooperation bei der Erforschung und der Nutzung des Weltraums für friedliche Zwecke“ bis 2020 prolongiert wird. Das Abkommen

trat 1992 in Kraft und wurde bis jetzt bereits drei Mal prolongiert. Früher hatte das russische Außenamt von der amerikanischen Seite eine Note über eine Verlängerung des Abkommens bis 2020 erhalten. Wie man in Moskau meint, wird die Prolongierung des Abkommens eine effiziente Realisierung von gemeinsamen russisch-amerikanischen Weltraumprojekten, insbesondere bei der Mond- und Marserforschung, fördern.

 

 

 

 

 

Das objektive Endergebnis der Olympischen Spiele in Sotschi 2014: Die Mannschaft Russlands hat die Nationenwertung sowohl nach der Zahl der Goldmedaillen, als auch nach der amerikanischen Variante, die alle Medaillen gleich gewichtet berücksichtigt, gewonnen. Russland ist somit das vierte Land, dessen Mannschaft im eigenen Land die meisten Goldmedaillen erringen konnte. Vorher gelang dies lediglich 1932 den USA, 1952 Norwegen und 2010 Kanada. Die Auswahl Russlands schloss den Wettbewerb mit dreizehn Gold-, elf Silber- und neun Bronzemedaillen ab. Große Erfolge errangen die Russen im Eiskunstlauf. Die fünfzehnjährige Julia Lipnizkaja wurde zur jüngsten Olympiasiegerin, die Paarläufer Tatjana Wolososchar und Maxim Trankow wurden die ersten Eiskunstläufer die zweifache Olympiasieger bei ein und denselben Olympischen Spiele wurden, und die siebzehnjährige Adelina Sotnikowa errang die erste Goldmedaille in der Geschichte des sowjetischen und russischen Einzellaufens der Frauen. Der romantischste Augenblick der Olympischen Spiele in Sotschi war für mich die amerikanisch-russische Umarmung des Snowboarders Vic Wild aus den USA mit der Snowboardetin Aljona Sawarsina, die 2011 seine Frau geworden war und für die der US-Amerikaner, der Olympiasieger im Parallel-Riesenslalom und im Parallel-Slalom wurde, seine Nationalität gewechselt hatte.

 

„Russland HEUTE“ teilt am 28.01.2014 mit, dass Russen für die Dienste von Kartenlegern und Wunderheilern doppelt so viel Geld ausgeben wie für medizinische Behandlungen im Ausland. „Oft soll das Übernatürliche alltägliche Probleme lösen.“

 

In "Die Zeit" vom 13.08.2015 sagte der chinesische Künstler Ai Weiwei: "Im Gegensatz zu früher haben wir doch große Fortschritte gemacht. Wenn man das nicht anerkennt, hat man ein Problem. Man muss doch nur zählen, wie viele Dissidenten in Russland ermordet werden. In China ist es doch viel besser."

 

"In meiner Heimat Russland hat das Kapital die Zügel der Macht fest im Griff. Es darf keine Politik außerhalb des Kremls stattfinden. Alle Rechte der Arbeitenden, alle sogenannten `Errungenschaften des Sozialismus´ sind für die Katz. Die Arbeitsgesetze sind bereits vor Jahren von den größten Kaptalinhabern umbeschrieben worden. Die Wölfe schrieben quasi die Lebensregeln der Schafe neu und begründeten die Notwendigkeit mit den Nöten der schnellen kapitalistichen Entwicklung."

Wladimir Kaminer in: Das Leben ist (k)eine Kunst, 2015

 

Am 31.10.2015 stürzte ein Airbus über der Sinai-Halbinsel ab. Alle 224 Insassen starben. Es war ein Terroranschlag des IS.

 

 

 

Russen und Deutsche:

 

 

"Die Russen sind die stärkste und größte europäische Nation. Sie werden dies auch im 21. Jahrhundert sein. Deutsche und Russen werden Nachbarn bleiben, so wie sie es seit Peter dem Großen oder Katharina der Großen gewesen sind.  Und wir alle gehören zu Europa. Für den Zusammenhalt in Europa gibt es mindestens zwei Elemente, die Hoffnung geben. Alle Europäer haben die gleiche klassische Musik. Mussorgski, Prokofjew, Glinka, Vivaldi, Bach, Mozart, Beethoven Schostakowitsch, und: Die Musik benötigt keine Übersetzung. Und wir haben eine gemeinsame Literatur, obwohl wir alle verschiedene Sprachen sprechen . Das gibt es auf keinem anderen Kontinent. (:::9 Russland ist der größte Partner und der mächtigste Nachbar in Europa. Ohne Russland kann es in Europa keinen Frieden geben."

Helmut Schmidt, ehemaliger Bundeskanzler, im Vorwort zu Daniil Granin, Mein Leutnant, 2015

 

 

 

 

2015: Der russische Designer Igor Isaev, bekannt für sein Label „Grunge John Orchestra. Explosion“ hat Jacken und Sportschuhe für Adidas entworfen. Es ist die erste Kooperation des deutschen Sportartikelherstellers mit einem russischen Modeschöpfer.

 

 

Kontakte zur Bundesrepublik Deutschland:

 

"Es ist aus meiner Sicht nicht nur, aber doch auch ein Ergebnis des Kalten Krieges, dass der Großteil der Deutschen mit der allerdings sehr viel jüngeren Geschichte der blutigen Eroberung Nordamerikas erheblich vertrauter ist als mit der Geschichte Russlands. Spätestens seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist uns Russland aber im guten Sinne viel näher gerückt und es wird Zeit, dass die Wissenslücke über seine Ursprünge, sofern vorhanden, geschlossen wird."

Thomas Roth in: Russisches Tagebuch, 2002

 

1993 wird Putins Ehefrau Ljudmila bei einem Autounfall schwer verletzt. Die Dresdner Bank lässt sie nach Deutschland einfliegen, wo sie in einer Bad Homburger Spezialklinik behandelt wird.

 

„Wir (die Dresdner Bank) haben damals eine Reise finanziert: Die von Frau Putina zu einem Klinikaufenthalt nach Deutschland, nachdem sie einen schweren Verkehrsunfall in St. Petersburg erlitten hatte. [] Dass dies jetzt an die Öffentlichkeit gezerrt wird, finde ich unangemessen.“

In:  manager magazin vom 23.02.2005

 

2007 wird Gazprom Hauptsponsor von FC Schalke 04. Der russische Energiekonzert zahlt dem Fußballclub Gelsenkirchen knapp 15 Millionen Euro pro Jahr. Durch Sieg- und Titelprämien können es sogar bis zu 25 Millionen werden. Der Kontrakt wurde zuletzt bis 2017 zu verbesserten Konditionen verlängert und ist damit der lukrativste Sponsoren-Vertrag der Vereinsgeschichte.

 

Wie wichtig ist das Machtinstrument Gazprom für Putin? Der russische Staat hält die Mehrheit. Mit den Gewinnen des Unternehmens wird auch der Staatshaushalt finanziert. Gazprom gehören Fernsehsender und Zeitungen. In politischen Krisen nutzt Russland Gazprom, um andere Länder unter Druck zu setzen, wie zuletzt die Ukraine.

In: bild vom 23.03.2014

 

Niedrigere Preise als in der Heimat und eine große Auswahl an qualitativ hochwertigen Waren lassen das Geld auf der Reise nach Deutschland bei vielen Russen locker sitzen. Shopping-Begleiterin Nina Stowasser aus München hat sich auf die russische Kundschaft eingestellt. Beim Shopping verbindet die Deutsch-Russin Nina Stowasser das Angenehme mit dem Nützlichen. 2010 gründete sie zusammen mit ihrer Schwester die Agentur Kultur-Shopping. Seitdem bieten die beiden Einkaufsbegleitung für russische Touristen an.

 

2011 wird die Ostsee-Pipeline eingeweiht. Sie transportiert russisches Erdgas u. a. vom Erdgasfeld Juschno-Russkoje (Gebiet der Jamal-Nenzen) durch die Ostsee nach Deutschland.

 

"Die Ostsee-Pipeline war ein Projekt von gewaltigen Dimensionen. Zwei parallele Leitungsstränge von 1 224 Kilometer Länge, vom russischen Wyborg ins mecklenburgische Lubmin. eine Gesamtkapazität von 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr. Ein Investitionsvolumen von 7,4 Milliarden Euro.

Matthias Nass in: Die Zeit vom 20.11.2014

 

2013 bezieht die Bundesrepublik Deutschland ein Drittel seines Erdgases aus Russland. Das erste sowjetische Gas per Pipeline hatte 1973 die Bundesrepublik erreicht.

 

2013 wählen nur noch zehn Prozent der russischen Schüler Deutsch als erste Fremdsprache. Dennoch ist Russland mit über zwei Millionen Deutschlernenden immer noch weltweit auf dem ersten Platz der Länder, in denen Deutsch als Fremdsprache gelernt wird.

 

2014 sagt Henning Voscherau, ehemaliger Hamburger Erster Bürgermeister, Mattias Warnig sei "der wichtigste Deutsche, den wir in Russland haben". Matthias Warnig ist der Geschäftsführer des deutsch-russischen Gas-Pipeline-Konsortiums. Er war Funktionär im Ministerium für Staatssicherheit der DDR.

 

2015 Clemens Tönnies (Jahresumsatz: 5,6 Milliarden Euro), deutscher Milliardär, größter Schweineschlachter Deutschlands und Boss des FC Schalke 04,  hat acht neue Schweine-Mastbetriebe in Russland in Betrieb genommen. Drei weitere sind gerade bei Woronesch und Belgorod (nahe der ukrainischen Grenze) im Bau. Und Tönnies hat noch viel mehr vor: „Wir planen in der Endstufe, also so in drei bis vier Jahren, rund 1,5 Millionen. Schweine jährlich zu mästen, zu schlachten und zu zerlegen. Dabei geht es um 18 landwirtschaftliche Anlagen mit insgesamt 60 000 Hektar Ackerland, Sauenhaltung in Einheiten zu je 2 500 Tieren und angeschlossener Mast.“ Investitionsvolumen: 600 bis 900 Millionen Euro!

 

2016 (im März) soll die deutsch-russische Sonde ExoMars starten. Weil Erde und Mars sich ungewöhnlich nahe sind, soll sie schon im Dezember in eine Umlaufbahn um den Nachbarplaneten einschwenken und ein Landemodul abwerfen. Die Mission ExoMars ist ein gemeinsames Vorhaben der europäischen Weltraumagentur ESA und der russischen Raumfahrtagentur Roscosmos. Sie besteht aus zwei Teilen: aus einem Orbiter, der 1917 zum Mars starten soll und einem Rover, dessen Start für das Jahr 2018 geplant ist. Zusammen mit dem Orbiter soll das Testmodul Schiaparelli zum Roten Planeten fliegen und dort praktisch eine Probelandung durchführen. Auf diese Weise will das Team Technologien testen, die für eine erfolgreiche Landung des ersten europäischen Marsrovers entscheidend sind.

 

Zitat: "Die Produktion russischer Propaganda-T-Shirts erlebt ungekannten Aufschwung. Bislang war darauf hauptsächlich Wladimir Putin zu sehen. Auch im Angebot: Stalin. Oder die russischen Eroberer der Krim. Nun droht Abwechslung: Aus aktuellem Anlass gehen die ersten Anti-Türkei-T-Shirts in Druck. `Lauf, Türke, lauf!´ steht auf einem. Ein anderes erfreut den modebewussten Patrioten mit längerem Text`: `Wir brauchen die türkische Küste nicht´, steht auf der Brust. `Wir haben die Krim und Sotschi. Geliebtes Heimatland."

In: Stern Nr. 1 vom 30.12.2015

 

2015 hat der deutsche Bauer-Verlag einen zwölfblättrigen Kalender zum An-die-Wand-Hängen mit Putin-Bildern herausgebracht. Auflage für Russland: 200 000 Exemplare, die komplett ausverkauft sind. Inzwischen wird die Diktatoren-Devotionale auf eBay gehandelt, im Januar 2016 lag das Höchstgebot für zwölf Monate Wladimir Putin bei 364 US-Dollar. Zu jedem Monat gehört ein kleiner Begleittext. Beispiel März: Russische Frauen sind die schönsten. Oktober: Niemand wird Russland militärisch überlegen sein. November: Hunde und er (Putin) hegen spezielle Gefühle füreinander.

 

„Der Präsident als Pin-Up. Putin beim Angeln, Putin mit Hundewelpen. Putin mit Pferd… Der Personenkult um Russlands Präsidenten gipfelt in einem neuen Kalender.“

In: WAZ-Mediengruppe vom 30.12.2015

 

 

 

 

 

Ab 1. Juni 2016 soll ein Schnellzug von Moskau in nur 19 Stunden bis nach Berlin fahren. Die russische Staatsbahn plant zum 1. Juni 2016 die Inbetriebnahme einer Schnellstrecke von Moskau nach Berlin. Der Zug wird die Strecke Moskau-Minsk-Warschau-Berlin fahren; er wird sich automatisch den unterschiedlichen Spurbreiten der Gleise während der Fahrt anpassen.

 

 

 

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"Hilfsbereitschaft ist [bei den Russen] vor allem weitab von Großstädten größer als hierzulande.

 

Roland Bathon/Sandra Ravioli in: Russland auf eigene Faust, 2007

 

 

Interessant, zu wissen..., dass in Deutschland einige Orte "Russland" heißen.

Schon in den fünfziger Jahren suchte der Namenskundler Adolf Bach nach Orten in Deutschland, die so heißen, wie anderswo ganze Länder. Die Orte, die vor allem im 19. Jahrhundert nach der weiten Welt benannt wurden, waren meistens sehr klein, sie bestanden oft nur aus ein paar Häusern. Dafür, dass es ausgerechnet im Norden Deutschlands einige solcher Orte gibt, dürfte der Handel über die Meere der Grund sein. Allerdings sind die Namen in der Regel nicht auf den offiziellen gelben Ortseingangsschildern zu lesen, wohl aber im Postleitzahlenverzeichnis, manchmal als "veraltet" angegeben. Adolf Bach erklärt die Namenswahl so: Bei der Namenswahl habe wohl manchmal Bewunderung für das Land Pate gestanden, manchmal aber auch Ironie. Und so findet sich im Norden Deutschlands neben den Namen Krim (zweimal), Sibirien (einmal) die Ortsbezeichnung Russland dreimal - aus Bewunderung der RUSSEN?

 

 

Auch Interessant, zu wissen..., dass russische Wissenschaftler eine neue, von ihnen entdeckte Saurierart nach dem Revolutionsführer Lenin benannt haben.

Die etwa 125 Millionen alten Skelettreste haben die Forscher nahe der Stadt Uljanowsk gefunden und in einem Fachmagazin beschrieben. Die Stadt Uljanowsk hieß einst Simbirsk und ist der Geburtsort von Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin. Die Gattung Leninia stellans, die zu den Ichthysauriern zählt, steht nun in den Naturkundebüchern. Politiker und historische Persönlichkeiten werden oft als Namenspatrone herangezogen. So stand der römische Kaiser Claudius Pate für eine Schildkröte, Nelson Mandela für eine Spinnenart, Theodore Rosevelt für eine Wapiti-Unterart Nordamerikas, George W. Bush für einen Schleimpilze fressenden Käfer, Angela Merkel für die Rose eines französischen Züchters, die den Kosenamen der deutschen Bundeskanzlerin erhielt: Angie!

 

 

Auch im Paradies vergiss deine Heimat nicht.

Sprichwort der Russen

 

 

 

 

 

Zitate über Putin:

 

"Ich sah dem Mann [Putin] in die Augen. Ich stellte fest, dass er geradeheraus und vertrauenswürdig ist, und wir führten ein sehr gutes Gespräch. Ich konnte einen Blick in seine Seele werfen."

George W. Bush (US-amerikanischer Politiker der Republikanischen Partei, von 1989 bis 1993, 41. Präsident der USA), 19?

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 "Wladimir Putin ist kein langfristig denkender Stratege, wohl aber ein Mann der gewieften taktischen Schritte."

Michael Thumann in: DIE ZEIT vom 17.09.2015

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Putin "ist ein kleiner Mann, der in den Arm genommen werden will".

Clemens Tönnies, deutscher Milliardär, größter Schweineschlachter Deutschlands und Aufsichtsratsvorsitzender des FC Schalke 04 in: Die Zeit vom 05.11.2015

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Mit Erdogan und Putin stoßen zwei besonders große Egos aufeinander. [...] Putin [hat] Härte zu seinem Herrschaftsmerkmal gemacht."

In: Die Zeit vom 26.11.2015

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"Ob Wladimir Putin in Syrien die Interessen seines Volkes vertritt, das sei einmal dahingestellt, wohl aber vertritt er seine eigenen. Er will dort eine Situation herbeibomben,

die nur noch eine Wahl lässt: Diktatur oder Chaos. Putin will dem Westen auf die harte Tour beibringen, dass es immer ein Fehler si, demokratische Bewegungen zu unterstützen,

 egal on in Kairo, Damaskus, Kiew oder gar in Moskau."

In: Die Zeit vom 03. 11. 2015

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"Putin ist ein Zyniker."

Ronald Düker in: Die Zeit vom 17.12.2015

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"Dabei muss man wissen, dass es für Putin und sdeinen besonderen Souveränitätsbegriff innere Angelegenheiten anderer Länder, in denen Russen leben, nicht gibt: Nach seiner Doktrin darf Russland jederzeit dort eingreifen, wo Landsleute leben."

Alice Bota in: DIE ZEIT vom 04.02.2016

 

 

 

Zitate über Putin und Russland aus:

 

Garri Kasparow, Warum wir Putin stoppen müssen, 2015

 

(1963 als Garik Weinstein in Baku geboren, wuchs Garri Kasparow, ehemaliger russischer Schachweltmeister und Schachbuchautor armenischer und russisch-jüdischer Abstammung,  in Aserbaidschan auf. Er lebt seit 2013 in New York und hat 2014 die kroatische Staatsbürgerschaft angenommen.)

 

 

"Putins Russland ist heute offenkundig die größte Bedrohung für die Welt."

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"Leider hatte - und hat - Putin so wie andere moderne Autokraten einen Vorteil, von dem die sowjetische Führung nie hatte träumen dürfen: enge wirtschaftliche und politische Beziehungen zur freien Welt."

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"Spätestens als Putin im Jahr 2008 seinen Strohmann Dmitri Medwedew in den Präsidentenpalast setzte, hätte aller Welt klar sein müssen, dass die russische Demokratie tot war."

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"Wie die meisten Diktatoren beweist er [Putin] einen sicheren animalischen Instinkt, wenn es gilt, das Verhalten potenzieller Gegner richtig vorauszusehen."

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"Wie alle Diktatoren vor ihm wird Putin immer selbstbewusster und gewinnt immer mehr Unterstützung, wenn er nicht auf Widerstand stößt. Jeder Schritt, den er dem russischen Volk als Triumph verkaufen kann, macht es schwieriger, ihn zu Fall zu bringen, und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass er sich ermutigt fühlt, noch aggressivere Schritte zu unternehmen."

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"Natürlich ist Putin nicht Hitler. Die unbeschreibliche Bosheit dieses Menschen ist unvergleichlich."

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"Putin besitzt etwas, das Hitler nie besaß: Atomwaffen. Und er scheut sich nicht, uns diese Tatsache in Erinnerung zu rufen."

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"Nur acht Jahre nachdem begeisterte Menschenmengen 1992 den Zusammenbruch der Sowjetunion gefeiert hatten, wurde der frühere KGB-Agent Wladimir Putin zum Präsidenten gewählt. Er brauchte wiederum lediglich acht weitere Jahre, um praktisch sämtliche demokratische Einrichtungen Russlands zu zersetzen oder zu zerschlagen: die Gewaltenteilung, freie Wahlen, ein unabhängiges Justizsystem, freie Medien und eine Zivilgesellschaft, die mit dem Staat zusammenarbeiten konnte, anstatt in Furcht vor ihm zu leben.

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"Putin verdankt seinen Aufstieg einem rasanten Anstieg des Ölpreises, der Propaganda, der Repression und einer gefügigen Bevölkerung."

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"Es ist unmöglich, einen einzelnen Punkt zu bestimmen, an dem Russland aus der Bahn geworfen und Wladimir Putin oder jemand wie er unvermeidlich wurde."

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"Jedes Mal, wenn Putin in Russland gegen die Opposition vorging oder wenn er sich aggressiv in die Innenpolitik der Nachbarländer einmischte, hätte der Westen Gegendruck ausüben können. Stattdessen wurde Putin immerfort mit noch engeren Beziehungen zu den führenden Demokraten der Welt belohnt."*

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"Putin ist kein Ideologe. Er und seine Gefolgsleute haben ungeheure Reichtümer angehäuft, und die Gefahr, diesen Reichtum nicht ungehindert im Westen genießen zu können, wäre eine sehr ernsthafte Bedrohung für sie alle gewesen. Anders als ihre sowjetischen Vorgänger geben sich Putin und seine Gefolgschaft nicht mit einer unscheinbaren ZIL-Limousine und einer Datscha am Schwarzen Meer zufrieden. Sie wollen herrschen wie Josef Stalin, dabei jedoch leben wie Roman Abramowitsch, Putins enger Freund, der sich einen Premier-League-Club leistet und sich auf Jachten vergnügt, die so groß wie Fußballfelder sind."

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"Wie jeder geborene Autokrat respektiert Putin nur eines: Macht. Er wagt sich einen Schritt vor, nimmt Witterung auf, und wenn die Luft rein ist, tut er den nächsten Schritt. Mit jedem Vorstoß wird er selbstsicherer, und es wird schwerer, ihn in die Schranken zu weisen. Äußerungen zurückhaltender Besorgnis von Diplomaten und Außenministern sind für Putin ohne Bedeutung Tatsächlich hält er solche Mahnungen für leeres Geschwätz."

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"Es gab zahlreiche Hinweise darauf, dass Putins Wesen und Absichten gefährlichen waren. Sein Aufstieg zur Macht wurde 1999 durch seine brutale Antwort auf eine Serie von Anschlägen auf russische Wohnhäuser begünstigt, und es gibt Hinweise darauf, dass diese Terroranschläge vom russischen Geheimdienst durchgeführt wurden, um dem Regime nach Art des Reichstagsbrands einen Vorwand zur Repression zu geben. (Anders als beim Reichtagsbrand wurde in Russland jedoch tatsächlich das Blut hunderter Zivilisten vergossen.) [...] Putin machte auch in der Folge keinen Hehl in seiner Geringschätzung für das menschliche Leben: Beim Geiseldrama im Moskauer Dubrowka-Theater 2002 setzten die Sicherheitskräfte ein bis heute nicht genau bestimmtes Gas ein und töteten dutzende Geiseln, und zwei Jahre später griffen Truppen eine Schule in Beslan an, in der tschetschenische Terroristen Kinder als Geiseln hielten. Hunderte Menschen verloren ihr Leben."

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"Das Regime Wladimir Putins verdankte seinen scheinbaren Erfolg vor allem der raschen Unterwerfung der russischen Medien und eine, 700-prozentigen Anstieg des Ölpreises bis 2008. Schon zu Beginn seiner ersten Amtszeit als Präsident fand Putin heraus, dass die Kontrolle über die vierte Gewalt unerlässlich war, wenn er die anderen drei beherrschen wollte. Die Medien wurden von Putins engsten Verbündeten und von willfährigen Kräften übernommen."

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"Wenn Putin gelegentlich den Eindruck erweckt, die relativ entschiedene internationale Reaktion auf die Invasion der Ukraine im Jahr 2014 nicht erwartet zu haben, liegt das vielleicht einfach daran, dass er auf das nächste Angebot für einen Neubeginn wartet."

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"Als die amerikanische Regierung schließlich zaghafte Maßnahmen ergriff, um auf zahlreiche Regelbrüche des Putin-Regimes zu reagieren, hatte Putin bereits die absolute Macht an sich gerissen und war überzeugt, vollkommen ungestraft jedes Verbrechen begehen zu können."

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"Die westlichen Regierungen beharren darauf, in Putin jemanden zu sehen, der in gutem Glauben verhandeln will - und das, nachdem er im März 2015 triumphierend gestanden hat, ein Jahr zuvor über die Besetzung der Krim durch russische Truppen gelogen zu haben."

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"Nachdem ich mehr als ein Jahrzehnt lang auf jeder Bühne und in jedem Kommentar vor Putins Charakter und seinen Ambitionen gewarnt habe, macht es mich wütend, dass so viele amerikanische Politiker meine Meinung teilen - sobald sie aus dem Amt geschieden sind. In ihren Büchern verlieren sie kein Wort darüber, was sie in der Zeit, als sie noch die Macht dazu hatten, anders hätten machen können, um Putins Verhalten zu beeinflussen. [...] Nur dank meiner Erfahrung als sowjetischer und russischer Bürger bin ich in der Lage, Putins Schachzüge und seine Beweggründe zu verstehen."

Garri Kasparow in: Warum wir Putin stoppen müssen, 2015

 

 

 

Die RUSSEN: Für Liebhaber kurzer Texte

 

Die Russische Föderation erstreckt sich von der Ostsee bis zum Stillen Ozean, vom Nördlichen Eismeer bis zu den südlichen Gestaden des Schwarzen und des Kaspischen Meeres. Während spärliches Tundramoos im arktischen hohen Norden gerade noch die Rentiere ernährt, gestattet subtropisches Klima im Nordkaukasus den Anbau von Tee und Zitrusfrüchten. Die 137,4 Millionen Russen, sofern gläubig orthodoxe Christen, verteilen sich über das ganze Sowjetland. Eine besondere Dichte weisen sie im europäischen Teil der Russischen Föderation auf, im "Matuschka Rossija", dem "Mütterchen Russland". Der Name "Rus" oder "Ros" wird in den ältesten Zeugnissen aus dem 7. Jahrhundert für eine große Stammesvereinigung verwandt, die im mittleren Dneprgebiet siedelte. Die Formierung der drei ostslawisch sprechenden Völker (der Russen, Ukrainer und Belorussen) erfolgte nach der Zerschlagung der Goldenen Horde. Dieses Ereignis ging einher mit einem "Sammeln der russischen Lande", im 16. Jahrhundert schon waren alle Teilfürstentümer des Russenlandes unter der Herrschaft der Moskauer Großfürsten vereint. Nun erfolge die Eroberung Sibiriens, die Rückeroberung von Ländereien im westen und Nordwesten; das 19. Jahrhundert brachte die Unterwerfung weiter Teile Mittel-, Zentralasiens und des Kaukasus. - Bis heute zeichnen die russische traditionelle Volkskunst hohe künstlerische Meisterschaft und Vielseitigkeit aus, besonders schön sind russische Spitzen und Stickereien, die Lackmalerei und die Holzschnitzerei. Ein echtes altrussisches Holzhaus mit seinen geschnitzten Ziergiebeln, Türmchen, Kuppeln und Fenstern mutet wie ein Knusperhäuschen an. Darinnen steht selbstverständlich auch ein gemütlich-bauchiger Samowar. die russische Hausfrau stellt ihn auf, wenn Gäste kommen und wenn keine kommen, nach eine Besuch in der Banja oder nach einem Spaziergang, festtags und alltags, morgens und abends, sommers und winters. Erstmals probierte man in Russland Tee 1638, als der mongolische Khan Altyn dem russischen Zaren Michail Fjodorowitsch vier Pud davon schenkte. Anfangs als Arznei getrunken, wurde der Tee Ende des 17. Jahrhunderts der Russen begehrtestes Volksgetränk. Gibt´s laut Sprichwort vom Guten nur häppchenweise, so gibt´s in trauter Runde vom Sud genug.

Diesen unveröffentlichten Text habe ich geschrieben, als ich für das

Bibliographische Institut in Leipzig von 1986 bis 1991 ein Sprichwörterbuch von fünfzig Völkern der (ehemaligen) Sowjetunion erarbeitete,

das wegen des Zerfalls der Sowjetunion nicht mehr erschienen ist.

Als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT – die als Russistin ihre Diplomarbeit über russische Sprichwörter geschrieben hat - habe ich auf allen meinen Reportagereisen in die Sowjetunion jahrzehntelang auch Sprichwörter der dort ansässigen Völker gesammelt - von den Völkern selbst,  von einschlägigen Wissenschaftlern und Ethnographen, aus Büchern ... - bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Moskau saß ich Tag für Tag in der Leninbibliothek. So ist von mir erschienen: 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Ich bin, wie man sieht, gut damit gefahren, es mit diesem turkmenischen Sprichwort zu halten:

 

Hast du Verstand, folge ihm; hast du keinen, gibt`s ja noch die Sprichwörter.

Hier fünfzig russische Sprichwörter:

 (Bisher Unveröffentlicht)

 

Ach und Oh sind keine Helfer.

Sperre Adam ein und - Eva wird aufschrein.

Dem einen ein Amt, dem zweiten vom Samt, dem dritten - das Kumt.

Der Bauch gibt nichts auf alte Freundschaft.

Sieben Beile friedlich nebeneinander liegen, zwei Spinnrocken kennen keinen Frieden.

Gelingt´s wird´s Bier, misslingt´s - wird´s Kwass.

Gleiche Bräuche, feste Liebe.

Brot macht den Tisch zum thron.

Wer reich, ist Bruder gleich.

Bevor du nicht unter fremdem Dache warst, weißt du nicht, wo deines undicht ist.

Knausere nicht mit Dank, selbst aber erwarte keinen.

Der Deutsche kommt mit dem Verstand überall hin, der Russe mit den Augen.

Besser Eigenes hüten, als Fremdes durchbringen.

Erfolg liebt Tollkühnheit.

Federchen zu Federchen wird einen Daunenbettchen.

Ohne Feldrain kein Besitztum

Wenn du deiner Frau nachgibst, wirst du sie bald schon in fremden Häusern suchen müssen.

Faste mit dem Geist, nicht mit dem Wanst.

Hat einer Gelderchen, hat er auch Mädelchen.

Wer nicht Glöckner war, kann nicht Küster werden.

Glück ist keine Kuh, lässt sich nicht melken.

Glück fährt Kutsche, Verstand geht zu Fuß.

Was Gott nicht gibt, kann das Schwein nicht fressen.

Gott gab den Weg, der Teufel den Umweg.

Wo sich das Glück aufgewärmt hat, da bleibt es.

Wer sich selbst nicht in die Hand zu nehmen versteht, kann auch andere nicht lenken.

Wo zu Haus die Frau auf hohem Ross sitzt, flüchtet der Mann zur Nachbarin.

Ein Herz allein bricht keinen Strohhalm.

Lieber jedes Jahr ein Kind kriegen als jeden Tag zum Barbier gehen.

Jahrhunderte schufen Moskau, St. Petersburg Millionen.

Ein Kalb in der Stadt ist klüger als des Dorfes Küster.

Das Kloster liebt Geschenke.

Im eigenen Land wird keiner Prophet.

Alte Liebe bringt sich immer wieder in Erinnerung.

Klein hört man sich Märchen an, alt erzählt man welche.

Ohne Manieren ist ein Pferd eine Kuh.

Einem guten Menschen geht auch fremde Krankheit ans Herz.

In Moskau wird dick geläutet und dünn gegessen.

An neuem Ort wird man erst einmal drei Jahre lang verteufelt.

Kaufe nie das Pferd des Popen, nimm nie die Tochter einer Witwe.

Nahe Rechnung - ferne Freundschaft.

Reibach und Reinfall fahren im selben Schlitten.

Der Russe scherzt weder mit dem Schwert noch mit Brot.

Jede Sache muss in eigener Hefe aufgehen.

"Mal sehen" und "wird schon gehen" hat man immer zusammen gesehen.

Die russische Stunde hat dreißig Tage, der Monat an die zehn Wochen.

Ein Weib- ein Markt, zwei Weiber - ein Basar.

Andere Zeit - anderes Leid.

Zorn ist menschlich, Rachsucht teuflisch.

Über wem sich´s zusammenzieht, über den bricht´s auch herein.

 

Interlinearübersetzung aus dem Russischen von Gertraud Ettrich; gesammelt und in Sprichwortform gebracht von Gisela Reller

 

 

Zitate über Russland: "Das Rußland der Ikonen und Kakerlaken..."

Lew (Leo)Trotzki (kommunistischer Politiker, russischer Revolutionär, marxistischer Theoretiker, 1879 bis 1940 - ermordet) 

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"Russland nimmt mit der Anzahl an Morden und Selbstmorden weltweit den ersten Platz ein."

Jacek Hugo-Bader (polnischer Buchautor) in: Ins eisige Herz Sibiriens, Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok, 2014

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"[...] die Verhältnisse im heutigen Russland - grassierende Korruption, empörende soziale Ungleichheit [...] Wer die Gegenwart ablehnt, neigt oft dazu die Vergangenheit zu idealisieren."

Garri Kasparow (1963 als Garik Weinstein in Baku geboren, ehemaliger russischer Schachweltmeister und Schachbuchautor armenischer und russisch-jüdischer Abstammung, aufgewachsen in Aserbaidschan. 2014 nahm er die kroatische Staatsbürgerschaft an) in: Warum wir Putin stoppen müssen, 2015

*

"Es gibt nämlich noch ein anderes Russland als jenes, das westliche Medien zeigen. Eines, das nicht in das Opfer-Täter-Bild passt, mit Putin als Unterdrücker einer schlummernden Demokratie. Es sind bei Weitem nicht nur demokratische und liberale Kräfte, die nach jahrzehntelanger Unterjochung und dem Chaos der Neunzigerjahre ihren Weg an die Oberfläche suchen. Auch wenn der russische Nationalismus noch lange nicht ausgereift ist und politisch zu kurz gehalten wurde, um mit konkreten Köpfen und Zielen aufzuwarten - mittel- und langfristig ist er brandgefährlich."

Filipp Piatov in: Russland meschugge, Putin, meine Familie und andere Außenseiter, 2015

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Zitate über die Russen: "Die Wahrheit zu sagen, machte ich ungern die Bekanntschaft von Russen im Ausland. Ich erkannte sie schon von weitem an ihrem Gang, am Schnitt ihrer Anzüge, hauptsächlich am Ausdruck ihrer Gesichter. Selbstzufrieden und verächtlich, oft herrisch, wechselten sie plötzlich mit einem Ausdruck von Vorsicht und Scheu. (...) Kurze Zeit später stellte sich die herrische Miene wieder ein..." - "Ja, ja, die jungen Herrn, die jungen Herrn! Haben fremde Damen gern. Russisches wird abgewimmelt, alles Fremde angehimmelt. Euch behagt, was das Ausland sagt."

Iwan Turgenjew (russischer Schriftsteller, 1818 bis 1883) in: Meistererzählungen

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"Viel später erst wurde mir klar, dass sich die russischen Menschen wegen der Armut und Dürftigkeit ihres Lebens überhaupt gerne an ihrem Kummer ergötzen, wie Kinder mit ihm spielen und sich nur selten ihres Unglücks schämen."

Maxim Gorki (russischer Schriftsteller, 1868 bis 1936) in: Meine Kindheit

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"Die Fröhlichkeit lebt  bei uns nie aus sich selbst heraus und wird nicht an sich geschätzt, man holt sie vielmehr absichtlich aus der Versenkung herauf, damit sie die schläfrige russische Schwermut hindert. Die innere Kraft einer Fröhlichkeit, die nicht aus sich selbst heraus lebt, nicht lebt, weil sie leben will, sondern nur in Erscheinung tritt, wenn die kummervollen Tage sie rufen, ist verdächtig. Und allzu oft schlägt die russische Fröhlichkeit überraschend  in ein grausames Drama um." - " Ich wäre am liebsten rasch gegangen, aber in Russland zieht man traurige Augenblicke gern in die Länge; wenn Menschen auseinandergehen, dann ist es, als zelebrierte man eine Seelenmesse."

Maxim Gorki (russischer Schriftsteller, 1868 bis 1936) in: Unter fremden Menschen

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"Wieviel trinken die Russen? - Viel weniger, als man im allgemeinen annimmt. - Doch können sie viel mehr trinken, als man im allgemeinen annimmt."

Lothar Kusche (deutscher Feuilletonist, Schriftsteller, Satiriker, geboren 1929) in: Wie streng sind denn im Sowjetland die Bräuche?, 1958

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"Russische Männer leiden furchtbar, wenn sie krank sind, aber sie sterben still, und nur vor dem Tode schreien sie: `Mama!`"

Nina Sadur (geboren 1950) / Jekaterina Sadur (geboren 1973) in: Die Wunde Ungeliebt", 1998

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"Wir [Russen] glauben nicht an die Stabilität der neuen demokratischen Ordnung, irgendwo spüren wir ein tektonisches Brodeln. Ein `Dasein in Angst [unter Stalin] hinterlässt Spuren. Die Psyche ist deformiert. Das Misstrauen ist geblieben, auch die Vorsicht, seine Meinung zu sagen. Die Lüge ist zur Gewohnheit geworden, niemand nimmt sie mehr wahr, sie ist so natürlich wie eine Tarnfarbe. Nach wie vor sind wir bereit zu bedingungslosem Gehorsam. Das alles sind Folgeschäden nach der langen Angstkrankheit. Ob sie für immer zum Erbgut des Volks gehören oder ob es gelingt, sie zu beheben - das weiß niemand."

Daniil Granin (russischer Schriftsteller, geboren 1919) in: Das Jahrhundert der Angst, 1999

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"Noch während des Studiums habe ich ein altes Buch von Berdjajew gelesen, in dem er über die Einfluss schreibt, den die ungeheure Ausdehnung des Imperiums auf die russische Seele ausübt. Er hat recht: Woran denkt ein Russe am Ufer des Jenissej oder in der Tiefe der Taiga entlang des Amur? Jeder Weg, den er einschlägt, scheint endlos zu sein. Er kann ihm Tage und Monate folgen, und immer wird um ihn herum Russland sein. Die Ebenen, die Wälder, die Flüsse wollen scheinbar kein Ende nehmen. (...) Russland - das ist Weite, einerseits unendlich groß, andererseits in ihrer Größe so bedrückend, dass sie den Atem raubt."

Ryszard Kapuściński (geboren 1932 in Polen) in: Imperium, Sowjetische Streifzüge, 2000

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Man trifft "bei vielen Russen auf eine natürliche und unverordnete Freundlichkeit, wenn man am Flughafen oder im Flugzeug mit kleinen Kindern unterwegs ist und wird so von sich aus vorgelassen. Gerne werden die Kinder sogar mit unterhalten oder beschäftigt - viel häufiger als im Westen."

Roland Bathon/Sandra Ravioli in: Russland auf eigene Faust, 2007

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"Kein Laster behandelt man bei uns in Russland mit soviel Nachsicht wie das Trinken. Alle trinken - die Zaren, Bischöfe, Akademiker, sogar gelehrige Papageien.

Ljudmila Ulitzkaja (geboren 1943) in: Reise in den siebenten Himmel, 2007

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"Jedes Jahr saufen sich [in Russland] 40 000 Menschen zu Tode. Im Durchschnitt trinkt jeder Bürger 17 Liter reinen Spiritus pro Jahr. (...) In Russland gibt es eine bedeutende und tief verwurzelte Trinkkultur. Dieses Unglück hat zur Zeit Peters des Gr0ßen begonnen, der dazu ermunterte Kneipen zu eröffnen und so viel zu trinken, wie nur möglich. Er hat damit Unmengen an Steuern eingenommen."

Jacek Hugo-Bader (polnischer Buchautor) in: Ins eisige Herz Sibiriens, Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok, 2014

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"Oppositioneller in Russland zu sein bedeutet, alles zu riskieren: die eigene Sicherheit und Freiheit ebenso wie das Wohlergehen der Familie. Mein Vater Boris Nemzow wurde im Februar in Moskau auf offener Straße erschossen. Es war eine politisch motivierte öffentliche Hinrichtung. Die Gesellschaft sollte sehen, dass Kritik an Wladimir Putin und der Regierung  einen das Leben kosten kann. Viele Menschen in meinem Land leben in Angst (manche, darunter auch ich, haben es deswegen verlassen). Noch mehr sind gezwungen, zu schweigen und ihre wahren Ansichten über das Regime vor ihrer Umgebung zu verbergen."

Schanna Nemzowa, die Tochter des russischen Oppositionellen Boris Nemzow, der in Moskau ermordet wurde, in: Die Zeit vom 06. August 2015

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"Obwohl die Sowjetunion zerfiel, bewahrte sich Russland, die mit Abstand größte und mächtigste der Sowjetrepubliken, viele der Privilegien und Positionen des alten kommunistischen Reichs und behielt das größte Atomwaffenarsenal der Welt."

Garri Kasparow (1963 als Garik Weinstein in Baku geboren, ehemaliger russischer Schachweltmeister und Schachbuchautor armenischer und russisch-jüdischer Abstammung, aufgewachsen in Aserbaidschan. 2014 nahm er die kroatische Staatsbürgerschaft an) in: Warum wir Putin stoppen müssen, 2015

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"Der Perfektionismus liegt den Russen nicht."

Ulrike Maria Hund in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.10.2015

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"Die Russen kennen das Leben mit dem Terror. Sie kennen Anschläge in Bussen und U-Bahnen; immer wieder ein Schock, aber auch Teil ihrer Lebenswirklichkeit."

Die Zeit vom 12.11.2015

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Zitate über Die Sowjetunion und den Sowjetbürger: "Hier stoßen wir auf ein weiteres wichtiges Merkmal der Menschenrechtsbewegung. Sie kämpft nicht nur für `die Interessen einer Klasse´, nicht für das Land, nicht für den Zaren, nicht für materielle Privilegien und nicht einmal für die Demokratie. Sie kämpft für den Menschen. Nach fünf Dezennien war der Sowjetbürger plötzlich wieder Mensch und nicht eine abstrakte gesellschaftspolitische Größe. Er durfte seine eigene, seine persönliche Stimme erheben und nicht mehr die einer Klasse oder die der Partei. Das Dissidententum stellte innerhalb der Sowjetzivilisation den verlorengegangenen Begriff des Individuums wieder her."

Andrej Sinjawskij (russischer Schriftsteller, 1925 bis 1997) in: Der Traum vom neuen Menschen oder Die Sowjetzivilisation, 1989

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"Denn absolut alles, was die Menschen wirklich benötigten, war in der Sowjetunion Mangelware. Die planwirtschaftlichen Betriebe produzierten nicht für die Menschen, sondern für die Fünfjahrespläne."

Filipp Piatov in: Russland meschugge, Putin, meine Familie und andere Außenseiter, 2015

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Zitate über Lenin: "Nicht zuletzt war Lenin eine andere Art von Führer [als Stalin]. Er ging mit einer Mischung von  ideologischer Unnachgiebigkeit und Kompromissbereitschaft vor."

Oleg Chlewnjuk in: Stalin, Eine Biographie, 2015

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Zitate über Stalin: "Wir wissen lediglich, dass Stalin nicht immer ein radikaler Bolschewik war. Als `Moderater´ und `Rechter´ sollte er sich erst nach Lenins Tod wieder profilieren." - "Stalin wird ihn [Trotzki] sicherlich beneidet haben, und sei es nur, weil der aufsteigende Star der Bolschewiki all das darstellte, was er nicht war. In der fiebrigen Zeit vor der Revolution, als begabte Redner sehr gefragt waren, konnte Trotzki eine tausendköpfige Menge in den Bann schlagen. Stalin dagegen war ein glanzloser Redner. Trotzki war ein brillanter Stilist und faszinierender Schriftsteller, Stalin war keines von beiden." - "Auch für den Rest des Krieges blieb Stalin ein Maulheld." - Dank der scharfen Kontrolle über die Alchemie der offiziellen `Staliniana´ entstand ein falsches und um ein Vielfaches überhöhtes Bild des Diktators und seiner Leistungen. Dieses Bild hat ihn überlebt und im heutigen Russland seine Anziehungskraft nicht verloren. Der Zusammenbruch der Sowjetunion, die Belastungen der Transformationszeit, Korruption, Armut und eklatante soziale Ungerechtigkeit tragen allesamt dazu bei, die Sehnsucht nach einem sozialen Utopie zu verstärken. Ein beträchtlicher Teil der russischen Gesellschaft sucht in der stalinistischen Vergangenheit Lösungen für die Gegenwart. Populäre Vorstellungen von der Größe des stalinistischen Imperiums, von sozialer Gleichheit und dem Kampf gegen Korruption, von der Wonne und Reinheit dieses weit zurückliegenden Lebens, das angeblich von `Feinden´ zerstört wurde, werden von skrupellosen Meinungsmachern und Politikern ausgenutzt. Wie groß ist die Gefahr, dass sich eine Mischung aus historischer Unwissenheit, Bitterkeit und sozialer Unzufriedenheit als fruchtbarer Nährboden für prostalinistische Lügen und Verzerrungen erweist? Kann es sein, dass Russland im 21. Jahrhundert in Gefahr schwebt, die Fehler des 20. Jahrhunderts zu wiederholen?"

 

Oleg Chlewnjuk in: Stalin, Eine Biographie, 2015

*

"Der pockennarbige Teufel Stalin hatte Zeitbomben hinterlassen..."

Sergej Lebedew in: Menschen im August, 2015

*

„Stalin wird [in Russland] immer beliebter. Erst im Dezember wurde in der Großstadt Pensa ein Stalin-Zentrum eröffnet. Umfragen bestätigen Stalins zunehmende Popularität: Ein Drittel der Befragten ist inzwischen davon überzeugt, dass der Sieg im Zweiten Weltkrieg alle Sünden Stalins überwiege. Vor neun Jahren waren nur 28 Prozent der Befragten dieser Ansicht. Die Zahl derjenigen, die in ihm einen weisen Anführer sehen, der die Sowjetunion zum Aufstieg geführt hat, ist inzwischen mit 20 Prozent (2007 waren es noch 14 Prozent) fast genauso hoch wie die Zahl seiner Gegner (21 Prozent), die ihn als Tyrannen und Massenmörder sieht. Der Grund für all die Phänomene liegt in der zunehmenden Entfremdung zwischen Russland und dem Westen, und den zahlreichen Konflikten, die in der jüngsten Zeit aufgebrochen sind. In den Regionen zeigt sich diese Abgrenzung nur deutlich exzessiver als in der Hauptstadt Moskau.“

André Ballin in: derstandard.at vom 15.01.2016

 

 

 

 

 

 

Die RUSSEN: Für Liebhaber kurzer Texte für Kinder

 

Los geht´s - wir machen uns jetzt auf den weg in das größte Land der Erde, nach Russland. Wenn wir mit dem Zug fahren, brauchen wir einen ganzen Tag und eine ganze Nacht, wenn wir fliegen, schaffen wir die zweitausend Kilometer bis nach Moskau in etwa zwei Stunden. - Moskau ist eine sehr, sehr große und sehr, sehr schöne Stadt. Da gibt es märchenhafte Paläste, Gold funkelnde Kirchen, die bunte Basilius-Kathedrale, den Kreml mit seinen vielen Türmen, Türmchen und Zinnen... - Aber Kindern, so weiß ich, hat es immer besonders die U-Bahn angetan, die in Moskau Metro heißt. Die Bahnhöfe sind hier wie unterirdische Paläste aus Granit, Marmor, Kupfer und bunten Kacheln. Das Spannendste an der Metro sind die langen, langen Rolltreppen. - Gar nicht selten kann man in der Metro zu Beginn eines neues Jahres Ded Moros begegnen, das ist Väterchen Frost. Dann nämlich fährt er zu den Kindern, die er beschenken will. Bei den Russen ist Väterchen Frost der Weißbärtige, rot bemäntelte alte Herr, der bei uns Weihnachtsmann heißt. In Russland legt er die Geschenke nicht am 24. Dezember, sondern zu Neujahr unter den Tannenbaum, weshalb unser Weihnachtsbaum dort Neujahrstanne heißt. Zu dieser Jahreszeit ist es in Moskau meist sehr kalt, oft zeigt das Thermometer 25 bis 30 Grad minus an. Bei den Moskauern gucken dann nur die Nasenspitzen aus den vermummten Gesichtern. Bloß gut, dass Morosik, Väterchen Frosts kleiner Enkel, die Menschen seit einem bestimmten Ereignis nicht noch zusätzlich zwickt und zwackt. Und wie es dazu kam, erzählt Euch das russische Märchen Morosik, der kleine Frost.

 

Diesen unveröffentlichten Text habe ich geschrieben, als ich nach der Wende

von 1997 bis zum Jahre 2000 zusammen mit Gabriele Kleiner (die die Märchen auswählen und übersetzen sollte)

und Gisela Röder (die die Zeichnungen für die Märchen anfertigen sollte) die Idee für ein Märchenbuch der Völker Russlands

„Die listige Füchsin und der kleine, dicke Samowar“ (Arbeitstitel) konzipierte.

 

 

So sollte unser Märchenbuch von 70 Völkern Russlands aussehen. Bei allen Zeichnungen sollten die Märchenhelden zum Beispiel nicht mit Phantasie-Kleidung ausgestattet sein, sondern Schnitt und Stickereien sollten - wie bei unserer Füchsin - dem Original entsprechen.

Gestaltung: Horst Wustrau.

 

 

 Ich zitiere aus unserem Exposé: „Allgemein bekannt ist, dass es sich sowohl beim zaristischen russischen Reich als auch bei

der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) um einen ausgeprägten Vielvölkerstaat handelte. Meist unbeachtet bleibt, dass nach dem Zerfall der UdSSR die Russische Föderation – die sich von Europa bis in den Fernen Osten erstreckt – ein solcher Vielvölkerstaat geblieben ist, in dem neben den Russen etwa siebzig weitere angestammte Völker leben. Diese Völker sprechen die unterschiedlichsten Sprachen, gehören den unterschiedlichsten Religionen an, haben jeweils ihre eigenen Geschichte, ihre spezifischen

Sitten und Bräuche. (…) Noch immer fehlen leicht verständliche Publikationen, aus denen man Näheres über Herkunft, Bevölkerungsanzahl, Siedlungsgebiete, Sprache, Religion… der verschiedenen Nationalitäten erfahren kann. Für Kinder gibt es keinerlei Literatur, die einen umfassenden kindgerechten Einblick in die ethnische Vielgestaltigkeit Russlands vermittelt. Auch in den Schulbüchern fehlen hierzu entsprechende Texte. Die in den letzten

hundertfünfzig Jahren im deutschen Sprachraum publizierten

Märchensammlungen der Völker Russlands bzw. der Sowjetunion wiederholen sich in der Auswahl, greifen immer wieder

auf dieselben Quellen zurück und sind in ihrer Zusammenstellung – was die einzelnen Völkerschafts-Märchen betrifft – mehr zufällig als systematisch und nie umfassend zusammengestellt. In keiner Märchensammlung gibt es außer der namentlichen

Nennung des Volkes weiterführende Hinweise zu diesen Völkern – weder geographische noch ethnographische oder historische. –

Auf dieser Erkenntnis – der jahrelange Recherche u. a. in den großen staatlichen Bibliotheken Russlands vorausgegangen ist – basiert unsere Idee, ein exklusives Märchenbuch der Völker Russlands mit faktenreichen kindgerecht geschriebenen

Einführungstexten zu allen Völkern der Russischen Föderation herauszugeben. (…) – Zu den Herausgeberinnen:

Gisela Reller ist Russistin, Buchautorin und Fachjournalistin für alle GUS-Staaten und deren Völker. Sie hat – als Reporterin der Illustrierten FREIE WELT - seit 1964 bis in die Gegenwart weit über hundert Reisen in alle

Gebiete der ehemaligen Sowjetunion

unternommen und verfügt über ein sehr umfangreiches und vielseitiges Völkerschafts-Spezialarchiv. – Gabriele Kleiner – ebenfalls Reporterin der Illustrierten FREIE WELT – ist Russistin, Übersetzerin und Journalistin mit Schwerpunkt Ost- und Südosteuropa, sie hat drei Jahre lang in Moskau gelebt und kennt die GUS-Staaten darüber hinaus ebenfalls durch viele Reportagereisen. – Gisela Röder hat für eine Märchenserie in der FREIEN WELT farbige großformatige Zeichnungen beigesteuert. Sie hat nach Vorlagen (Ornamente, Trachten, typische Gebrauchsgegenstände, Schmuck…) aus dem Spezialarchiv von Gisela Reller für das jeweilige Märchen ethnographisch exakte, abwechslungsreiche und unverwechselbare Zeichnungen angefertigt. Jedem Märchen sollte ein kurzer kindgerechter Text

(für 6 bis 12jährige) vorangestellt werden, in dem die Kinder mit dem Finger auf der Landkarte von Moskau aus durch die Russische Föderation reisen: durch das europäische Russland, den Nordkaukasus, Westsibirien, Südsibirien, den hohen Norden, den Fernen Osten. Ist es nicht interessant, dass bei den Mordwinen ein guter Märchenerzähler genauso viel Achtung genossen hat wie ein geschickter Jäger oder ein starker Holzfäller? Dass einer der sowjetischen Kosmonauten der Tschuwasche Andrijan Nikolajew war? Dass die

Nordosseten an Gott, die Tschuktschen an Geister, die Tschetschenen an Allah, die Burjaten an Buddha glauben? Dass bei den Mari erst Märchen erzählt werden durften, wenn alle Arbeit des Tages getan war?

Dass von den ganz dicht beieinander lebenden

Völkern des Wolga-Kama-Gebietes drei Völker finno-ugrisch und drei Völker eine Turksprache sprechen? Dass die

tschuwaschische Braut ihrem Bräutigam ein Hochzeitstüchlein sticken musste, das im Muster ganz und gar einmalig war? (…)“

Nachdem wir uns erfolglos mit 26 Verlagen in Verbindung gesetzt hatten, gaben wir auf!

 

 

 Das russische  Märchen Morosik, der kleine Frost

*

Es war einmal, dass Großvater Frost einen kleinen Enkel hatte. Und der hieß Morosik. Morosik verstand eines ganz besonders gut - nämlich anzugeben und sich wichtig zu machen. Wenn man diesem kleinen Prahlhans zuhörte, konnte man glauben, auf der großen weiten Winterwelt gäbe es niemanden, der stärker gewesen wäre als er. Eines Tages, da dachte Morosik nach. Und wie er so nachdachte, da fasste er einen Entschluss: "Mein Großvater ist schon alt. und das, was er macht, ist auch nicht mehr, was es einmal war. Ich dagegen bin jung und stark und kann die kleinen und großen Menschen viele, viel besser das Frieren und Bibbern lehren! Vor mir rettet sich keiner! Ich bezwinge alle!" Als er mit dem Denken und Pläneschmieden fertig war, machte sich Morosik auf die Suche nach jemandem, dem er so richtig unter die Haut und bis auf die Knochen fahren könnte. Er überflog im Eise krachende Flüsse und Seen, überwand Schneewehen und Hagelschlag und erreichte endlich die Straße. Die Straße entlang glitt ein prächtiger, stolzer Schlitten, der von einem starken, schnellen Russ gezogen wurde. Im dem Schlitten, eingehüllt in warme, weiche Decken, saß ein dicker Kerl, den Kragen seines kostbaren Pelzmantels hochgeschlagen bis über beide Ohren. Morosik beäugte den Dickten von allen Seiten und frohlockte: "Ha, ha! Dummkopf, kannst dich noch so sehr in deine Decken, in deinen Pelz verstecken, vor mir gibt es kein Entkommen! Bin viele stärker als Ded Moros, mein Großvater, den alle Kinder Väterchen nennen." Dachte es,  sprang in den Schlitten und machte sich sofort an die Arbeit. Der kleine Frost kroch zwischen die Decken, fuhr unter den Pelz, blies dem dicken reichen Herren in die Ärmel, krabbelte hinter dessen Pelzkragen, zwänge sich in dessen mit Lammfell gefütterte Stiefel und zwickte ihm sogar in die Nase. Der aber schrie: "Hilfe, ich erfriere!" und befahl seinem Diener, das Pferd noch schneller laufen zu lassen. Das aber gefiel Morosik gar sehr. Und er zwickte und zwackte den Dicken überall und mit aller Kraft: an der Nase, an den Fingern, an den Zehen, so dass dieser gar nicht mehr zu Atem kam. Anfangs zappelte der Herr noch. Wand sich, drehte sich und schrie: "Fahr zu, du Nichtsnutz, treib das Pferd an!" Dann aber wurde er immer stiller. Und als der Schlitten endlich auf dem Gutshof des reichen, dickten Herrn ankam, da mussten ihn seine Diener mehr tot als lebendig ins Haus tragen. So erfroren war er. Morosik, der kleine Frost, aber kehrte mit Stolz geschwellter Brust zum alten Ded Moros zurück und frohlockte: "Siehst du, Großvater, mit mir kannst du es nicht mehr aufnehmen! Hab einen Herrn fast erfrieren lassen. Bin sogar in seinen Pelz gekrochen. Sogar gezwickt und gezwackt hab ich ihn! Das würdest du dich niemals wagen!" Großvater Frost aber lächelte nur nachsichtig in seinen Bart hinein und erwiderte mit tiefer, knarrender Stimme: "Na gut, du hast einen dicken Herrn zum Bibbern und Frieren gebracht. Wollen sehen, ob du es auch bei dem da schaffst..." Und der alte, erfahrene Frost wies auf einen Feldweg. Dort fuhr ein dünnes, mageres Bäuerlein, eingewickelt in einen alten, schon ganz löchrigen Schafspelz, sitzend in einem knarrenden, wackligen Schlitten, gezogen von einem altersmüden Gaul langsam in Richtung Wald. Zum Holzhacken. "Gelingt es dir", fuhr der alte Frost fort, "dann Morosik, bist du wirklich stark!" - "Kleinigkeit", rief der kleine dumme Prahlhans, "den da verwandle ich im Handumdrehn in einen Eisklumpen!" Voller Eifer stürzte sich Morosik auf das Bäuerlein und begann, diesem gar jämmerlich zuzusezten: mal von der einen, mal von der anderen Seite. Der Bauer aber sprang vom Schlitten und versuchte, mit seinem Gaul Schritt zu halten. Das Laufen strengte ihn an, und er begann zu schwitzen. "Na warte", dachte Morosik verblüfft, "im Wald will ich dich schon noch das Frieren lehren!" Der Bauer kam in den Wald, nahm die Axt und begann, die Fichten und Birken zu fällen, dass die Späne flogen. Morosik aber war auch nicht faul. Er zwickte und zwackte das Bäuerlein an den Händen, an den Füßen, kroch ihm unter den dünnen Pelz bis auf die nackte Haut. Doch je mehr sich der kleine Frost abrackerte, desto stärker schwang der Bauer die Axt, um so schneller fällte er die Bäume. Wieder begann der Bauer zu schwitzen. Schließlich streifte der seine Fäustlinge ab und begann mit bloßen Händen zu arbeiten. Immer und immer wieder attackierte der kleine Frost den Bauern. Ohne Erfolg. Da wurde er ganz böse und verfiel auf eine List. Er kroch in die Fäustlinge des Bauern. so dass die ganz hart und frostig wurden, und dachte schadenfroh: "Du wirst dich noch wundern, Bauer. Mit mir kann man so was nicht machen. Beende erst mal deine Arbeit, ich werd mich hier solange ausruhn. Dann auf dem Heimweg wirst du noch bibbern und frieren, dass dir die Luft wegbleibt!" Nachdem der Bauer seinen Schlitten bis an den Rand mit Holz beladen hatte, spornte er das Pferd an und griff sich seine Fausthandschuhe. "Hi, hi, hi, du dummer Bauer", triumphierte der kleine Frost im Innern der Fäustlinge, "jetzt geht´s erst richtig los!" Der aber griff sich einen Holzscheit und begann mit ihm, die Fäustlinge wieder weich zu klopfen. Morosik vergingen fast die Sinne, so hart trafen ihn die Schläge. Ganz krumm und lahm wurde er geschlagen. Das Bäuerlein aber zog sich seine Fausthandschuhe wieder an, setzte sich hoch oben auf seine voll gepackten Schlitten und fuhr müde und zufrieden zurück in sein Dorf. Der kleine Frost aber humpelte ächzend und stöhnend nach Hause. Als Großvater Frost ihn so sah, da fragte er ein bisschen ironisch: "Na, Morosik, mein Enkelchen, "warum lahmst du denn nur?" - "Hab mich müde gerackert, um den Bauern zum Frieren zu bringen. Der aber hat mich dafür windelweich geprügelt!" - "Das soll dir eine Lehre sein. Mit Nichtstuern fertig zu werden, das ist nicht schwer, aber sich zu messen mit jemandem, der aus eigener Kraft das Leben meistert, ist eine ganze andere Sache. Merk dir das gut!" - Seitdem hat niemals wieder jemand den kleinen Frost beim Prahlen ertappt...

 *

 Ausgewählt – mit dem Anspruch auf deutsche Buch-Erstveröffentlichung – und aus dem Russischen übersetzt von Gabriele Kleiner

 

 

"Die nationale Frage gehört zu den brisantesten der

Sowjetzivilisation und führt in unseren Tagen zu besonders stürmischen Diskussionen und Auseinandersetzungen. Ich möchte hier die

vier wichtigsten Ursachen anführen, warum sie sich heute als so außerordentlich komplex und schwierig erweist. - Die erste lässt sich durch einen einzigen Begriff ausdrücken:

das Imperium. Zuerst das Russische Imperium, das sich in Jahrhunderten konsolidiert und von dem

neuen Regime als Erbe übernommen wurde. Und anschließend das Sowjetische Imperium, auf den Trümmern des ersten aufgebaut und zu einer Weltmacht emporgewachsen.

 Heute ist es das einzige Imperium der Welt, einmalig nach Ausdehnung und nationale Vielfalt.

Es versteht sich von selbst, dass die imperiale Einstellung die nationalen Probleme verschärft, statt sie zu lösen. - Eine zweite Ursache liegt, wie seltsam das

auch klingen mag, in der Kombination von Internationalismus und Chauvinismus. Wie bekannt, gehört der Internationalismus

zu den Fundamenten der kommunistischen Ideologie und steht dem Großmacht-Chauvinismus diametral gegenüber. Vor dem Hintergrund internationalistischer

Prinzipien treten nationale Konflikte besonders krass hervor. - Die dritte Komponente ist auf eine Art nationaler

Renaissance zurückzuführen, die im Zwanzigsten Jahrhundert in vielen Ländern und bei vielen Völkern stattfand und zum Kampf um nationale Unabhängigkeit führte. -

Dazu kommt schließlich das Erstarren und Verwittern der kommunistischen Ideologie. - Nach der marxistischen

und später auch sowjetischen Glaubenslehre entstehen nationale Spannungen, Kriege und jede nationale Diskriminierung ausschließlich in einer auf

Klassengegensätzen aufgebauten Gesellschaft. Demnach sind Unterdrückung und Versklavung einer Nation durch

eine andere nichts als Resultat und Ausdruck eines Systems der sozialen Unterdrückung. Dementsprechend wurde

die nationale Frage von den Marxisten niemals in den Vordergrund gerückt und nur als sekundäre

Folge sozialer Missstände betrachtet. Die Aufhebung der Klassen, die Aufhebung der sozialen Unterdrückung sollte mit Selbstverständlichkeit

die Lösung sämtlicher nationaler Konflikte

nach sich ziehen und zum Triumph von Gleichheit und Brüderlichkeit der Werktätigen aller Länder, zur sozialistischen

Freundschaft aller Nationen führen. Das schien ein Axiom. - Das russische Imperium hatte und hat immer noch - im Vergleich zu anderen Imperien oder Kolonialmächten -

den unschätzbaren Vorteil, dass es sich in den Grenzen eines einzigen Kontinents ausbreitete. Es wuchs, i

ndem es sich immer weitere Randgebiete einverleibte, und stieß nur selten auf nennenswerte Hindernisse. Mit ganz wenigen Ausnahmen handelte es sich

 um Annexion angrenzender Landstriche, die nicht einmal als Kolonien betrachtet oder als solche bezeichnet, sondern in das eine,

unteilbare Russland integriert wurden - In dieser sukzessiven Ausweitung des geschlossenen Territoriums hatten die Russen

stets nicht nur die militärische und ökonomische, sondern auch überwältigende quantitative Priorität und gliederten sich kleinere und

meistens weniger entwickelte Völkerschaften ein, wie zum Beispiel die Völker Sibiriens. (...) - Überdies nahm die russische Herrschaft niemals die Form unverhohlener

 nationaler Unterdrückung an: Die russischen Statthalter betrachteten die unterworfenen Völker grundsätzlich

nicht als Sklaven oder minderwertige Rasse, im Gegenteil, die Eroberten oder Annektierten galten als `rechtmäßige´ Untertanen des Zaren. (...) Dem Ideal nach (selbstverständlich nur dem Ideal nach) waren für den russischen Zaren alle Untertanen, ohne Unterschied der

Nationalität, so lange gleichberechtigt, bis sie zu `Verrätern´ wurden, bis sie die Lust verloren, Russlands Herrschaft anzuerkennen.

Und es ist bezeichnend, dass diese Politik, diese Staatspsychologie und sogar die dazugehörige Terminologie bis heute aktuell geblieben sind - nun unter den Bedingungen des Sowjetimperiums. Als die Sowjetunion das Baltikum besetzte, wurden aufmüpfige Letten, Litauer, Esten

oder sonst verdächtige Personen als Landesverräter an die Wand gestellt oder deportiert, obwohl gerade diese Menschen ihre Heimat nicht verraten wollten. - Kraft all dieser Umstände bewahrte das Russische Imperium als ein multinationales Ganzes eine gewisse Stabilität.

Trotzdem stand es unter starken nationalen Spannungen, die in erster Linie auf den großrussischen Chauvinismus zurückzuführen waren."

 

Andrej Sinjawskij (1925 bis 1997) in:  Der Traum vom neuen Menschen oder Die Sowjetzivilisation, 1989

 

 

 

Als Reporterin der Illustrierten FREIE WELT bereiste ich

 

LESEPROBE

 

 

"Die Frage nach der Barmherzigkeit hat mir im Charakter Wladimir Lenins viel erschlossen. Ich war nun davon überzeugt, dass Stalins Gräueltaten und seine scheinbar pathologische Grausamkeit, die Heimtücke und die unersättliche Blutrünstigkeit die logische Fortsetzung der leninschen Politik darstellten. Stalin sah, wie Lenin vorging,

er erlebte, wie Lenin ständig Todesstrafen, Exekutionen und den Terror verlangte."

 

Danniil Granin (russischer Schriftsteller, geboren 1919) in: Die verlorene Barmherzigkeit, 1993

 

 

 

Von dem russischen Schriftsteller

Iwan Turgenjew (1818 bis 1883)

notierte ich mir diese sieben Aphorismen aus "Meistererzählungen":

 

Mut verloren - alles verloren!

Das unschuldige Gehabe der Jugend, die feurigen Blicke, das grundlose Lachen - das schönste Lachen der Welt...

 Nimm dir, was du kannst, liefere dich aber keinem anderen aus; sich selbst gehören - darin liegt der ganze Sinn des Lebens.

 O Jugend! Jugend! Du lebst in den Tag hinein, du meinst, alle Schätze der Welt zu besitzen; sogar die Trauer ist dir Genuss, sogar der Kummer steht dir zu Gesicht; du bist von dir überzeugt und kühn, du sagst: ich allein lebe - schaut her! Doch auch deine Tage enteilen und schwinden spurlos dahin,

und alles in dir vergeht wie Wachs in der Sonne, wie Schnee...

 Wie unerträglich bitter [kann] ein haltloser Vorwurf sein, auch wenn er aus einem

verächtlichen Munde kommt.

Alles ist möglich, alles kommt vor.

Ich habe Furcht vor mir selbst, denn ich habe angefangen, über vieles nachzudenken.

 

 

 

 

 

Von dem russischen Schriftsteller

  Daniil Granin (geboren 1919)

notierte ich mir diese vierzig Aphorismen aus

"Dem Gewitter entgegen",  "Peter der Große",  "Die verlorene Barmherzigkeit":

 

 

Altwerden ist eine langweilige Beschäftigung.

Man müsste etwas erfinden, wo die Leute ihre überflüssige Zeit zur Aufbewahrung geben,

sie wie bei der Sparkasse einzahlen und dann bei Bedarf wieder abheben können.

Ihr seid Egoisten. Nur seid Ihr viele und nennt euch deshalb Kollektiv.

Aber das ist es ja, dass man bei einer Entscheidung immer etwas verliert.

Unbegabte darf man nicht in eine führende Stellung lassen. Doch gestehen Unbegabte ihre Unbegabtheit nie ein.

Bildung ist das, was übrigbleibt, wenn alles Angelernte vergessen ist.

Es ist immer leichter, jemand zu überzeugen, als ihn von seiner Überzeugung abzubringen.

Das Neue ist immer mit einem Risiko verbunden. Wer das Risiko ablehnt, lehnt das Neue ab.

Verstehen bedeutet schon halb recht geben.

Es war schwer, sich an menschliche Undankbarkeit zu gewöhnen, aber sich darüber zu beklagen war dumm, das hieße, sich seiner Wohltaten rühmen.

Was in Prüfungen gefragt worden ist, bleibt am besten im Gedächtnis haften.

Sieger werden nicht gerichtet.

Allzu große Bescheidenheit ist genauso abstoßend wie allzu große Eitelkeit.

Nichtwissen und Ignoranz sind verschiedene Dinge. Das Nichtwissen kommt nach der Lehre, die Ignoranz vorher.

Wie lange wollen Sie noch alles glauben, was gedruckt wird? Tragen Sie einen Kopf auf dem Hals oder ein Bücherregal?

Ein Spezialist ist bemüht, immer mehr über immer weniger zu wissen, bis er schließlich alles über nichts weiß.

Was noch gefährlicher ist als ein Dummkopf? Ein Dummkopf mit Initiative.

Genies sind in der Wissenschaft das, was die Segelschiffe bei der Marine sind: Romantik der Vergangenheit!

Die Welt kann nicht nur aus Zahlen bestehen.

Verwechseln Sie nicht nutzlos mit unnötig. Die nutzlosen Dinge sind oft die notwendigsten. Hören Sie, wie die Vögel singen?

Man sollte Paläste bauen und kluge Leute hineinsetzen, zu denen man geht, um sich mit ihnen zu unterhalten. Sie brauchten keine Macht. Nur zuhören müssten sie können.

Genies sind grausam.

Ein Fehler feit nicht gegen neue Dummheiten.

Es gibt Dinge, die für Roboter völlig nutzlos und ungewöhnlich sind, zum Beispiel der Humor. Sie können mit Humor nichts anfangen, auch nicht mit Gedichten, Träumen und Liebe. Sie empfangen vom Menschen nur solche Dinge wie Gedächtnis, Präzision und Logik. Aber die Finessen, die sich die Menschen ausgedacht haben, um ihr trübes Leben zu verschönern, sind für die Roboter Plunder!

Hat ein wahrer Wissenschaftler das Recht, sich an eine Liebe zu verschwenden, zumal an eine unglückliche?

Es kann nicht sein, dass es auf der Welt nur einen einzigen Menschen gibt, mit dem man glücklich sein kann. Und dass man ausgerechnet ihn trifft.

Es ist schrecklich schwer, glücklich und bescheiden zugleich zu sein.

In der Freundschaft darf man sich nicht unterordnen.

Männer achten Frauen nicht, die sich ihnen an den Hals werfen. 

Geduld ist eine Eigenschaft der Esel.

Im Land der Liebe herrschen unbegreifliche Gesetze: Da kennt man einen prächtigen Menschen, doch lieben kann man ihn unter keinen Umständen. Wie kam das nur?

Es gab keine größere Qual als die Ohnmacht des eigenen Gehirns zu begreifen.

Das Gedächtnis ist eine vom Teufel erfundene Qual.

Tapferkeit im Krieg ist etwas ganz anderes als Zivilcourage.

Helfen muss man den Starken. Den Schwachen zu helfen hat keinen Sinn. Verlorene Zeit.

Ein Zar hat kein Alter.

Angst erstickt jedes Gefühl des Mitleids.

Barmherzigkeit gilt als  veraltet und ist angeblich nur der bürgerlichen Gesellschaftsordnung zu eigen.

Die russische Literatur kannte keine Ausgestoßenen.

Zivilcourage kostet mehr als militärischer Mut.

Die Dissidenten der siebziger und achtziger Jahre verdienen Hochachtung, sie haben als erste die seit der Stalinzeit tief sitzende Angst überwunden.

 

 

"... Ein unverfälschter russischer Mensch: wahrhaftig, ehrlich, einfach..."

 

Iwan Turgenjew (russischer Schriftsteller, 1818 bis 1883) in: Meistererzählungen

 

 

 

Aus „Liebe auf Russisch“, Sprichwörter über die Liebe, Ausgewählt, in Sprichwortform gebracht und herausgegeben von Gisela Reller (die auch den Nachspruch schrieb) und Gertraud Ettrich (die auch die Interlinearübersetzung aus dem Russischen besorgte). Das in Leder gebundene Mini-Bändchen mit Illustrationen von Annette Fritzsch erschien im Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990.

 

 

Rezensionen und Literaturhinweise (Auswahl) zu den RUSSEN:

 

 

.„Wir haben uns vorgenommen, die Schulferien der Kinder zu deren Aufklärung zu nutzen und ihnen die schönsten europäischen Städte zu zeigen. Zum Glück haben wir in jeder infrage kommenden Stadt Freunde und Bekannte, hauptsächlich Landsleute, weil kluge Russen ungern dort wohnen, wo sie geboren wurden.“

 

 Wladimir Kaminer in: Das Leben ist (k)eine Kunst, 2015

 

 

 

 

Rezension in meiner Webseite www.reller-rezensionen.de

 

 

* KATEGORIE REISELITERATUR/BILDBÄNDE: Edeltrau

 

Literaturhinweise (Auswahl)

 

* Michail Bulgakow, Arztgeschichten, Sammlung Luchterhand, Aus dem Russischen von Thomas Reschke, Luchterhand Literaturverlag, München 2009.

Bevor Bulgakow (1891 bis 1940) zum Autor von "Der Meister und Margarita" und zu einem der bedeutendsten russischen Schriftsteller wurde, war er als Arzt tätig. In diesen Erzählungen beschreibt er, wie er als junger Arzt, frisch von der Moskauer Universität, in die russische Einöde geschickt wird und sich bewähren muss. In den Geschichten erzählt er auch, wie schwer es ihm fiel, sich zwischen dem Beruf des Arztes und dem des Schriftstellers zu entscheiden.

 

"Kluge Leute haben längst herausgefunden, dass es mit dem Glück so ist wie mit der Gesundheit: Wenn man es hat, bemerkt man es nicht. Aber die Jahre vergehen, und dann erinnert man sich an das Glück,, oh, wie man sich erinnert!"

 

* Hélène Carrére d´Encausse, Lenin, Aus dem Französischen von Enrico Heinemann, Piper Verlag, München/Zürich 2000.

 

"Ist Lenin die Symbolgestalt  eines Jahrhunderts der Menschenverachtung? Oder ist er ein Visionär, der - vielleicht allzu früh - den Weg in eine friedliche und menschenfreundlichere Zukunft wies?"

 

* Daniil Granin, Die verlorene Barmherzigkeit, Eine russische Erfahrung, Aus dem Russischen von Friedrich Hitzer, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 1993.

Dieses Buch belegt, wie man das verlorene, zertretene und verbotene Gefühl des Mitleidens zurückholen kann, denn...

 

 "... ein Volk ohne Barmherzigkeit ist kein normales Volk".

 

* Wassili Großmann/Ilja Ehrenburg, Das Schwarzbuch, Der Genozid an den sowjetischen Juden, Deutsch von Ruth und Heinz Deutschland, Herausgeber der deutschen Ausgabe: Arno Lustiger, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1994.

Die Idee zum "Schwarzbuch" stammt von Albert Einstein! Irina Ehrenburg, der Tochter von Ilja Ehrenburg, ist es zu verdanken, dass das vollständige "Schwarzbuch" veröffentlicht werden kann, denn sie stellte das bereits gesetzte und vernichtet geglaubte Korrekturexemplar aus dem Jahre 1947 zur Verfügung. - Bei der Befreiung der besetzten Gebiete der Sowjetunion im Sommer 1944 "fand die sowjetische Armee praktische keine Juden mehr vor. Von 2 750 000 Juden, die in den besetzten Gebieten unter deutscher Herrschaft geraten waren (...) hatten nur sehr wenige überlebt, die meisten in den westlichen Gebieten. Mit dem Leben davongekommen war, wer sich bei Einheimischen verstecken oder als Arier ausgeben konnte, wer sich in den Wäldern verborgen hielt oder sich den Partisanen anschloss und wer die entsetzlichen Erfahrungen in den Lagern überstand. (...)"

 

"Die Jahre der deutschen Besatzung, die Jahre des Holocaust (Schoa), waren die schwierigsten und tragischsten in der jahrhundertealten Geschichte der russischen Juden."

 

* Robert Service, Lenin, Eine Biographie, Aus dem Englischen von Holger Fliessbach, Mit vier Karten und 49 Abbildungen, Verlag C.H.Beck, München 2000.

Robert Service war Professor für Russische Geschichte und Politik an der University of London und lehrt am St. Antony´s College in Oxford. Er schildert in dieser Biographie nicht nur den Politiker, sondern auch den Menschen Lenin. Auf der Grundlage zahlreicher bislang unausgewerteter Quellen kann der englische Historiker ein differenziertes Bild von der komplexen Persönlichkeit des Mannes entwerfen, den Jahrzehnte der Propaganda und kritiklosen Heldenverehrung bis zur Unkenntlichkeit verklärt haben.

 

"Lenin war eine Ausnahmeerscheinung. Er gründete eine kommunistische Gruppierung, die Bolschewiki, und formte aus ihr die Partei, welche 1917 die Oktoberrevolution machte. Der erste sozialistische Staat der Welt wurde proklamiert. (...)  Das herkömmliche Bild des jungen Lenin als eines kalt berechnenden Mannes ist nur ein Teil der Wahrheit. Er war auch ein junger Mensch mit heftigen Gefühlen, der in seinen Meinungen über Politik,, Liebe und Hass leidenschaftlich empfand."

 

* Nikolai Leskow, Der Gaukler Pamphalon, Aus dem Russischen von Günther Dalitz, Patmos Verlag, Düsseldorf 2003.

 

"Die Gewohnheit kommt als Wanderer, bleibt als Gast und macht sich dann selbst zum Herrn."

 

 

"Was tun? Wer ist schuldig? Die Lieblingsfragen

der russischen Intelligenz."

Daniil Granin (russischer Schriftsteller, geboren 1919) in: Dem Gewitter entgegen

 

 

 

 

 

1. Streifenornament

 

 

 

 

 

 

 

Bibliographie zu Gisela Reller

 

Bücher als Autorin:

 

Länderbücher:

 

* Zwischen Weißem Meer und Baikalsee, Bei den Burjaten, Adygen und Kareliern,  Verlag Neues Leben, Berlin 1981, mit Fotos von Heinz Krüger und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Diesseits und jenseits des Polarkreises, bei den Südosseten, Karakalpaken, Tschuktschen und asiatischen Eskimos, Verlag Neues Leben, Berlin 1985, mit Fotos von Heinz Krüger und Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Von der Wolga bis zum Pazifik, bei Tuwinern, Kalmyken, Niwchen und Oroken, Verlag der Nation, Berlin 1990, 236 Seiten mit Fotos von Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

Biographie:

 

* Pater Maksimylian Kolbe, Guardian von Niepokalanów und Auschwitzhäftling Nr. 16 670, Union Verlag, Berlin 1984, 2. Auflage.

 

"Die Russen können sich dank ihres allgemein guten, sogar friedliebenden Charakters - ich meine das nicht von Politikern instrumentierte Volk - mit jedem anderen Volk vertragen."

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) in: Neues Deutschland vom 15. Dezember 1995

 

... als Herausgeberin:

 

Sprichwörterbücher:

 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Aphorismenbuch:

* 666 und sex mal Liebe, Auserlesenes, 2. Auflage, Mitteldeutscher Verlag Halle/Leipzig, 200 Seiten mit Vignetten und Illustrationen von Egbert Herfurth.

 

... als Mitautorin:

 

Kinderbücher:

 

* Warum? Weshalb? Wieso?, Ein Frage-und-Antwort-Buch für Kinder, Band 1 bis 5, Herausgegeben von Carola Hendel, reich illustriert, Verlag Junge Welt, Berlin 1981 -1989.

 

Sachbuch:

 

* Die Stunde Null, Tatsachenberichte über tapfere Menschen in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges, Hrsg. Ursula Höntsch, Verlag der Nation 1966.

 

 

"Die Russen haben sich als Volk mit einer Mentalität der besonderen Art eingerichtet. Peter der Große

versuchte, es zu europäisieren - er befahl, die Bärte abzurasieren, erreichte aber

die Europäisierung eines nur unbedeutenden Teils seiner Untertanen. Bis zur Revolution und

umso mehr in der Sowjetunion wurde das Volk bewusst nicht im europäischen Geiste erzogen. Mit seiner archaischen Mentalität lässt es sich besser regieren..."

In: Die Zeit vom 20.02.2014

 

 

... als Verantwortliche Redakteurin:

 

* Leben mit der Erinnerung, Jüdische Geschichte in Prenzlauer Berg, Edition  Hentrich, Berlin 1997, mit zahlreichen Illustrationen.

 

* HANDSCHLAG, Vierteljahreszeitung für deutsche Minderheiten im Ausland, Herausgegeben vom Kuratorium zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland e. V., Berlin 1991 - 1993.

 

 

 

 

Die erste Ausgabe von HANDSCHLAG liegt vor. Von links: Dr. Gotthard Neumann, Leonhard Kossuth (Präsident), Horst Wustrau

(Gestalter von HANDSCHLAG), Gisela Reller, Dr. Erika Voigt

(Mitarbeiter des Kuratoriums zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland e. V.).

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

 

2. Streifenornament

 

 

 

 

"In jedem gebildeten Russen schlummert eine

gewisse Dosis Aufklärungsgeist."

Alexander Kuprin (1870 bis 1938) in "Die schöne Olessja"

 

 

Pressezitate (Auswahl) zu Gisela Rellers Buchveröffentlichungen:

Dieter Wende in der „Wochenpost“ Nr. 15/1985:

„Es ist schon eigenartig, wenn man in der Wüste Kysyl-Kum von einem Kamelzüchter gefragt wird: `Kennen Sie Gisela Reller?´ Es ist schwer, dieser Autorin in entlegenen sowjetischen Regionen zuvorzukommen. Diesmal nun legt sie mit ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik Berichte aus Kalmykien, Tuwa und von der Insel Sachalin vor. Liebevolle und sehr detailgetreue Berichte auch vom Schicksal kleiner Völker. Die ethnografisch erfahrene Journalistin serviert Besonderes. Ihre Erzählungen vermitteln auch Hintergründe über die Verfehlungen bei der Lösung des Nationalitätenproblems.“

B(erliner) Z(eitung) am Abend vom 24. September 1981:

"Gisela Reller, Mitarbeiterin der Ilustrierten FREIE WELT, hat autonome Republiken und gebiete kleiner sowjetischer Nationalitäten bereist: die der Burjaten, Adygen und Karelier. Was sie dort ... erlebte und was Heinz Krüger fotografierte, ergíbt den informativen, soeben erschienenen Band Zwischen Weißem Meer und Baikalsee."

Sowjetliteratur (Moskau)Nr. 9/1982:

 "(...) Das ist eine lebendige, lockere Erzählung über das Gesehene und Erlebte, verflochten mit dem reichhaltigen, aber sehr geschickt und unaufdringlich dargebotenen Tatsachenmaterial. (...) Allerdings verstehe ich sehr gut, wie viel Gisela Reller vor jeder ihrer Reisen nachgelesen hat und wie viel Zeit nach der Rückkehr die Bearbeitung des gesammelten Materials erforderte. Zugleich ist es ihr aber gelungen, die Frische des ersten `Blickes´ zu bewahren und dem Leser packend das Gesehene und Erlebte mitzuteilen. (...) Es ist ziemlich lehrreich - ich verwende bewusst dieses Wort: Vieles, was wir im eigenen Lande als selbstverständlich aufnehmen, woran wir uns ja gewöhnt haben und was sich unserer Aufmerksamkeit oft entzieht, eröffnet sich für einen Ausländer, sei es auch als Reisender, der wiederholt in unserem Lande weilt, sozusagen in neuen Aspekten, in neuen Farben und besitzt einen besonderen Wert. (...) Mir gefällt ganz besonders, wie gekonnt sich die Autorin an literarischen Quellen, an die Folklore wendet, wie sie in den Text ihres Buches Gedichte russischer Klassiker und auch wenig bekannter nationaler Autoren, Zitate aus literarischen Werken, Märchen, Anekdoten, selbst Witze einfügt. Ein treffender während der Reise gehörter Witz oder Trinkspruch verleihen dem Text eine besondere Würze. (...) Doch das Wichtigste im Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee sind die Menschen, mit denen Gisela Reller auf ihren Reisen zusammenkam. Unterschiedlich im Alter und Beruf, verschieden ihrem Charakter und Bildungsgrad nach sind diese Menschen, aber über sie alle vermag die Autorin kurz und treffend mit Interesse und Sympathie zu berichten. (...)"

Neue Zeit vom 18. April 1983:

„In ihrer biographischen Skizze über den polnischen Pater Maksymilian Kolbe schreibt Gisela Reller (2. Auflage 1983) mit Sachkenntnis und Engagement über das Leben und Sterben dieses außergewöhnlichen Paters, der für den Familienvater Franciszek Gajowniczek freiwillig in den Hungerbunker von Auschwitz ging.“

Der Morgen vom 7. Februar 1984:

„`Reize lieber einen Bären als einen Mann aus den Bergen´. Durch die Sprüche des Kaukasischen Spruchbeutels weht der raue Wind des Kaukasus. Der Spruchbeutel erzählt auch von Mentalitäten, Eigensinnigkeiten und Bräuchen der Adygen, Osseten und Dagestaner. Die Achtung vor den Alten, die schwere Stellung der Frau, das lebensnotwendige Verhältnis zu den Tieren. Gisela Reller hat klug ausgewählt.“

 

1985 auf dem Solidaritätsbasar auf dem Berliner Alexanderplatz: Gisela Reller (vorne links) verkauft ihren „Kaukasischen Spruchbeutel“ und 1986 das extra für den Solidaritätsbasar von ihr herausgegebene Sprichwörterbuch „Dein Freund ist Dein Spiegel“.

Foto: Alfred Paszkowiak

 Neues Deutschland vom 15./16. März 1986:

"Vor allem der an Geschichte, Bräuchen, Nationalliteratur und Volkskunst interessierte Leser wird manches bisher `Ungehörte´ finden. Er erfährt, warum im Kaukasus noch heute viele Frauen ein Leben lang Schwarz tragen und was es mit dem `Ossetenbräu´ auf sich hat, weshalb noch 1978 in Nukus ein Eisenbahnzug Aufsehen erregte und dass vor Jahrhunderten um den Aralsee fruchtbares Kulturland war, dass die Tschuktschen vier Begriff für `Freundschaft´, aber kein Wort für Krieg besitzen und was ein Parteisekretär in Anadyr als notwendigen Komfort, was als entbehrlichen Luxus ansieht. Großes Lob verdient der Verlag für die großzügige Ausstattung von Diesseits und jenseits des Polarkreises.“

 

 

 Gisela Reller während einer ihrer über achthundert Buchlesungen

in der Zeit von 1981 bis 1991.

 

Berliner Zeitung vom 2./3. Januar 1988:

„Gisela Reller hat klassisch-deutsche und DDR-Literatur auf Liebeserfahrungen durchforscht und ist in ihrem Buch 666 und sex mal Liebe 666 und sex mal fündig geworden. Sexisch illustriert, hat der Mitteldeutsche Verlag Halle alles zu einem hübschen Bändchen zusammengefügt.“

Neue Berliner Illustrierte (NBI) Nr. 7/88:

„Zu dem wohl jeden bewegenden Thema finden sich auf 198 Seiten 666 und sex mal Liebe mannigfache Gedanken von Literaten, die heute unter uns leben, sowie von Persönlichkeiten, die sich vor mehreren Jahrhunderten dazu äußerten.“

Das Magazin Nr. 5/88.

"`Man gewöhnt sich daran, die Frauen in solche zu unterscheiden, die schon bewusstlos sind, und solche, die erst dazu gemacht werden müssen. Jene stehen höher und gebieten dem Gedenken. Diese sind interessanter und dienen der Lust. Dort ist die Liebe Andacht und Opfer, hier Sieg und Beute.´ Den Aphorismus von Karl Kraus entnahmen wir dem Band 666 und sex mal Liebe, herausgegeben von Gisela Reller und illustriert von Egbert Herfurth."

 

Schutzumschlag zum „Buch 666 und sex mal Liebe“ .

Zeichnung: Egbert Herfurth

 

FÜR DICH, Nr. 34/89:

 

"Dem beliebten Büchlein 666 und sex mal Liebe entnahmen wir die philosophischen und frechen Sprüche für unser Poster, das Sie auf dem Berliner Solidaritätsbasar kaufen können. Gisela Reller hat die literarischen Äußerungen zum Thema Liebe gesammelt, Egbert Herfurth hat sie trefflich illustriert."

Messe-Börsenblatt, Frühjahr 1989:

"Die Autorin – langjährige erfolgreiche Reporterin der FREIEN WELT - ist bekannt geworden durch ihre Bücher Zwischen Weißem Meer und Baikalsee und Diesseits und jenseits des Polarkreises. Diesmal schreibt die intime Kennerin der Sowjetunion in ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik über die Kalmyken, Tuwiner und die Bewohner von Sachalin, also wieder über Nationalitäten und Völkerschaften. Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird uns in fesselnden Erlebnisberichten nahegebracht."

Im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel schrieb ich in der Ausgabe 49 vom 7. Dezember 1982 unter der Überschrift „Was für ein Gefühl, wenn Zuhörer Schlange stehen“:

„Zu den diesjährigen Tagen des sowjetischen Buches habe ich mit dem Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee mehr als zwanzig Lesungen bestritten. (…) Ich las vor einem Kreis von vier Personen (in Klosterfelde) und vor 75 Mitgliedern einer DSF-Gruppe in Finow; meine jüngsten Zuhörer waren Blumberger Schüler einer 4. Klasse, meine älteste Zuhörerin (im Schwedter Alten- und Pflegeheim) fast 80 Jahre alt. Ich las z.B. im Walzwerk Finow, im Halbleiterwerk Frankfurt/Oder, im Petrolchemischen Kombinat Schwedt; vor KIM-Eiersortierern in Mehrow, vor LPG-Bauern in Hermersdorf, Obersdorf und Bollersdorf; vor zukünftigen Offizieren in Zschopau; vor Forstlehrlingen in Waldfrieden; vor Lehrlingen für Getreidewirtschaft in Kamenz, vor Schülern einer 7., 8. und 10 Klasse in Bernau, Schönow und Berlin; vor Pädagogen in Berlin, Wandlitz, Eberswalde. - Ich weiß nicht, was mir mehr Spaß gemacht hat, für eine 10. Klasse eine Geographiestunde über die Sowjetunion einmal ganz anders zu gestalten oder Lehrern zu beweisen, dass nicht einmal sie alles über die Sowjetunion wissen – was bei meiner Thematik – `Die kleinen sowjetischen Völkerschaften!´ – gar nicht schwer zu machen ist. Wer schon kennt sich aus mit Awaren und Adsharen, Ewenken und Ewenen, Oroken und Orotschen, mit Alëuten, Tabassaranern, Korjaken, Itelmenen, Kareliern… Vielleicht habe ich es leichter, Zugang zu finden als mancher Autor, der `nur´ sein Buch oder Manuskript im Reisegepäck hat. Ich nämlich schleppe zum `Anfüttern´ stets ein vollgepacktes Köfferchen mit, darin von der Tschuktschenhalbinsel ein echter Walrosselfenbein-Stoßzahn, Karelische Birke, burjatischer Halbedelstein, jakutische Rentierfellbilder, eskimoische Kettenanhänger aus Robbenfell, einen adygeischen Dolch, eine karakalpakische Tjubetejka, der Zahn eines Grauwals, den wir als FREIE WELT-Reporter mit harpuniert haben… - Schön, wenn alles das ganz aufmerksam betrachtet und behutsam befühlt wird und dadurch aufschließt für die nächste Leseprobe. Schön auch, wenn man schichtmüde Männer nach der Veranstaltung sagen hört: `Mensch, die Sowjetunion ist ja interessanter, als ich gedacht habe.´ Oder: `Die haben ja in den fünfundsechzig Jahren mit den `wilden´ Tschuktschen ein richtiges Wunder vollbracht.´ Besonders schön, wenn es gelingt, das `Sowjetische Wunder´ auch denjenigen nahezubringen, die zunächst nur aus Kollektivgeist mit ihrer Brigade mitgegangen sind. Und: Was für ein Gefühl, nach der Lesung Menschen Schlange stehen zu sehen, um sich für das einzige Bibliotheksbuch vormerken zu lassen. (Schade, wenn man Kauflustigen sagen muss, dass das Buch bereits vergriffen ist.) – Dank sei allen gesagt, die sich um das zustande kommen von Buchlesungen mühen – den Gewerkschaftsbibliothekaren der Betriebe, den Stadt- und Kreisbibliothekaren, den Buchhändlern, die oft aufgeregter sind als der Autor, in Sorge, `dass auch ja alles klappt´. – Für mich hat es `geklappt´, wenn ich Informationen und Unterhaltung gegeben habe und Anregungen für mein nächstes Buch mitnehmen konnte.“

 

 

"Es gibt wie in jedem Land eine Reihe von Sachen, die man in Russland besser lassen sollte. Dazu gehört unhöfliches oder gar unverschämtes Verhalten bei Behörden oder Milizbeamten. Deren Macht ist größer als im heimischen Mitteleuropa, und man sollte kommentarlos erdulden, was einen in einer Behörde daheim auf die Palme bringen würde."

Roland Bathon/Sandra Ravioli in: Russland auf eigene Faust, 2007

 

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Die Rechtschreibung der Texte wurde behutsam der letzten Rechtschreibreform angepasst.

 

Die RUSSEN wurden am 01.09.2015 ins Netz gestellt. Die letzte Bearbeitung erfolgte am 20.01.2016.

 

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Zeichnung: Karl-Heinz Döhring