Vorab!

Leider kommt im Internet bei meinem (inzwischen veralteten) FrontPage-Programm  längst nicht alles so, wie von mir in html angegeben. Farben kommen anders, als von mir geplant, Satzbreiten wollen nicht so wie von mir markiert, Bilder kommen manchmal an der falschen  Stelle, und - wenn  ich  Pech  habe  -  erscheint  statt  des  Bildes  gar  eine  Leerstelle.

Was tun? Wer kann helfen?

 

*

Wird laufend bearbeitet!

 

 

Wir sind EWENKINNEN: Mitglieder des Tanzensembles "Ossiktakan".

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

 

"Die Seele, denke ich, hat keine Nationalität."

Juri Rytchëu (tschuktschischer Schriftsteller, 1930 bis 2008) in: Im Spiegel des Vergessens, 2007

 

Wenn wir für das eine Volk eine Zuneigung oder gegen das andere eine Abneigung hegen, so beruht das, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, auf dem, was wir von dem jeweiligen Volk wissen oder zu wissen glauben. Das ist – seien wir ehrlich – oft sehr wenig, und manchmal ist dieses Wenige auch noch falsch.  

Ich habe für die Berliner Illustrierte FREIE WELT jahrelang die Sowjetunion bereist, um – am liebsten - über abwegige Themen zu berichten: über Hypnopädie und Suggestopädie, über Geschlechtsumwandlung und Seelenspionage, über Akzeleration und geschlechtsspezifisches Kinderspielzeug... Außerdem habe ich mit jeweils einem deutschen und einem Wissenschaftler aus dem weiten Sowjetland vielteilige Lehrgänge erarbeitet.* Ein sehr interessantes Arbeitsgebiet! Doch 1973, am letzten Abend meiner Reise nach Nowosibirsk – ich hatte viele Termine in Akademgorodok, der russischen Stadt der Wissenschaften – machte ich einen Abendspaziergang entlang des Ob. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich zwar wieder viele Experten kennengelernt hatte, aber mit der einheimischen Bevölkerung kaum in Kontakt gekommen war.  

Da war in einem magischen Moment an einem großen sibirischen Fluss - Angesicht in Angesicht mit einem kleinen (grauen!) Eichhörnchen - die große FREIE WELT-Völkerschafts-Serie** geboren!  

Und nun reiste ich ab 1975 jahrzehntelang zu zahlreichen Völkern des Kaukasus, war bei vielen Völkern Sibiriens, war in Mittelasien, im hohen Norden, im Fernen Osten und immer wieder auch bei den Russen. 

Nach dem Zerfall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zog es mich – nach der wendegeschuldeten Einstellung der FREIEN WELT***, nun als Freie Reisejournalistin – weiterhin in die mir vertrauten Gefilde, bis ich eines Tages mehr über die westlichen Länder und Völker wissen wollte, die man mir als DDR-Bürgerin vorenthalten hatte.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ist nun mein Nachholebedarf erst einmal gedeckt, und ich habe das Bedürfnis, mich wieder meinen heißgeliebten Tschuktschen, Adygen, Niwchen, Kalmyken und Kumyken, Ewenen und Ewenken, Enzen und Nenzen... zuzuwenden.

Deshalb werde ich meiner Webseite www.reller-rezensionen.de (mit inzwischen weit mehr als fünfhundert Rezensionen), die seit 2002 im Netz ist, ab 2013 meinen journalistischen Völkerschafts-Fundus von fast einhundert Völkern an die Seite stellen – mit ausführlichen geographischen und ethnographischen Texten, mit Reportagen, Interviews, Sprichwörtern, Märchen, Gedichten, Literaturhinweisen, Zitaten aus längst gelesenen und neu erschienenen Büchern; so manches davon, teils erstmals ins Deutsche übersetzt, war bis jetzt – ebenfalls wendegeschuldet – unveröffentlicht geblieben. 

Sollten sich in meinem Material Fehler oder Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, teilen Sie mir diese bitte am liebsten in meinem Gästebuch oder per E-Mail gisela@reller-rezensionen.de mit. Überhaupt würde ich mich über eine Resonanz meiner Nutzer freuen!

Gisela Reller 

    * Lernen Sie Rationelles Lesen" / "Lernen Sie lernen" / "Lernen Sie reden" / "Lernen Sie essen" / "Lernen Sie, nicht zu rauchen" / "Lernen Sie schlafen" / "Lernen Sie logisches Denken"...

 

  ** Im 1999 erschienenen Buch „Zwischen `Mosaik´ und `Einheit´. Zeitschriften in der DDR“ von Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hrsg.), erschienen im Berliner Ch. Links Verlag, ist eine Tabelle veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Völkerschaftsserie der FREIEN WELT von neun vorgegebenen Themenkreisen an zweiter Stelle in der Gunst der Leser stand – nach „Gespräche mit Experten zu aktuellen Themen“.

(Quelle: ZA Universität Köln, Studie 6318)

 

*** Christa Wolf zur Einstellung der Illustrierten FREIE WELT in ihrem Buch "Auf dem Weg nach Tabou, Texte 1990-1994", Seite 53/54: „Aber auf keinen Fall möchte ich den Eindruck erwecken, in dieser Halbstadt werde nicht mehr gelacht. Im Gegenteil! Erzählt mir doch neulich ein Kollege aus meinem Verlag (Helmut Reller) – der natürlich wie zwei Drittel der Belegschaft längst entlassen ist –, daß nun auch seine Frau (Gisela Reller), langjährige Redakteurin einer Illustrierten (FREIE WELT) mitsamt der ganzen Redaktion gerade gekündigt sei: Die Zeitschrift werde eingestellt. Warum wir da so lachen mußten? Als im Jahr vor der `Wende´ die zuständige ZK-Abteilung sich dieser Zeitschrift entledigen wollte, weil sie, auf Berichterstattung aus der Sowjetunion spezialisiert, sich als zu anfällig erwiesen hatte, gegenüber Gorbatschows Perestroika, da hatten der Widerstand der Redaktion und die Solidarität vieler anderer Journalisten das Blatt retten können. Nun aber, da die `Presselandschaft´ der ehemaligen DDR, der `fünf neuen Bundesländer´, oder, wie der Bundesfinanzminister realitätsgerecht sagt: `des Beitrittsgebiets´, unter die vier großen westdeutschen Zeitungskonzerne aufgeteilt ist, weht ein schärferer Wind. Da wird kalkuliert und, wenn nötig, emotionslos amputiert. Wie auch die Lyrik meines Verlages (Aufbau-Verlag), auf die er sich bisher viel zugute hielt: Sie rechnet sich nicht und mußte aus dem Verlagsprogramm gestrichen werden. Mann, sage ich. Das hätte sich aber die Zensur früher nicht erlauben dürfen! – "Das hätten wir uns von der auch nicht gefallen lassen", sagt eine Verlagsmitarbeiterin.

Wo sie recht hat, hat sie recht.“

 

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

 

„Im Gebiet Krasnojarsk in Sibirien erstreckt sich über Hunderttausende von Quadratkilometern der Autonome Kreis der Ewenken. Unter rauen klimatischen Bedingungen leben hier viele von Rentierzucht und Jagd – dank Unterstützung des Staates. Die Bevölkerungsdichte von 0,03 Personen pro Quadratkilometer ist selbst für Russland extrem gering. Die großen Distanzen und die Weite der Natur sind Fluch und Segen Ewenkiens – sie erschweren das Funktionieren des Staates und der Wirtschaft, aber ermöglichen traditionelle Lebensweisen und bergen das unausgeschöpfte Potenzial für einen Erlebnistourismus in der Taiga…“
Markus Ackerret in: Neue Zürcher Zeitung vom 25 März 2014

 

Wenn Sie sich die folgenden Texte zu Gemüte geführt und Lust bekommen haben, die EWENKEN kennenzulernen,  sei Ihnen das Reisebüro ? empfohlen; denn – so lautet ein tschuktschisches Sprichwort -

 

Nicht jedem Menschen ist das Talent vergönnt, Reisender zu sein.  

(Hier könnte Ihre Anzeige stehen!)

 

 

Die EWENKEN… (früher: Tungusen; Eigenbezeichnung: Ewen)

… früher als Tungusen bezeichnet, sind ein uraltes Volk; als ihr Ursitz gilt im Paläolithikum die Mandschurei und das Amurland. Die Ewenken leben heute verstreut in Sibirien und im Fernen Osten zwischen Jenissej und Ochotskischem Meer, besonders im „Autonomen Kreis der Ewenken“ (Region Krasnojarsk) sowie im südlichen Transbaikalien – zur Russischen Föderation gehörend. Im äußersten Norden Chinas leben laut letzter Volkszählung (2010) 30 875 Ewenken.  Auch in der Mongolei leben Ewenken-Stämme. – Von Ethnologen und Reisenden, die die Ewenken in den Jahren vor der Russischen Revolution besuchten, wurden sie wegen ihrer Ehrlichkeit, Intelligenz und ihrer weiteren guten Eigenschaften gerühmt. „Die Tungusen stehlen nicht“, war die einhellige Meinung. „Die Tungusen waren auch bekannt für ihre gute Laune, ihre Schlagfertigkeit und den reichen Schatz an Volksüberlieferungen und Sagen. Auch die Zuneigung, die Männer und Frauen ihren Kindern entgegenbrachten, sowie die großzügige Haltung der Männer ihren Frauen gegenüber wurden immer wieder hervorgehoben. Außerdem genossen die Tungusen den Ruf, sich bei bewaffneten Auseinandersetzungen großmütig zu verhalten. Wenn sie siegreich blieben, ließen sie das Eigentum ihrer Gegner unangetastet und fügten ihnen auch sonst keinen Schaden zu. Alte Männer, Frauen und Kinder der Besiegten wurden frei gelassen.“ (?, Wiesbaden 1978)

 "Es gibt keine treueren Freunde als die Ewenken, sobald sie sehen, dass man es ehrlich mit ihnen meint. (...) Schon immer waren die Ewenken hervorragende Taigaläufer und sind es auch heute noch. Nicht die geringste Veränderung in ihrer Umgebung entgeht ihrer Aufmerksamkeit, sie finden sich ausgezeichnet im Wald zurecht, lesen Fährten des Wildes, bestimmen Geräusche und verfügen über ein außerordentlich gutes Gedächtnis. Haben sie eine Landschaft, selbst eine mit komplizierten Relief, auch nur ein einziges Mal gesehen, so können sie sich selbst noch nach vielen Jahren an jede topographische Einzelheit erinnern. Ewenken waren es ja auch, die den zahllosen Flüssen, Quellen, Seen und Gebirgen weiter Teile Sibiriens Namen gegeben haben. (...) Es wäre unverzeihlich, wenn zusammen mit den letzten Zeugen jener Zeit auch die alten Lebensweisheiten der Ewenken und der anderen Völkerschaften des Nordens, ihr so prächtig ausgebildetes und feines Naturverständnis zu Grabe getragen würden."

Grigori Fedossejew (russischer Geodät) in: Im Banne des Dshugdyr, 1955

Bevölkerung: Nach  der  Volkszählung von  1926  zählten die  Ewenken 38 804  Angehörige; 1939  wurden 29 599 Ewenken gezählt;  1959   waren  es  24 583  Ewenken;  1970 gleich 25 051; 1979 gleich 27 278; 1989 gleich 29 901; 2002 gleich 35 527;  nach der letzten Volkszählung von 2010 gaben sich 37 843 Personen als Ewenken aus. Die Ewenken sind das zahlenmäßig größte und am weitesten verbreitete Taiga- und Tundravolk Nord- und Ostsibiriens. Ewenkische Gruppen leben in einem Gebiet, das sich vom Jenissej bis zum Ochotskischen Meer und vom Nördlichen Eismeer bis zum Baikalsee erstreckt. Somit leben die Ewenken auf einem Gebiet, das größer als Europa ist. Die Rentierzucht und die Erfindung des Gleitschneeschuhs waren die Voraussetzungen für die so weite Ausbreitung der tungusischen Stämme. Im Nationalen Kreis der Ewenken leben 3 802 Ewenken (Volkszählung von 2002), das sind 21,5 Prozent der Bevölkerung, ferner wohnen hier 10 958 Russen (61,9 Prozent), 991 Jakuten (5,6 Prozent), 550 Ukrainer (3,1 Prozent)… Die Bevölkerungsdichte beträgt 0,02 Einwohner pro Quadratkilometer.

„Die Ewenken sind sehr schlank, drahtig und klein. Sie haben eine dunkle Haut und dunkle Haare, kastanienbraune Augen, einen fettigen Teint. In den Gesichtern liegt etwas Tragisches. Besonders die Männer blicken finster. In den flachen Gesichtern ohne Bartwuchs wüten üppige Falten über den Augen und von Geburt an zusammengezogene Augenbrauen. (...) Die Frauen, alte wie junge, bewegen sich, obwohl sie sehr schlank sind, schwerfällig und ungelenk, als würden sie eine schwere Last tragen. Ihre Brüste sind klein, die Taille wenig ausgeprägt, aber die schmalen, schräg stehenden Augen sehen zum Glück aus, als würden sie sich jeden Augenblick bei einem Lächeln zusammenziehen."

Jacek Hugo-Bader (polnischer Buchautor) in: Ins eisige Herz Sibiriens, Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok, 2014

 

Der Österreicher Viktor Fink schreibt in seinem Buch „Zwischen Paris und Moskau“ (1967), wie sehr die sibirische einheimische Bevölkerung den russischen Geographen Wladimir Klawdejitsch Arsenjew verehrte. (Bei den Tuwinern schreibe ich ausführlich über Arsenjew und den Film, der ihm und dem Nanaier Dersu Usula gewidmet ist.) Viktor Fink schreibt: „Im Fernen Osten und in Sibirien hat Arsenjew seinen besonderen, fast legendären Ruhm: Es ist im Grunde genommen einfach der Ruhm eines guten Menschen.“ Ein Professor Sawitsch erzählte dem Buchautor Viktor Fink: „Kürzlich komme ich zu ihm [zu Arsenjew]. Erinnern Sie sich an die Stelle bei Dostojewski: `Der demütige Abt Pafnuti hat unterzeichnet?´ Genauso eine Handschrift war es. Offensichtlich hatte irgend so ein altgläubiger Bibelkenner geschrieben. Wovon handelte der Brief? Von einer Schere. Der Absender bedankte sich für eine Schere, die ihm Arsenjew geschickt hatte. Das ist Ihnen unverständlich? Er hatte eine Schere gebraucht und wahrscheinlich nirgends Gelegenheit gehabt, sich eine zu kaufen. Nun, da hat er eben an Wladimir Klawdijewitsch geschrieben. Ganz einfach an Arsenjew, Wladiwostok. Und Arsenjew ist losgegangen, hat die Schere gekauft, sie eingepackt und abgeschickt, obwohl er diesen Altgläubigen noch nie in seinem Leben zu Gesicht bekommen hatte. So ist er, dieser Wladimir Klawdijewitsch", bemerkte Professor Sawitsch. "Und was erst die Nanaier, die Orotschen, die Tungusen [Ewenken] oder die Udehen anbelangt, so wird Arsenjew von ihnen einfach vergöttert. Und das hat seinen Grund. Wie viele von ihnen hat er gerettet!“ – „Wovor gerettet“, fragte Fink.  – „Nicht wovor, sondern vor wem. Vor allen möglichen Gaunern und Schurken, die ihnen immer wieder das Blut aussaugten. Selbst noch in jüngster Zeit. Das liegt alles gar nicht so sehr weit zurück. Vergessen Sie nicht, dass die kleinen Völkerschaften des Fernen Ostens und des hohen Nordens vor der Revolution keinerlei staatlichen Schutz besaßen. Mit ihnen konnte man umspringen, wie es einem beliebte, sie wurden zu Wilden erklärt, und man war gewohnt, sie nicht als Menschen zu betrachten. Es gab einen Tierschutzverein, aber diese Völker schützte niemand. Einzig und allein Arsenjew. Hören Sie, einzig und allein Arsenjew im gesamten Fernen Osten verteidigte sie und trat für sie ein! Das hat er beinahe mit dem Leben bezahlen müssen. Eine Kugel flog ihm zwischen die Rippen.“ –„Wer hat denn auf ihn geschossen?“, fragte ich. – „Wahrscheinlich ein Pelzaufkäufer. Wer hätte denn auch sonst auf Arsenjew schießen können?!" Er fügte lächelnd hinzu: „Doch er ließ sich dadurch nicht beeinflussen. Arsenjew ist aus anderem Holz geschnitzt. Er lässt sich nicht einschüchtern.“

 

Der in Sankt Petersburg geborene russische Forschungsreisende und Schriftsteller Wladimir Arsenjew begeisterte sich von frühester Jugend an für den russischen Fernen Osten. Er hatte die Infanterie-Kadettenschule in St. Petersburg besucht, die er 1896 abgeschlossen hatte, und begann zunächst mit wissenschaftlichen Studien im Westen Russlands und in Polen. Unter dem Einfluss des Mittelasienforschers M. E. Grum-Grzimajlo entwickelte Arsenjew ein besonderes Interesse für die Geographie Asiens. Schließlich gelang es ihm, ab 1899 nach Wladiwostok versetzt zu werden. Der in Chabarowsk ansässige Arsenjew unternahm ab 1902 in den nächsten dreißig Jahren zwölf große Expeditionen in das damals noch weitgehend unerforschte Gebiet zwischen der Küste des Pazifischen Ozeans und dem Fluss Ussuri. Dort trieb er naturwissenschaftliche Studien und beschrieb die Tier- und Pflanzenwelt sowie die Geologie und Topographie des ihm unbekannten Landes, vor allem aber interessierten ihn die dort ansässigen Völker der Golden (Nanaier) Udehen und Orotschen, deren Bräuche und Sprachen er erforschte. Der Nanaier Dersu Usala (Bei den Tuwinern erzähle ich ausführlich über Arsenjew und Dersu Usala.) führte und begleitete 1906 und 1908 zwei große Expeditionen Arsenjews, bis er auf tragische Weise ums Leben kam. 1917 bis 1927 war Wladimir Arsenjew Direktor der Naturkundemuseen von Wladiwostok und Chabarowsk. Er bereiste auch die Küstengebiete des Ochotskischen Meeres, die Halbinsel Kamtschatka und die Kommandeurinseln. 1930 erkrankte Arsenjew in der Taiga an einer schweren Lungenentzündung und starb am 4. September. Zu diesem Zeitpunkt war bereits ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt. Seine Frau wurde 1938 während des großen Terrors unter Stalin als angebliche japanische Spionin erschossen.“

 

- Oft liest und hört man, dass man im hohen Norden besser nicht leben sollte. Das Klima und die Bedingungen seien der Gesundheit abträglich, der Organismus verschleiße schnell. Nichtsdestoweniger gab es in der Region Krasnojarsk 2002 einhundertsechsundzwanzig Langlebige, das heißt Menschen, die älter als einhundert Jahre sind.

 

Zwangsnamen: "Fast alle hiesigen Ewenken tragen einen von fünf russischen Namen, die ihnen in den Dreißigerjahren zugewiesen worden sind."

Jacek Hugo-Bader (polnischer Buchautor), in:  Ins eisige Herz Sibiriens. Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok, 2014

 

Fläche: Der Autonome Kreis der Ewenken umfasst ein riesiges, 767 600 Quadratkilometer großes und äußerst dünn besiedeltes Gebiet im Mittelsibirischen Bergland.

 

Geschichtliches: Im 13. Jahrhundert beginnen die Tungusen nach Sibirien vorzurücken. Um dem Druck, der von Russen, Mongolen, Jakuten auf sie ausgeübt wurde, zu entgehen, wanderten die nördlichen Tungusen vom 17. bis 19. Jahrhundert weit weg von ihren alt gewohnten Lagerplätzen und zogen in Gegenden, wo sie noch nie zuvor gewesen waren. Da die Jakuten ihnen die besten Jagdgebiete streitig machten und um den russischen Steuereintreibern zu entgehen, überquerte im 19. Jahrhundert eine kleine Gruppe von Rentier-Tungusen die chinesisch-russische Grenze in Richtung der nordwestlichen Mandschurei, wo sie sich über ein sehr großes Gebiet ausbreiteten und unterschiedliche Dialekte, Clane und Bräuche entwickelten. – Mit den russen kamen die Tungusen zum ersten Mal im frühen 17. Jahrhundert in Berührung, als die Kosaken, von Westsibirien kommend, die Wohngebiete der tungusischen Stämme erreichten. Sie leisteten diesen Eindringlingen hartnäckigen Widerstand und waren erbost über die Höhe der ihnen von den Kosaken auferlegten Tribute (Jassak), die in Form von Fellen gezahlt werden mussten. Im Jahre 1613 wurden sie von den weit besser bewaffneten Russen besiegt, und seit 1623 zahlten alle Tungusen in der Reichweite der Steuereintreiber den Fell-Jassak an den Zaren. In der Folgezeit kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Russen und Tungusen, die sich gegen die Unterdrückung durch die russische Verwaltung und die Habgier der Händler auflehnten.

 

 

Tributeintreibung in Sibirien.

Zeichnung aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

– Von 1720 bis 1727 bereist      Messerschmidt Sibirien. Aus Mangaseja unternahm Messerschmidt eine Reise zur unteren Tunguska. Dort traf er Ewenken, beschrieb ausführlich ihre Kleidung, ihren Schmuck, ihre Waffen und alltäglichen Beschäftigungen. Diese Aufzeichnungen gelten als die erste Beschreibung der Ewenken überhaupt.

Staatsgefüge: Am 10. Dezember 1930 wurde der „Autonome Kreis der Ewenken“ gegründet. Als Folge davon wurden die Vorsteher der Clane abgesetzt und das Clansystem, das die Hauptgrundlage der gesellschaftlichen Organisation der Tungusen war, bedeutungslos. In der Folge änderte sich der politischer Status des Autonomen Kreises der Ewenken mehrmals, eines blieb: In Ewenkien lebte und lebt nur ein Bruchteil des über ganz Sibirien, den Fernen Osten Russlands, die Mongolei und Nordchina verteilten ewenkischen Volkes. Rund die Hälfte der etwa 38 000 russischen Ewenken lebt in der ostsibirischen Republik Sacha (Jakutien), nur rund ein Zehntel in Ewenkien. - Nach einer Volksabstimmung am 17. April 2005 wurde der „Autonome Kreis Taimyr“, zusammen mit dem „Autonomen Kreis der Ewenken“ vereinigt; am 1. Januar 2007 gingen beide autonomen Kreise in der Region Krasnojarsk auf. Mit der Gebietsreform und dem Anschluss entlegener Regionen an den Krasnojarsker Krai wurde das Krasnojarsker Gebiet zum Dreh- und Angelpunkt im zentralen Sibirien. Bedeutung gewann die Stadt am Jenissej schon vor über einhundert Jahren als Knotenpunkt der Transsibirischen Eisenbahn. Die Region Krasnojarsk ist heute mit deutlichem Abstand die wirtschaftlich leistungsfähigste Gebiets-Hauptstadt Sibiriens. Krasnojarsk will mit seinem Föderalen Programm „Plan 2020“ in den kommenden Jahren anliegende Städte und wirtschaftliche Zentren in seine Körperschaft aufnehmen und zu einer Megastadt in Sibirien avancieren. - Das Gebiet der Ewenken besitzt auch nach der Gebietsreform einen besonderen Status innerhalb der Region Krasnojarsk.

Verbannungsgebiet: Das Museum „Der Turm von Krasnojarsk“ ist das erste sibirische Gefängnis-Museum, eingerichtet im historischen Gebäude des lokalen Untersuchungsgefängnisses. Seine Zellen haben einige Hunderttausende von Häftlingen beherbergt, u. a. die verurteilten Dekabristen, Josef Wissarionowitsch Stalin, Feliks Dzierżyński … Das Krasnojarsker Gefängnis war Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut worden. Während seines Bestehens hat es hier keine einzige gelungene Flucht gegeben. - Die Museumsbesucher erhalten statt einer Eintrittskarte einen Gefängnis-Passierschein.  Die hölzernen Türen mit eisernen Riegeln stammen aus dem 19. Jahrhundert, die Einrichtung der Zellen wurde anhand alter Fotografien wiederhergestellt. In jedem von diesen sechs Quadratmeter großen Räumen saßen während der Zarenzeit neun Häftlinge ein: zusammen mit den Eltern wurden hier auch ihre Kinder eingesperrt. Auf den Doppelstockbetten, die an Eisenketten hingen, schlief man abwechselnd. Die Gegenstände aus dem Haushalt der Verbannten wurden in ganz Sibirien gesammelt. Hier gibt es Zwangsjacken, Gefängniskleidung, Uniformen und Waffen der Aufseher, die „Speisekarte“ der Gefängniskantine; rare Archivaufnahmen, Dokumente und Fesseln aus dem 19. Jahrhundert: „Sie wurden den Häftlingen an Händen und Füßen angelegt, zur Bewegungsbeschränkung, aber auch als Strafe“, erklärt die Direktorin des Museums Albina Rubljowa. „Als Ergänzung zu den Fesseln wurde den Häftlingen eine Hälfte des Kopfes rasiert.“ Gegenwärtig wird im Museum eine neue Ausstellung vorbereitet - zur sowjetischen Periode. In einem Keller wird man den Erschießungsraum besichtigen können, wo in den 1930er Jahren „Volksfeinde“ hingerichtet wurden. Dort vollstreckte man noch vor knapp zwanzig Jahren, vor der Abschaffung der Todesstrafe (1996), Todesurteile. Neben dem Erschießungsraum wird das Arbeitszimmer eines NKWD-Mitarbeiters mit ausschließlich authentischen Gegenständen eingerichtet.

„In der Schule beschäftigten wir uns mit dem Lebenslauf Lenins. Und so wusste jeder Schüler, daß die zaristische Regierung Lenin eben dorthin (in das ehemalige Gouvernement Jenisseisk) verbannte und daß eben dort, in Krasnojarsk, auf dem Jenissej das Dampfschiff `St. Nikolai´ auf ewig vor Anker liegt, mit dem Lenin 1897 zu seinem Verbannungsort geschickt wurde. Berüchtigt für seine Straflager (und seinen Uranabbau) ist auch Krasnokamensk. Krasnokamensk ist eine Stadt in Transbaikalien, an der Grenze zu China mit 55 666 Einwohnern (2010). Erst 1968 gegründet, war sie lange eine geschlossene Stadt, die auf keiner Landkarte zu finden war. In der Steppe schürften Bergarbeiter das Uran für sowjetische Atomsprengköpfe. Der Geheimhaltung ist auch geschuldet, dass es keine Straßennamen gibt. Die Einwohner, die in Plattenbauten leben, sind stolz auf ihre Stadt, die ein Atomsymbol im Wappen trägt."

Tatjana Kuschtewskaja, in: Transsibirische Eisenbahn. Geschichte und Geschichten, 2002

"Verstrahlt, verdammt, verlassen." Das war das einhellige Urteil über die Stadt Krasnokamensk, als sie durch die Verbannung des Oligarchen Chordorkowski (von Oktober 2005 bis Dezember 2006 in Krasnokamensk, dann verlegt nach Tschita) für kurze Zeit in den Focus der Weltpresse gelangte. Seit Chodorkowskis Ankunft in Krasnokamensk überschlugen sich die Moskauer Tageszeitungen mit Berichten darüber, dass das größte Uranbergwerk die gesamte Region verstrahle. Die Häftlinge müssten radioaktiven Staub und Radongas einatmen, die aus den Schächten steigen.

 Hauptstadt: Verwaltungssitz des Autonomen Bezirks der Ewenken ist Tura mit 5 747 Einwohnern (2005). Tura als Siedlung ist ein Produkt sowjetischer kultureller Landnahme aus dem Jahre 1927. - Vor allem russische Enthusiasten kamen in die Wildnis, auch weil sie der hundertprozentige Nordzuschlag reizte. Vom einstigen sowjetischen Bonus für jene, die das harte Leben im Norden auf sich nahmen, ist dagegen wenig geblieben! Tura ist zwar mittlerweile mit der Welt übers Internet bestens vernetzt, doch welche Fachkraft will heute schon für geringen Lohn nach Tura ziehen, wo es außer den Veranstaltungen im Kulturhaus und der grandiosen Natur keinerlei Ablenkung gibt. Zwischen dem „Dorf städtischen Typs“ Tura mit seinen asphaltierten Strassen und den ein- bis zweistöckigen, meist aus Holz gebauten Häusern, und der Großstadt Krasnojarsk liegen eintausendachthundert Kilometer, und die zweiundzwanzig weiteren Siedlungen sind, teilweise im Abstand von mehreren hundert Kilometern, über das ganze Gebiet verstreut. Krasnojarsk wurde, wie viele alte sibirische Städte, als Festung gegründet, um die russischen Grenzen in Sibirien vor den Nomaden zu schützen. 1628 wurde an der Mündung des kleinen Flusses Katscha eine Festung errichtet. Im 18. Jahrhundert wurde durch die Festung die Straße aus Moskau weitergeführt. Sie verband Russland mit den Handelsplätzen im Fernen Osten. Dies bestimmte die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt in vielerlei Hinsicht.

Wirtschaft: Die nördlichen Ewenken waren traditionell Rentierzüchter und jagten Zobel und Hermeline, sie waren berühmt für ihre Treffsicherheit beim Schießen und für die Geschicklichkeit, mit der sie wilde Tiere verfolgten und in Fallen fingen. Die südlichen Ewenken waren seit eh und je Pferde- und Hundezüchter. – Überliefert ist, dass die Tschuktschen auf der Tschuktschen-Halbinsel und die Korjaken auf Kamtschatka die Rentierzucht von den Tungusen [Ewenken]übernahmen. – 1799 fand der ewenkische Jäger Schumachow im Lena-Delta ein riesiges Tierskelett: ein Mammut. Hundert Jahre später ist die Mammut-Elfenbeischnitzkunst bei den Ewenken und Jakuten hochentwickelt. – 1926 entdeckt der russische Ethnograph und Historiker I. Suslow als Erster Vorkommen von Islandspat. Diese Entdeckung wurde weltweit als ebenso sensationell angesehen wie die Entdeckung der jakutischen Diamanten. – In der Sowjetzeit entwickelte sich Krasnojarsks zum größten Industriestandort und zum kulturellen Zentrum Ostsibiriens. Während der ersten Fünfjahrpläne wurden Industriebetriebe und Werften angesiedelt. Gegründet wurden die Forsttechnische Hochschule, später das Sibirische Technologische Institut, eine der größten Hochschulen Sibiriens. Und von hier aus starten die Polarluftlinien in den hohen Norden. Großzügig wurden und werden die Industrie und die Kultur gefördert sowie Wohnhäuser gebaut. Von Bedeutung sind die Eisen- und Stahlindustrie, die Buntmetallurgie, der Schwermaschinenbau, die Strom-, Holz und Bauindustrie, die Lebensmittel- und Leichtindustrie. In vielen Winkeln Russlands werden die in Krasnojarsk hergestellten Maschinen und Ausrüstungen eingesetzt. Die Erzeugnisse des Krasnojarsker Seidenkombinats gewannen Goldene Medaillen auf internationalen Messen. Das Krasnojarsker Wasserkraftwerk am Jenissej ist eine wichtige Zentrale des gesamten Energiesystems Sibiriens. Die wichtigsten Wirtschaftsbranchen sind heute die Erdölförderung (etwa 79 Prozent der regionalen Industrieproduktion), die  Energieerzeugung, außerdem der Fischfang, der Holzeinschlag und die holzverarbeitende Industrie. – Lebensgrundlagen der einheimischen Bevölkerung sind weiterhin die Rentierzucht und die Pelztierjagd. Ein völlig neuer Industriezweig ist die Pelztierzucht von  Silber- und Blaufüchsen. Ein beträchtlicher Teil der Felle im Wert von 180 000 Rubeln, die jährlich auf der Leningrader Auktion versteigert werden, stammt aus dem Autonomen Bezirk der Ewenken. Auf den zu bestimmten Jahreszeiten stattfindenden lokalen Märkten tauschten die Ewenken ihre wertvollen Felle gegen Töpfe und Pfannen aus Kupfer und Eisen, gegen Nadeln, Scheren, Mehl, Tabak und andere Waren ein. – Unter der neuen sowjetischen Ordnung wurde das Land der Ewenken verstaatlicht, und das Vieh, ihre umherziehenden Rentierherden wurden auf Kolchosen verteilt. Diese Reformen, gegen die die Ewenken sich hartnäckig wehrten, konnten erst um 1950 vollendet werden. – Hinsichtlich ihrer traditionellen Wirtschaftsgrundlage und ihrer Lebensweise brachte die neue sowjetische Ordnung viele Veränderungen im Leben der Ewenken mit sich. Nach der Verstaatlichung ihrer Rentierherden und der Kollektivierung wurde dieses bis dahin nomadisch lebende Volk in festen Häusern angesiedelt. Zusätzlich zur Pelztierjagd wurde ab 1947 zusätzlich die Pelztierzucht betrieben, die ersten zur Zucht vorgesehenen Pelztiere kamen aus Karelien. Im Süden des ewenkischen Nationalbezirks wurde der Ackerbau eingeführt, und heute bauen die Ewenken Hafer, Gerste, Gemüse und Kartoffeln an. – 1982 wird im Gebiet der Ewenken Erdgas entdeckt. 1984 bringt die erste Förderbohrung auf dem Sobinski-Feld in der Region Krasnojarsk Erdöl. Das Ölfeld liegt im Autonomen Bezirk der Ewenken, im Mittelsibirischen Hochland rechts vom Jenissej. Bisher befanden sich alle großen Erdölfundstätten links des Stromes im Westsibirischen Tiefland. – 1985 ist die Region Krasnojarsk zu der der Autonome Bezirk der Ewenken gehört, das ökonomisch leistungsfähigste Industriegebiet Sibiriens. – Der Autonome Bezirk der Ewenken deckt für die ganze Sowjetunion den Bedarf an Islandspat, der für die optische Industrie und die Elektronik benötigt wird. - Die großen Distanzen, die Weite der Natur  und die geringe Bevölkerungsdichte sind Fluch und Segen Ewenkiens – sie erschweren das Funktionieren des Staates und der Wirtschaft, ermöglichen jedoch die traditionelle Lebensweise. 1983 ist traditioneller Hauptwirtschaftszweig  die Rentierzucht. Im Autonomen Bezirk der Ewenken gelten 29 000 Rentiere als „Haustiere“, 515 000 leben halbwild, zusammengeschlossen in Herden, etwa 80 000 Tiere werden jährlich gejagt, das Fleisch im autonomen Bezirk selbst verbraucht.  Das staatliche Unternehmen „Traditionelle Wirtschaft des Nordens“ kauft den Jägern, Fischern  und Rentierzüchtern den gefangenen Fisch, die Zobelfelle, das Rentierfleisch zu subventionierten Preisen direkt in den Dörfern Ewenkiens ab. Gerade prüft das Unternehmen den Kauf einer finnischen Maschine, mit der die Produkte nach EU-Normen konserviert werden könnten. Man hat noch einiges vor mit diesem Betrieb: Beeren und Pilze sollen später ebenfalls ins Sortiment aufgenommen werden.

Verkehr: Mit dem Bau der Sibirischen Eisenbahn, die 1895 durch Krasnojarsk verlegt wurde, entstand für die damaligen Verhältnisse ein gigantisches Unternehmen, nämlich die Eisenbahnreparaturwerkstätten. - 1978 sind viele Orte durch die Flussschifffahrt erschlossen, alle Ortschaften sind durch Flugrouten verbunden. - Nicht ohne Grund nennen die Bewohner von Ewenkien, wie alle in Sibirien, den (großen) Rest Russlands „Festland“. Nur im harten, neun Monate dauernden Winter ist der Bezirk auf dem Landweg erreichbar. Die großen Flüsse – die Untere Tunguska, die Steinige Tunguska und der Strom Jenissej – verwandeln sich dann in Strassen, die Permafrostböden erstarren und werden über Tausende von Kilometern für schwere Lastwagen passierbar. Alexander Bokowikow etwa, der Direktor von „Ewenkijanefteprodukt“, der die Versorgung mit Diesel, Benzin und Heizöl für die Heizkraftwerke in den Dörfern sicherstellen muss, nutzt die Zeit von Ende Dezember bis März, wenn die Winter-Trassen in Betrieb sind, zum Transport der nötigen Vorräte für ein ganzes Jahr. Der Schiffstransport wäre zwar billiger, doch erschweren die Navigationsbedingungen auf der Tunguska und die kurze Schiffbarkeitsperiode von wenigen Wochen im Hochsommer den Verkehr. Im Frühjahr, wenn das Eis brüchig wird und die Erde an der Oberfläche aufzutauen beginnt, und im Herbst, wenn die Eisdecke noch zu dünn ist, bleibt einzig der Lufttransport. Dann leeren sich sogar in Tura die Regale in den Lebensmittelläden, und die Preise schnellen in die Höhe. Ein Kilogramm Luftfracht kostet achtzig Rubel, die auf den Preis aufgeschlagen werden, ein Kilogramm Lastwagenfracht etwa siebenmal weniger. So oder so ist Ewenkien wegen der hohen Transportkosten ein teures Pflaster. Zu Zeiten der UdSSR hatte jedes Lebensmittel einen Festpreis und kostete überall in der Sowjetunion gleich.

Sprache/Schrift: Die Sprache der Ewenken gehört zur tunguso-mandschurischen Sprachgruppe. Sie zerfällt in eine Vielzahl von Dialekten, die sich phonetisch und lexikalisch voneinander unterscheiden. Die Stellung der Wörter im Satz ist feststehend: Das Subjekt steht am Anfang, das Prädikat am Ende. Daniel Gottlieb Messerschmidt (1685 bis 1735) bereiste von 1720 bis 1727 im Auftrag Peter I. Sibirien. Er verfasste als Erster ein kleines Wörterbuch der tungusischen Sprache. - Die Ewenken besaßen vor der Revolution von 1917 keine Schriftsprache. Wie zum Beispiel sah ein Schuldschein aus, den sie den russischen und amerikanischen Tieraufkäufern "ausschrieben"?

"Ein Schulddokument war aus festem, geradfaserigem Holz geschnitzt, hatte quadratischen Querschnitt, und seine Länge betrug, je nach Größe der Schuld, etwa 10 bis 12 Zentimeter. Die eine Längsseite wie so viele Einkerbungen auf, wie, sagen wir, Rentiere geschuldet wurden. Auf der gegenüberliegenden Längsseite wurden an dem einen Ende ein Rentier, an dem anderen Ende das Zeichen des Schuldners - ein Kreuz, ein Zweig, ein Horn, eine Fährte - eingeritzt. Dann spaltete man das Hölzchen der Länge nach so, das Einkerbungen, Zeichen und Rentier ungefähr halbiert wurden. Die eine Hälfte behielt der Gläubiger, die andere der Schuldner. Wenn die Abrechnung erfolgte, wurden die beiden Hälften wieder aufeinandergepaßt und dann so viele Kerben weggeschnitten, wie der Schuldner Rentiere zurückgeben oder bezahlen konnte. Diese hölzerne Quittung (...) beweist, wie grundehrlich diese Waldnomaden sind.

Grigori Feossejew (russischer Geodät) in: Im Banne des Dsugdyr, 1960

Russische Wissenschaftler schufen auf der Grundlage des Nordtungusischen für die Ewenken ein Alphabet, ab 1931 mit lateinischen, ab 1936 mit kyrillischen Buchstaben. Die Ausarbeitung eines Alphabets war jedoch nur ein erster Schritt. Viel schwieriger war zum Beispiel das Verfassen von Büchern. Es gab keine mit dem neuen Alphabet vertrauen Autoren, die Erfahrung im Schreiben von Lehrbüchern gehabt hätten. Hinzu kamen die Schwierigkeiten mit der Auslieferung der Werke, oft versagte das Transportwesen. „Auch Missverständnisse spielten eine gewisse Rolle. Einige Ewenken wurden [versehentlich] in Jakutisch unterrichtet", schreibt Andreas Frings in "Sowjetische Schriftpolitik zwischen 1917 und 1941". Das erste in Ewenkisch gedruckte Buch erschien 1928. In der Folgezeit wurden mit dem Anwachsen der Zahl der Schulen immer mehr ewenkische Schulbücher gedruckt. - Der Rundfunk, der in der UdSSR in mehr als siebzig einheimischen Sprachen sendet, bringt seit 1947 auch Sendungen in ewenkischer Sprache. – Im Jahre 1970 konnten fast alle Ewenken lesen und Schreiben.

"Die Sprache der Ewenken lässt sich schwer wiedergeben. In meinem Ohr klingt sie bedächtig, wehmütig und melodisch."

Grigori Fedossejew(russischer Geodät)  in: Der böse Geist von Jambui,1968

1981 haben Wissenschaftler der jakutischen Filiale der Akademie der Wissenschaften der UdSSR gemeinsam mit Fachleuten philosophischer Institute von Moskau und Leningrad ein neues Alphabet und vervollkommnete orthographische Regeln der ewenkischen Sprache ausgearbeitet. Damit wurde die Schriftsprache vereinheitlicht und der Lautreichtum des Ewenkischen stärker berücksichtigt. Auf dieser Grundlage werden in Jakutsk literarische Werke der Ewenken gedruckt.

"Es gibt etwa 35 500 Ewenken, aber gerade mal 15 Prozent von ihnen spricht noch die eigene Sprache."

Jacek Hugo-Bader (polnischer Buchautor) in: Ins eisige Herz Sibiriens, Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok, 2014

 

„Neu ist, dass im Tschum auch Unterricht abgehalten wird. Allerdings nur bei den Ewenken in der Region Krasnojarsk und vorerst auch dort nur in einer einzigen Rentierzüchterbrigade. Es ist ein Pilotprojekt, das den oft nur noch wenige Hundert Seelen zählenden Völkern, die in der Tundra und am Nordrand der Taiga leben, helfen soll, ihre vom Aussterben bedrohten Sprachen und Kulturen zu retten.“

Irina Wolkowa in: Neues Deutschland vom 4. Januar 2012

Literatursprache/Literatur: Alitet Namtuschkin ist der bekannteste Dichter der Ewenken. Er wurde 1939 in dem Dorf Irischki bei Irkutsk geboren, studierte an der Krasnojarsker Pädagogischen Hochschule und veröffentlicht seit 1960 Gedichte. Er ist Verfasser der Lyrikbände „Ein Morgen in der Taiga“, „Lieder eines Ewenken“, „Der Norden singt“, „Anfang eines Schicksals“; Alitet Namtuschkin lebt in Tura. - 1981 fand in Krasnojarsk eine Literaturwoche der Völker des Nordens statt. In Industriebetrieben, Bibliotheken und Klubs treten jakutische, tuwinische, chakassische Lyriker und Prosaiker auf, so auch der ewenkische Dichter Alitet Namtuschkin.

Bildung: Schon früh starteten die Russen eine energische Kampagne zur Beseitigung des Analphabetentums der Ewenken. 1927 wurde in Tura eine Kulturbasis errichtet, in der Lesen und Schreiben gelehrt wurde. Außerdem gab es eine veterinärmedizinische Station, ein Krankenrevier und eine Badeanstalt (!). Etwa zur gleichen Zeit wurde die erste Internatsschule für ewenkische Kinder eingerichtet, die aber bei den Eltern, die der ungewohnten Trennung von ihren Kindern misstrauisch gegenüberstanden, auf wenig Gegenliebe stieß. 1927 entstand in Tura die erste Grundschule, unterrichtet wurden vierzehn Kinder. 1930 können etwa zwei Prozent der Bevölkerung schreiben und lesen, nur 0,5 Prozent davon sind Frauen.

"Es war ein früher Herbst, an der Schule für die Völker des Fernen Ostens in Chabarowsk sollte in den nächsten Tagen der Unterricht beginnen... Da waren Jungen und Mädchen und Erwachsene – Nanaier, Orotschen, Tungusen [Ewenken], Udehen und andere. In plumpen Säcken aus Tierfellen saßen sie unmittelbar auf dem Fußboden – sie fürchteten sich vor den Stühlen. Sie sahen alle verwirrt drein. Es war ihnen eng in den vier Wänden, vor allem aber war ihnen unheimlich zumute. Sie kamen aus entfernten Nomadenlagern, von aller Welt abgeschieden in der fast unzugänglichen Taiga, aus leichten Laubhütten, die nur notdürftig mit Tierfellen abgedeckt waren. Sie wurden durch die Steinbauten erschreckt, erschreckt durch die angeschirrten Pferde, sie erstarrten, als der Zug herandonnerte, in den man sie setzte, um sie nach Chabarowsk zu bringen. Selbst Chabarowsk flößte ihnen Angst ein... Es war ihnen unheimlich zumute, der Schrecken starrte aus ihren Augen. Warum waren sie denn überhaupt gekommen?  Sie hatten sich ihren Weg auf Wildpfaden gebahnt; in primitiven Booten oder in Fässern hatten sie die reißenden Stromschnellen der tückischen Taigaströme bezwungen. Sie erkannten in der Ferne den Glanz eines neuen Morgens. Sie spürten in der Luft einen Hauch der Hoffnung. Von ihr allein wurden sie geführt. Sie allein gab ihnen Kraft und Furchtlosigkeit. Ich war tief ergriffen.“

Der Wiener Viktor Fink  (geboren 1922) in: Zwischen Paris und Moskau, 1967

 

 

Kinder im Schulinternat von Tura mit ihrer ewenkischen Lehrerin Olga Danilowa.

 Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Bei einer Umfrage unter ewenkischen Abiturienten nach ihren Berufswünschen nannten 1976 25 Prozent technische Berufe, vorrangig Ingenieur, Mechaniker, Elektroschweißer. Seitdem eine Strecke der Baikal-Amur-Magistrale durch den Autonomen Bezirk der Ewenken führt, ist Traumberuf vieler Ewenken-Kinder: Ingenieur für Eisenbahnwesen. – Zur Eröffnung der Olympiade 1980 erhielt die Bevölkerung des Autonomen Bezirks die Möglichkeit, die Übertragungen des Zentralen Fernsehens in Farbe zu empfangen. - 1981 steht jeder dritte Einwohner des Autonomen Bezirks der Ewenken in einer Ausbildung. Von den vierhundertfünfzig Lehrern sind zweihundert Angehörige der angestammten Bevölkerung der Ewenken. 1984 gibt es im Autonomen Bezirk der Ewenken neunundzwanzig Schulen, siebzehn Schulinternate, in denen die Kinder der Einheimischen voll vom Staat versorgt werden; dreihundert Pädagogen haben Hochschulbildung.

"Die Ewenken vertragen weite Reisen fern der Heimat sehr schlecht. Besonders schlecht kommen sie in Städten zurecht. Wenn sie zum Studium fortgehen, beenden sie es meist nicht, beginnen zu trinken und kehren ohne Abschluss zurück."

Jacek Hugo-Bader (polnischer Buchautor) in: Ins eisige Herz Sibiriens, Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok, 2014

Damit die Kinder in den Internaten nicht ganz von ihren traditionellen Wurzeln gelöst werden, wird der Transport der Kinder in ihre Heimatorte organisiert, wo die Eltern immer schon sehnsüchtig auf ihre Kindern warten….

Kunst/Kultur:

Bärenbild auf Birkenrinde vom Fluss Steinige Tunguska, 1912.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Ein großes kulturelles Ereignis bei den Rentierzüchtern unter den Ewenken ist seit eh und je das Frühlingsfest. Dieses Fest wird im März als „Fest des Nordens“ oder „Fest des Rentiers“ gefeiert. Zum Programm gehören Rentierrennen, Wettbewerbe beim Bau nationaler Behausungen und Wettbewerbe zur nationalen Küche; auch Wettbewerbe, wer die schönste Nationaltracht trägt, Wettbewerbe im Stockziehen und in nationalen Kämpfen haben sich erhalten.

     

 Semjon Nadëin: "In alten Zeiten hatten die Ewenken kein Alphabet, deshalb drückten sie ihre Gedanken in Bildern aus.

Ohne Vorzeichnung schnitten sie Muster in Bein, Holz und Metall. Ich liebe Schattenrisse."

 Schattenrisse des Ewenken Nadëin, 1961, aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

Gesundheitswesen: Der Governeur des Jenisserjer Gouvernements, Dmitri Stepanow, schrieb im 19. Jahrhundert in einem Bericht nach Petersburg, dass die Einheimischen „hier rasch aussterben und dass dieser Prozess natürlich und gesetzmäßig ist“. Die sowjetische Regierung unternahm energische Maßnahmen, um endemische Krankheiten der Ewenken, wie Tuberkulose, Trachom (Ägyptische Augenentzündung) Pocken und die Blattern auszurotten. Peter Simon Pallas – Professor der Naturgeschichte und Ordentliches Mitglied der Russisch-Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften der Freien Ökonomischen Gesellschaft in St. Petersburg, wie auch der Römisch-kaiserlichen Akademie der Naturforscher und Königlich Englischen Societät – schreibt 1778: „Die Tungusen sind seit der Eroberung dieser Gegenden durch die Blattern-Epidemien oft sehr aufgerieben worden. Das letzte Mal wütete diese Krankheit 1767 mit vieler Heftigkeit und nach dem Vorgeben der Einwohner soll sie damals zehn Jahr vorher bemerkt worden seyn, und gemeiniglich alle zehn Jahr sich einstellen.“ – In den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts fallen ungezählte Tungusen einer Typhusepidemie zum Opfer. - Nach sowjetischen Angaben konnte eine wesentliche Verringerung der einst hohen Säuglingssterblichkeit und – durch Unterweisung in lokalen medizinischen Zentren –  eine Verbesserung der hygienischen Bedingungen bei den Ewenken erreicht werden. 1927 wird das erste Krankenhaus eingerichtet, es besteht aus einem Krankensaal mit zehn Betten.  – 1984 arbeiten im Autonomen Bezirk der Ewenken mehr als dreihundert Ärzte und Krankenschwestern.  

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                       

Der ewenkische Arzt Onufri Botulu und die ewenkische Kinderärztin Galina Chutokogir.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Ein betrunkener Ewenke, Burjate, Mongole, Tuwiner, Tschuktsche ist ein besonders unangenehmer Anblick. Zuerst muss man sagen, dass ihn eine Dosis umhaut, nach der ein Russe, Pole, ja sogar ein Deutscher seelenruhig Auto fährt - er aber wälzt sich auf der Straße. Die nordasiatischen Völker vertragen sehr wenig Alkohol. Doch der Unterschied ist nicht nur quantitativ . Die Russen sagen, dass sich die Ewenken ´unangemessen´ verhalten, wenn sie Wodka getrunken haben. Das ist eine sehr treffende Beschreibung. Alles, was sie tun, ist wirklichkeitsfremd. sie ziehen sich bei Frost aus, springen von der Drücke in einen zugefrorenen Fluss, setzen sich auf eine vielbefahrene Straße... Gewöhnlich ernst und in sich gekehrt, werden sie sehr laut, lachen falsch, als würden sie sich zur Freude zwingen. Gewöhnlich sind sie zurückhaltend, ja sogar reserviert, unfähig, Gefühle zu zeigen, und ertragen die slawischen Liebenswürdigkeiten und das russische Geknutsche nicht, aber wenn sie Wodka getrunken haben, werden sie widerwärtig anschmiegsam, um eine Sekunde später grundlos das Messer zu zücken, das sie traditionell immer dabeihaben. (...) Es ist kein Geheimnis mehr, dass die im Norden lebenden autochthonen Völker eine genetische Prädisposition für Alkoholismus haben. Dagegen kann man nichts tun."

Jacek Hugo-Bader (polnischer Buchautor) in: Ins eisige Herz Sibiriens, Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok, 2014

 

Klima: Das Klima bei den Ewenken ist extrem kontinental. Im Februar 2012 zum Beispiel zeigte das Thermometer in Tura 45 Grad minus an. Schwere Stürme sind an der Tagesordnung. Die Ewenken sagen: "Musst umherlaufen, singen, ein bisschen spielen, dann hat der Sturm Angst."

„Gerade im hohen Norden zeigt sich, wie verheerend die Auswirkungen des Klimawandels sein können. Nördlich des Polarkreises leben mehr als dreißig [vierzig bis fünfzig] indigene Völker – viele davon in Sibirien – von der Jagd, der Rentierhaltung, vom Fischfang und vom Sammeln. ÜberJahrhunderte konnten sie ihre Lebensweise den sich wandelnden Umweltbedingungen anpassen. Jetzt droht den rund vierhunderttausend Ureinwohnern die Vernichtung ihres arktischen Lebensraums. Denn hier vollzieht sich der Klimawandel, der in erster Linie in den Industriestaaten verursacht wird, zwei- bis dreimal schneller als im globalen Durchschnitt. Höhere Temperaturen lassen das ewige Eis schmelzen und verändern die Lebensbedingungen für Mensch und Natur. Die Folgen: Die Ureinwohner müssen zusehen, wie ihre Jagdbeute ausstirbt und wichtige Pflanzen nicht mehr wachsen. Die schützende Schneedecke schmilzt zu früh, so dass die Rentiere nur noch verkümmertes Rentiermoos vorfinden. Menschen sterben, weil vertraute Wege auf dünnerer Eisdecke nicht mehr sicher sind. Ganze Dörfer mussten schon aufgrund von Küstenerosion und Stürmen umgesiedelt werden.“

Verein pro Sibiria e. V., München

 

Während des langen Winters fällt die Temperatur bis auf 60 Grad minus, während des kurzen Sommers kann sie bis auf 35 Grad plus steigen.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Natur/Umwelt: Das Mittelsibirische Bergland, in dem die Ewenken vorrangig beheimatet sind, erreicht im Putoranagebirge mit 1 701 Metern über dem Meeresspiegel seine größte Höhe und wird im Norden von Tundra, im Süden von Taiga bedeckt. Weite Gebiete sind durch Landschaftsformen des Permafrosts geprägt. Große Nebenflüsse des Jenissej durchströmen das Gebiet (Untere und Steinige Tunguska). – 1912 war der Zobel von Russen und Tungusen fast ausgerottet. Allerdings hatten die Tungusen, verglichen mit den Russen, eine bessere Einstellung ihrer Umwelt gegenüber. Die russischen Jäger töteten jedes Tier, das ihnen über den Weg lief, die Tungusen hingegen jagten weibliche Tiere und ihre Jungen nicht. Die Tungusen ließen auch nie ein brennendes Feuer zurück, wenn sie ihr Lager verließen. Die russischen Arbeiter in den Goldgruben dagegen verbrannten große Waldbestände, um goldhaltige Flussablagerungen zu schmelzen. Zobelpelze - auch als weißes Gold bezeichnet - stellten ein wichtiges Handelsgut für das russische Imperium dar. 1912 wurde der Zobel unter Schutz gestellt, 1916 zu diesem Zweck das Bargusiner Biosphärenreservat gegründet, es ist das älteste Naturschutzgebiet ganz Russlands. – 1983 liefert der Autonome Bezirk der Ewenken 15 Prozent der gesamten Zobelfelle der UdSSR, das sind etwas 26 000 Stück jährlich. Der Ewenke Wassili Uwatschan, Mitarbeiter beim Ministerrat der RSFSR: „Will man, dass unsere Taiga mit jedem Jahr mehr Rauchwaren liefert, muss man auch dafür sorgen, dass die Jagdwirtschaft auf eine neue wissenschaftliche Grundlage gestellt wird. Die Menschen dürfen sich nicht nur für die Beute, sondern müssen sich auch für die Reproduktion der Pelztierbestände auf lange Sicht interessieren.“ Uwatschan, Sohn eines Jägers, hat eine Hochschule absolviert, promoviert, an Hochschulen von Nowosibirsk und Krasnojarsk unterrichtet und seine Habilitationsschrift verteidigt. - Die Ewenken haben als einzige hiesige Volksgruppe die Genehmigung, eine limitierte Anzahl der geschützten Baikalrobben zu jagen.

 

Die Besonderheit der Baikalrobben: Sie sind die berühmtesten endemischen Tiere der Welt und die einzigen Süßwasserrobben der Welt. Die Baikalrobben-Population wird gegenwärtig auf 80 bis 100 000 Tiere geschätzt. Die faszinierenden Tiere mit den schwarzen Kulleraugen kommen fast im ganzen Baikalsee vor, ihreLiegeplätze sind streng geschützt. Sie sind hervorragend an das Leben im See angepasst. Im März / April gebären die Weibchen ihre Jungenin geschützten Schneehöhlen auf dem Eis, während sie selbst die meiste Zeit unter Wasser verbringen und nur zum Atmen an den speziellen Löchern auftauchen, die sie mit ihren scharfen Krallen offen halten. Die "nerpa", wie die Baikalrobbe auf Russisch heißt, wurde traditionell von den Ureinwohnern, später auch von den Russen gejagt. Heute gibt es begrenzte Fangquoten für bestimmte Ewenken-Siedlungen am Nord-Baikal (achthundert Tiere) und im Bezirk Olchon (zweihundert Tiere).

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 Einer der kuriosesten Fische, der Golominka (Fett- oder Ölfisch), lebt nur im Baikal. Die Besonderheit des Fett- oder Ölfischs. Die Hauptnahrungsquelle der Baikalrobben ist der Große und der Kleine Fettfisch (auch: Ölfisch). Wie die Nerpa (Baikalrobbe) kommt er nur im Baikalsee vor und ist zahlenmäßig der häufigste Fisch(mehr als alle anderen Arten zusammen). Das liegt möglicherweise daran, dass sein Lebensraum so groß ist. Der Fettfisch bewohnt nicht wie viele andere Fische nur die seichten Uferregionen oder Flussdeltas, sondern den gesamten See, und zwar alle Wasserschichten von der Oberfläche bis hinunter auf den Grund. Der Fettfisch hat in sehr zartes Skelett und keine Schwimmblase, dafür besteht er zu bis zu 44 Prozent aus Fett. Noch etwas unterscheidet den Fettfisch von allen anderen Fischen im Baikal: Er bringt lebende Larven zur Welt (etwa 2 000 bis 3 000). – Schon vor Jahrhunderten wurde das Fett von tibetischen Mönchen wegen seiner Heilkraft gesammelt. Erstmals beschrieben wurde der Golumjanka übrigens von dem deutschen Forscher Peter Simon Pallas, 1771.

 

 

 - Im gesamten Gebiet der früheren UdSSR wurden bis 1989 einhundertfünfzehn unterirdische Atomversuche dicht unter der Erdoberfläche durchgeführt. Es bestanden achtundzwanzig Testgebiete westlich und vierundzwanzig östlich des Urals, also in Sibirien. Etwa zweihundert  Kilometer von Irkutsk, nordwestlich des Baikals liegen zwei dieser Testgebiete und eines liegt südöstlich des Sees, etwa vierhundert Kilometer von Irkutsk. Im Westen Sibiriens waren besonders die Enzen, Nenzen, Selkupen und Nganassanen von den Atomtests betroffen, im Osten die Chanten und Mansen, im Nordosten die Dolganen, Ewenken und Burjaten und im Nordosten die Tschuktschen und Jakuten. - Der geplante Turuchaner Staudamm macht vielen Ewenken Sorgen. Je nach Höhe der Staumauer würden fast alle Dörfer am Fluss, auch die Stadt Tura, in den Fluten untergehen und Tausende von Quadratkilometern Land. Was an sozialen und wirtschaftlichen Strukturen in der Vergangenheit aufgebaut wurde, würde in Frage gestellt. Umweltorganisationen schlagen Alarm!

Pflanzen- und Tierwelt: Einen großen Teil des ewenkischen Territoriums nehmen Wälder ein. Hier ist auch die Sibirische Zeder, die Zirbelkiefer zu Hause, die nicht zu den echtern Zedern gehört. - In der Taiga leben u. a. der Zobel, das Eichhörnchen, der Fuchs, das Hermelin, der Luchs, die Sibirische Waldkatze, das wilde Ren, der Bär; das Haus-Rentier – kaum domestiziert – ist für die Ewenken nicht nur Spender von Fleisch und Milchprodukten, sondern auch ein Lasttier und - ein Freund. – Im Frühjahr kommen die einheimischen Vögel aus dem warmen Süden über riesige Entfernungen zurück in ihre Heimat, nach Sibirien. Sie kehren in ein Land unerwarteter Kälteeinbrüche zurück, um dort ihre Brut zu zeugen und großzuziehen.

Behausungen: Die Ewenken hatten ihre gesamte Ausrüstung auf große Beweglichkeit eingerichtet. Als Behausung diente ihnen der Tschum, ein konisches Stangenzelt, im Winter mit Rentierfellbedeckung, im Sommer mit Birkenrinde bedeckt. Heute bewohnen diese Behausungen nur noch die nomadisierenden Ewenken.

 

 

Eine nomadisierende Ewenkin im Sommer vor ihrem Tschum, beschäftigt mit Näharbeiten.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

"Der Tschum - das Nomadenzelt der Bewohner der russischen Arktis - muss in maximal vierzig Minuten am neuen Weideplatz aufgebaut sein. Kaum, dass die Bretter für den Boden verlegt sind, wird darauf der Kanonenofen aufgestellt und befeuert, noch bevor mehrere Lagen von Rentierfellen an den Tragestangen befestigt werden. Zumindest im Winter, wenn der Schneesturm heult und die Temperaturen auf unter minus vierzig Grad sinken. Der Tschum dient den meisten Nomaden des Hohen Nordens seit eh und je als Behausung und unterscheidet sich bei den einzelnen Völkern nur in Nuancen."

Irina Wolkowa in: Neues Deutschland vom 4. Januar 2012

Ernährung: Die Ernährung der Ewenken bestand in der Hauptsache auch Fleisch und gesalzenem Fisch sowie aus Wildvögeln und Beeren, die es zu bestimmten Zeiten in der Taiga im Überfluss gibt. Da die Ewenken niemals irgendeine Form des Ackerbaus betrieben hatten, kannten sie, bevor sie mit den Russen in Berührung kamen, kein Brot. Später entwickelten sie eine besondere Art ungesäuertes Brot. Es wurde in eine Form vor einem offenen Feuer in der Mitte des Tschums oder, im Sommer, im Freien in Öfen aus großen Steinen gebacken.

 „Fleisch vom wilden Ren ist im Herbst besonders wohlschmeckend. Es hat dann die Süße der Rentierflechte, den zarten Duft alpiner Matten und dazu noch etwas anderes in sich, was einen an den Wald erinnert und was nur frischem Rentierfleisch eigen ist. Diese besonderen Eigenschaften sind noch deutlicher wahrnehmbar, wenn man das Fleisch in gekochtem Zustand verzehrt. Gekocht wird es aber – wie in der Taiga üblich – in reinem Quellwasser, über Lärchenfeuerholz, ohne jedwede Gewürze. Als besonders schmackhaft gelten bei den Ewenken die Zunge des Tieres sowie gut durchwachsene Brust- und Rippenstücke. Kenner geben frischer warmer Leber den Vorzug. Sehr großer Beliebtheit erfreut sich auch der Kopf des Rens. Der Uneingeweihte kann sich nur schwer vorstellen, was für ein Leckerbissen er bildet, liefert er doch alles, was man sich nur wünschen kann – Knorpel, die fetten `Backen´, Hirn, die weiche Zunge. Und erst die süßen, saftigen Lippen des Tieres – eine wahre Delikatesse... Die Ewenken sind leidenschaftliche Teetrinker, Meister in der Zubereitung dieses Getränk, das sie mit großem Behagen genießen. Allerdings muss es stets frisch zubereitet sein. Ohne Tee ist ihnen das Leben verleidet!"

Grigori Fedossejew (russischer Topograh), in: Der böste Geist von Jambui, 1968

Kleidung: Die leichte, kniefreie Oberbekleidung war besonders gut geeignet für den Lauf auf Schneeschuhen, die, vorn aufgebogen und mit Fell überzogen, den vollkommensten Schneeschuh-Typ in Sibirien darstellten. Noch heute sind die Kleidung der Ewenken und viele Gebrauchsgegenstände fast ausschließlich aus Rentierfellen gefertigt, die oft mit kunstvoll bestickten Glasperlenornamenten verziert sind. Wie die Archäologen behaupten, schmückten sich bei den Ewenken die Männer ebenso eifrig wie die Frauen, ja, sie übertrafen in Bezug auf Einfallsreichtum bisweilen sogar noch ihre Gefährtinnen. - Die Tungusen trugen die warme Kleidung direkt auf der Haut.

„In ihrer Tracht, und ihrem ganzem Wesen sind sie von den Burjaten wenig unterschieden. Nur ihre Sommermützen sind original; sie machen selbige gern von einem Renkopf, woran die Augenlöcher und Ohren sichtbar bleiben und den Zierrat abgeben. Mit Hörnern habe ich sie nie gesehen, obgleich ich Tungusen aus dem Geschlecht Namat unter meinen Fahrleuten gehabt habe; sie sagten, dass sie solche den Zauberern überlassen.“

Peter Simon Pallas – Professor der Naturgeschichte und  Ordentliches Mitglied der Russisch-Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften der Freien Ökonomischen Gesellschaft in St. Petersburg, wie auch der Römisch-Kaiserlichen Akademie der Naturforscher und Königlich Englischen Societät, 1778

 

 

  

 

Kleidung der Ewenken des Amur-Gebiets: der Träger des langen pelzgefütterten Mantels ist ein Stadtbewohner, neben ihm steht ein Nomade, der mit seiner Rentierherde umherzieht. Daneben: ewenkische Stiefel für Männer aus Rentierfell, reich ornamentiert.

Zeichnung und Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Folklore: Die Ewenken kennen viele Märchen und Legenden. - Aus den zur Verfügung stehenden Rohmaterialien stellten die Ewenken ihre Geräte mit großem handwerklichen Können und Sinn für Schönheit her. Die Männer fertigten Gegenstände aus Holz, Knochen und Metall an und bauten geschickt Boote und Schlitten (Narten). Die Frauen richteten die Felle zu, aus denen die ewenkische Kleidung genäht wurde. Vieles von den alten Traditionen ist inzwischen verloren gegangen.

Feste/Bräuche: Der Tunguse war stolz auf seinen Clan und unterwarf sich seinen Regeln. Im Laufe der Jahrhunderte hatte die auf der Clan-Organisation basierende Sozialstruktur der Tungusen eine hohe Entwicklungsstufe erreicht. Zu den wichtigsten Fragen, in denen der Clan entschied, gehörten die Ehe – die durch Exogamie-Vorschriften geregelt war, nach denen der Mann außerhalb seines eigenen Clans heiraten musste – und alle Probleme, die die Moral der Clan-Mitglieder betrafen. Bei diesen „primitiven“ Menschen galt jemand, der versuchte, seine eigenen, persönlichen Interessen mit denen des Clans zu vermischen, als „schlecht“, mochte er sonst auch noch so reich und angesehen sein. - Bei den Ewenken sind außer den Namen noch Beinamen, Spitznamen, üblich. Diese können im Laufe des Lebens gewechselt werden. - Im multinationalen Russland wird das Neujahr praktisch non stop, das heißt das ganze Jahr gefeiert. Einige Urvölker Sibiriens feiern zum Beispiel das Neujahr im Frühling: die Tuwiner im Februar und die Chakassen am 22. März, am Tag der Frühlings-Tagundnachtgleiche. Die meisten Völker des russischen Nordens begehen ihr Neujahr im Sommer. Im Juni wird das Neujahr von den Ewenken gefeiert. Das ewenkische Neujahr heißt „Ikenipke“, was als „Kuckuckslied“ übersetzt wird. Nach dem Volksglauben der Ewenken beginnt das Neujahr dann, wenn ein Kuckuck, einer der heiligen Vögel dieses Volkes, zum ersten Mal ruft. Die Ewenken, die durch die Taiga nomadisierten, versammelten sich Anfang des Sommers. Sie kommunizierten, tauschten Rauchwaren gegen Lebensmittel, nahmen an alten Ritualien teil und führten Hochzeiten durch. Für die  heutigen Ewenken wurde „Ikenipke“ zum Fest der Wiedergeburt der nationalen Traditionen. Aber sie verhalten sich zu seiner Beibehaltung taktvoll und wollen nicht, dass die Ritualien, die für ihre Vorfahren heilig waren, von der Umgebung als exotische Spiele wahrgenommen werden. Das Feiern des ewenkischen Neujahrs beginnt traditionell mit der nationalen Zeremonie „Tschitschipkan“. Dazu sagt die Leiterin des ethnografischen Folkloreensembles „Heglen“, Tatjana Safronowa, in ihrem Interview für die „Stimme Russlands“: `Tschitschipkan´ ist ein Ritual der Reinigung. Man nimmt eine Lärche und zerspaltet sie in der Mitte. Man stellt längs der zerspalteten Lärche eine Spreize. Ein Mensch muss durch dieses enge Loch gehen – das heißt `Himmelstor´. Wenn solche großen Feste wie `Ikenipke´ durchgeführt werden, stellt man gewöhnlich drei bis vier Meter lange Stangen auf. Durch einen solchen `Tschitschipkan´ führte man außer Menschen auch Rentiere, die mit dem Rauch des wilden Sumpfrosmarins beräuchert wurden.´ Wenn die Ewenken durch das `Himmelstor´ gingen, wandten sie sich an den guten Geist`, erklärt Tatjana Safronowa. - Bei den Ewenken – wie auch bei anderen Völkern - wird das ganze Weltall in drei Ränge eingeteilt. Es gibt die Obere Welt, die Mittlere Welt, wo Menschen leben, und die Untere Welt – das Jenseits. Die Ewenken baten die guten Geister aus der Oberen Welt um den Segen, um gesund zu bleiben, Kinder zu kriegen und dass sich die Zahl der Rentiere vergrößert. Gerade dafür wurde das Ritual der Reinigung durchgeführt. - Die Mitglieder des Ensembles „Heglen“ singen und tanzen während des Festes und zeigen die Folklore-Imitation von ewenkischen Bräuchen, unter anderem „Nimat“ – das ist die Tradition, Beute-Geschenke zu überreichen. Man muss laut dieser Tradition die Beute unbedingt mit allen Verwandten teilen, sonst kommt ein Tag, an dem man nach der Jagd mit leeren Händen zurückkommt. Für die Ewenken ist es eine große Sünde, einen Gast nicht ins Haus zu bitten, um ihm zu essen zu geben. „Ikenipke“ gilt als ein sehr schönes Fest: Die Ewenken tragen farbenprächtige Volkstrachten, singen ihre alten Lieder und tanzen den Jochor (Joharjo ?), einen Reigentanz, führen Wettkämpfe im Beil- und Wurfschlingenwerfen durch und springen über Rentierschlitten. Am Abend essen alle zusammen ihre nationalen Lieblingsgerichte – Schaschlyk aus Rentierfleisch mit Preiselbeeren, dazu die Fladen „Tschupatschaschki“ und trinken --- Taiga-Kräutertee. Wladimir Rajewski (1795 bis 1872) in der Festung Tiraspol, am Unterlauf des Dnestr eingesperrt, schrieb das Gedicht „An die Freunde“; es ist an die gleichgesinnten Freunde des Dichters, u. a. an Alexander Sergejewitsch Puschkin gerichtet. In seinem Gedicht erwähnt er auch das elende Leben der Tungusen:

Vertrieben aus dem Vaterland, / in ewige Winternacht verbannt, / werd ich ein Schattendasein führen, / hindämmern wie in einer Gruft / in elenden Tungusenhütten, / Burjatenkaten, wo die Sitten / noch roh sind, wo man Licht und Luft / entbehrt, und wo man, losgerissen / von allen Gaben der Kultur, / schon die barbarische Natur / als Strafe wird empfinden müssen. //

 

"Die Ewenken lassen ihre Ehen selten eintragen. Sie werden sich mit einer Frau einig und ziehen mit ihr ins eigene Zelt oder Haus. So sieht ihre Hochzeit aus. Zu diesem Anlass richten sie nie eine Feier aus."

Jacek Hugo-Bader (polnischer Buchautor) in: Ins eisige Herz Sibiriens, Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok, 2014

 

Die Ewenken teilten das Jahr nicht in zwölf Monate, sondern in eine Reihe von anderen Zeitabschnitten; diese entsprachen ganze bestimmten Naturerscheinungen, denen eine gewisse Gesetzmäßigkeit eigen ist. Nach einem solchen Kalender sagte der Ewenke statt Januar "wenn starker Frost herrscht", oder "wenn viele Schnee auf den Zweigen liegt (Februar); "wenn die Bärin Junge wirft" (März); "wenn die Vögel kommen" (Mai); "die Lärchen grünen" (Juni); "wen das Ren den Bast vom Geweih fegt" (August); "wenn sich die Rentiere in der Taiga nur schwer zusammentreiben lassen" ('September)... Diese großen Perioden wurden wiederum in kleinere unterteilt, die mit zu genauen Zeitpunkten stattfindenden Naturereignissen verknüpft sind. Wenn also ein Ewenke sagt: "Das war, als die Bremsen kamen", dann meint er damit etwa den 10. Juni; "als der Kuckuck da erste Mal rief" bedeutet den 20. Mai; der "Beginn der Elchbrunst" ist der 15. September.

"Der ungeschriebene ewenkische Kalender enthält eine Vielzahl interessanter, über Jahrhunderte hinweg geführter Beobachtungen bestimmter Naturerscheinungen. So seltsam es klingen mag, über manche dieser Daten hat man sich in wissenschaftlichen Kreisen lange herumgestritten."

Grigori Fedossejew(russischer Geodät) in: Im Banne des Dshugdyr, 1960

Religion: Der Begriff "schaman/chaman/saman" stammt aus dem Ewenkischen. Die Tungusen glaubten an die – guten und bösen – Kräfte der Geister, die in Bäumen und Felsen wohnten. Jeder Clan hatte außerdem seinen eigenen, meist sehr einflussreichen Schamanen. Dieser Schamane wurde bei allen Problemen, besonders aber bei Krankheitsfällen, um Rat gefragt. Um helfen zu können, musste er unter eindrucksvollen Zeremonien einen Trancezustand erreichen, in dem er, wie man glaubte, in Verbindung mit der allmächtigen Welt der Geister treten könne. Heute gibt es nur noch sehr wenige echte Schamanen: Die ewenkischen Schamanen sollen die stärksten sein. Im Zustand der Trance vermag ein ewenkischer Schamane bis in den Wipfel eines hohen Baumes zu klettern und sogar über Wasser zu gehen.

„Daß ein Mensch von Geistern `bewohnt´ ist und eine `Schamanenkarriere´ vor sich hat, tut sich als ersten in seiner Fähigkeit zur poetischen Improvisation kund: `Poesie ist Götterrede.´ Danach beginnen die Geister seine Wahrnehmung zu verrücken; er entwickelt ein Verhalten, das wir `inadäquat´ nennen würden, das sich bis zum offenkundigen Wahnsinn steigern kann. Schließlich erkennt er, daß es seine Bestimmung ist, Schamane zu werden. Er entfernt sich in den Wald und beginnt dort ein Einsiedlerleben zu führen. Hier löschen die Geister seine Erinnerungen an Vater und Mutter und sein Zuhause aus. Sein bisheriges Ich stirbt nach und nach, und es vollzieht sich in ihm die Geburt des Schamanen. (…) In dieser Phase seines `Stirb und Werde´ ist er schwerkrank und leidet furchtbare Qualen.“

Tatjana Kuschtschewskaja in: Meine sibirische Flickendecke, 2002

Die Bemühungen der christlichen russischen Missionare bei den Tungusen im 17. und 18. Jahrhundert hatten wenige Erfolg. Obwohl im Jahre 1862 etwa 9 480 Tungusen als Christen registriert waren, schienen die meisten von ihnen nur dem Namen nach bekehrt zu sein. Allerdings übernahmen sie bestimmte russisch-orthodoxe Elemente (Heirat, Taufe, Begräbnisformen) in ihre Kultur. Die meisten Tungusen jedoch standen zu stark unter dem Einfluss der Schamanen, um ihre traditionellen Glaubensvorstellungen aufzugeben.

"Früher dachten die alten Ewenken so: Ekseri (Gott) gab den Ewenken Rentiere, das diese ihnen Lasten ziehen, sie mit Fleisch versorgen, sie in Felle kleiden, und die Frau ließ man Kinder gebären, für den Mann nähen, das Essen kochen, die Herde hüten. Niemand brauchte ihr zu helfen. Für eine Frau bezahlte man damals einen hohen Kaufpreis. Der Mann verstand nur, auf die Jagd zu gehen..."

Grigori Fedossejew (russischer Geodät) in: Im Banne des Dshugdyr, 1960

Bei den Ewenken, die schamanistische Animisten sind, spielte der Bärenkult eine besonders große Rolle. Andere Teile der Ewenken wurden vom tibetischen Buddhismus mongolischer Prägung beeinflusst. – Unter der neuen sowjetischen Ordnung wurde der Schamanismus verboten, und die einst mächtigen Schamanen wurden entweder getötet, oder sie konnten nur noch insgeheim tätig sein. Ein Teil der Ewenken hat als Folge der sowjetischen Modernisierung die religiösen Traditionen aufgegeben.

"Die sibirischen Völker können nicht ohne Schamanen leben. Zum Pfarrer kann man ausgebildet werden, als Schamane wird man geboren."

Jacek Hugo-Bader (polnischer Buchautor) in: Ins eisige Herz Sibiriens, Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok, 2014

 

Ereignisse nach dem Zerfall der Sowjetunion, sofern sie nicht bereits oben aufgeführt sind: Mit der Sowjetunion brach Anfang der neunziger Jahre auch das lokale Wirtschaftsleben zusammen. Die Sowchosen wurden aufgelöst, mit der Privatwirtschaft waren die meisten überfordert. Die Transformationsperiode wird bis heute mit Hunger verbunden. Die Transporte vom „Festland“ blieben plötzlich aus. Die Rentiere verwilderten oder wurden zum Eigengebrauch zu Tausenden geschlachtet. Der Alkoholismus, ohnehin ein Übel, nagte an der Gesellschaft. Erst Anfang des neuen Jahrzehnts fing sich die Wirtschaft wieder. Das war weniger das Verdienst Wladimir Putins, der damals die Macht in Moskau übernahm, als jenes von Michail Chodorkowskis Erdölfirma „Yukos“. Seit Ende der neunziger Jahre war Ewenkien „Yukos“-Land, erst recht, als im Jahre 2001 mit Boris Solotarjow ein „Yukos“-Manager Gouverneur wurde. Er ließ an die tausend Rentiere aus dem Autonomen Gebiet der Jamal-Nenzen in Nordwestsibirien einfliegen, um den Verlust der einheimischen domestizierten Tiere zu kompensieren. In der fast ausschließlich von Ewenken bewohnten Siedlung Surinda entstand das der Gebietskörperschaft gehörende Unternehmen „Surindinskoje“, das sich der traditionellen Rentierwirtschaft widmet und Rentierzüchter beschäftigt. – Viele staatliche Rentier-Sowchosen wurden Anfang der 90er Jahre in Aktionärsgesellschaften umgewandelt. Seitdem ist die Zahl der Rentiere im Ewenken-Gebiet von 28 000 auf 4 500 gesunken. Die Aktionärsgesellschaften zeigen kein Interesse an einer langfristigen Entwicklung der Rentierwirtschaft, auch der Staat tut nichts, um das Sterben dieses Wirtschaftszweiges aufzuhalten. - Große Arbeitslosigkeit und soziale Probleme prägen seit den neunziger Jahren den Alltag der meisten Ewenken Russlands. Einige haben ein Auskommen in der sibirischen Öl- und Minenindustrie gefunden. Seit den 90er Jahren versucht eine nationale Organisation der Ewenken, die „Arun“ („Wiedergeburt), die traditionellen Lebens- und Wirtschaftsformen neu zu beleben. In Russland sind die Ewenken der Gruppe der indigenen Völker des russischen Nordens, Sibiriens und des russischen Fernen Ostens zugeordnet, die im Dachverband RAIPON - gegründet im März 1990, in Anwesenheit des damaligen Präsidenten Michail Gorbatschow. Erster Präsident der Vereinigung wurde der von der fernöstlichen Halbinsel Sachalin stammende Schriftsteller Wladimir Sangi, ein Niwche. Dieser wurde 1993 durch Jeremej Ajpin, einem weiteren Schriftsteller, diesmal aus dem westsibirischen Volk der Chanten, abgelöst.  Die Assoziation mit Sitz in Moskau vertritt die Interessen der etwa vierzig bis fünfzig indigenen Völker des russischen Nordens. Oberstes Gremium der Assoziation  ist der Koordinationsrat, dem Vertreter verschiedener Völker angehören. Vorsitzender ist seit 2013 Grigori Ledkov, aus dem Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen. Die Rolle RAIPONs als Vertretung der indigenen Völker Russlands ist zwiespältig. Einerseits ist diese Organisation die mit Abstand wichtigste Vertretung der Ethnien des Nordens und leistet als solche umfangreiche Arbeit, national wie international. Andererseits setzt die traditionelle Staats- und Regierungsnähe den Aktivitäten der Organisation enge Grenzen. RAIPON engagiert sich vor allem im Bereich der Gesetzgebung. Wichtigste Forderung ist die Umsetzung verbriefter Landrechte in Gestalt sogenannter Territorien zur traditionellen Naturnutzung. Mit dem Verband „Arun“ existiert im Autonomen Kreis der Ewenken  eine dezidierte ewenkische Selbstorganisation mit Sitz in Tura, die allerdings nur in dieser Region tätig ist. Im Frühling 2005 wandte sich Elena Kolessova, die Vorsitzende des Verbandes der indigenen Gruppen der Region Amur an die Dachorganisation RAIPON. Sie berichtete, wie die Rechte der indigenen Gruppen in ihrer Region von Waldarbeitern, Goldsuchern, Straßenbauern und der Verwaltung verletzt werden. "Im Jahre 2000 begann der Bau der Umnak-Elga-Straße, die direkt durch unser Land führt. Im Zuge dessen kamen Holzarbeiter, Wilderer und Goldsucher in unser Gebiet. 2002 wurde die Arbeit an der Straße unterbrochen, ein Holzhandelszentrum wurde aber mitten auf unserem Land aufgebaut. Genau dort, wohin sich die trächtigen Rentiere traditionell zurückzogen, um zu kalben. Holzhändler schossen auf die Tiere. Beim ersten Mal töteten sie acht Rene, beim zweiten Mal vierzehn. Als wir sie damit konfrontierten, sagten sie, sie hätten nicht erkennen können, dass es sich um zahme Rentiere handelte. Unsere Rene tragen Glocken um den Hals und Bänder, außerdem haben die Waldarbeiter keine Jagdlizenzen", berichtete Frau Kolessova. Nach der Konfrontation mit den Waldarbeitern hätten diese begonnen die Rentierzüchter, dessen Rene sie getötet hatten, zu verfolgen und zu drangsalieren. Sie hätten das so lange getrieben, bis Vadim, der Rentierzüchter, sich umbrachte, erklärt Kolessova weiter. Der Ehemann von Frau Kolessova starb an einem Herzinfarkt. Einen ersten Infarkt erlitt er, als die Wohnung der Familie von der Polizei durchsucht wurde, nachdem sich Frau Kolessova mit Briefen an die Behörden gewandt hatte. Der ältere Sohn der Familie brachte sich im Winter 2005 um und hinterlässt seine Frau und eine Tochter. Der jüngere Sohn wurde in einem unfairen Gerichtsverfahren zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Noch weitere der jungen Rentierzüchter brachten sich um, starben an Alkoholvergiftungen und Krankheiten. Auch Arkadij Ochlopov, Vorsitzender des Vereins "Aborigen" im Bezirk Selemdzhin in der Region Amur wandte sich in dringenden Appellen an die Öffentlichkeit. Er warf den Goldgräbern vor, die Weiden der Rentierzüchter in Wüsten zu verwandeln. Die betroffenen Ewenken haben so ihre Lebensgrundlage verloren. Sie sind so verzweifelt, dass sie mit kollektivem Selbstmord gedroht haben, sollten sie keine Unterstützung von Seiten der Behörden bekommen. Arkadij Ochlopov selbst sagte, er wolle sein Leben dafür opfern, dass den Ewenken geholfen wird. Der Dachverband indigener Völker RAIPON hat durch Briefe und Beschwerden versucht, die Betroffenen zu unterstützen. Der Erfolg blieb aus! - Das abgelegene, riesige Territorium soll nach dem Wunsch der Bezirksverwaltung touristisch besser erschlossen werden. Vor einem Jahr hat ein Team rund um den früheren Nowosibirsker Jugendfunktionär Iwan Iwanow im Auftrag der Verwaltung mit der Erarbeitung einer Tourismus-Strategie begonnen. Bisher waren Touristen völlig auf sich allein gestellt gewesen; eine Infrastruktur fehlte. Die unvergleichliche Natur – die Flüsse, Wälder und das landschaftlich einzigartige, geologisch eigentümliche Plateau Putorana im Norden des Bezirks – soll Abenteuersuchende aus aller Welt anlocken. Im Norden, am Wiwi-See, liegt der geografische Mittelpunkt Russlands. Im Süden, bei der Ortschaft Wanawara, findet sich die Stätte eines Mysteriums, das weit über Russland hinaus bekannt ist: 1908 soll hier ein Meteorit eingeschlagen haben. Geknickte, verkohlte Bäume und ein Krater zeugen noch immer von dem Phänomen, um das sich zahllose Hypothesen ranken – bis zur Bruchlandung eines Raumschiffs von Außerirdischen. - Bis 2020 soll an der Unteren Tunguska das Wasserkraftwerk Turuchansk gebaut werden. Es wird mit einer Leistung von 12 GW das größte Wasserkraftwerk in Russland sein. Die Baukosten werden auf knapp 12 Milliarden Dollar geschätzt. Der Strom soll über eine dreitausend Kilometer lange Leitung (Kosten: vier Milliarden Dollar) nach Zentralrussland, nach Tambow und Wolgograd geleitet werden. - Im Gebiet der Ewenken lagern die Ölvorräte des dritten Jahrtausends. Im Jahre 2030, wenn die Ölvorräte in Westsibirien zur Neige gehen, soll hier in großem Stil gefördert werden. Sobald die riesige unterirdische Ölblase im Ewenken-Gebiet endgültig vermessen ist, wollen internationale Ölkonzerne eine Öl-Pipeline nach China bauen.

Kontakte zur Bundesrepublik Deutschland: Im Rahmen einer Delegationsreise befand sich eine fünfzehnköpfige  Unternehmergruppe vom 17. bis 20. Mai 2009 zu einem „Antritts- und Erkundungsbesuch“ in der Stadt Krasnojarsk. Unter der Leitung von Andreas Neumann, Regierungsdirektor Russland, Ukraine, Belarus, Zentralasien und Kaukasus im Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, wurde die Delegation vom regionalen Minister für wirtschaftliche Entwicklung, Alexandr Iwanow, empfangen. Programmpunkte waren eine Koope-rationsbörse mit ortsansässigen sibirischen Firmen und Unternehmensbesuche. Krasnojarsk hat mit seinen reichen Ressourcen viel zu bieten. Ein Großteil der genannten Wirtschaftsleistung entsteht in der Förderung und Verarbeitung der zahlreichen Bodenschätze. In der Region befinden sich 95 Prozent der russischen Nickelvorkommen und Platinverbindungen und 20 Prozent der russischen Goldvorräte. Darüber hinaus befindet sich mit 42 Prozent der russischen Bleireserven eine der größten Lagerstätten dieses Schwermetalls in Krasnojarsk. Ebenso wichtig sind die Holzverarbeitung und Energiewirtschaft. Nachdem die Transsib Krasnojarsk im vergangenen Jahrhundert zu einem Logistikdrehkreuz machte, trägt heute die Lufthansa Cargo dazu bei, dass Krasnojarsk eine bedeutende Rolle als Transport- und Logistikdrehkreuz in der Russischen Föderation spielt. Zum 1. Juni 2009 wechselte die Lufthansa nach Angaben der hiesigen Administration auf den Krasnojarsker Flughafen. Ab 4. Juni  werden wöchentlich 26 Maschinen auf dem Weg von Europa nach Asien in Kransnojarsk abgefertigt. Damit sind dann auch enorme Infrastrukturprojekte für andere Branchen geboten. Straßen müssen gebaut, Kommunikationsnetze errichtet bzw. erweitert werden. Gerade auch in diesem Bereich seien die Erfahrungen und das Know-how deutscher Unternehmer gefragt. -

Bei über vierzig Völkern habe ich begeistert darüber geschrieben, dass sie unter der Sowjetmacht, meist von russischen Wissenschaftlern, eine Schriftsprache erhielten. Da es natürlich nicht in jeder Siedlung und an jedem Nomaden-Lagerplatz eine Schule geben konnte, war ich auch davon entzückt, dass den Dorf- und Nomaden-Kindern die Möglichkeit gegeben wurde, in schön eingerichteten Internaten zu lernen. Erst bei meiner Reise nach Kalmykien wurde ich darauf aufmerksam, dass sich die Kinder durch ihren jahrelangen Aufenthalt in diesen Internaten ihrer bis dahin gewohnten Umwelt entfremden und verlernen, sich durch ihre traditionelle Ernährung und Kleidung den klimatischen Unbilden anzupassen, schlimmer noch, dass sie verlernen, wie man die traditionellen Nahrungsmittel (durch Rentierzucht, Jagd, Fischen...) selbst heranschafft bzw. wie man die kältebedingte Kleidung selbst herstellt. Was tun?

Und da nun hat sich ausgerechnet in Deutschland ein Verein gegründet, der helfen will. Warum, fragt dieser Verein - der sich pro Sibiria e. V. nennt - sollen die Kinder von Nomaden entweder auf ihre Familie oder auf Schulbildung verzichten?

 

„In Russland ist es üblich, dass die Kinder von Rentier-Nomaden wie den Nenzen, Chanten oder Ewenken den größten Teil des Jahres in Internaten, fernab von ihrer gewohnten Umgebung, aufwachsen. Ein Unterricht in sehr kleinen Dörfern oder gar während der Wanderschaft mit den Tieren ist im russischen Schulsystem nicht vorgesehen. Auch wenn die Kinder die langen Sommerferien meist bei den Eltern verbringen, sind die Folgen für die Schüler und ihre Eltern unübersehbar: Entfremdung zwischen Kind und Eltern, Verlust der eigenen kulturellen Identität, mangelnde Kenntnisse über das Leben in Tundra und Taiga. - Im Februar 2006 hat der französisch-ewenkische Verein SEKALAN mit der Unterstützung von pro Sibiria e.V. daher ein Pilotprojekt gestartet. Im Amur-Oblast leben rund 10 Prozent der etwa 30 000 Ewenken. Im Nord-Osten des Oblast [= Gebiet, Bezeichnung für einen größeren Verwaltungsbezirk] liegt das Dorf Ust-Njukzha der Ewenken. Von hier brechen die Nomaden im Frühjahr zu ihren Wanderungen mit den Rentieren auf, damit diese gutes Weideland an den Ausläufern des Stanowoigebirges finden.

Ziel des Projektes ist es, rund fünfundzwanzig ewenkische Schüler durch erfahrene Lehrer zu unterrichten, während sie mit ihren Familien den Rentieren folgen. Drei Lehrerinnen und ein Lehrer vermitteln den Kindern je nach Altersstufe nicht nur das Wissen der russischen Standardlehrpläne und Basiswissen im Umgang mit Computern. Sie unterrichten die Kinder auch in Ewenkisch, Englisch und versuchen, ihnen einen Einblick in das Leben in anderen Regionen der Welt zu vermitteln. Begleitet werden die Lehrer von ein bis zwei Führern, die selbst Ewenken sind. Sie kümmern sich nicht nur um die praktischen Details (Schlitten beladen, Zelte aufbauen, kochen, Hilfe bei der Betreuung der Rentiere usw.), zudem sollen sie ihr Wissen über die ewenkischen Traditionen und Kultur sowie das Wissen um die Vorgänge in der Natur weitergeben. Ein gewünschter Nebeneffekt des Unterrichts in den Zelten der 7 bis 10 Camps ist es, dass auch die Eltern sich mit dem Schulstoff auseinandersetzen, neue Kenntnisse erwerben und ihr traditionelles Wissen mit den Lehrern und Führern austauschen.

Das Projekt ist zunächst auf vier Jahre angelegt und wird von dem Direktor der örtlichen Dorfschule und der lokalen Schulbehörde dahin gehend unterstützt, dass das Bildungsprojekt offiziell anerkannt wird und die Lehrer und Führer über die Behörde sozialversichert werden, sowie eine minimal Ausstattung des Projektes garantiert wird. Dennoch sind die Löhne für das Projektpersonal sehr niedrig. Sie liegen selbst noch unter den Standardlöhnen für russische Lehrer. Da es aber wichtig war, Lehrer zu finden, die einerseits erfahren und anderseits selbst Ewenken sind bzw. das nomadische Leben mit Rentieren gewohnt sind, fördern SEKALAN und pro Sibiria e.V. vor allem die Finanzierung der Stellen. In einem zweiten Schritt wird nun nach weiteren Unterstützer gesucht, da nicht zu erwarten ist, dass die lokale Schulbehörde genug Mittel für den laufenden Betrieb und eine angemessene Bezahlung der Lehrer zur Verfügung stellen kann.

Außerdem soll den Kindern und ihren Eltern auch das Internet erschlossen werden. Dies wird auch in Sibirien immer notwendiger, damit den Ewenken nicht die Möglichkeiten der Vernetzung und das Lernen über das weltweite Kommunikationsnetz versagt bleibt. (…) Auch wenn der Zugang zum Internet vom Zelt in der sibirischen Taiga noch ein Traum ist, benötigt das Projekt weiterhin Unterstützung, damit zumindest die Löhne der Lehrer und Führer bis zum Ende der Pilotphase gezahlt werden können. Sofern das Projekt dann auch von den lokalen Schulbehörden als erfolgreich anerkannt wird, sollte einer stärkeren Förderung durch staatliche Stellen nichts mehr im Wege stehen.“

 

Gehen Sie zu pro Sibiria e. V. ins Internet, engagieren Sie sich!!!

 

 

Interessant, zu wissen..., dass eines der geheimnisvollsten Rätsel der Welt seinen Ursprung in Sibirien und zwar mitten in der von Ewenken bewohnten Taiga hat.

 

Die Tunguska, ein Gebiet in Sibirien, wurde am 30. Juni 1908 um 07.17 Uhr Ortszeit unsanft geweckt. Ein Knall, der Hunderte von Kilometern entfernt zu hören war, erschütterte die Gegend um den Fluss Steinige Tunguska. Die durch eine Explosion freigesetzte Kraft, die etwa zweitausend Hiroshimabomben entsprach, hatte verheerende Auswirkungen. Auf einer riesigen Fläche, wurden Bäume niedergemäht und in seltsamen Winkeln umgeknickt. Im Epizentrum der Explosion wütete ein gewaltiger Waldbrand. Menschen und Tiere verendeten in einem einzigen Augenblick. Noch in hundert Kilometern Entfernung wurden Menschen zu Boden gerissen, Fenster zerschlagen und Holzhütten weggeblasen. Der aufsteigende Staub verdunkelte noch monatelang die Sonne. Erdbebenwellen rasten mit einem Tempo von fünfhundertzehn Metern in der Sekunde um die Welt. Überall auf der Erde gerieten die Kompassnadeln durcheinander. Viele Morgen Dauerfrostboden verwandelten sich sekundenschnell in Wasserdampf. In jener Nacht wurde es in Europa nicht dunkel. Wie viele Menschenleben die Tunguska-Katastrophe gekostet hat, ist nicht bekannt, da es in Russland noch keine Einwohnermeldeämter gab und die nomadisierenden Ewenken dieses entlegenen sibirischen Gebietes damals auch nicht gezählt werden konnten. Eine Zeugenaussage: "Ich saß vor meiner Haustüre und blickte nach Norden, als plötzlich im Nordwesten ein gewaltiger Blitz aufleuchtete. Es entstand so große Hitze, dass ... mein Hemd am Rücken fast versengt wurde. Ich sah eine riesige Feuerkugel, die einen großen Teil des Himmels bedeckte... Danach wurde es dunkel, und gleichzeitig spürte ich eine Explosion, die mich von meinem Hocker schleuderte. Ich verlor das Bewusstsein..." Dies berichtete ein Bauer, welcher in einer Entfernung von 60 Kilometern die Explosion an der steinigen Tunguska miterlebte. (Aus: John Baxter/Thomas Atkins, "Wie eine zweite Sonne") Zunächst wurde es dunkel, doch dann waren quer durch Europa drei Nächte so hell, dass man im Freien Zeitung lesen konnte, sogar in London. In siebenhundert Kilometern Entfernung entkamen die Passagiere der Transsibirischen Eisenbahn nur knapp dem Tod, denn kurz nachdem sie das glühende Objekt gesichtet hatten, brachte ein Erdbeben die Gleiskörper zum Schwanken. Eine weitere Zeugenaussage: „Vor langer, langer Zeit, als ich kaum vier Jahre alt war, wurde unser Dorf von Entsetzen gepackt: die Erde brannte! Unsere ganze Familie lag im Gemüsegarten auf den Knien, alle schluchzten, und meine Großmutter Arina jammerte: `Das Jüngste Gericht! Herr, vergib uns und sei uns gnädig!´ - Das jüngste Gericht fand nicht statt. Die Jahre vergingen. Die brennende Erde wurde mit der Zeit vergessen. Genau zwanzig Jahre später las ich in einer sibirischen Kreiszeitung über das Tungusische Wunder. Damals habe ich zum ersten Mal erfahren, was das für ein Ereignis war, vor dem mein Heimatdorf so gezittert hatte." (Aus: Sawwa Koshewnikow, „Mein Sibirien“) Die Folgen der Tunguska-Katastrophe sind genauso vielfältig wie die Theorien darüber. Über hundert kontroverse Hypothesen wurden im Laufe der Zeit aufgestellt, von denen jedoch keine Hypothese alle merkwürdigen Begleitumstände erklären kann. Lange Zeit kümmerte sich kein Forscher um das, was 1908 passiert war. Das lag zum Teil am Ausbruch des ersten Weltkrieges 1914 und zum Teil an der folgenden Revolution 1917, die das Zarenregime beendete. Erst 1927 gelangte der russische Mineraloge Leonid A. Kulik aus Petrograd (heute St. Petersburg), den vor allem Meteoriten interessierten, als erster unter erheblichen Schwierigkeiten an den abgelegenen Unglücksort. Auch nach neunzehn Jahren war das ganze Ausmaß der Zerstörung noch sichtbar. In weitem Umkreis waren die Bäume niedergemäht, von einer unwiderstehlichen Kraft umgelegt und zwar sternförmig nach allen Richtungen, ausgehend vom Epizentrum…. - Der russische Geophysiker A. W. Solotow war, was die Tunguska-Katastrophe anbelangt, ein Vertreter der UFO-These, bis er 1995 auf der Straße überfallen und umgebracht wurde… Die Zeitung `Krasnovarets´ vom 13. Juli 1908 schreibt: "Augenzeugen berichten, dass vor den ersten Schlägen ein himmlischer Körper von feurigem Aussehen den Himmel durchschnitt. Weder seine Größe noch seine Form konnten, wegen der Geschwindigkeit und seines unerwarteten Auftauchens festgestellt werden. Doch sahen viele Leute in verschiedenen Dörfern mit Bestimmtheit, dass, als das fliegende Objekt den Boden berührte, eine riesige Flamme hochschoss und den Himmel in zwei Teile schnitt. Schläge wurden gehört, sobald die Flammenzunge verschwand." – Eine andere Vermutung geht davon aus, dass ein kosmischer Körper mit einer Nuklearrakete abgeschossen wurde, bevor er großen Schaden an Menschenleben anrichten konnte. Das würde allerdings voraussetzen, dass es 1908 bereits eine Macht auf Erden gab, die über Cruise Missiles (militärische Marschflugkörper) verfügte. Denkbar wäre auch, dass ein fremdes außerirdisches Raumschiff abgeschossen wurde. Doch wer sollte 1908 über diese technischen Möglichkeiten verfügt haben? Gibt es eine zweite Rasse von hochentwickelten Wesen auf der Erde, die im Verborgenen lebt? In mythischen Reichen wie Agartha [Stadt des Sonnengotts] zum Beispiel? - Oder fiel die Atomrakete, die in den siebziger Jahren spurlos verschwand, durch ein Zeitloch und explodierte 1908? Wenn es wirklich ein außerirdisches Raumschiff war, das auf der Erde verunglückte, von wo mag es gekommen sein? In unmittelbarer Erdnähe soll es Objekte geben, deren Herkunft nicht bekannt ist. Als die ersten Satelliten der Amerikaner und Russen in den Orbit geschossen wurden, stellte man fest, dass es einen Körper zu viel dort oben gab. Keine der Nationen gab je zu, dass er ihnen gehörte. - Laut Aussagen russischer Wissenschaftler existieren sogar Bruchstücke eines Objektes im Raum um unseren Planeten, das ein Jahr vor Juri Gagarins historischer Erdumrundung explodierte. - Wurden hier Beweise gesprengt, ehe sie unter die Lupe genommen werden konnten? – Der seltsame Fund zweier EWENKEN scheint die Raumschiff-Theorie zu untermauern. Die beiden Männer entdeckten 1976 ein Artefakt unterhalb der Flugbahn des Objektes im Bereich des Flusses Waschka. Es handelte sich um ein metallisches Gebilde, das bei der Bergung Funken sprühte, als es gegen einen Felsen schlug. Die beiden Ewenken schickten es nach Moskau, da sie sich absolut nicht vorstellen konnten, was sie da gefunden hatten. Es wurde in drei Teile zersägt und von verschiedenen Instituten untersucht. Dieses Ding schien unserer geläufigen irdischen Technologie fremd zu sein. Wenn es ein Raumschiff war, was suchte es dann in dieser abgelegenen Gegend? Vielleicht Frischwasser? Eine der drei möglichen Flugbahnen berührt den Baikalsee, der ein Fünftel der gesamten Süßwassermenge der Erde enthält. (…) Um den Baikalsee und seine Inseln ranken sich zahlreiche Legenden. Sogar Atlantis wurde hier schon vermutet. - Auch in der Neuzeit kann man (angeblich?) UFO-Beobachtungen vermehrt über Gewässern und geschichtlich interessanten Orten feststellen. - Oder wie wäre es mit dieser Variante? Die Dzopa sind ein kleinwüchsiges Volk, das im chinesischen Gebirge Baya Kara Ula beheimatet ist. Es behauptet, Nachfahren einer außerirdischen Rasse zu sein, die auf der Erde Schiffbruch erlitt. Außerdem behaupten sie, dass 1908 ein Schiff ihrer Rasse sie abholen und mit in die Heimat nehmen sollte, leider verunglückte dieses Transportmittel und zwar über der Tunguska, und die bereits brennenden Freudenfeuer mussten wieder gelöscht werden. – Fest steht nur, dass wir noch längst nicht alles über uns und über den Kosmos wissen…

Als ich 1971 im Auftrag der Illustrierten FREIE WELT nach Sibirien reiste, um über die Burjaten zu berichten, begegnete ich auch einigen Ewenken. Ein sehr alter Ewenke sagte mir, dass 1908 "ein großes Stück Sonne abgerissen und auf die Erde gefallen sei"… Ein anderer Ewenke erzählte, dass es 1908 schlimme Stammesfehden gegeben habe. "Deshalb hat der berühmte Schamane Makedonma eine Schar von Agdy-Vögeln beschworen und zum Gebiet des Stammes der Tschamdalen gesandt. Auf Grund der vielen Agdy sind Risse in der Erde entstanden… Kein Ewenke darf mehr das Gebiet betreten, da seitdem hier die Agdys herrschen." Agdy bedeutet im Ewenkischen „Donner“.

 

 

 Alle Ewenken zieht´s zum heimischen Lagerplatz.

Sprichwort der Ewenken

 

Die EWENKEN: Für Liebhaber kurzer Texte

Die Vorfahren der Ewenken (früher: Tungusen) kamen ursprünglich aus dem Transbaikalgebiet und der Mandschurei. Sie sind mit annährend dreißigtausend Angehörigen das zahlenmäßig größte und dam am weitesten verbreitete Taiga- und Tundravolk Nord- und Ostsibiriens. In Gruppen verstreut, besiedeln sie ein riesiges Gebiet, das sich vom Jenissej bis zum Pazifischen Ozean, und vom nördlichern Eismeer bis zum Baikalsee erstreckt. Die meisten Ewenken leben nördlich und südlich des Polarkreises, in der Zone des ewigen Frostbodens. Etwa viertausend Ewenken sind im nördlichen China zu Hause. Die südlichen Ewenken sind seit eh und je Pferde- und Hundezüchter, die vermutlich schon vor zweitausend Jahren Taiga und Tundra besiedelnden nördlichen Ewenken dagegen Jäger und Rentierzüchter; in ihren Sprichwörtern spiegeln sich all diese Wirtschaftszweige wider. Erst mit der Aufnahme der Rentierzucht konnte der Mensch zu Beherrscher der Tundra werden. Nachgewiesen ist, dass die Tschuktschen auf der Tschuktschenhalbinsel und die Korjaken auf Kamtschatka die Rentierzucht von den Tungusen übernahmen. Die Rentierzucht und die Erfindung des Gleitschneeschuhs waren auch die Voraussetzungen für die so weite Ausbreitung der tungusischen Stämme. Die Ewenken (das heißt "Menschen") hatten ihre gesamte Ausrüstung auf große Beweglichkeit eingerichtet: Als Behausung diente der Tschum, ein konisches Stangenzelt mit Birkenrinden- oder Rentierfellbedeckung; die leichte, kniefreie Oberbekleidung war besonders gut geeignet für den Lauf auf Schneeschuhen, die, vorn aufgebogen und mit Fell überzogen, den vollkommensten Typ in Sibirien darstellten. Noch heute sind die Kleidung der Ewenken und viele Gebrauchgegenstände fast ausschließlich aus Rentierfellen gefertigt, die oft mit kunstvoll gestickten Glasperlenornamenten verziert sind. Die Schneeschuhe und leichte Schlitten (Narten) sind im Winter auch heute noch unentbehrliche Transportmittel. - Das aus mehreren Dialekten bestehende Ewenkische gehört zu den mandschu-tungusischen Sprachen der uralisch-altaiischen Sprachfamilie. Die Ewenken waren (sind) schamanische Animisten, ein geringer Teil zählt sich zu den orthodoxen Christen.

Diesen bisher unveröffentlichten Text habe ich geschrieben, als ich für das

Bibliographische Institut in Leipzig von 1986 bis 1991 ein Sprichwörterbuch

von fünfzig Völkern der (ehemaligen) Sowjetunion erarbeitete,

das wegen des Zerfalls der Sowjetunion nicht mehr erschienen ist.

Als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT – die als Russistin ihre Diplomarbeit über russische Sprichwörter geschrieben hat - habe ich auf allen meinen Reportagereisen in die Sowjetunion jahrzehntelang auch Sprichwörter der dort ansässigen Völker gesammelt - von den Völkern selbst,  von einschlägigen Wissenschaftlern und Ethnographen, aus Büchern ... - bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Moskau saß ich Tag für Tag in der Leninbibliothek. So ist von mir erschienen: 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Ich bin, wie man sieht, gut damit gefahren, es mit diesem turkmenischen Sprichwort zu halten: Hast du Verstand, folge ihm; hast du keinen, gibt`s ja noch die Sprichwörter.

Hier fünfzig ewenkische SprichwörteR:

(Bisher Unveröffentlicht)

 

Im Alter flieht der Schlaf so, wie die Vogeleltern ihre flüggen Jungen verlassen.

Die Arbeit fürchtet den Schaffenden.

Der Arbeitsame hackt des Abend Holz, der Faule – des Morgens.

Einen morgen Baum halten seine Wurzeln, einen alten Mann seine Erinnerungen.

Der eine fällt den Baum, der andere sammelt die Eichhörnchen ein.

Gedenkst du zu gehen, lass Brennholz zurück.

Sei eilig, aber nicht voreilig.

Nur den Einsamen macht unser Winter frieren.

Erfolg ist kein Vogel, kommt nicht angeflattert.

Lange gejagt, schnell aufgegessen.

Fett gibt Kraft, aber ohne Wasser lebt sich´s auch nicht.

Ist der Fischer wacker, ist die Karausche lecker.

Ist das Fleisch weit, schmeckt sogar ein naher Knochen.

Ohne Fleisch wäre die Taiga eintönig.

Eine Frau ist im Alter am standhaftestes, das Eis – im Winter.

Freundschaft verdoppelt Mannesmut.

Wer die Gewissheit hat, dass der Sohn auf dem Weg des Vaters geht, braucht keine Angst zu haben, dass sein eigener Weg endet.

Der Glück kommt nur zu dem, der ihm entgegengeht.

Ein gutes Handwerk ruft nach geschickten Händen.

Tust du Hecht und Stör zusammen, stirbt ein Kind.

So listig der Hecht auch ist, er greift den Kaulbarsch nie von hinten an.

Wozu lassen sich Hirsche Geweihe wachsen, wo sie doch wieder abfallen?

Ein Holzscheit allein geht am Lagerfeuer zugrunde.

Ein Hund erstickt nicht am Knochen, ein Ewenke verirrt sich nicht in der Taiga.

Einen gebrochenen Jagdbogen kleben, heißt, bei der Jagd sein blaues Wunder erleben.

Der Jäger hat zwei Freunde: Das Ren und den Hund.

Vor einem guten Jäger nimmt kein Wild reißaus.

Der Jäger braucht das Ren wie der Auerhahn seine Flügel.

Dem erfolgtrunkenen Jäger dünkt die schwere Jagdtasche wie eine Daunenfeder.

Jahre plagen den Menschen, die Mauser den Vogel.

Die Jugend ist wie Gewitterregen, rauscht allzu schnell vorbei.

Die Krickente steigt auf, wo es ihr passt; der Richter richtet wie es ihm gefällt.

Krummholz ist nicht gerade zu biegen.

Das Leben währt nur einen solchen Augenblick wie sich die Krähe auf einem Pfahl ausruht.

Wer im Leben ohne fremde Hilfe auskommen muss, den flieht das Alter.

Nur was du am eigenen Leibe erfahren, wirst du für immer bewahren.

Ein schönes Mädchen ist wie ein frisch gefrorener Fisch.

Einen guten Mann läuft der Hund nicht davon.

Nein ist fester als Eisen.

Geht´s im Nomadenlager einmütig, hält sich die Not zurück.

Das Nordlicht funkelt schön, aber es wärmt nicht.

Eine fremde Parka spendet keine Wärme, ein fremder Tschum* ist keine Wohnstatt.

Ein guter Patron ist zuverlässiger als eine schlechte Patrone.

Guter Rat hält selbst den Lauf des Flusses auf.

Ein Ren erkennt man am Gespann, den Menschen an seinen Taten.

Fürchte die Schande mehr als den Frost.

Wahrer Schmerz kennt keine Tränen.

Einen Schwätzer fürchte wie das Ren den Wolf.   

 

 * Tschum = konisches Zelt, bedeckt mit Rentierfell.

 

 Gesammelt, aus dem Russischen übersetzt und in Sprichwortform gebracht von Gisela Reller

 

 

ZitatE: „Die Tungusen waren auch bekannt für ihre gute Laune, ihre Schlagfertigkeit und den reichen Schatz an Volksüberlieferungen und Sagen. Auch die Zuneigung, die Männer und Frauen ihren Kindern entgegenbrachten, sowie die großzügige Haltung der Männer ihren Frauen gegenüber wurden immer wieder hervorgehoben. Außerdem genossen die Tungusen den Ruf, sich bei bewaffneten Auseinandersetzungen großmütig zu verhalten. Wenn sie siegreich blieben, ließen sie das Eigentum ihrer Gegner unangetastet und fügten ihnen auch sonst keinen Schaden zu. Alte Männer, Frauen und Kinder der Besiegten wurden frei gelassen.“

Lexikon (?), Wiesbaden 1978

*

"Lange lässt sich die Kosmische Harmonie niemals stören. Eines Tages war es so weit: Ein Splitterchen von einer der durch uns erschaffenen Weihnachtsbaumkugeln fiel auf die Erde nieder. Das war einer der größten Meteoriten, den die Welt gesehen hat. Es geschah im Jahre 1908 in Sibirien, nahe einem Fluss mit Namen Podkamennaja Tunguska. Darum sprach man alsbald vom Tunguska-Meteoriten. Im Jahre 1927 rüsteten sich einige Verstandesmenschen zu einer Expedition in dieses Gebiet. Sie erreichten den Ort, fanden einen verwüsteten Wald vor, doch den Meteoriten fanden sie nicht."

Vladimir Sorokin (russischer Schriftsteller, geboren 1955) in: Ljod. Das Eis, 2003

*

"Die Taiga ist für einen schwachen Menschen schlimmer als ein wildes Tier. Sie führt ihn irre, ins Dickicht, reißt ihm die Kleider vom Leibe, die Schuhe von den Füßen, enthält ihm das Feuer vor, führt ihn an der Nase herum, schickt ihn bald hierhin, bald dorthin."

Ulukitkan, ein vierundachtzigjähriger Ewenke

*

"Und dann dieser Hass zwischen Russen und Ewenken. (...) Vielleicht ist es wegen der Armut? Wegen der Hoffnungslosigkeit, Gesetzlosigkeit, Arbeitslosigkeit. Bei uns können sich die Jugendlichen nicht einmal arbeitslos melden, weil man in die Stadt gehen, jeden Morgen dort erscheinen muss, und das ist eine lange Reise, die zwei Tage dauert."

Jacek Hugo-Bader (polnischer Buchautor) in: Ins eisige Herz Sibiriens. Eine Reise von Moskau nach Wladiwostok, 2014

 

 

 

 

Wer sich - wie ich – für die Völker der ehemaligen Sowjetunion interessiert, hält mit dem Buch  "Der große Argisch" von Michail Oscharow ein ethnographisches Kleinod über die Ewenken in Händen.

 

Der große Argisch [ein Argisch ist eine Schlittenkarawane. Und „im Argisch fahren“ heißt ganz allgemein „mit Rentiergespannen fahren“] ist eine ewenkische Romeo- und Julia-Geschichte, in der der Romeo Mikpantscha und die Julia Schiktolok heißt.

Am Beginn der dramatischen Geschichte schildert uns der Autor Michail Oscharow, wie die Erde trockengelegt wurde, denn sie bestand nur aus Wasser „und wie die nach Harz duftende Taiga, aufgelockert durch Gräser, umhüllt von Moos, gewachsen ist; darüber, wie sie sich mit Flüssen umgab, wie sie sich durch die Täler blau färbte und wie die Nebel dampften“.

Zu verdanken ist die Trockenlegung der Erde dem mächtigen Mammut Seli und der riesigen Schlange Tschjabdar. Noch heute danken die Ewenken in einem Lied dem tapferen Mammut und der mutigen Schlange. „Nach diesem Lied zerstreute sich das Volk der Ewenken wie Laub, das vom Herbstwind heruntergerissen wird, über die ganze endlose Taiga, schlug überall seine Lager auf und entzündete um die Nomadenzelte seine Rauchfeuer.“

Am Fluss Kimtschu, der reich an allerlei Fischen ist, standen die Tschums eines an Rentieren reichen Ewenken mit Namen Moloschko aus dem alten berühmten Geschlecht der Kurkogiren. Alle Kurkogiren vom Geringsten bis zum Größten galten als tapfere Krieger. Aber nicht nur wegen ihrer Krieger waren die Kurkogiren berühmt. „Unter ihnen gab es auch große Erzähler und mächtige Schamanen, die unerhörte Wunder vollbrachten. Mit einem einzigen Wink der Hand ließen sie das über dem Feuer brodelnde Wasser erkalten, holten mit bloßen Händen glühende Kohlen aus dem Feuer und schluckten sie, ohne sich zu verbrennen; bei ruhigem Winterwetter ließen sie mit einem einzigen Atemzug den Schnee von uralten Bäumen herabrieseln. Die Schamanen der Kurkogiren konnten böse Geister in die Taiga schicken und über die Nachbarstämme Seuchen bringen. Sie hielten die näheren und ferneren Flüsse, Seen und Wälder in ständiger Furcht.

Und die Erzähler der Kurkogiren: "Hielten Sie etwa nicht den Ruhm ihres Geschlechts hoch? Hoben sie etwa nicht zu ihren schönen Reden über die kriegerischen Heldentaten ihrer jungen Männer an? Erschütterten sie etwa nicht die feindlichen Nomadenlager mit fürchterlichen Kriegsgesängen? Wer hörte nicht die `Legenden über die Chatanga´? Wenn sie sie hörten, versanken die Alten in Nachdenken und die Mädchen der Nachbarstämme liefen zu den Burschen der Kurkogiren, um sie zu heiraten, und diese zahlten den beleidigten Vätern nur geringes Brautgeld."

So legten sich in der endlosen ewenkischen Taiga die inneren Unruhen für immer und es traten Tage der Ruhe und des Friedens ein. (…)

In diesen friedlichen Jahren lebte auch Moloschko, der Herr des Kimtschu und seiner Zuflüsse, bekannt in allen tschunischen Nomadenlagern. Von der vergangenen Größe seines Geschlechtes wusste Moloschko nur aus den Erzählungen der Alten. Dennoch lebte er – wie seine Väter und Urväter – nach ihren Gesetzen.“

Moloschko, so reich, dass er längst nicht mehr wusste, wie viele Rentiere er besaß, hatte zwei Frauen, aber keine gebar ihm die gewünschten Kinder. Da beschloss er, zwei Mädchen von einem Nachbarstamm zu kaufen – für jede Frau eines. Jungen zu kaufen, selbst von den allerärmsten Eltern und um einen beliebigen Preis, erlaubten die Bräuche des Volkes nicht. Eines Tages brachte Moloschko eine dritte Frau ins Zelt: Tschikuljok. „Im ersten Jahr antwortete Tschukuljok auf die Zärtlichkeiten ihres Mannes mit dem Sohn Amurtscha, dann mit der Tochter Toktema und dem zweiten Sohn Mikpantscha, und im fünften Frühling ihrer Ehe gebar sie die letzte Tochter- Tschiroktschana.“ (…)

„Es schien, als würde Moloschkos Glückseligkeit niemals versiegen, wie auch das Wasser der Moore nicht versiegt, obwohl es die Flüsse speist. Aber die Jahre vergingen und unaufhaltsam mit ihnen auch das Leben. Neben dem Grab des Vaters und den Gräbern der Ahnen zeigten sich nun auch die Gräber der ersten beiden Frauen. Die Zeit bereitete auch Moloschko selbst sorgfältig einen Ruheplatz. Sie blickte in seine Augen, ließ deren Glanz erlöschen, hauchte auf seinen Kopf und bedeckte ihn wie eine bewaldete Bergkuppe mit Schnee: Sie berührte sein aufgedunsenes Gesicht, drückte seine Wangen und legte sie in Falten, wovon Moloschkos Gesicht einem alten, verzogenen Tamburin gleich.“

Ich erinnere mich nicht, schon einmal eine ähnlich berührend-schöne Schilderung des Altwerdens gelesen zu haben…

Der große Argisch erzählt von Moloschko und seinen fünf Kindern, wie sie heranwachsen und ihre Lebenspartner finden. Die Tochter Toktema zum Beispiel verliebt sich in Tschabun mit dem Spitznamen Bogydja, was „Liebeskind“ bedeutet – ein Mensch, der seinen Vater nicht kennt. Mikpantscha mit seinem großen Herzen sorgt dafür, dass die geliebte Schwester Toktema zu dem armen Tschabun und seiner alten Mutter – „auf deren Gesicht längst schon die Farben der Gesundheit und Jugend verblasst waren“ – ins Zelt ziehen darf, obwohl Tschabun den Tori [den Brautpreis] nicht zahlen kann. „Das Glück seiner Schwester war für ihn ein Stück des eigenen Glücks.“

Amurtscha, der älteste Sohn Moloschkos – der „böse ist wie ein in einer Falle eingeklemmter Wolf“ – ist ein feiger Tunichtgut, erhält aber als Ältester für einen hohen Brautpreis Schiktolok zur Frau, obwohl diese Mikpantscha, den Zweitältesten, liebt.

Ein mutiger Bursche sagt dann auch zu Amurtscha: „Du bist vor ihm [Mikpantscha] der Geburt nach, aber nach ihm an Verstand.“ Und an Mut! Als sich herausstellt, dass es Wölfe auf die Rentiere der Herde abgesehen haben, bleibt Amurtscha feige zu Hause, und nur Mikpantscha stellt sich dem Zweikampf mit den Wölfen.

Man erfährt aus dem Buch vom Autor Oscharow, das die Ewenken als ihr Nationalepos verehren, viel über die Sitten und Bräuche der Ewenken:

* Nach einer alten Sage hatte ein Hund einmal einen guten Geist betrogen, verführt durch ein Stück Fleisch, das ihm der böse Geist Kingit zugeworfen hatte, weshalb Amaka [der allmächtige Gott] den Menschen geboten hatte, die Hunde nicht zu füttern.

* Dem Ältesten – ob Vater oder Bruder - hat sich die ganze Familie unterzuordnen; ein Unding, die Hand gegen den Vater zu erheben.

* Eine Frau war verpflichtet, allen Männern der Familie zu dienen. [Schiktolok „saß schweigend da, die Hände ruhten auf den Knien, und wartete auf etwas. Kein einziger Muskel störte ihre scheinbare Ruhe. Sie liebte Mikpantscha, doch die über Jahrhunderte anerzogene sklavisch ergebene Unterwürfigkeit, sei es gegenüber dem Vater oder dem Mann, erlaubte es ihr nicht, dem Ruf ihres Herzens zu folgen.“]

* Für weniger als zwanzig Rentiere als Brautpreis [Tori] war nicht einmal das ärmste Mädchen zu bekommen.

* Näher zum Frühling hin, wenn das Tauwetter beginnt und sich der Schnee oben mit einer dünnen Eisschicht überzieht und das Skifahren leichter wird, eilen Boten von Zelt zu Zelt und rufen die Männer zum „Großen Rat“, dem Munnjak, um einen Schulinga [Anführer] zu wählen. Der Munnjak hält Gericht über jene, die gegen die Gesetze der Ahnen verstoßen haben, um Streitfragen zu klären und um Zahlungen für den russischen Jassak einzutreiben.

* Über den Schamanen Ognjatscha und das Schamanisieren: Nach einem „hundertzüngigen Gerücht“ waren die Geister des Chargi von seiner Großmutter auf Ognjatscha übergegangen. Er „hatte von ihr eine siebeneckige Trommel geerbt, was aus Ognjatscha sogleich einen großen Schamanen gemacht hatte. Zusätzlich hatte Ognjatscha noch Satanszügel, um seine wilde Kraft in der Zeit übermäßiger Ekstase im Zaum zu halten, wenn er wie ein Besessener schamanisierte. Schließlich hatte er noch ein Geso [ein Stab aus Mammutknochen] mit einer geschnitzten Eidechse am oberen Ende. Von unten her war das Geso mit der Haut von Bärentatzen überzogen. (…)

„Als sich die Herbstnacht herabsenkte, begann Ognjatscha, sich sonderbar zu strecken und zu gähnen. Die Augen trübten sich, er stand auf und sagte ins Zelt gehend: `Die Tauchente möchte trinken. Man muss ihr Blut zubereiten.“

Alle verstanden, dass sie einen Beschwörungsplatz herrichten mussten. Man stellte Götzenbilder des Gottes Chomoko um das Zelt und besonders beim Eingang als Schutz für die Behausung vor dem Einfall böser Geister auf. Über den Rauchabzug hängte man ein Nest eines scharfsichtigen Geiers auf Stangen auf, der wie bei seinem Nest das Eindringen böser Geister verhindern sollte. Im Innern des Zeltes war gegenüber dem Eingang der Tummuljan [Platz zum Schamanisieren] mit Darstellungen aus hölzernen Fischen gepflastert, auf dessen beiden Seiten doppelspitzige Speere und eine hölzerne Palma [an einem langen Schaft befestigtes Messer] lagen.

Ognjatscha, herausgeputzt in Schamanentracht, setzte sich auf den Tommuljan und fing an, mit tiefem Gähnen seine Hauptgeister zu rufen. Nach siebenmaligem Gähnen schlug Ognjatscha die Trommel und ließ einen ersten Trommelwirbel vernehmen. Begleitend erklangen geheimnisvoll die Nektar [Anhänger an einem Schamanenumhang]. Danach, als die Anfangsgeräusche verstummt waren, begann der Schamane zu singen, indem er jede Phrase mit einem Trommelschlag begleitete.

Die Männer nahmen den Großteil des Zeltes ein. Sie saßen zu beiden Seiten des Schamanen und wiederholten die letzten Worte der Beschwörungen wie einen Refrain. Die Frauen befanden sich nahe beim Eingang. Sie nahmen am Schamanisieren nicht teil, waren aber dafür verantwortlich, auf den Eingang und auf das Feuer zu achten.

Ognjatscha zog den Kopf zwischen die Schultern, rückte mit dem ganzen Körper vor und begann schnell sprechend seine Rezitation:

 

Stein, Stein – der Geister Jurte, / Der Geister, die niemand sieht. / Nur der Schamane und sein Chargi / Sehen sie, wo sie wollen. / da, im hohlen Baum sind sie versteckt! / Ins Zelt eilen sie – man trifft sie nicht! / Gib doch mein Tyrko her, ich steche / Ihm alle hässlichen Augen aus.

 

Der Chor sprach langsam gemeinsam mit dem Schamanen:

 

Gib doch mein Tyrko her, ich steche…

 

Ognjatscha packte einen hölzernen Speer, holte damit aus, als wollte er ihn dem Geist nachschleudern und fuhr mit dem Rezitieren fort:

 

Er ging und hinterließ sein Aug´ am Speer, / Hier ist sein Aug´, wingo-wam-gae! / Nimm…! Nimm…! Ich höre, höre ein Gekreisch… / Winde dich wie ein Hobelspan vor Schmerz, / Flieg von mir wie Spinngewebe. / Oli, flieg und prüfe es… / Nimm ihm das letzte Auge!

 

Der Schamane warf das Auge blitzschnell durch den Rauchabzug, durch den er das Amulett von Oli herabgesenkt hatte, und stellte mit einem Trommelwirbel das Geräusch der Flügel des durch die Abdeckung des Zeltes fliegenden Geistes dar. Alle blickten nach oben und suchten furchtsam nach Oli. Ognjatscha begann, sich hin und her zu werfen, ohne seinen Platz zu verlassen. Auf seinem Schultertuch zitterten die kleinen Wildlederriemen, lange Bänder peitschten auf die Seiten. Der Schamane rief:

 

Viele Geister kommen zu uns! / Viel Schlechtes bringen sie…!

 

Die Leute zuckten zusammen, blickten sich um, als ob sie nach den Heerscharen der bösen Geister suchten.

 

Da habt ihr! Da habt ihr mein Wort! / chya, chya… erstickt!

 

Der Schamane riss drohend das Messer aus der Scheide und zeichnete einen bösen Ort um sich herum. Er wehrte gleichsam die hereindringenden Geister ab. Alle wiederholten mit wilden Stimmen den Refrain.

 

Ee du-wingo-wom-gae! //

 

 „Erst in der vierten Nacht beruhigte sich Ognjatscho und konnte sprechen. (…) Jetzt musste er eine kluge zusammenhängende Rede halten und alles Gesagte mit dem Leben verbinden – mit seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart…“

 

Wie sehr man als Leser Schiktolok und Mikpantscha auch wünschen möge, ihrer Liebe zu leben – leider, die Geschichte endet so tragisch,

dass man heulen möchte…

 

Der Autor des Buches, Michail Oscharow, wurde 1894 im Kreis Krasnojarsk geboren. Nach einer Lehre und der Realschule in Kansk studierte er am Wirtschaftsinstitut in Moskau und an der Abenduniversität Schanjawski. Während des ersten Weltkriegs wurde er in die Zarenarmee eingezogen. Nach dem Krieg kehrte er in den sibirischen Norden zurück, wo er in den Zwanziger- und Dreißigerjahren begann, Märchen, Mythen und Legenden der Völker Sibiriens zu sammeln. Oscharow wurde ein hervorragender Kenner der Lebensweise der sibirischen Urvölker. Besonders unter den Ewenken genießt Michail Oscharow noch heute ein hohes Ansehen. Mit seiner Romantrilogie Der große Argisch schrieb er gewissermaßen ein Nationalepos der Ewenken. Der erste Band von Der große Argisch heißt „Gräber“ und erschien posthum, der zweite Teil dieser Romantrilogie erschien noch zu Oscharows Lebzeiten und der letzte Band gilt seit Oscharows Verhaftung und Hinrichtung im Dezember 1937 während der stalinistischen Säuberungen als verschollen.

Dem kleinen österreichischen Verlag Edition Liaunigg - gegründet 2009 -, der vorrangig Literatur aus Russland herausgibt, sei Dank für dieses ethnographische Kleinod. Erich Liaunigg, der das Buch übersetzte, reiste während seines Russischstudiums nach Irkutsk. Seine Frau, die an der Reise ebenfalls teilgenommen hatte, bekam das Buch Der große Argisch als Geschenk. „Es überstand einen Umzug“, erzählt Erich Liaunigg, „und landete in einem Bücherschrank, wo es mehrere Jahre blieb. Schließlich machte ich mich an die Übersetzung – nachdem ich eine Statistik eingesehen hatte, aus der hervorging, dass der Prozentsatz der vom Russischen ins Deutsche übersetzten Bücher an der Gesamtzahl der Übersetzungen ins Deutsche bei nur etwa fünf Prozent (!) liegt.“

Nun ist zu hoffen, dass der Verlag Edition Liaunigg den zweiten Band

bald folgen lässt…

 

 

1828 bis 1830 reiste der deutsche Physiker und Asienforscher Adolph Erman (1806 bis 1877) durch Sibirien vom Ural bis Kamtschatka und kehret über Kalifornien,Tahiti, die Südsee, Kap Horn und Brasilien nach Deutschland zurück. Erman ist auch bei Tungusen zu Gast: „Unter den Zurüstungen zur Reise bemerkte ich noch ein ziemlich ekelhaftes und äußerst nützliches Geschäft unserer Wirtin. Die Außenseite der Sari, oder langen Stiefel, welche man unterwegs gebrauchen sollte, wurde nämlich aufs sorgfältigste mit warmem Fischfett getränkt, und die ranzige und stinkende Beschaffenheit dieser Flüssigkeit hinderte die Arbeiterin nicht, ihren Mund damit gänzlich zu füllen, sie dann fein verteilt zwischen den Zähnen über das Leder zu sprudeln und mit ausgebreiteten Händen darin einzureiben. Der widerliche Geruch, den die alten Tungusinnen meistens besitzen, rührt nur von dieser Arbeit her, man entschuldigt sie aber gern eshalb, wenn man eben unter dem Schutz des vortrefflichen Leders, welches sie bereiten, durch schmelzenden Schnee, durch Sumpf und durch eiskalte Bäche ohne jede Unbequemlichkeit gegangen ist.“

Als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT – die als Russistin ihre Diplomarbeit über russische Sprichwörter geschrieben hat - habe ich auf allen meinen Reportagereisen in die Sowjetunion jahrzehntelang auch Sprichwörter der dort ansässigen Völker gesammelt - von den Völkern selbst,  von einschlägigen Wissenschaftlern und Ethnographen, aus Büchern ... - bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Moskau saß ich Tag für Tag in der Leninbibliothek. So ist von mir erschienen: 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Ich bin, wie man sieht, gut damit gefahren, es mit diesem turkmenischen Sprichwort zu halten: Hast du Verstand, folge ihm; hast du keinen, gibt`s ja noch die Sprichwörter.

Hier fünfzig ewenkische SprichwörteR:

(Bisher Unveröffentlicht)

 

 

Im Alter flieht der Schlaf so, wie die Vogeleltern ihre flüggen Jungen verlassen.

Die Arbeit fürchtet den Schaffenden.

Der Arbeitsame hackt des Abend Holz, der Faule – des Morgens.

Einen morgen Baum halten seine Wurzeln, einen alten Mann seine Erinnerungen.

Der eine fällt den Baum, der andere sammelt die Eichhörnchen ein.

Gedenkst du zu gehen, lass Brennholz zurück.

Sei eilig, aber nicht voreilig.

Nur den Einsamen macht unser Winter frieren.

Erfolg ist kein Vogel, kommt nicht angeflattert.

Lange gejagt, schnell aufgegessen.

Fett gibt Kraft, aber ohne Wasser lebt sich´s auch nicht.

Ist der Fischer wacker, ist die Karausche lecker.

Ist das Fleisch weit, schmeckt sogar ein naher Knochen.

Ohne Fleisch wäre die Taiga eintönig.

Eine Frau ist im Alter am standhaftestes, das Eis – im Winter.

Freundschaft verdoppelt Mannesmut.

Wer die Gewissheit hat, dass der Sohn auf dem Weg des Vaters geht, braucht keine Angst zu haben, dass sein eigener Weg endet.

Der Glück kommt nur zu dem, der ihm entgegengeht.

Ein gutes Handwerk ruft nach geschickten Händen.

Tust du Hecht und Stör zusammen, stirbt ein Kind.

So listig der Hecht auch ist, er greift den Kaulbarsch nie von hinten an.

Wozu lassen sich Hirsche Geweihe wachsen, wo sie doch wieder abfallen?

Ein Holzscheit allein geht am Lagerfeuer zugrunde.

Ein Hund erstickt nicht am Knochen, ein Ewenke verirrt sich nicht in der Taiga.

Einen gebrochenen Jagdbogen kleben, heißt, bei der Jagd sein

blaues Wunder erleben.

Der Jäger hat zwei Freunde: Das Ren und den Hund.

Vor einem guten Jäger nimmt kein Wild reißaus.

Der Jäger braucht das Ren wie der Auerhahn seine Flügel.

Dem erfolgtrunkenen Jäger dünkt die schwere Jagdtasche wie eine Daunenfeder.

Jahre plagen den Menschen, die Mauser den Vogel.

Die Jugend ist wie Gewitterregen, rauscht allzu schnell vorbei.

Die Krickente steigt auf, wo es ihr passt; der Richter richtet wie es ihm gefällt.

Krummholz ist nicht gerade zu biegen.

Das Leben währt nur einen solchen Augenblick wie sich die Krähe auf

einem Pfahl ausruht.

Wer im Leben ohne fremde Hilfe auskommen muss, den flieht das Alter.

Nur was du am eigenen Leibe erfahren, wirst du für immer bewahren.

Ein schönes Mädchen ist wie ein frisch gefrorener Fisch.

Einen guten Mann läuft der Hund nicht davon.

Nein ist fester als Eisen.

Geht´s im Nomadenlager einmütig, hält sich die Not zurück.

Das Nordlicht funkelt schön, aber es wärmt nicht.

Eine fremde Parka spendet keine Wärme, ein fremder Tschum*

 ist keine Wohnstatt.

Ein guter Patron ist zuverlässiger als eine schlechte Patrone.

Guter Rat hält selbst den Lauf des Flusses auf.

Ein Ren erkennt man am Gespann, den Menschen an seinen Taten.

Fürchte die Schande mehr als den Frost.

Wahrer Schmerz kennt keine Tränen.

Einen Schwätzer fürchte wie das Ren den Wolf.   

 

 * Tschum = konisches Zelt, bedeckt mit Rentierfell.

 

 Gesammelt, aus dem Russischen übersetzt und in Sprichwortform gebracht

von Gisela Reller

 

 

Das ewenkische Märchen  

 

Wie Kotura ein Mädchen freite

 

(Bisher Unveröffentlicht)

 

*

Es war einmal ein alter Mann, der wohnte mit seinen drei Töchtern in einem Tschum. Sie lebten in Armut, der Tschum [das Wohnzelt] war löchrig, warme Kleidung hatten sie nicht. Einmal gab es einen fürchterlichen Schneesturm. „Der Schneesturm will gar kein Ende nehmen, klagte der Alte. „Geh du, meine älteste Tochter, zu Kotura, dem Herrn der Winde, und bitte ihn, dem Schneesturm Einhalt zu gebieten.“ – „Wir soll ich das machen? Ich kenne doch gar nicht den Weg zu ihm.“ – „Tu genau, was ich dir auftrage: Ich gebe Dir eine Narte [einen Schlitten] mit. Du darfst dich nicht auf sie setzen, schiebe sie gegen den Wind und gehe hinter ihr her. Du darfst den Schnee nicht aus den Schuhen schütten, und die Schnüre deiner Kleidung nicht zubinden, wenn sie der Wind löst. Unterwegs wird ein Vögelchen angeflogen kommen und sich auf deine Schulter setzen. Streichle es und sei freundlich zu ihm. Wenn du zu Koturas Tschum kommst, rühre nichts an. Warte, bis der Herr der Winde eintritt. Tue alles, wie er es befiehlt.“ – Die älteste Tochter machte sich auf den Weg. Schon bald lösten sich die Schnüre ihrer Kleidung, und sie begann zu frieren. Sie folgte nicht den Worten ihres Vaters, brachte ihre Kleidung in Ordnung und schüttete den Schnee aus den Schuhen. Als das Vögelchen geflogen kam, fuchtelte sie ärgerlich mit den Armen und verscheuchte es. Dann kam sie zum Tschum von Kotura und wartete… Bald kam ein junger Mann mit schönem Antlitz in die Jurte – das war Kotura. Er bewillkommnete sie und bat sie, ihm in der Wirtschaft zu helfen. Als erstes sollte sie ihm das gejagte Wild kochen. Als es weich war, bat er das Mädchen, das Fleisch in zwei Teile zu schneiden. Die eine Hälfte war für sie beide, die andere sollte sie in einen Holznapf legen und in den Nachbar-Tschum bringen, in dem eine alte Frau lebte. Er bat sie solange zu warten, bis die Alte ihr das Gefäß herausbrachte. – Das Mädchen nahm den Holznapf und verließ den Tschum. Der Schneesturm heulte, und die Flocken wirbelten so stark, dass man die Hand vor Augen nicht sah. Nach wenigen Schritten warf das Mädchen das Fleisch in den Schnee und kehrte mit dem leeren Napf zu Kotura zurück… - Kotura brach zur Jagd in die Taiga auf und bat das Mädchen, ihm Kleidung aus Fellen zu gerben und zu nähen. Nach zwei Tagen kam Kotura von der Jagd heim und das Mädchen sagte: „Deine Kleidung ist fertig.“ Die Felle waren hart, schlecht gegerbt und schlecht genäht und kein bisschen verziert. Da erzürnte der Herr der Winde und jagte die Tochter des alten Mannes aus seinem Tschum. Noch heftiger wütete da der Schneesturm. Die Menschen zitterten, die Kinder weinten. – Da schickte der Vater seine zweitälteste Tochter. Aber auch die zweite Tochter tat nichts so, wie der Vater ihr geheißen, und Kotura jagte sie aus seinem Tschum. Der Sturm tobte und tobte. Mehr und mehr Zelte riss er um, mehr und mehr Menschen verloren ihr Obdach. Nun bat der alte Vater seine jüngste Tochter, sich auf den Weg zu machen. „Ich lasse dich ungern gehen, meine liebste Tochter, aber wenn ich dich nicht schicke, erfrieren und verhungern unsere Stammesbrüder.“ - Die jüngste Tochter tat alles so, wie es ihr der Vater aufgetragen hatte. Als das Vögelchen angeflogen kam, streichelte sie zärtlich sein Gefieder… - Im Tschum von Kotura machte sie auch alles zu seiner Zufriedenheit. Nachdem beide gegessen hatten, bat Kotura das Mädchen, das restliche Fleisch zu der alten Frau zu bringen. Aber in welcher Richtung sollte sie den Tschum suchen? Da kam das Vögelchen angeflattert und zeigte ihr den Weg. Die alte Frau freute sich sehr über das Fleisch, sie hatte schon zwei Tage nichts Rechtes mehr gegessen. Warte, bis ich dir das Gefäß wieder herausbringe. Das Mädchen musste lange warten und begann jämmerlich zu frieren. Aber es rührte sich nicht von der Stelle. Endlich kam die Alte heraus und reichte ihr den Holznapf zurück. Im Napf lagen Messer, Schabeisen, ein Walkholz, um Felle herzurichten und Nähnadeln. Kotura freute sich: „Die alte Frau hat dir viele nützliche Dinge geschenkt. Nähe mir bitte neue Kleider, dieweil ich auf die Jagd gehe. Das Mädchen machte sich sogleich an die Arbeit. Da kam die alte Frau in den Tschum bedankte sich noch einmal und sagte: „Du warst freundlich zu mir, jetzt will ich dir helfen, die Kleidung für den Herrn der Winde zu nähen.“ Schon bald kehrte sie mit vier jungen Mädchen zurück. Zu fünft schafften sie alles an einem Tag. - Als Kotura von der Jagd heimkehrte, war er sehr froh, als er die fein gearbeiteten Kleidungsstücke sah, die mit wunderschönen Glasperlenornamenten verziert waren. „Du gefällst mir sehr, schönes, geduldiges Mädchen. Du hast ein goldenes Herz und flinke Hände. Und du bist mutig; denn du hast es mit dem Schneesturm aufgenommen, um deine Stammesbrüder zu retten. Eine solche Frau habe ich schon lange gesucht.“ Und sie nahmen den alten Vater zu sich und wurden sehr glücklich.

*

Aus dem Russischen übersetzt von Johann Warkentin, gesammelt von Gisela Reller

 

 

"Ämpkua" - Kinderwiege aus Holz, mit Amuletten (Knochenkette) und Glasperlenschnüren behängt, ausgekleidet mit einer Fellunterlage.

Foto: Wolfgang Gregor aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

 

Das ungereimte   Gedicht  

Teure Geliebte von Alitet Namtuschkin

 

 (Bisher Unveröffentlicht)

 

Die Bewohner der Tschums kamen alle hinaus auf die Straße. / Einsam stehe auch ich unter ihnen / ums Herz ist´s mir schwer. / Alle Jagdhunde bellen betrübt, / denn du willst uns verlassen. / Für den Weg richtet man die geflügelte Narte dir her… / Eingespannt werden schöne, gehörnte, leichtfüßige Rene. / Hör der Kraniche Schrei! / Hör das Blut des Verliebten, / wie´s pocht! / Wenn du wüsstest, Geliebte, / wie teuer du bist meinem Herzen, / mein geheimer, einziger Freund / sicher bliebest du noch… / Morgen kehren die Rene zurück nach den Spuren von gestern, / auch der Tag leuchtet wieder / nach finsterer nächtlicher Ruh. / Sommers kommen die Kraniche zu den verlassenen Nestern, / jeder kommt in das Land seiner Ahnen zurück…/ Aber du? //

Aus dem Russischen übersetzt von Johann Warkentin, gesammelt von Gisela Reller

 

 

 

Meisterinnen im Nähen der ewenkischen Nationaltracht; die Näherinnen haben ihre traditionelle Kleidung schon oft im Ausland ausgestellt.

Foto aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

 

Von dem russischen Geodäten (Vermessungstechniker)

Grigori Fedossejew

 notierte ich mir diese vierundzwanzig ewenkischen Aussprüche  aus seinem Buch "Im Banne des Dshugdyr":

 

Der Mensch hat zwar große Augen, aber was morgen ist, sieht er nicht.

Der Mensch lebt zwar nur kurz, doch ändert er sich beständig: Erst ist er klein, dann groß, dann alt; Felsen und Berge aber leben lange und bleiben immer gleich.

Von starkem Tee wird das Herz weich wie von einem guten Wort.

Nach einem kurzen Bellen lässt sich noch kein Fuchs von einem Hund unterscheiden.

Sinnlos ist es, mit der Axt ins Wasser zu schlagen.

Der Wolf heult vor Hunger, der Kulak vor Gier.

Das Rentier ist flink, läuft weit, aber die Spur folgt ihm auf dem Fuß.

Bei Frost muss man die Füße gut einwickeln, die Brust wird durch das Herz gewärmt.

Einen morschen Baum halten die Wurzeln, einen alten Mann seine Gedanken.

Ein Rabe fliegt an keinem Aas vorbei, ein Hund verfehlt nie seinen Lagerplatz.

Ein Fauler soll schlafen, ein Leichtfüßiger jagen.

Gut, dass die Augen keine Hände haben, würden sonst alles verschlingen.

Wozu sich Hornhaut an die Hacken laufen, wenn man die Fußlappen neu wickeln kann.

Der Mensch hat Beine, damit er nicht lange an derselben Stelle sitzt.

Jagdglück ist kein Vogel, fliegt nicht von selbst herbei.

Nur ein aufgeschreckter Wolf läuft von fettem Fleisch davon.

Hast du Glück, erlegst du ein Tier auch ohne Gewehr, hast du keines, hilft dir

auch die beste Flinte nichts.

Ist der Schwanz frei, klemmt die Nase; ist die Nase frei, klemmt der Schwanz.

Jahre zehren am Gedächtnis wie Feuer an dürrem Gras.

Wo ist die Kraft, die einen junger Adler in seinem Nest zurückhält,

wenn ihm bereits Flügel gewachsen sind?

Wo Fell ist, da ist auch Fleisch.

Würde man im Alter jede Krankheit wichtig nehmen, käme man nicht

mehr zum Arbeiten, ja nicht einmal mehr zum Essen.

Leicht errungener Erfolg ist keiner.

Die Mutter schenkt das Leben, die Zeit  die Erfahrung.

 

 

"Nach Vorstellung der Ewenken müssen alle Reichtümer dieser Erde den Bedürfnissen gemäß verteilt werden..."

Grigori Fedossejew in: "Der böse Geist von Jambui", 1960

 

 

Rezensionen und Literaturhinweise (Auswahl) zu den EWENKEN:

 

Rezension zum Thema in meiner Webseite www.reller-rezensionen.de

 

* KATEGORIE BELLETRISTIK: Wladimir Arsenjew, Der Taigajäger Dersu Usala, aus dem Russischen von Gisela Churs, Unionsverlag, Zürich 2003.

 

Literaturhinweise (Auswahl) 

 

 

* Martina André, Schamanenfeuer, Das Geheimnis von Tunguska, Aufbau Verlagsgruppe GmbH (Rütten & Loening, Berlin 2008.

Am frühen Morgen des 30. Juni 1908 ereignete sich in Sibirien im Gebiet der Steinigen Tunguska eine verheerende Explosion, deren Auswirkungen in halb Europa zu spüren waren und deren genaue Ursache bis heute nicht geklärt werden konnte. Hunderte von Theorien wurden in der Folgezeit entwickelt, und zahlreiche Wissenschaftler kamen zu den verschiedensten Auffassungen über den tatsächlichen Grund des Unglücks. Bis heute bleibt Raum für die unterschiedlichsten Spekulationen, und es ist fraglich, ob man jemals die ganze Wahrheit erfahren wird. Inzwischen sind hundert Jahre vergangen... In Marina Andrés Buch wird die deutsche Wissenschaftlerin Viktoria Vanderberg, die versucht, einem der größten Rätsel der Menschheit auf die Spur zu kommen, von einem seltsamen Mann gerettet, in den sie sich sogleich verliebt: Leonid, der Nachfahre eines Schamanen, verspricht Viktoria, ihr zu helfen, weil er ahnt, dass seine eigene Geschichte mit dem Rätsel von Tunguska verwoben ist.

 

* Grigori Fedossejew, Im Banne des Dshugdyr, Durch Urwaldwildnis und Felswüste, F. A Brockhaus Verlag, Leipzig 1960.

1949 brechen russische Forscher (Geodäten, Topographen, Astronomen, Aerokartographen und Geographen) mit Schlitten ins Innere der Taiga auf, um westlich des Ochotskischen Meeres das Gelände für eine geographische Karte zu vermessen. Tagelange Schneestürme, riesige Eismassen, die ganze Täler ausfüllen und sogar im Sommer nicht abschmelzen, ungebändigte Ströme und unpassierbare Moore, vor allem aber der wilde Urwald hemmen das Vordringen. Wölfe überfallen nachts die Rentiere, fast die ganze Ausrüstung wird von den schäumenden Wasser eine Flusse verschlungen, Felsstürze bringen die wagemutigen Forscher mehr als einmal in höchste Gefahr. Doch erfahrene, zuverlässige Ewenken, die ihr ganzes Leben in der Taiga verbracht haben, und sich bei jedem Wetter und in jeder Jahreszeit zurechtfinden, sind ihre hilfsbereiten Wegbegleiter.

 

* Die Sonnentochter und andere Märchen der Tundra, darin die ewenkischen Märchen "Der Vielfrass und der Fuchs", "Das Spielzeugmärchen", "Wie der Fuchs die Ewenkenfrauen betrog", "Warum die Karausche so platt ist" und "Wie ein Mädchen auf Brautschau ging", Die von Margarete Spady übersetzten Märchen wurden von Lieselotte Fleck nacherzählt, Zeichnungen: N. G. Basmanowa, Verlag Kultur und Fortschritt, Berlin 1954.

 

 

Von 1953 bis 1956 habe ich im Berliner Verlag Kultur und Fortschritt Verlagsbuchhändlerin gelernt. Als 1954 "Die Sonnentochter und andere Märchen der Tundra" erschien, erfuhr ich das erste Mal von Völkern wie   Eskimos, Ewenen, Ewenken, Itelmenen [Kamtschadalen], Jakuten, Jukagiren, Keten, Korjaken, Mansen, Nanaier, Nenzen, Nganassanen, Niwchen,  Oroken,  Saamen [Lappen], Selkupen, Tschuktschen, Udehen. Ich war fasziniert!

Es sollte dann noch fast ein Vierteljahrhundert vergehen, bis ich die Lebensorte dieser Völker als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT selbst bereiste. 

Gisela Reller

 

 

Zeichnung von Horst Musch zu dem Märchen "Der Seehund - der Beherrscher des Meeres"

aus: Rellers Völkerschafts-Archiv.

 

* Märchen aus dem hohen Norden der Sowjetunion, Die Kranichfeder, Für Kinder nacherzählt von N. Gesse und S. Sadunaiskaja, Mit Illustrationen von Manfred Butzmann, 4. Auflage, Der Kinderbuchverlag, Berlin 1983.

Jäger und Rentierzüchter sind die Helden dieser Märchen. Sie fahren mit dem Schneesturm um die Wette, ringen mit eisernen Ungeheuern, messen ihre Kräfte mit Waldriesen und verehren die Herrin des Feuers. Vielfältig spiegelt sich das Leben der Völker aus dem hohen Norden in seiner reichen Folklore, auch das der Ewenken.

 

* Märchen der Völker des Nordens, Der Rabe Kutcha, Verlag Malysch, Moskau 1976 (in deutscher Sprache).

Von den fernen Küsten der eisigen Meere des Nordens, aus den Weiten der Tundra, aus der Taigawildnis und von den Ufern der riesigen sibirischen Ströme kommen diese ewenkischen Märchen, deren Helden Tiere sind.

 

* Märchen der Nordvölker, Die Herrin des Feuers, Verlag Progreß, Moskau 1974 (in deutscher Sprache).

Darin auch Märchen der Ewenken.

 

 

"Triffst du Menschen in der Taiga, musst du zuhören, was für Neuigkeiten sie von weither bringen, dann musst du die eigenen Neuigkeiten erzählen. So erfuhren die Ewenken früher voneinander, hörten, wer wohin wanderte, wer gestorben war, wann ein Unglück das Volk heimgesucht hatte. So erfuhren sie auch von der Revolution, von den neuen Gesetzen. Wer viele Neuigkeiten zu berichten wusste, war ein gern gesehener Gast, bekam die besten Fleischstücke beim Mahl und kräftigen Tee. Solchen Gast kläfften selbst die Hunde nicht an."

Grigori Fedossejew (russischer Geodät) in: Im Banne des Dshugdyr, 1960

 

 

 

 

Bibliographie zu Gisela Reller

 

Bücher als Autorin:

 

Länderbücher:

 

*  Zwischen Weißem Meer und Baikalsee, Bei den Burjaten, Adygen und Kareliern,  Verlag Neues Leben, Berlin 1981, mit Fotos von Heinz Krüger und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Diesseits und jenseits des Polarkreises, bei den Südosseten, Karakalpaken, Tschuktschen und asiatischen Eskimos, Verlag Neues Leben, Berlin 1985, mit Fotos von Heinz Krüger und Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Von der Wolga bis zum Pazifik, bei Tuwinern, Kalmyken, Niwchen und Oroken, Verlag der Nation, Berlin 1990, 236 Seiten mit Fotos von Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

Biographie:

 

* Pater Maksimylian Kolbe, Guardian von Niepokalanów und Auschwitzhäftling Nr. 16 670, Union Verlag, Berlin 1984, 2. Auflage.

 

 

... als Herausgeberin:

 

Sprichwörterbücher:

 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Aphorismenbuch:

* 666 und sex mal Liebe, Auserlesenes, 2. Auflage, Mitteldeutscher Verlag Halle/Leipzig, 200 Seiten mit Vignetten und Illustrationen von Egbert Herfurth.

 

... als Mitautorin:

 

Kinderbücher:

 

* Warum? Weshalb? Wieso?, Ein Frage-und-Antwort-Buch für Kinder, Band 1 bis 5, Herausgegeben von Carola Hendel, reich illustriert, Verlag Junge Welt, Berlin 1981 -1989.

 

Sachbuch:

 

* Die Stunde Null, Tatsachenberichte über tapfere Menschen in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges, Hrsg. Ursula Höntsch, Verlag der Nation 1966.

 

 

... als Verantwortliche Redakteurin:

 

* Leben mit der Erinnerung, Jüdische Geschichte in Prenzlauer Berg, Edition  Hentrich, Berlin 1997, mit zahlreichen Illustrationen.

 

* HANDSCHLAG, Vierteljahreszeitung für deutsche Minderheiten im Ausland, Herausgegeben vom Kuratorium zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland e. V., Berlin 1991 - 1993.

 

"Die Taiga ist für einen schwachen Menschen schlimmer als ein wildes Tier. Sie führt ihn irre, ins Dickicht, reißt ihm die Kleider vom Leibe, die Schuhe von den Füßen, enthält ihm das Feuer vor, führt ihn an der Nase herum, schickt ihn bald hierhin, bald dorthin."

Ulukitkan, ein vierundachtzigjähriger Ewenke

 

 

Pressezitate (Auswahl)  zu Gisela Rellers Buchveröffentlichungen:

Dieter Wende in der „Wochenpost“ Nr. 15/1985:

„Es ist schon eigenartig, wenn man in der Wüste Kysyl-Kum von einem Kamelzüchter gefragt wird: `Kennen Sie Gisela Reller?´ Es ist schwer, dieser Autorin in entlegenen sowjetischen Regionen zuvorzukommen. Diesmal nun legt sie mit ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik Berichte aus Kalmykien, Tuwa und von der Insel Sachalin vor. Liebevolle und sehr detailgetreue Berichte auch vom Schicksal kleiner Völker. Die ethnografisch erfahrene Journalistin serviert Besonderes. Ihre Erzählungen vermitteln auch Hintergründe über die Verfehlungen bei der Lösung des Nationalitätenproblems.“

B(erliner) Z(eitung) am Abend vom 24. September 1981:

"Gisela Reller, Mitarbeiterin der Illustrierten FREIE WELT, hat autonome Republiken und Gebiete kleiner sowjetischer Nationalitäten bereist: die der Burjaten, Adygen und Karelier. Was sie dort ... erlebte und was Heinz Krüger fotografierte, ergíbt den informativen, soeben erschienenen Band Zwischen Weißem Meer und Baikalsee."

Sowjetliteratur (Moskau)Nr. 9/1982:

 "(...) Das ist eine lebendige, lockere Erzählung über das Gesehene und Erlebte, verflochten mit dem reichhaltigen, aber sehr geschickt und unaufdringlich dargebotenen Tatsachenmaterial. (...) Allerdings verstehe ich sehr gut, wie viel Gisela Reller vor jeder ihrer Reisen nachgelesen hat und wie viel Zeit nach der Rückkehr die Bearbeitung des gesammelten Materials erforderte. Zugleich ist es ihr aber gelungen, die Frische des ersten `Blickes´ zu bewahren und dem Leser packend das Gesehene und Erlebte mitzuteilen. (...) Es ist ziemlich lehrreich - ich verwende bewusst dieses Wort: Vieles, was wir im eigenen Lande als selbstverständlich aufnehmen, woran wir uns ja gewöhnt haben und was sich unserer Aufmerksamkeit oft entzieht, eröffnet sich für einen Ausländer, sei es auch als Reisender, der wiederholt in unserem Lande weilt, sozusagen in neuen Aspekten, in neuen Farben und besitzt einen besonderen Wert. (...) Mir gefällt ganz besonders, wie gekonnt sich die Autorin an literarischen Quellen, an die Folklore wendet, wie sie in den Text ihres Buches Gedichte russischer Klassiker und auch wenig bekannter nationaler Autoren, Zitate aus literarischen Werken, Märchen, Anekdoten, selbst Witze einfügt. Ein treffender während der Reise gehörter Witz oder Trinkspruch verleihen dem Text eine besondere Würze. (...) Doch das Wichtigste im Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee sind die Menschen, mit denen Gisela Reller auf ihren Reisen zusammenkam. Unterschiedlich im Alter und Beruf, verschieden ihrem Charakter und Bildungsgrad nach sind diese Menschen, aber über sie alle vermag die Autorin kurz und treffend mit Interesse und Sympathie zu berichten. (...)"

Neue Zeit vom 18. April 1983:

„In ihrer biographischen Skizze über den polnischen Pater Maksymilian Kolbe schreibt Gisela Reller (2. Auflage 1983) mit Sachkenntnis und Engagement über das Leben und Sterben dieses außergewöhnlichen Paters, der für den Familienvater Franciszek Gajowniczek freiwillig in den Hungerbunker von Auschwitz ging.“

Der Morgen vom 7. Februar 1984:

„`Reize lieber einen Bären als einen Mann aus den Bergen´. Durch die Sprüche des Kaukasischen Spruchbeutels weht der raue Wind des Kaukasus. Der Spruchbeutel erzählt auch von Mentalitäten, Eigensinnigkeiten und Bräuchen der Adygen, Osseten und Dagestaner. Die Achtung vor den Alten, die schwere Stellung der Frau, das lebensnotwendige Verhältnis zu den Tieren. Gisela Reller hat klug ausgewählt.“

1985 auf dem Solidaritätsbasar auf dem Berliner Alexanderplatz: Gisela Reller (vorne links) verkauft ihren „Kaukasischen Spruchbeutel“ und 1986 das extra für den Solidaritätsbasar von ihr herausgegebene Sprichwörterbuch „Dein Freund ist Dein Spiegel“.

Foto: Alfred Paszkowiak

 Neues Deutschland vom 15./16. März 1986:

"Vor allem der an Geschichte, Bräuchen, Nationalliteratur und Volkskunst interessierte Leser wird manches bisher `Ungehörte´ finden. Er erfährt, warum im Kaukasus noch heute viele Frauen ein Leben lang Schwarz tragen und was es mit dem `Ossetenbräu´ auf sich hat, weshalb noch 1978 in Nukus ein Eisenbahnzug Aufsehen erregte und dass vor Jahrhunderten um den Aralsee fruchtbares Kulturland war, dass die Tschuktschen vier Begriff für `Freundschaft´, aber kein Wort für Krieg besitzen und was ein Parteisekretär in Anadyr als notwendigen Komfort, was als entbehrlichen Luxus ansieht. Großes Lob verdient der Verlag für die großzügige Ausstattung von Diesseits und jenseits des Polarkreises.“

 

 Gisela Reller während einer ihrer über achthundert Buchlesungen in der Zeit von 1981 bis 1991.

Berliner Zeitung vom 2./3. Januar 1988:

„Gisela Reller hat klassisch-deutsche und DDR-Literatur auf Liebeserfahrungen durchforscht und ist in ihrem Buch 666 und sex mal Liebe 666 und sex mal fündig geworden. Sexisch illustriert, hat der Mitteldeutsche Verlag Halle alles zu einem hübschen Bändchen zusammengefügt.“

Neue Berliner Illustrierte (NBI) Nr. 7/88:

„Zu dem wohl jeden bewegenden Thema finden sich auf 198 Seiten 666 und sex mal Liebe mannigfache Gedanken von Literaten, die heute unter uns leben, sowie von Persönlichkeiten, die sich vor mehreren Jahrhunderten dazu äußerten.“

Das Magazin Nr. 5/88.

"`Man gewöhnt sich daran, die Frauen in solche zu unterscheiden, die schon bewusstlos sind, und solche, die erst dazu gemacht werden müssen. Jene stehen höher und gebieten dem Gedenken. Diese sind interessanter und dienen der Lust. Dort ist die Liebe Andacht und Opfer, hier Sieg und Beute.´ Den Aphorismus von Karl Kraus entnahmen wir dem Band 666 und sex mal Liebe, herausgegeben von Gisela Reller und illustriert von Egbert Herfurth."

 

Schutzumschlag zum „Buch 666 und sex mal Liebe“ .

Zeichnung: Egbert Herfurth

 

FÜR DICH, Nr. 34/89:

 

"Dem beliebten Büchlein 666 und sex mal Liebe entnahmen wir die philosophischen und frechen Sprüche für unser Poster, das Sie auf dem Berliner Solidaritätsbasar kaufen können. Gisela Reller hat die literarischen Äußerungen zum Thema Liebe gesammelt, Egbert Herfurth hat sie trefflich illustriert."

Messe-Börsenblatt, Frühjahr 1989:

"Die Autorin – langjährige erfolgreiche Reporterin der FREIEN WELT - ist bekannt geworden durch ihre Bücher Zwischen Weißem Meer und Baikalsee und Diesseits und jenseits des Polarkreises. Diesmal schreibt die intime Kennerin der Sowjetunion in ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik über die Kalmyken, Tuwiner und die Bewohner von Sachalin, also wieder über Nationalitäten und Völkerschaften. Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird uns in fesselnden Erlebnisberichten nahegebracht."

Im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel schrieb ich in der Ausgabe 49 vom 7. Dezember 1982 unter der Überschrift „Was für ein Gefühl, wenn Zuhörer Schlange stehen“:

„Zu den diesjährigen Tagen des sowjetischen Buches habe ich mit dem Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee mehr als zwanzig Lesungen bestritten. (…) Ich las vor einem Kreis von vier Personen (in Klosterfelde) und vor 75 Mitgliedern einer DSF-Gruppe in Finow; meine jüngsten Zuhörer waren Blumberger Schüler einer 4. Klasse, meine älteste Zuhörerin (im Schwedter Alten- und Pflegeheim) fast 80 Jahre alt. Ich las z.B. im Walzwerk Finow, im Halbleiterwerk Frankfurt/Oder, im Petrolchemischen Kombinat Schwedt; vor KIM-Eiersortierern in Mehrow, vor LPG-Bauern in Hermersdorf, Obersdorf und Bollersdorf; vor zukünftigen Offizieren in Zschopau; vor Forstlehrlingen in Waldfrieden; vor Lehrlingen für Getreidewirtschaft in Kamenz, vor Schülern einer 7., 8. und 10 Klasse in Bernau, Schönow und Berlin; vor Pädagogen in Berlin, Wandlitz, Eberswalde. - Ich weiß nicht, was mir mehr Spaß gemacht hat, für eine 10. Klasse eine Geographiestunde über die Sowjetunion einmal ganz anders zu gestalten oder Lehrern zu beweisen, dass nicht einmal sie alles über die Sowjetunion wissen – was bei meiner Thematik – `Die kleinen sowjetischen Völkerschaften!´ – gar nicht schwer zu machen ist. Wer schon kennt sich aus mit Awaren und Adsharen, Ewenken und Ewenen, Oroken und Orotschen, mit Alëuten, Tabassaranern, Korjaken, Itelmenen, Kareliern… Vielleicht habe ich es leichter, Zugang zu finden als mancher Autor, der `nur´ sein Buch oder Manuskript im Reisegepäck hat. Ich nämlich schleppe zum `Anfüttern´ stets ein vollgepacktes Köfferchen mit, darin von der Tschuktschenhalbinsel ein echter Walrosselfenbein-Stoßzahn, Karelische Birke, burjatischer Halbedelstein, jakutische Rentierfellbilder, eskimoische Kettenanhänger aus Robbenfell, einen adygeischen Dolch, eine karakalpakische Tjubetejka, der Zahn eines Grauwals, den wir als FREIE WELT-Reporter mit harpuniert haben… - Schön, wenn alles das ganz aufmerksam betrachtet und behutsam befühlt wird und dadurch aufschließt für die nächste Leseprobe. Schön auch, wenn man schichtmüde Männer nach der Veranstaltung sagen hört: `Mensch, die Sowjetunion ist ja interessanter, als ich gedacht habe.´ Oder: `Die haben ja in den fünfundsechzig Jahren mit den `wilden´ Tschuktschen ein richtiges Wunder vollbracht.´ Besonders schön, wenn es gelingt, das `Sowjetische Wunder´ auch denjenigen nahezubringen, die zunächst nur aus Kollektivgeist mit ihrer Brigade mitgegangen sind. Und: Was für ein Gefühl, nach der Lesung Menschen Schlange stehen zu sehen, um sich für das einzige Bibliotheksbuch vormerken zu lassen. (Schade, wenn man Kauflustigen sagen muss, dass das Buch bereits vergriffen ist.) – Dank sei allen gesagt, die sich um das zustande kommen von Buchlesungen mühen – den Gewerkschaftsbibliothekaren der Betriebe, den Stadt- und Kreisbibliothekaren, den Buchhändlern, die oft aufgeregter sind als der Autor, in Sorge, `dass auch ja alles klappt´. – Für mich hat es `geklappt´, wenn ich Informationen und Unterhaltung gegeben habe und Anregungen für mein nächstes Buch mitnehmen konnte.“

Die Rechtschreibung der Texte wurde behutsam der letzten Rechtschreibreform angepasst.

 

Die EWENKEN wurden am 24.02.2014 ins Netz gestellt. Die letzte Bearbeitung erfolgte am 14.01.2016.

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Zeichnung: Karl-Heinz Döhring