Vorab!

Leider kommt im Internet bei meinem (inzwischen veralteten) FrontPage-Programm  längst nicht alles so, wie von mir in html angegeben. Farben kommen anders, als von mir geplant, Satzbreiten wollen nicht so wie von mir markiert, Bilder kommen manchmal an der falschen  Stelle, und - wenn  ich  Pech  habe  -  erscheint  statt  des  Bildes  gar  eine  Leerstelle.

Was tun? Wer kann helfen?

 

*

Wird laufend bearbeitet!

 

 

Wir sind Agulen: Mafiat Radshabowa mit ihrer neugeborenen Tochter.

 

 

Foto: Detlev Steinberg

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

Wenn wir für das eine Volk eine Zuneigung oder gegen das andere eine Abneigung hegen, so beruht das, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht, auf dem, was wir von dem jeweiligen Volk wissen oder zu wissen glauben. Das ist – seien wir ehrlich – oft sehr wenig, und manchmal ist dieses Wenige auch noch falsch.  

Ich habe für die Berliner Illustrierte FREIE WELT jahrelang die Sowjetunion bereist, um – am liebsten - über abwegige Themen zu berichten: über Hypnopädie und Suggestopädie, über Geschlechtsumwandlung und Seelenspionage, über Akzeleration und geschlechtsspezifisches Kinderspielzeug... Außerdem habe ich mit jeweils einem deutschen und einem Wissenschaftler aus dem weiten Sowjetland vielteilige Lehrgänge erarbeitet.* Ein sehr interessantes Arbeitsgebiet! Doch 1973, am letzten Abend meiner Reise nach Nowosibirsk – ich hatte viele Termine in Akademgorodok, der russischen Stadt der Wissenschaften – machte ich einen Abendspaziergang entlang des Ob. Und plötzlich wurde mir klar, dass ich zwar wieder viele Experten kennengelernt hatte, aber mit der einheimischen Bevölkerung kaum in Kontakt gekommen war.  

Da war in einem magischen Moment an einem großen sibirischen Fluss - Angesicht in Angesicht mit einem kleinen (grauen!) Eichhörnchen - die große FREIE WELT-Völkerschafts-Serie** geboren!  

Und nun reiste ich ab 1975 jahrzehntelang zu zahlreichen Völkern des Kaukasus, war bei vielen Völkern Sibiriens, war in Mittelasien, im hohen Norden, im Fernen Osten und immer wieder auch bei den Russen. 

Nach dem Zerfall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zog es mich – nach der wendegeschuldeten Einstellung der FREIEN WELT***, nun als Freie Reisejournalistin – weiterhin in die mir vertrauten Gefilde, bis ich eines Tages mehr über die westlichen Länder und Völker wissen wollte, die man mir als DDR-Bürgerin vorenthalten hatte.

Nach mehr als zwei Jahrzehnten ist nun mein Nachholebedarf erst einmal gedeckt, und ich habe das Bedürfnis, mich wieder meinen heißgeliebten Tschuktschen, Adygen, Niwchen, Kalmyken und Kumyken, Ewenen und Ewenken, Enzen und Nenzen... zu widmen. 

Deshalb werde ich meiner Webseite www.reller-rezensionen.de (mit inzwischen weit mehr als fünfhundert Rezensionen), die seit 2002 im Netz ist, ab 2013 meinen journalistischen Völkerschafts-Fundus von fast einhundert Völkern an die Seite stellen – mit ausführlichen geographischen und ethnographischen Texten, mit Reportagen, Interviews, Sprichwörtern, Märchen, Gedichten, Literaturhinweisen, Zitaten aus längst gelesenen und neu erschienenen Büchern; so manches davon, teils erstmals ins Deutsche übersetzt, war bis jetzt – ebenfalls wendegeschuldet – unveröffentlicht geblieben. 

Sollten sich in meinem Material Fehler oder Ungenauigkeiten eingeschlichen haben, teilen Sie mir diese bitte am liebsten in meinem Gästebuch oder per E-Mail gisela@reller-rezensionen.de mit. Überhaupt würde ich mich über ein Feedback freuen!

Gisela Reller 

    * Lernen Sie Rationelles Lesen" / "Lernen Sie lernen" / "Lernen Sie reden" / "Lernen Sie essen" / "Lernen Sie, nicht zu rauchen" / "Lernen Sie schlafen" / "Lernen Sie logisches Denken".

 

  ** Im 1999 erschienenen Buch „Zwischen `Mosaik´ und `Einheit´. Zeitschriften in der DDR“ von Simone Barck, Martina Langermann, Siegfried Lokatis (Hrsg.), erschienen im Berliner Ch. Links Verlag, ist eine Tabelle veröffentlicht, aus der hervorgeht, dass die Völkerschaftsserie der FREIEN WELT von neun vorgegebenen Themenkreisen an zweiter Stelle in der Gunst der Leser stand – nach „Gespräche mit Experten zu aktuellen Themen“.

(Quelle: ZA Universität Köln, Studie 6318)

 

*** Christa Wolf zur Einstellung der Illustrierten FREIE WELT in ihrem Buch "Auf dem Weg nach Tabou, Texte 1990-1994", Seite 53/54: „Aber auf keinen Fall möchte ich den Eindruck erwecken, in dieser Halbstadt werde nicht mehr gelacht. Im Gegenteil! Erzählt mir doch neulich ein Kollege aus meinem Verlag (Helmut Reller) – der natürlich wie zwei Drittel der Belegschaft längst entlassen ist –, daß nun auch seine Frau (Gisela Reller), langjährige Redakteurin einer Illustrierten (FREIE WELT) mitsamt der ganzen Redaktion gerade gekündigt sei: Die Zeitschrift werde eingestellt. Warum wir da so lachen mußten? Als im Jahr vor der `Wende´ die zuständige ZK-Abteilung sich dieser Zeitschrift entledigen wollte, weil sie, auf Berichterstattung aus der Sowjetunion spezialisiert, sich als zu anfällig erwiesen hatte, gegenüber Gorbatschows Perestroika, da hatten der Widerstand der Redaktion und die Solidarität vieler anderer Journalisten das Blatt retten können. Nun aber, da die `Presselandschaft´ der ehemaligen DDR, der `fünf neuen Bundesländer´, oder, wie der Bundesfinanzminister realitätsgerecht sagt: `des Beitrittsgebiets´, unter die vier großen westdeutschen Zeitungskonzerne aufgeteilt ist, weht ein schärferer Wind. Da wird kalkuliert und, wenn nötig, emotionslos amputiert. Wie auch die Lyrik meines Verlages (Aufbau-Verlag), auf die er sich bisher viel zugute hielt: Sie rechnet sich nicht und mußte aus dem Verlagsprogramm gestrichen werden. Mann, sage ich. Das hätte sich aber die Zensur früher nicht erlauben dürfen! – "Das hätten wir uns von der auch nicht gefallen lassen", sagt eine Verlagsmitarbeiterin.

Wo sie recht hat, hat sie recht.“

 

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring

 

Reisezitat

 

 

 

 

 

Wenn Sie sich die folgenden Texte zu Gemüte geführt und Lust bekommen haben, Dagestan zu bereisen und auch die AGULEN kennenzulernen, sei Ihnen das Reisebüro ? empfohlen; denn – so lautet ein agulisches Sprichwort -

 

 

Zwar ist sie nicht dein, doch die Welt lädt dich ein.

 

(Hier könnte Ihre Anzeige stehen!)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die AGULEN… (Eigenbezeichnung: agul

Dagestan, im östlichen Teil Nordkaukasiens am Kaspischen Meer gelegen, ist die älteste Wiege vieler kaukasischer Völker und Völkerschaften. In ihrer nationalen Zusammensetzung ist diese Teilrepublik Russlands einmalig! Hier leben Dutzende ethnische Gruppen und Völkerschaften. Ich werde über die Agulen, Awaren, Darginer (und Kubatschinzen), Kumyken, Lakier, Lesginer, Nogaier, Rutulen Tabassaraner, Taten und Zachuren berichten.  Dagestan ist die einzige der russischen Kaukasusrepubliken, die ihren Namen nicht von einem Volk ableitet. "Dagestan" bedeutet in den Turksprachen Bergland (Dag = Berg, stan = Land) mit Gipfeln von mehr als 4 400 Metern Höhe. Die reizvolle Bergwelt ist von vielen reißenden Flüssen durchschnitten.

Dagestan setzt sich aus einem flachen Nordteil, der Nogaiersteppe, dem Kaukasusvorland sowie einem gebirgigen Südteil zusammen. Der höchste Berg ist mit 4466 Metern der Bazardüzü (Basardjusi) an der Grenze zu aserbaidchan, an das die Republik im Süden grenzt. Im Südwesten grenzt Dagestanan Georgien,  im Westen an Tschetschenien und im Norden an Kalmykien und die Region Stawropol. Im Osten besitzt Dagestan eine lange Küste am Kaspischen Meer. Die wichtigsten Flüsse sindder Terek, der Sulak und der Samur, der Grenzfluss zu Aserbaidschan. In Dagestan liegt der südlichste Punkt der Russischen Föderation.

Neben kaukasischen finden sich indoeuropäische, semitische und altaiische Sprachen. Ethnische Hauptgruppen sind die Awaren (28 Prozent), die Darginer (16 Prozent), die Kumyken (13 Prozent) und die Lesginer (11 Prozent). Auch sechzigtausend Tschetschenen siedeln in der überwiegend stark gebirgigen dagestanischen Republik. - Die Agulen leben im südlichen Teil der Dagestanischen Republik,  zur Russischen Föderation gehörig. Ethnisch gesehen stehen die Agulen den Lesginern, einem anderen Volk Dagestans, nahe. Die Agulen nennen sich selbst "agul", nach ihrem ursprünglich bevorzugten Siedlungsgebiet, der Schlucht Aguldere - in der agulischen Sprache bedeutet "dere" Schlucht.

"Die Agulen, früher in drei Abteilungen (...) getheilt, deren Unterscheidung nicht festgestellt worden ist, heissen in der administrativen Sprache jetzt kurzweg Agúl-Koschán. Das Wort Koschán deutet vielleicht auf Lebensweise und Beschäftigung. Da Näheres und Eigenthümliches aus Zeitmangel nicht erforscht werden konnte, zumal das Vordringen von Norden her ein sehr beschwerliches ist, so musste es bei einem ganz kurzen Besuche in Tschai aufwärts von dem Gebietshauptorte des kürinischen Bezirks, Kassumkent, bis zu dem ersten agulischen Orte Tratalyk (Duruschtul) gefolgt wurde, während der Oberlauf des Kuratschai das eigentliche Gebiet der Agulen in schwer zugänglicher hoher Gebirgsgegend bildet."

Roderich von Erckert (1821-1900; deutscher Ethnograph, Kartograph und Offizier in russischen Diensten),

Der Kaukasus und seine Völker, 1887

 

 

 

 

 

 

 

Bevölkerung: Nach  der  Volkszählung von  1926  zählten die  Agulen 7 653 Angehörige; 1939  wurden sie nicht gezählt; 1959  waren es 6 460 Agulen; 1970 gleich 8 751; 1979 gleich 11 752; 1989 gleich 17 728; 2002 gleich 28 297;  nach der letzten Volkszählung von 2010 gaben sich 34160 Personen als Agulen aus. Die Agulen sind ein kaukasisches Berghirtenvolk, das im Zuge der arabischen Eroberung Dagestans bereits im 8. Jahrhundert islamisiert wurde. - Die ethnische Zusammensetzung Dagestans: Agulen (   ), Awaren (29,2 Prozent), Darginer (16,9 Prozent), Kumyken (14,8 Prozent), Lesginer (13,2 Prozent, Lakier (5,5 Prozent), Nogaier (    Prozent), Rutulen (     Prozent), Tabassaraner (4,1 Prozent), Taten (    Prozent), Zachuren (    Prozent); Russen 3,3 Prozent (2010).

 

 

 

Besonderheiten innerhalb Dagestans: Als einzige Dagestanerin verbarg (und verbirgt) die Agulin ihr Haar nicht unter einem Kopftuch, und die Agulen trinken als einziges dagestanisches Volk ihr(e) Gläschen ohne Trinkspruch.

 

Fläche: Mit seinen 50 270 Quadratkilometern gilt Dagestan ethnographisch als Region der Rekorde, denn 2,9 Einwohner teilen sich auf in elf Hauptnationalitäten und Dutzende kleinere Ethnien mit kompakten Siedlungsgebieten; die Bevölkerungsdichte beträgt 58 Einwohner pro Quadratkilometer (2010).

 

Geschichtliches: Die Geschichte der Agulen ist eng mit der Vergangenheit anderer Völker auf dem Territorium Dagestans verbunden.  Alten Quellen ist zu entnehmen, dass die Agulen im 4. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zum Bestand des frühen Staates Kaukasus-Albanien gehörten. Im 13. Jahrhundert erwiesen sie den tatarisch-mongolischen Eroberern einen heldenhaften Widerstand. Im 18. Jahrhundert sahen sie sich den Überfällen des persischen Schahs Nadir ausgesetzt. - In der Geschichte Dagestans gab es drei russisch-dagestanische Kriege. Den ersten in den Jahren 1588 bis 1607, als die Heere des Zaren Boris Godunow ergebnislos versuchten, das Dagestanische Reich zu erobern. Der zweite Krieg fand 1722-1735 statt. Ihn hatte Peter I. begonnen, und nach seinem Tode setzten ihn die neuen Herrscher Russlands fort. Dieser Krieg  wurde bei Derbent gestoppt. Die russischen Truppen besetzten damals das Küstengebiet von Dagestan. Der dritte Krieg dauerte von 1829 bis 1859, und ging in den Großen Kaukasus-Krieg über. Anfang des 19. Jahrhundert waren die Agulen mit der Eroberung Dagestans durch die Russen unter deren Oberhoheit.

 

 

Am 12. Februar 1922 war eine Delegation aus Dagestan bei Lenin. Dschalaletin Kormassow,

Vorsitzender des Dagestanischen Rates der Volkskommissare, erinnerte sich später: "Da wir oft die Erfahrung gemacht hatten, dass führende Funktionäre nicht genau wussten, wo Dagestan liegt, hatten wir eine Karte mitgenommen. doch Lenin lachte aus vollem Halse uns sagte: `Ihr habt euch umsonst

Sorgen gemacht, Genossen, ich weiß, wo Dagestan liegt...´"

Zeichnung von N.-P. Abdullajew, Reproduktion aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Staatsgefüge:

Verbannungsgebiet:

Hauptstadt: Die Hauptstadt Dagestans ist Machatschkala, von 1857 bis zur Umbenennung 1921 Port-Petrowsk; Machatschkala  hat 572 076 Einwohner (2010).

"Die Dagestaner hatten einen Brauch. Wenn ein Kind gar zu kränklich aufwuchs, gab man ihm einen neuen Vornamen. Auch die heutige Hauptstadt  der Dagestanischen ASSR ist mehr als einmal umbenannt worden. Nach der Ankunft Peters I. in der Militärfestung Andshi-Kala wurde sie 1722 ihm zu Ehren in Petrowskoje  umbenannt. Trotzdem blieb sie kränklich - schmutzig und unansehnlich `wie ein zerrissener Stiefel, den ein Wanderer am Ufer des Kaspischen Meeres weggeworfen hatte´. - 1920 wurde die malariaverseuchte, da Port Petrowsk geheißene Stadt, umbenannt in Machatschkala - zu Ehren des ersten dagestanischen Revolutionären Kriegskommissars Machatsch Dachadajew. Hat die am Westufer des Kaspischen Meeres gelegene Hafenstadt endlich den richtigen Namen? Jedenfalls kann sich Machatschkala - heute Industrie- Wissenschafts- und Kulturzentrum Dagestans - durchaus sehen und hören lassen..."

Aus: FREIE WELT 21/1982

Wirtschaft: Die Agulen betrieben traditionell Ackerbau und Viehzucht. Eine wichtige Rolle in ihrer Bauernwirtschaft spielten auch die Kleingewerbe: die Verarbeitung von Wolle, Leder, Eisen und Stein. Außer Tuch und Wolle wurden Teppiche hergestellt, die im Kaukasus sehr gefragt waren. Eine hohe Meisterschaft erlangten die Agulen in der Baukunst. Mit dem Bau von Wohnhäusern, Brücken und Moscheen war unmittelbar auch die Steinmetzkunst verbunden. Von ihrer hohen Meisterschaft in diesem Handwerk  zeugt die Tatsache, dass gerade die Agulen als Steinmetze von den Nachbarvölkern zum Bau einer Moschee eingeladen wurden.

Verkehr: 1896 erhielt Petrowsk-Port (das heutige Machatschkala) mit der Verlegung der Eisenbahn zwiscchen Rostow am Don und Baku einen Anschluss an das russische Schienennetz. Die Republik Dagestan ist wichtig für den Transitverkehr von Russland nach Aserbaidschan und in den Iran.

 Sprache/Schrift: Das Agulische gehört zur nordöstlichen Gruppe der kaukasischen Sprachen. Die agulische Sprache gehört zur nachisch-dagestanischen Gruppe der nordkaukasischen Sprachfamilie. Aufgrund der geographischen Gegebenheiten ihres Landes konnten die Agulen ihre traditionelle Lebensform und ihr Selbstbewusstsein als Volk bewahren und bis zum heutigen Tag ihre Sprache von Generation  zu Generation weitergeben. Agulisch unterteilt sich in zwei Dialektgruppen: Agulisch selbst und Koschanisch. Jede dieser Gruppen unterteilt sich in verschiedene Unterdialekte. Die Ursache der starken dialektalen Zersplitterung liegt vor allem in der geographischen Isolation, denn in dem von den Agulen bewohnten Gebiet im Südosten von Dagestan mit den hohen Gebirgsketten ist die Kommunikation zu den verschiedenen Völkern und Dörfern den Großteil des Jahres nur schwer möglich. Erst seit 1992 gibt es einen schriftlichen Standard für Agulisch, die Agulen hatten bis dahin keine eigene Schrift. In einigen Gebieten, in denen Agulisch gesprochen wird, gibt es verschiedene Schulen, an denen die Sprache in der Primarstufe Lernobjekt ist. Vor der Entwicklung des schriftlichen Standards verwendeten die Agulen Lesginisch als Schriftsprache und im Lehrbereich (neben dem Russischen, das ab 1950 in die Sekundarstufe eingeführt wurde). Wie auch der Rest der Sprachen in Dagestan steht Agulisch vor Problemen, die das Überleben und die Weitergabe der Sprache an die jüngeren Generationen erschweren. Die Ursache dafür ist im Mangel an qualifizierten Lehrern, an aktualisierten Lehrbüchern und an einheimischen Medien zu suchen. Jedoch hat sich das Agulische im Gegensatz zu anderen Sprachen kleiner Ortschaften Dagestans besser erhalten, da der Einfluss des Russischen und des Lesginischen in den ländlichen Gebieten geringer ist. Obwohl die Sprache der Agulen zur lesginischen Sprachgruppe gehört, also aus linguistischer sicht des lesginischen Sprache nahesteht, sind die Unterschiede so groß, dass Lesginer und Agulen einander nicht verstehen.

Literatursprache/Literatur: Als Literatursprache dient das nahe verwandte Lesginische.

Bildung:

Kultur/Kunst:

Gesundheitswesen:

 

 

 

 

 

Eine agulische Krankenschwester in der Geburtsklinik von Machatschkala.

Foto. Detlev Steinberg

 

Klima: Dagestans Klima ist Übergangsklima vom kontinentalen zum subtropischen Typ.

Natur/Umwelt:

Pflanzen- und Tierwelt:

Behausungen: In den Niederungen stehen die Häuser freier als im Gebirge, meistens  haben sie ein bis zwei Geschosse. Die Besonderheiten der Wohnbedingungen spiegeln sich auch in der Folklore des Volkes wider.

Ernährung: Noch unlängst sah das Menü der meisten, nicht gerade wohlhabenden Bergbewohner recht armselig aus. Es überwogen Speisen aus Pflanzen und Milchprodukten, Gemüse war kaum bekannt, und Fleisch wurde nur zu festlichen Anlässen zubereitet. Die moderne dagestanische Küche ist dagegen schon viel reichhaltiger. Viele Gerichte, die früher nur an Festtagen zubereitet wurden, gehören heute zum Alltagsmenü einer jeden Familie. Sehr beliebt sind solche Gerichte wie Schaschlyk und Chinkal, die als Vorspeise oder als Hauptgericht serviert werden, ebenso Suppen mit Hammelfleisch. Ein einfaches Rezept der agulischen Küche: Pelmeni mit einer Brennnesselfüllung. Man bereitet den üblichen Pelmeni-Teig zu, lässt ihn 30 bis 40 Minuten ruhen und rollt ihn dann aus, so dass er 1,5 bis 2 Millimeter dick ist. Man vermischt 150 Gramm kleingehackte junge Brennnesselblätter mit 50 Gramm kleingeschnittener Zwiebel und brät das ganze kurz mit 1 bis 2 Löffeln Öl. Dann formt man die Pelmeni mit der Brennnesselfüllung, gibt sie in siedendes Salzwasser. Sobald sie an der Oberfläche auftauchen, lässt man sie noch 4 Minuten garen. Dann werden sie herausgenommen und entweder mit zerlassener Butter oder mit saurer Sahne heiß serviert.

Kleidung:

 

 

 

 

 

 

Bastschuhe, wie sie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von den agulischen Männern getragen wurden.

Zeichnung aus: Rellers Völkerschafts-Archiv

 

Folklore:

Feste/Bräuche: Nach altem Brauch wird in den Bergen des Kaukasus der Neuankömmling in den ersten drei Tagen als Gast betrachtet, am vierten Tag aber schon dem Hausherrn gleichgestellt.

Religion: Die Agulen wurden bereits im 8. Jahrhundert im Zuge der arabischen Eroberung Dagestans islamisiert; die gläubigen Agulen sind sunnitische Moslems. - Die Mehrheit der Bevölkerung Dagestans bekennt sich zum sunnitischen Islam.

Ereignisse nach dem Zerfall der Sowjetunion, sofern sie nicht bereits oben aufgeführt sind: Die Republik Dagestan ist seit 1991 eine russische Republik im Nordkaukasus im südlichen Teil Russlands. Vorgänger des multinationalen Föderationssubjekts war die Dagestanische Autonome Sozialistische Sowjetrepuiblik (ASSR) im Rahmen der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR).

"In Russlands Teilrepublik Dagestan werden regelmäßig Menschen entführt und gefoltert. Angehörige der Opfer und Menschenrechtler glauben, dass Polizei oder Geheimdienste dahinter stecken. (…) In Dagestan – Russlands autonomer Teilrepublik im Nordkaukasus, der östlichen Nachbarregion von Tschetschenien – wurden seit Anfang des Jahres zwanzig 2012 Menschen entführt, so die Statistik der Staatsanwaltschaft. In den meisten Fällen wurden am Tatort maskierte Männer in Militäruniform gesehen."

In: Die Welt vom 31. Mai 2012

Kontakte zur Bundesrepublik Deutschland:

 

Interessant, zu wissen..., dass das Mineral Schungit nur in Karelien vorkommt. Schungit bildet eine weltweit einmalige Sonderform des Kohlenstoffs, ein sogenanntes Fulleren. Kohlenstoff-Fullerene kommen sonst nur im Kosmos vor, und daher vermutet man auch für den Schungit einen kosmischen

 

Heimat ist da, wo man liebt und geliebt wird.

Sprichwort der Agulen

 

Als Journalistin der Illustrierten FREIE WELT – die als Russistin ihre Diplomarbeit über russische Sprichwörter geschrieben hat - habe ich auf allen meinen Reportagereisen in die Sowjetunion jahrzehntelang auch Sprichwörter der dort ansässigen Völker gesammelt - von den Völkern selbst,  von einschlägigen Wissenschaftlern und Ethnographen, aus Büchern ... - bei einem vierwöchigen Aufenthalt in Moskau saß ich Tag für Tag in der Leninbibliothek. So ist von mir erschienen: 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Ich bin, wie man sieht, gut damit gefahren, es mit diesem turkmenischen Sprichwort zu halten: Hast du Verstand, folge ihm; hast du keinen, gibt`s ja noch die Sprichwörter.

Ich bin, wie man sieht, gut damit gefahren, es mit diesem turkmenischen Sprichwort zu halten: Hast du Verstand, folge ihm; hast du keinen, gibt`s ja noch die Sprichwörter.

Hier vierzig agulische Sprichwörter:

 (Bisher Unveröffentlicht)

Das Alter fließt ruhig dahin.

Die Flamme ist die Rose des Winters.

Je mehr Früchte an einem Baum, um so tiefer neigt er seinen Wipfel.

Ein Gefäß ohne Griff darf nicht ohne Deckel bleiben.*

Gras, das direkt vor ihrer Höhle wächst, schätzt die Schlange nicht.

Greisentum ist der halbe Tod.

Wenn die rechte Hand leer ist, hält die linke mit ihr keine Freundschaft.

Wer mit einem Hirsch in Freundschaft lebt, wird edel wie ein Hirsch.

Selbst Honigschlecken macht Mühe.

Würdevolle Menschen gibt´s auf der Welt seltener als Silber.

Ehe der Mund des Jüngeren nicht schweigt, ruht die Faust des Älteren nicht.

Auch eine Papacha** aus teuerstem Pelz macht den darunter nicht klüger.

Ein kluger Pjatak*** ist besser als ein dummer Tuman****.

Wer viel Salz gegessen hat, muss viel Wasser trinken.

Jeder sieht sich selbst groß.

Der Sohn wird nicht deshalb gut, weil der Vater gut ist.

Sündhaft ist Speise ohne Wasser und essen ohne Nachbar.

Der Tag kommt, an dem sogar die Tochter des Mullas sündigt.

Der Tag des Armen beginnt mit Leid und endet mit Stöhnen.

Besser kleiner Teil eines großen zu sein, denn großer Teil eines kleinen.

Binde das Tuch um den Kopf, solange er heil ist.

Auch wenn du ins Unglück gerätst, ein Schwein nennst du nicht deinen Vater.

Verstand ist Dukatengold.

Wenn ein ganzes Volk bläst, gibt es Wind.

Die Ware hat zu Hause und auf dem Basar verschiedene Preise.

Bevor du weben kannst, musst du spinnen.

Wie schön ist die Welt nach einem Gewitter.

Die Welt ist eine Waage, deren Gleichgewicht gestört ist.

Wer mit Wind dienst, dem wird mit Rauch gezahlt.

Der Wind bringt´s, der Wind nimmt´s.

Gutes Wort kann Steine erweichen.

Wiederhole weder dich selbst, noch fremde Worte.

Der Wunsch, Plow***** zuzubereiten, macht Gerste nicht zu Reis.

Zärtlichkeit ist die Zierde der Frau.

Wer Zaumzeug klaut, stiehlt auch Pferde.

Wenn die Zeit ein Fuchs ist, muss der Poet sein Spürhund sein.

Die Zunge ist kein Bein, wer über sie stolpert, bleibt liegen.

Keine Zwiebel auf der Welt, die nach Äpfeln duftet.

 

* Der Sinn dieses Sprichworts ist mit Gefäßen aus dem Kobanischen Schatz (Koban-Kultur, 10./11. Jahrhundert) zu erklären. Gefäße aus diesem Schatz haben Griffe in Form eines Tieres, das die Öffnung des Gefäßes bewacht. / ** Papacha =  hohe Karakul-Schafffellmütze, ist das Symbol für Männerehre und –würde. / *** Pjatak = kleinere Münze / **** Tuman = größere Münze / Plow = orientalisches Gericht aus gekochtem Reis mit Hammelfleisch-Stückchen.

 

Interlinearübersetzung aus dem Russischen: Johann Warkentin; gesammelt und in Sprichwortform gebracht von Gisela Reller

 

Als Reporter der Illustrierten FREIE WELT bereisten wir 1981 Dagestan. Über die dagestanischen Völkerschaften berichtete ich in der FREIEN WELT Nr. 21/1982 auf  26  Seiten.

 

Im Land der Bergadler  (LESEPROBE  aus:  FREIE  WELT Nr. 8/1987)

 

"Dagestan hat Berge und Ebenen, Steppe und Meer. nachhaltig in Erinnerung geblieben ist mir das Gebirgspanorama: kahle, gänzlich unbewachsene Felsen und abgrundtiefe Schluchten, nur wenige hundert Meter weiter im Vordergrund dunkel bewaldete Steinbocken und höher und höher hinauf ewige Schneegipfel, Sonnen beschienen, glitzernd wie Kristall, dann graues Gestein und in dessen weitreichenden Felsspalten tiefrot blühendes Gesträuch und hochsommerliche leuchtendgelbe Blätter. Wagt man einen Blick in die Tiefe, wird man entschädigt durch Bergbäche und blinkende Flüsse, schlangengleich, sich endlos windend, mit schmalen Brücken. Adler, die man stolz über sich vermutet, gleiten unter uns dahin, majestätisch, mit breit auslandenden Schwingen - niemandem untertan.

Kilometerweit voneinander entfernt befinden sich die Ansiedlungen: kleine Häuser meist, dicht an dicht am Berghängen übereinander gebaut. Was dem einen sein Dach, ist dem andern Terrasse und Weg. Hier und da auch ein Minar3ett, meist jedoch nur noch Wahrzeichen der alten Zeit.

Ein vielgereister Handelsmann schrieb in sein auf uns überkommenes Tagebuch, dass er nur zwei wirklich bunte Dinge auf der Welt kenne - das Kopftuch einer Negerin von Haiti und die ethnographische Karte Dagestans: mehr als dreißig dagestanische Völkerschaften und ethnische Gruppen sprechen hier in neunundzwanzig Sprachen und siebzig Dialekten, acht dagestanische Nationen erhielten nach der Oktoberrevolution eine Schriftsprache: die Awaren, Darginer, Kumyken, Lakier, Lesginer, Tabassaraner, Nogaier und Taten. Die Volkszählung von 1979 wies darüber hinaus als Völkerschaften gesondert aus die Agulen, Rutulen und Zachuren, die eigenständige Sprache sprechen, jedoch keine Schriftsprachen haben.

Die Dagestanische ASSR ist nicht nach einer der zahlenmäßig stärksten ansässigen Völkerschaft benannt, sondern nach ihrer typischen Landschaft - ihren Bergen; "dag" heißt Berg, Dagestan bedeutet "Land der Berge". Der Grund für diese Namensgebung ist das immerwährende Bemühen um nationale Gerechtigkeit, denn Dagestan ist die einzige ASSR, auf deren Territorium seit Jahrhunderten so viele angestammte verschidenartige Völker leben. Um die Vielzahl der Sprachen zu erklären, erzählt man in Dagestan diese Legende. Da ritt vor langer Zeit ein Sendbote Allahs durch das dagestanische Land. Sein über die Schulter geworfener Sach war voller Sprachen. Als ein solcher Schneesturm aufkam, dass er und sein Pferd sich nicht mehr auf den Beinen halten konnten, schüttete der ungetreue Bote den schweren Sack einfach über die Felsen aus, auf dass der wilder Sturm gleich hier auf dagestanischer Erde alle Sprachen verteile.

In Wahrheit boten die hohen Berge den einzelnen Siedlungen nicht nur Schutz vor feindlichen Überfällen, sondern sie behinderten auch den Kontakt zwischen den einzelnen Völkern und Stämmen. Und so sprachen und sprechen denn die Bergbewohner vieler Schluchten und sogar einzelner Auls* auf ihre Weise.

Auch die Agulen.

 

 

 

 

 

Blick auf den agulischen Aul Tschoch - hoch oben in den Bergen.

Foto: Detlev Steinberg

 

Allah sei Dank, erging es uns nur ähnlich wie weiland Herrn von Erckert, der in seinem 1887 in Leipzig erschienenen Buch `Der Kaukasus und seine Völker´  über die Agulen schreibt, dass `Näheres und Eigenthümliches´ aus Zeitmangel nicht erforscht werden konnte´. auch wir, die wir kreuz und quer durch dagestanisches Land reisten, sind - aus Zeitmangel - nicht bis zu den angestammten Siedlungsgebieten der Agulen vorgestoßen, obwohl wir bei ihren unmittelbaren Nachbarn waren, den östlichen Tabassaranern, den nördlichen Darginern, den südlichen Lesginern. Wir jedoch hatten das Glück, dennoch Agulen kennenzulernen, von denen wir durchaus `Näheres und Eigenthümliches` erfuhren: ´Früher, so erzählt uns Mafiat Radshabowa, `waren die Agulen nahezu unauffindbar, man konnte nur über Pässe zu ihnen gelangen, viele sogar zu schmal für ein Pferd. Für den ganzen Kjuriner Bezirk, in dem auch die Agulen lebten, stand ein Arzt zur Verfügung.´ Man sagt, die  7 185 Agulen (Zählung von 1895) wussten vor der Revolution gar nicht, dass es außer Medizinmännern auch richtige Ärzte gibt. Erst 1934 wurde den Agulen ein geregelter Kontakt mit der Außenwelt ermöglicht - durch den Bau einer einhundertundzwanzig Kilometer langen Straße in der Schlucht Machudere, die davor überhaupt nur von Wagehälsen durchquert worden war. Gleich nach der Fertigstellung der Straße im Jahre 1936 wurde die Siedlung Tpig zum kulturellen Zentrum erklärt, der erste Bau war ein Spital. Aus Tpig auch stammt Mafiat Radshabowa, der wir in Machatschkalas Geburtsklinik begegnen. Die Klinik, 1978 erbaut, ist die modernste iher Art in Dagestan. Man hatte Mafiat Radshabowa in dieses bestausgerüstete Krankenhaus überwiesen, weil man Komplikationen bei der Geburt befürchtet hatte. Doch alles ging gut, Mafiat Radshabowa hat ihr drittes Kind, ein Mädchen, gesund zur Welt gebracht. In Machatschkala wird nach Moskauer Methode schmerzarm entbunden. (Ich bin 1980 bei einer solchen Entbindung in Moskau dabei gewesen.)

In Machatschkalas Klinik stehen an allen Betten Telefone für Gespräche mit den Angehörigen. Vater Radshabow hat sich auch über ein drittes Mädchen gefreut, sagt Mafia Radshabowa. Das, wo weiß ich, ist längst nicht selbstverständlich bei jedem Mann in Dagestan. Sollte ein Vater seinem Sprössling schon in den ersten Lebenstagen öfter mal forschend in die Augen gucken wollen, so kann er das über Videotelefone des Krankenhauses. In die Arme nehmen darf er sein Neugeborenes allerdings erst am siebenten Tag. Vorher hat kein Vater - Infektionsgefahr! - Zutritt in das sterile Geburtenreich. Apropos reich, sprich kinderreich: Berechnet auf eintausend Einwohner werden in Dagestan jährlich achtundzwanzig Kinder geboren (im übrigen Russland sind es zwölf).

 

 

Neugeborene Dagestaner in der Geburtsklinik von Machatschkala.

Foto: Detlev Steinberg

 

Mafiat Radshabowa arbeitet in Tpig in einem Laboratorium, das sich mit neuen Methoden der Geflügelzucht beschäftigt. `Vor der Revolution´, erzählt sie mir, `gab es in Dagestan als einziges Geflügel zwei Gänse - als ´seltene Tiere´ bestaunt.´ Mafiat Radshabowas Mann ist Meister auf einer Baustelle. Fünf Kinder wünschen sich die beiden. `Großmutter hatte auch fünf, siebzehn waren ihr gestorben. Frage man sie, woran, hob sie nur traurig die Achseln.´ Kein Weg führte für sie damals zu dem einzigen Arzt der Agulen.

1981, im Jahr unseres Aufenthaltes in Dagestan, kümmern sich 230 Gynäkologen, 1 300 Hebammen und 400 Kinderärzte allein um die Gesundheit von Mutter und Kind. An der Medizinischen Hochschule von Machatschkala sind drei Agulen immatrikuliert - zwei Mädchen und ein junger Mann -, die Ärzte werden wollen, einer von Kinderarzt. Abdurachman Termit sagt uns, dass seine Großmutter ihn beschworen habe, Medizin zu studieren. Sie hatte achtzehn Kindern das Leben geschenkt, siebzehn starben, alle bevor sie das dritte Lebensjahr erreicht hatten.

Der Vater Abdurachman  Termits ist Hirt, die Mutter Kolchosbäuerin. Abdurachman  Termit hatte sich nicht vorstellen können, einmal Arzt zu sein. Heute ist er, der einzige Enkel, seiner Großmutter dankbar für ihr Drängen. Die Großmutter war es auch, die ihm viele `Eigenthümlichkeiten´ über die Agulen erzählte: So war es früher Brauch, dass sich mit der Schafzucht ausschließlich die Männer beschäftigten, sie hüteten die Schafe, melkten und schoren sie und verarbeiteten auch die Schafsmilch; die Betreuung des Hornviehs dagegen oblag ausschließlich den Frauen. So war es in Dagestan überhall üblich, dass die traditionelle Behausung in eine Frauen- und in eine Männerhälfte unterteilt war. Nicht so bei den Agulen. Hier war der (meist einzige) Raum in eine Hälfte für die Familie und eine Hälfte für die Gäste unterteilt. - Eigentümlich auch, dass der eintreffende Gast erst begrüßt wurde, nachdem er die Oberbekleing und die Waffen abgelegt und ein Weilchen besinnlich im Gästeteil gesessen hatte. Das besinnliche Sich-auf-seinen Besuch-Einstellen will mir übrigens sehr gefallen... So waren und sind die Agulen auch das einzige dagestanische Volk, bei dem es nicht üblich war und ist, bei Tisch Trinksprüche auszubringen. Und nahezu einmalig in den islamgläubigen Ländern stehen die Agulen mit dieser Besonderheit da: Bei der Aufteilung des Familienbesitzes - zum Beispiel bei Auseinandergehen der Familie - erhielten auch alle Schwestern einen Bodenanteil und einen Teil des bewegliches Eigentums.

Zur Ehrenrettung Herrn von Erckerts sei gesagt, dass vor hundert Jahren die Agulen ihre unzugänglichen Siedlungen nur verließen, um als Saisonarbeiter nach Derbent oder nach Baku (Aserbaidschan) zu gehen. So verließen fast alle erwachsenen agulischen Männer für zehn bis zwanzig Kopeken Tageslohn vor Einbruch des Winters ihr Heimatdorf. Zurück blieben die Frauen, die alten Leute und  - die Kinder, sofern sie für´s Leben geboren waren."

 

* Auls = Bergdörfer

 

Von 1985 bis 1990 arbeitete ich unter dem Titel "Die Heimat ist eine goldene Wiege" für den Berliner Dietz-Verlag an einem "Lesebuch der Völker der Sowjetunion". Auch dieses Projekt konnte auf Grund des Zerfalls der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken nicht mehr realisiert werden. Dieses  bisher deutsch Unveröffentlichte Märchen hatte ich für jenes "Lesebuch" vorgesehen:

 

Das agulische Märchen Ein Knirps - weiser als der König

*

Es war einmal oder war auch nicht, ein König. Dieser König, wenn er sich morgens auf seinen Thron setzte, pflegte seinen Wesiren zu sagen: `"Niemand auf der Welt ist klüger als ich."

So ging das zwei oder drei Jahre lang. Eines Tages sagte ein alter Wesir zu ihm: "Oh, König, warum sprichst du so? Und wenn nun doch jemand klüger ist als du?" Da erboste sich der König und sagte: "Innerhalb dreier Tage schaffe mir diesen Menschen herbei! Gelingt es dir nicht, bringe ich dich um. Machst du dich davon, so lass ich deine Kinder töten." Der Wesir wechselte zu Hause die teuren Kleider und machte sich auf den Weg. Einen Tag lang ging er, und gegen Mittag des zweiten Tages, als er immer noch weiter schritt, saß da am Wegesrand ein kleiner Junge, der fragte ihn: "He, Großväterchen, warum machst du dir so viele Gedanken, und wohin gehst du eigentlich?" Der Wesir sagte darauf nichts und ging weiter. Doch dann überlegte er: Anderthalb Tage sind vorbei, ebensolche brauche ich für den Rückweg, und wenn ich mich verspäte, tötet der König meine Kinder. So kehrte er wieder um. Und wieder saß da am Weg der Junge. Der stand jetzt auf und ging auf den Wesir zu. "Was ist dein Kummer?" fragte er ihn. "Du kannst meinen Kummer nicht heilen", meinte der Wesir und wollte weitergehen. Doch der Junge blieb nicht zurück. Da sagte ihm der Wesir: "Unser König sagt, es gibt keinen klügeren Menschen als ihn." Darauf sagte der Junge: "Euer König ist dumm." Sie übernachteten zusammen im Freien und setzten anderntags ihren Weg fort. Zur selben Zeit hielt der König oben auf seiner Festung Ausschau, ob der Wesir auch käme. Da sieht der König: Weser kommt mit einem kleinen Jungen gegangen. Er ruft seine Diener und sagt: "Dort kommt der Wesir mit einem Jungen. Grabt auf der Straße schnell ein großes Loch und füllt es mit Wasser, aber so, dass der Wesir euch nicht sieht!" Die Diener führten den Befehl aus und kehrten zurück. Wie nun die beiden zu dem See kommen, fragt der Junge: "War der See schon da, als du hier vorbei kamst?" - "Nein", sagte der Wesir. Da nahm der Junge einen Stock, hob ihn hoch und warf ihn ins Wasser. Als der König das sah, erklärte er: "Das erste Rätsel hat der Junge richtig gelöst." Und zum Diener sprach er: "Geh hinaus und wirf ein Stück Eisen auf den Weg!" Der ging und tat, wie ihm geheißen. Dieses Stück Eisen fanden die beiden. Der Junge hob es auf und machte mit dem Finger ein Zeichen. "Ha, meine zweite Frage hat er auch beantwortet", sagte der König. Und zum Diener: "Wirf ein Stück Stahl auf die Straße. Der Junge hob das Stahlstück auf, holte einen Flint aus der Tasche und schlug Feuer, dass die Funken nur so sprühten. Der König sagte: "Auch die dritte Aufgabe hat er gelöst. Lasst ihn herein." Als erster erschien der Wesir, ihm folgte der Junge. Beide entboten sie dem König ihren Gruß. Der König grüßte zurück, dann strich er sich mit der Hand über den Bart und zeigte auf den Jungen. Darauf tat der Junge so, als würde auch er sich über den Bart streichen, und berührte mit der Hand dabei seinen Scheitel. Der König sagte: "Dieser Junge weiß auf alles eine Antwort, er ist klüger als ich." - "Wie denn das", wollten die Wesire wissen,

Der König erklärte es ihnen. "Ich zeigte ihm ein Meer, und das bedeutete: Ich bin wie das Meer so groß, mit mir kannst du nicht streiten! Da sagte er: bist du ein Meer, bin ich ein Schiff, das oben schwimmt. Ich zeigte ihm ein Stück Eisen: Ich bin wie Eisen, wollte ich damit sagen. Und er zeigte mir mit seinen Fingern einen Nagel: ich dringe durch das Eisen, sagte er mir mit dieser Geste. Ich zeigte ihm ein Stück Stahl, und er mir einen Flint: Mit diesem Feuerstein mach ich dich fertig, sagte er damit. Schließlich wies ich auf meinen Bart: Wie kannst du Knirps dich an Klugheit mit einem Weißbart messen? Und seine Antwort war: Klugheit steckt nicht im Bart, sie hat im Kopf zu sein...

Mit diesen Worten hatte der Junge mich besiegt. Von heute an werde ich nie mehr sagen, ich bin der Klügste auf der Welt. Und dieser Junge soll mein Ratgeber sein."

Deutsch von Johann Warkentin; gesammelt und redigiert von Gisela Reller

 

 

 

Rezensionen und Literaturhinweise (Auswahl) zu den AGULEN

 

 

Rezension in meiner Webseite www.reller-rezensionen.de

 

KATEGORIE BELLETRISTIK: Steffi Chotiwari-Jünger (Hrsg.), Die Literaturen der Völker Kaukasiens, Neue Übersetzungen und deutschsprachige Bibliographie, Literatur der Abasiner, Abchasen, Adygen, Agulen, Armenier, Aserbaidshaner, Awaren, Balkaren, Darginer, Georgier, Inguschen, Kabardiner, Karatschaier, Kumyken, Kurden, Lakier, Lesginer, Nogaier, Osseten, Rutulen, Tabassaraner, Taten, Tschetschenen, Ubychen, Uden, Zachuren, Zowatuschen (Bazben)., Reichert Verlag, Wiesbaden 2003.

"Am meisten an diesem außerordentlich arbeitsaufwendigen Buch beeindruckt die gelungene Mischung von Lesevergnügen und Wissenschaftlichkeit. Hier kommt sowohl der Literatur liebende Leser auf seine Kosten als auch der Kaukasusspezialist."

In: www.reller-rezensionen.de

 

Literaturhinweise (Auswahl)

 

Roderich von Erckert, Der Kaukasus und seine Völker, Mit Textabbildungen, etc., Verlag von Paul Frohberg, Leipzig, 1887.

Aus der Einführung: "Ein zweijähriger Aufenthalt auf dem Kaukasus in höherer militärischer Stellung, gab durch dienstliche und private zu wissenschaftlichem Zweck unternommene ausgedehnte Reisen die Möglichkeit und Gelegenheit, Land und Leute in verschiedenen Gegenden und Gruppen zu erforschen und für vieles eine Anschauung zu gewinnen, was ausserhalb der gewöhnlichen Reiserouten liegt. Wenn die Schilderung freilich ein zusammenhängendes, umfassendes Ganzes bilden kann, so darf sie vielleicht den Anspruch erheben, einigen Werth darin zu besitzen, dass sie auf an Ort und Stelle gesammelten persönlichen Angaben und Eindrücken beruht, dass mit eigenen Augen geschaut, mit eigenem Ohr gehört wurde. (...) Anstrengung, Zeit und materielle Opfer, selbst Gefahr bei lokalen Schwierigkeiten wurden nicht gescheut, - in erster Linie aber anthropologische und ethnographische Forschungen angestellt, um möglichst alle noch wenige bekannte oder in vielem unbekannte Völker und Volksstämme auf dem Kamm des Gebirges und dessen Nordabhängen zu besuchen."

 

 

 

Bibliographie zu Gisela Reller

 

Bücher als Autorin:

 

Länderbücher:

 

* Zwischen Weißem Meer und Baikalsee, Bei den Burjaten, Adygen und Kareliern,  Verlag Neues Leben, Berlin 1981, mit Fotos von Heinz Krüger und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Diesseits und jenseits des Polarkreises, bei den Südosseten, Karakalpaken, Tschuktschen und asiatischen Eskimos, Verlag Neues Leben, Berlin 1985, mit Fotos von Heinz Krüger und Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

* Von der Wolga bis zum Pazifik, bei Tuwinern, Kalmyken, Niwchen und Oroken, Verlag der Nation, Berlin 1990, 236 Seiten mit Fotos von Detlev Steinberg und Zeichnungen von Karl-Heinz Döhring.

 

Biographie:

 

* Pater Maksimylian Kolbe, Guardian von Niepokalanów und Auschwitzhäftling Nr. 16 670, Union Verlag, Berlin 1984, 2. Auflage.

 

 

... als Herausgeberin:

 

Sprichwörterbücher:

 

* Aus Tränen baut man keinen Turm, ein kaukasischer Spruchbeutel, Weisheiten der Adygen, Dagestaner und Osseten, Eulenspiegel Verlag Berlin in zwei Auflagen (1983 und 1985), von mir übersetzt und herausgegeben, illustriert von Wolfgang Würfel.

* Dein Freund ist dein Spiegel, ein Sprichwörter-Büchlein mit 111 Sprichwörtern der Adygen, Dagestaner Kalmyken, Karakalpaken, Karelier, Osseten, Tschuktschen und Tuwiner, von mir gesammelt und zusammengestellt, mit einer Vorbemerkung und ethnographischen Zwischentexten versehen, die Illustrationen stammen von Karl Fischer, die Gestaltung von Horst Wustrau, Herausgeber ist die Redaktion FREIE WELT, Berlin 1986.

 * Liebe auf Russisch, ein in Leder gebundenes Mini-Bändchen im Schuber mit Sprichwörtern zum Thema „Liebe“, Buchverlag Der Morgen, Berlin 1990, von mir (nach einer Interlinearübersetzung von Gertraud Ettrich) in Sprichwortform gebracht, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen, illustriert von Annette Fritzsch.

Aphorismenbuch:

* 666 und sex mal Liebe, Auserlesenes, 2. Auflage, Mitteldeutscher Verlag Halle/Leipzig, 200 Seiten mit Vignetten und Illustrationen von Egbert Herfurth.

 

... als Mitautorin:

 

Kinderbücher:

 

* Warum? Weshalb? Wieso?, Ein Frage-und-Antwort-Buch für Kinder, Band 1 bis 5, Herausgegeben von Carola Hendel, reich illustriert, Verlag Junge Welt, Berlin 1981 -1989.

 

Sachbuch:

 

* Die Stunde Null, Tatsachenberichte über tapfere Menschen in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges, Hrsg. Ursula Höntsch, Verlag der Nation 1966.

 

 

... als Verantwortliche Redakteurin:

 

* Leben mit der Erinnerung, Jüdische Geschichte in Prenzlauer Berg, Edition  Hentrich, Berlin 1997, mit zahlreichen Illustrationen.

 

* HANDSCHLAG, Vierteljahreszeitung für deutsche Minderheiten im Ausland, Herausgegeben vom Kuratorium zur kulturellen Unterstützung deutscher Minderheiten im Ausland e. V., Berlin 1991 - 1993.

 

 

Pressezitate (Auswahl) zu Gisela Rellers Buchveröffentlichungen:

Dieter Wende in der „Wochenpost“ Nr. 15/1985:

„Es ist schon eigenartig, wenn man in der Wüste Kysyl-Kum von einem Kamelzüchter gefragt wird: `Kennen Sie Gisela Reller?´ Es ist schwer, dieser Autorin in entlegenen sowjetischen Regionen zuvorzukommen. Diesmal nun legt sie mit ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik Berichte aus Kalmykien, Tuwa und von der Insel Sachalin vor. Liebevolle und sehr detailgetreue Berichte auch vom Schicksal kleiner Völker. Die ethnografisch erfahrene Journalistin serviert Besonderes. Ihre Erzählungen vermitteln auch Hintergründe über die Verfehlungen bei der Lösung des Nationalitätenproblems.“

B(erliner) Z(eitung) am Abend vom 24. September 1981:

"Gisela Reller, Mitarbeiterin der Ilustrierten FREIE WELT, hat autonome Republiken und gebiete kleiner sowjetischer Nationalitäten bereist: die der Burjaten, Adygen und Karelier. Was sie dort ... erlebte und was Heinz Krüger fotografierte, ergíbt den informativen, soeben erschienenen Band Zwischen Weißem Meer und Baikalsee."

Sowjetliteratur (Moskau)Nr. 9/1982:

 "(...) Das ist eine lebendige, lockere Erzählung über das Gesehene und Erlebte, verflochten mit dem reichhaltigen, aber sehr geschickt und unaufdringlich dargebotenen Tatsachenmaterial. (...) Allerdings verstehe ich sehr gut, wie viel Gisela Reller vor jeder ihrer Reisen nachgelesen hat und wie viel Zeit nach der Rückkehr die Bearbeitung des gesammelten Materials erforderte. Zugleich ist es ihr aber gelungen, die Frische des ersten `Blickes´ zu bewahren und dem Leser packend das Gesehene und Erlebte mitzuteilen. (...) Es ist ziemlich lehrreich - ich verwende bewusst dieses Wort: Vieles, was wir im eigenen Lande als selbstverständlich aufnehmen, woran wir uns ja gewöhnt haben und was sich unserer Aufmerksamkeit oft entzieht, eröffnet sich für einen Ausländer, sei es auch als Reisender, der wiederholt in unserem Lande weilt, sozusagen in neuen Aspekten, in neuen Farben und besitzt einen besonderen Wert. (...) Mir gefällt ganz besonders, wie gekonnt sich die Autorin an literarischen Quellen, an die Folklore wendet, wie sie in den Text ihres Buches Gedichte russischer Klassiker und auch wenig bekannter nationaler Autoren, Zitate aus literarischen Werken, Märchen, Anekdoten, selbst Witze einfügt. Ein treffender während der Reise gehörter Witz oder Trinkspruch verleihen dem Text eine besondere Würze. (...) Doch das Wichtigste im Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee sind die Menschen, mit denen Gisela Reller auf ihren Reisen zusammenkam. Unterschiedlich im Alter und Beruf, verschieden ihrem Charakter und Bildungsgrad nach sind diese Menschen, aber über sie alle vermag die Autorin kurz und treffend mit Interesse und Sympathie zu berichten. (...)"

Neue Zeit vom 18. April 1983:

„In ihrer biographischen Skizze über den polnischen Pater Maksymilian Kolbe schreibt Gisela Reller (2. Auflage 1983) mit Sachkenntnis und Engagement über das Leben und Sterben dieses außergewöhnlichen Paters, der für den Familienvater Franciszek Gajowniczek freiwillig in den Hungerbunker von Auschwitz ging.“

Der Morgen vom 7. Februar 1984:

„`Reize lieber einen Bären als einen Mann aus den Bergen´. Durch die Sprüche des Kaukasischen Spruchbeutels weht der raue Wind des Kaukasus. Der Spruchbeutel erzählt auch von Mentalitäten, Eigensinnigkeiten und Bräuchen der Adygen, Osseten und Dagestaner. Die Achtung vor den Alten, die schwere Stellung der Frau, das lebensnotwendige Verhältnis zu den Tieren. Gisela Reller hat klug ausgewählt.“

1985 auf dem Solidaritätsbasar auf dem Berliner Alexanderplatz: Gisela Reller (vorne links) verkauft ihren „Kaukasischen Spruchbeutel“ und 1986 das extra für den Solidaritätsbasar von ihr herausgegebene Sprichwörterbuch „Dein Freund ist Dein Spiegel“.

Foto: Alfred Paszkowiak

 Neues Deutschland vom 15./16. März 1986:

"Vor allem der an Geschichte, Bräuchen, Nationalliteratur und Volkskunst interessierte Leser wird manches bisher `Ungehörte´ finden. Er erfährt, warum im Kaukasus noch heute viele Frauen ein Leben lang Schwarz tragen und was es mit dem `Ossetenbräu´ auf sich hat, weshalb noch 1978 in Nukus ein Eisenbahnzug Aufsehen erregte und dass vor Jahrhunderten um den Aralsee fruchtbares Kulturland war, dass die Tschuktschen vier Begriff für `Freundschaft´, aber kein Wort für Krieg besitzen und was ein Parteisekretär in Anadyr als notwendigen Komfort, was als entbehrlichen Luxus ansieht. Großes Lob verdient der Verlag für die großzügige Ausstattung von Diesseits und jenseits des Polarkreises.“

 

 Gisela Reller während einer ihrer über achthundert Buchlesungen

in der Zeit von 1981 bis 1991.

Berliner Zeitung vom 2./3. Januar 1988:

„Gisela Reller hat klassisch-deutsche und DDR-Literatur auf Liebeserfahrungen durchforscht und ist in ihrem Buch 666 und sex mal Liebe 666 und sex mal fündig geworden. Sexisch illustriert, hat der Mitteldeutsche Verlag Halle alles zu einem hübschen Bändchen zusammengefügt.“

Neue Berliner Illustrierte (NBI) Nr. 7/88:

„Zu dem wohl jeden bewegenden Thema finden sich auf 198 Seiten 666 und sex mal Liebe mannigfache Gedanken von Literaten, die heute unter uns leben, sowie von Persönlichkeiten, die sich vor mehreren Jahrhunderten dazu äußerten.“

Das Magazin Nr. 5/88.

"`Man gewöhnt sich daran, die Frauen in solche zu unterscheiden, die schon bewusstlos sind, und solche, die erst dazu gemacht werden müssen. Jene stehen höher und gebieten dem Gedenken. Diese sind interessanter und dienen der Lust. Dort ist die Liebe Andacht und Opfer, hier Sieg und Beute.´ Den Aphorismus von Karl Kraus entnahmen wir dem Band 666 und sex mal Liebe, herausgegeben von Gisela Reller und illustriert von Egbert Herfurth."

 

Schutzumschlag zum „Buch 666 und sex mal Liebe“ .

Zeichnung: Egbert Herfurth

 

FÜR DICH, Nr. 34/89:

 

"Dem beliebten Büchlein 666 und sex mal Liebe entnahmen wir die philosophischen und frechen Sprüche für unser Poster, das Sie auf dem Berliner Solidaritätsbasar kaufen können. Gisela Reller hat die literarischen Äußerungen zum Thema Liebe gesammelt, Egbert Herfurth hat sie trefflich illustriert."

Messe-Börsenblatt, Frühjahr 1989:

"Die Autorin – langjährige erfolgreiche Reporterin der FREIEN WELT - ist bekannt geworden durch ihre Bücher Zwischen Weißem Meer und Baikalsee und Diesseits und jenseits des Polarkreises. Diesmal schreibt die intime Kennerin der Sowjetunion in ihrem Buch Von der Wolga bis zum Pazifik über die Kalmyken, Tuwiner und die Bewohner von Sachalin, also wieder über Nationalitäten und Völkerschaften. Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wird uns in fesselnden Erlebnisberichten nahegebracht."

Im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel schrieb ich in der Ausgabe 49 vom 7. Dezember 1982 unter der Überschrift „Was für ein Gefühl, wenn Zuhörer Schlange stehen“:

„Zu den diesjährigen Tagen des sowjetischen Buches habe ich mit dem Buch Zwischen Weißem Meer und Baikalsee mehr als zwanzig Lesungen bestritten. (…) Ich las vor einem Kreis von vier Personen (in Klosterfelde) und vor 75 Mitgliedern einer DSF-Gruppe in Finow; meine jüngsten Zuhörer waren Blumberger Schüler einer 4. Klasse, meine älteste Zuhörerin (im Schwedter Alten- und Pflegeheim) fast 80 Jahre alt. Ich las z.B. im Walzwerk Finow, im Halbleiterwerk Frankfurt/Oder, im Petrolchemischen Kombinat Schwedt; vor KIM-Eiersortierern in Mehrow, vor LPG-Bauern in Hermersdorf, Obersdorf und Bollersdorf; vor zukünftigen Offizieren in Zschopau; vor Forstlehrlingen in Waldfrieden; vor Lehrlingen für Getreidewirtschaft in Kamenz, vor Schülern einer 7., 8. und 10 Klasse in Bernau, Schönow und Berlin; vor Pädagogen in Berlin, Wandlitz, Eberswalde. - Ich weiß nicht, was mir mehr Spaß gemacht hat, für eine 10. Klasse eine Geographiestunde über die Sowjetunion einmal ganz anders zu gestalten oder Lehrern zu beweisen, dass nicht einmal sie alles über die Sowjetunion wissen – was bei meiner Thematik – `Die kleinen sowjetischen Völkerschaften!´ – gar nicht schwer zu machen ist. Wer schon kennt sich aus mit Awaren und Adsharen, Ewenken und Ewenen, Oroken und Orotschen, mit Alëuten, Tabassaranern, Korjaken, Itelmenen, Kareliern… Vielleicht habe ich es leichter, Zugang zu finden als mancher Autor, der `nur´ sein Buch oder Manuskript im Reisegepäck hat. Ich nämlich schleppe zum `Anfüttern´ stets ein vollgepacktes Köfferchen mit, darin von der Tschuktschenhalbinsel ein echter Walrosselfenbein-Stoßzahn, Karelische Birke, burjatischer Halbedelstein, jakutische Rentierfellbilder, eskimoische Kettenanhänger aus Robbenfell, einen adygeischen Dolch, eine karakalpakische Tjubetejka, der Zahn eines Grauwals, den wir als FREIE WELT-Reporter mit harpuniert haben… - Schön, wenn alles das ganz aufmerksam betrachtet und behutsam befühlt wird und dadurch aufschließt für die nächste Leseprobe. Schön auch, wenn man schichtmüde Männer nach der Veranstaltung sagen hört: `Mensch, die Sowjetunion ist ja interessanter, als ich gedacht habe.´ Oder: `Die haben ja in den fünfundsechzig Jahren mit den `wilden´ Tschuktschen ein richtiges Wunder vollbracht.´ Besonders schön, wenn es gelingt, das `Sowjetische Wunder´ auch denjenigen nahezubringen, die zunächst nur aus Kollektivgeist mit ihrer Brigade mitgegangen sind. Und: Was für ein Gefühl, nach der Lesung Menschen Schlange stehen zu sehen, um sich für das einzige Bibliotheksbuch vormerken zu lassen. (Schade, wenn man Kauflustigen sagen muss, dass das Buch bereits vergriffen ist.) – Dank sei allen gesagt, die sich um das zustande kommen von Buchlesungen mühen – den Gewerkschaftsbibliothekaren der Betriebe, den Stadt- und Kreisbibliothekaren, den Buchhändlern, die oft aufgeregter sind als der Autor, in Sorge, `dass auch ja alles klappt´. – Für mich hat es `geklappt´, wenn ich Informationen und Unterhaltung gegeben habe und Anregungen für mein nächstes Buch mitnehmen konnte.“

Die Rechtschreibung der Texte wurde behutsam der letzten Rechtschreibreform angepasst.

Die AGULEN wurden am  30.9.2015 ins Netz gestellt. Die letzte Bearbeitung erfolgte am 15.01.2016.

Die Weiterverwertung der hier veröffentlichten Texte, Übersetzungen, Nachdichtungen, Fotos, Zeichnungen, Illustrationen... ist nur mit Verweis auf die Internetadresse www.reller-rezensionen.de gestattet - und mit  korrekter Namensangabe des jeweils genannten geistigen Urhebers. 

Zeichnung: Karl-Heinz Döhring